Thema mit politischer Brisanz:
"Waren eigentlich auch Muslime im KZ?"
Die Thematisierung
spezieller Opfergruppen am Beispiel der Häftlinge aus der muslimischen
SS-Einheit "Handschar" in Neuengamme.
Von
Rosa Fava
Arbeitsgruppenbericht aus der Tagung "Erinnerungspädagogik in der deutschen
Einwanderungsgesellschaft" in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme Oktober 2004
Erschienen in: Erinnerungspädagogik in der deutschen Einwanderungsgesellschaft.
Dokumentation der Tagung in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, hrsg. v.
umdenken e.V., Heinrich Böll Stiftung
Hamburg, 2005, S. 13ff.
Für die aktuelle Veröffentlichung wurde der Beitrag um Literaturhinweise
ergänzt.
Thematische Hintergründe
"Waren hier eigentlich auch Muslime?"
Die Antwort auf diese einfache Frage von Schülerinnen oder Schülern ist weniger
einfach: Zunächst einmal kann sie mit "Ja" beantwortet werden. Zwischen zwei-
und dreihundert bosnische Muslime (zeitgenössisch: Kroaten islamitischer
Religionszugehörigkeit) wurden im Herbst 1943 als Angehörige der muslimischen
SS-Einheit Handschar in das Konzentrationslager Neuengamme gebracht.
Während der Ausbildung der Freiwilligen-Division war es zu einer Meuterei
gekommen und zur Strafe wurden einige hundert Männer in verschiedene deutsche
Konzentrationslager eingewiesen. Die Handschar wurde seit Mitte 1943 unter der
muslimischen Bevölkerung der verschiedenen nationalen Gruppen im seit 1941 in
verschiedene Zonen und Länder aufgeteilten Jugoslawien rekrutiert und sollte im
Kampf gegen die kommunistischen Partisanen eingesetzt werden. Weiterhin gab es
unter den Häftlingen, die wegen politischen Widerstands aus den Ländern des
ehemaligen Jugoslawien deportiert worden waren, eine ganze Reihe, die durch
ihren Namen, den Herkunftsort und den Aktenvermerk "islamitisch" als Muslime zu
identifizieren sind. Dies trifft auch auf einige wenige Häftlinge aus anderen
Staaten zu. Schließlich gab es in Neuengamme bzw. seinen Außenlagern eine nicht
genau bekannte Anzahl arabischer und größtenteils muslimischer Häftlinge,
zumeist aus Frankreich oder aus den französischen Kolonien.
Diese
konkrete Antwort auf die Frage nach muslimischen Häftlingen trifft aber wohl
nicht die Motivation der Fragenden. In den meisten Fällen werden sie wissen
wollen: 'Waren auch Muslime Opfer der Nazis – wie die Juden, die Russen, die
Polen, ...?' Diese Frage muss wiederum verneint werden, denn die muslimischen
Häftlinge wurden nicht auf Grund ihrer Identität als Muslim(a), ob nun religiös,
kulturell oder politisch verstanden, in ein KZ eingewiesen. Im Gegenteil, die
sich auf eine islamische politische Identität stützenden Autonomie- und
Unabhängigkeitsbewegungen in Jugoslawien, in der Sowjetunion, in den arabischen
Ländern und anderswo wurden von den Nationalsozialisten unterstützt und zu
strategischen Bündnispartnern aufgebaut.
Auf
Grund "rassischer" Kriterien wie Hautfarbe oder "artfremdes Blut" waren Personen
muslimischer Religionszugehörigkeit in Deutschland und den besetzten Ländern
Diskriminierungen und besonders harter Strafverfolgung (z. B. wegen
"Rasseschande") oder teilweise auch Sterilisationsmaßnahmen ausgesetzt, als
Muslime im Sinne einer politischen Kategorisierung jedoch bzw. als Angehörige
befreundeter Staaten genossen sie wiederum besonderen Schutz. Für zwei arabische
Kampfverbände wurden Araber sogar in den Kriegsgefangenenlagern für Briten und
Franzosen, in deren Armeen zahlreiche Soldaten aus den Kolonialgebieten dienten,
rekrutiert.
Es gab
keine, und das ist der in der Kommunikation mit Schülerinnen und Schülern
wichtigste Aspekt, systematische Verfolgungs- oder Vernichtungspolitik anhand
der Kategorie "Muslim". Die Gründe für die Einlieferung von Arabern, der größten
Gruppe, in der sich Muslime vermuten lassen, in ein KZ waren die gleichen wie
bei anderen Menschen, die nicht als "jüdisch", "Zigeuner", "homosexuell",
"asozial" etc. verfolgt wurden: politischer Widerstand (v.a. in Frankreich),
Kampf auf Seiten der Republikaner in Spanien, Gesetzesverstöße als
Zwangsarbeiter/in, "Fremdarbeiter/in" oder als Kriegsgefangener, Verstoß gegen
die Ausweisung aus dem Reich – und nicht zuletzt Zugehörigkeit zum Judentum.
Auch
die historische Forschung stellt seit einigen Jahren einerseits die Frage nach
arabischen und muslimischen Opfern der Nationalsozialisten, andererseits nach
dem Verhältnis zwischen den Nationalsozialisten und islamischen Bewegungen bzw.
nationalen Bewegungen in islamisch geprägten Regionen. So trifft sich in der
Frage nach muslimischen KZ-Opfern, die in Deutschland wohl vorwiegend
Jugendliche stellen, die sich als Muslime verstehen, ein scheinbar partikulares
Interesse mit einer allgemeinen Wissenslücke über einen gegenstandsspezifischen
Tatbestand von universaler Bedeutung. Dies bietet einen Anlass für die
Aufnahme des Themas in den allgemeinen Bildungskanon über den
Nationalsozialismus.
Die
Ausstellung, die im Mai 2005 in der KZ-Gedenkstätte eröffnet wird, gibt die
Möglichkeit sich vertiefend mit den Hintergründen für die KZ-Haft zu
beschäftigen sowohl im Hinblick auf die nationale Herkunft der Häftlinge als
auch auf die Gründe für die Verfolgung. Voraussichtlich wird es einen Text und
einige Dokumente über die Handschar und die Einweisung der nach der Meuterei
willkürlich als "politisch unsichere Elemente" ausgesonderten Mitglieder geben.
Die Voraussetzungen sind also gut, um ausgehend von der Situation in Neuengamme,
ein Projekt zu der Thematik "Muslime in Konzentrationslagern" anzubieten.
Muslime als SS-Männer
Die
Teilnehmerinnen und Teilnehmer der AG befassten sich mit Quellen und
Sekundärliteratur, die folgende thematische Bereiche umfassten: "die Handschar",
"der Mufti von Jerusalem" (der Palästinenser Amin al-Husseini, der sich als
Oberhaupt aller Araber und Muslime verstand, residierte seit 1941 in Berlin und
war an der Rekrutierung und ideologischen Schulung der SS-Leute beteiligt), "die
Haltung der Nazis zum Islam", "der gemeinsame Kampf gegen Engländer und Juden",
"Gründe für die KZ-Haft von Arabern" und "Rassismus gegen 'Neger', 'Farbige',
'Mischlinge'".
Die
Handscharmänner, die der Willkür der Nazis zum Opfer fielen, waren keine
idealtypischen "unschuldigen Opfer" oder politische Widerstandskämpfer, die zu
einer Identifikation einladen – die Hintergründe der Meuterei sind nicht
zufriedenstellend geklärt –, sondern die SS-Division war als Instrument
nationalsozialistischer Kriegsführung konzipiert und sollte ab 1944 zu einem der
grausamsten Kampfverbände auf jugoslawischem Boden werden. Amin al-Husseini sah
die jugoslawischen Muslime als Verteidiger des Islam gegen Kommunismus,
"Weltjudentum", England und die Sowjetunion und damit auch als Vorkämpfer der
"arabischen (!) Freiheit". Die Nationalsozialisten fanden in al-Husseini einen
Verbündeten gegen die gleichen "Feinde".
Kritik
Das
Gespräch in der AG 2 spiegelte die politische Brisanz des Themas angesichts der
öffentlichen Debatten um Islamismus und die Integration von MigrantInnen wieder.
Zu einer Diskussion über didaktische und methodische Herangehensweisen ist es
nicht mehr gekommen, da die grundsätzliche Frage nach Sinn und Zweck einer
Thematisierung der Kollaboration arabischer Politiker mit den
Nationalsozialisten im Vordergrund stand.
Die
Kritik der TeilnehmerInnen lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Die
Thematisierung der Handschar zeige Muslime als Mittäter der Nazis bzw. stelle
sie auf die gleiche Stufe, was den Antisemitismus und die Vernichtungspolitik
betrifft. Für Schülerinnen und Schüler sei nicht ersichtlich, inwiefern der
Islam und seine Aussagen durch die Nationalsozialisten einerseits, durch
Politiker wie den Mufti andererseits instrumentalisiert und verfälscht worden
sei, so dass ein negatives und falsches Bild vom Islam verbreitet werde.
SchülerInnen, die der islamischen Religion angehörten und gesellschaftlich
diskriminiert würden, erführen womöglich eine weitere Stigmatisierung durch die
MitschülerInnen als "Nazis".
Zudem
entsprächen die vermittelten Sachverhalte nicht der Intention der Frage, ob es
in Konzentrationslagern Muslime gegeben habe, sondern wirkten mit der Antwort
'Muslime waren wie die Nazis' als Schlag ins Gesicht und verstärkten die
Erfahrung von Abwertung. Gegenüber dem Lernziel 'Muslime als Kollaborateure'
gerate das Lernziel 'Muslime als Opfer' in den Hintergrund. Es werde ein
einseitiges Bild des historischen politischen Islam bzw. arabischer Politiker
gezeichnet, indem nur die Kollaboration mit den Nationalsozialisten so
ausführlich thematisiert werde, so dass eine falsche Verallgemeinerung und eine
verfestigende Zuschreibung einer islamischen Identität befördert werde.
Angesichts von "Krieg gegen den Terror" in Außen- und Innenpolitik,
Nahostkonflikt und der Debatte um die EU-Mitgliedschaft der Türkei wirkten die
'Metaaussagen' der Thematik wie eine Stellungnahme im politischen Diskurs.
Schließlich wurde zu bedenken gegeben, dass über die Auseinandersetzung mit der
Handschar und der politischen Situation in Jugoslawien gegenseitige
Schuldzuweisungen zwischen Jugendlichen, deren Familien aus den Ländern des
ehemaligen Jugoslawien eingewandert sind, wieder aufbrechen bzw. provoziert
werden könnten. Das Thema "Muslime in Konzentrationslagern", so die fast
einhellige Meinung in der AG, eigne sich nur für SchülerInnen im Leistungskurs
oder für Erwachsene. Jüngere Schülerinnen und Schüler seien schon allein durch
die Komplexität der historischen und politischen Hintergründe und ihren
Widerhall in der Gegenwart überfordert.
Es wurde jedoch auch
eingewandt, dass man Schülerinnen und Schülern auch die Auseinandersetzung mit
schwierigen Fragestellungen ohne leicht verdauliche Antworten zumuten könne.
Niemand sprach sich dafür aus, die Kollaboration, die es in vielen europäischen
Ländern ebenso gegeben hat, nicht zu thematisieren. Genauso wenig ging es darum,
Jugendlichen mit islamischem Hintergrund die Auseinandersetzung mit dem
"negativen Erbe" eines wie auch immer imaginierten Kollektivs zu ersparen, die
auch die deutschen Jugendlichen deutscher Herkunft leisten müssen. Das Problem
liegt in dem Verhältnis der verschiedenen Gruppen zueinander – und der
PädagogInnen zu ihnen –, das gesellschaftlich strukturiert und in keiner
Lerngruppe frei von auch unbewussten identitären (Selbst-) Wahrnehmungen und
Rassismen ist.
Eine Teilnehmerin schlug vor,
eben diese Konstruktion von Identitäten im Nationalsozialismus zu bearbeiten.
Indem die politische Motivation der naturalisierenden Kategorisierung von
Menschen zum Gegenstand der Auseinandersetzung gemacht werde, werde eine
kritische Reflexion identitärer Fremd- und Selbstbilder ermöglicht. Die vielen
Vorbehalte und Bedenken, die zur Sprache kamen, stellen, so das Fazit, nicht das
"Ob" von Projekten zum Thema "Muslime in Konzentrationslagern" in Frage, sondern
rücken das "Wie" und das "Was genau" in den Vordergrund.
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hagalil.com 15-02-2007
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