Helmut Eschwege

In einem Artikel über Neukonzeption der Gedenkstätten in Sachsen und das Verhältnis der DDR-Dissidenz zur Shoah schrieb der Historiker Martin Jander in der Jungle-World vom 11.2. 2004:

Helmut Eschwege ist wohl der einzige Historiker der DDR, der über die Vernichtung der europäischen Juden in der DDR forschte und publizierte.

Der 1913 in Hannover geborene jüdische Sozialist war über Dänemark, Lettland und Estland nach Palästina emigriert. 1943 war er in die britische Armee eingetreten, 1945 nach Prag umgesiedelt und 1946 Mitarbeiter in der SED-Landesleitung Sachsen in Dresden geworden.

Im Zuge derselben anti-zionistischen und anti-semitischen Kampagnen der SED, in der Paul Merker verhaftet wurde, schloss man Eschwege 1953 als Westemigranten und möglichen Spion aus der SED aus. Er beschloss daraufhin, über die Entrechtung und Verfolgung der Juden im Nationalsozialismus zu schreiben.

Seine Dokumentation »Kennzeichen J« konnte jedoch erst nach 1966 in der DDR erscheinen. Auch sein Buch »Die Synagoge in der deutschen Geschichte« lag zwölf Jahre beim Verlag und musste mehrfach umgearbeitet werden.
Die Untersuchung »Selbstbehauptung und Widerstand. Deutsche Juden im Kampf um Existenz und Menschenwürde 1933–1945« konnte nur in der Bundesrepublik erscheinen. Seine »Geschichte der Juden in der DDR« blieb ungedruckt.
Eschwege wurde allerdings nicht nur vom MfS beobachtet, er war ihm auch als IM »Ferdinand« zu Diensten. 1989 gehörte Eschwege zu den Gründungsmitgliedern der SPD in Dresden.

Stimmen zu den ersten Auflagen

. . . Da das Buch »Die Synagoge in der deutschen Geschichte« keine Aufstellung aller Synagogen im deutschen Sprachraum beinhaltet, muß davon ausgegangen werden, daß dieses Werk ein bebildertes Lehrbuch deutschjüdischer Geschichte darstellt, und Lehrbücher werden j a bekanntlich immer erweitert und verbessert. Trotz aller kritischen Anmerkungen muß hier betont werden, daß, vom informativen Aspekt her gesehen, das Werk -als erstes seiner Art - einen guten Einblick in die Geschichte der Synagogen und über deren barbarische Zerstörung 1938 durch die Nationalsozialisten gibt.

Adolf Diamant

in »Unsere Stimme«, Frankfurt/M. 1981

. . . Der Leser schließt Helmut Eschweges Buch mit schwerem Herzen. Der Autor, der durch seine Dokumentation »Kennzeichen J« . . . bekannt wurde, berichtet in seinem neuen Buch über den Leidensweg von zweitausend Jahren. Die Zusammenstellung enthält viel Wissenswertes über die jüdische Kultur, Religionsgeschichte und Architektur, und die wichtigste Lehre des Buches ist: Die hier dargestellten Greuel dürfen nie wieder und nirgends wiederholt werden!

Tibor P.Ritter in »Uj Élet«, Wochenblatt der ungarischen Israeliten, Budapest 1983

. . . Die knappe Schilderung zeichnet sich vor allem durch die Herausarbeitung der dialektischen Beziehungen aus, die zwischen dem jeweiligen historischen Dasein der Juden und der Synagoge existierten, deren Rolle und Funktion bestimmten und deren innere und äußere Bauweise und Gestaltung unverwechselbar mitprägten. Wer sich über diese Zusammenhänge einführend informieren will, erhält in dem Buch eine pädagogisch geschickte Handreichung. . .

Kurt Pätzold in »Zeitschrift für Geschichtswissenschaft«, Berlin 1985

Der Autor, Helmut Eschwege, wurde 1913 in Hannover geboren und besuchte in Hamburg die Schule der jüdischen Gemeinde. Er erlernte einen kaufmännischen Beruf, danach den eines Gärtners. In dieser Zeit trat er der SPD bei. 1934 emigrierte Helmut Eschwege nach Dänemark, wurde ausgewiesen, emigrierte nach Estland weiter, wo er zweieinhalb Jahre in einem jüdischen Arbeiterkollektiv lebte. 1936 gelang es ihm, durch Hilfe von Verwandten in Palästina einzuwandern. Nach Beginn des zweiten Weltkrieges war Helmut Eschwege für die englische Armee im Einsatz. 1946 kehrte er nach Deutschland zurück und wählte Dresden als künftige Heimatstadt. Ab 1953 arbeitete er an der Technischen Universität Dresden. Nebenberuflich beschäftigte sich Helmut Eschwege mit jüdischer Geschichte und Kultur. Als Ergebnis erschienen mehrere Veröffentlichungen, so unter anderem »Kennzeichen J« über die Diskriminierung und die Verfolgung der deutschen Juden, »Selbstbehauptung und Widerstand. Deutsche Juden im Kampf um Existenz und Menschenwürde 1933-1945« (in Zusammenarbeit mit Professor Konrad Kwiet) und 1980 die erste Auflage »Synagogen in der deutschen Geschichte«. Für diese Bücher und seine Vortragstätigkeit erhielt er mehrere Auszeichnungen, darunter 1984 die Buber-Rosenzweig-Medaille.

VEB VERLAG DER KUNST DRESDEN

Vorderseite: Synagoge Berlin, Oranienburger Straße, 1865, Ölzeichnung von Emile de Cauwer (Märkisches Museum)

Rückseite: Die Synagoge Berlin, Oranienburger Straße, im Februar 1943

Vorwort

In einer langen historischen Periode war die jüdische Religion die einzige Form, in der das geistige Leben der Juden sich ausdrückte. Da die Religion die einzige dieses Volkes war, und weil es die einzige war, die es angenommen hatte, wurde für die Juden bis in die Neuzeit hinein eine Art Identität zwischen nationalen und religiösen Begriffen angenommen. Für viele Juden gehört diese Identität längst der Vergangenheit an.

Sichtbarer Ausdruck der in ihrer Mitte lebenden jüdischen Mitmenschen in Deutschland war für Juden wie Nicht-Juden die Synagoge. Sie stand bis in das 19. Jahrhundert in den meisten Gemeinden inmitten ihres Ghettos. Die Feldzüge Napoleons I. öffneten auch in Deutschland das Ghetto. Danach nahmen die Synagogen bereits die Formen und oft auch die Ausmaße zeitgenössischer Kirchen an - als Ausdruck der vermeintlichen bürgerlichen Gleichberechtigung.

Die vorliegende Arbeit über die Synagogen in der deutschen Geschichte will diesen Teil jüdisch-deutscher Kultur in Erinnerung rufen. Es versteht sich, daß in diesem Zusammenhang auch der Gottesdienst in den Synagogen betrachtet wird wie auch die Geschichte jener Menschen, die die Synagogen benutzten. Dem Einfluß der Umwelt auf die Synagoge, auf die Juden wie auf deren Gottesdienst wird in den folgenden Seiten breiter Raum gewidmet. Durch die Säkularisierung in Deutschland leerten sich die Synagogen und Kirchen. Für den Juden wurde die Religion »historisch«. In den Jahren der Weimarer Republik »besuchten« nur noch wenige Prozent der Angehörigen jüdischer Gemeinden ihre Synagoge. Sie hatte aufgehört, Mittelpunkt zu sein.

Der verbrecherische Rassenfanatismus der Nazis bereitete auch dieser Entwicklung ein Ende. Erst der Sieg der alliierten Streitkräfte über das Naziregime ermöglichte den wenigen in Deutschland überlebenden beziehungsweise den aus der Emigration zurückkehrenden religiös gebundenen Juden, erneut Synagogen zu errichten.

Als der VEB Verlag der Kunst dem Vorschlag des Verfassers zustimmte, ein Buch über die Synagogen herauszugeben, ahnten beide nicht, welche Schwierigkeiten bei der Zusammenstellung der Abbildungen für dieses Buch entstehen würden. Die wenigsten jü-dischen Gemeinden besitzen heute auch nur eine Abbildung ihrer einstigen Gotteshäuser.

Die Mehrzahl der Synagogen - 1932/33 waren es etwa 1600 - stand in den Dörfern und Kleinstädten der süddeutschen Länder. Nur wenige Fotos sind uns von den Synagogen erhalten geblieben. Daß ich aus vielen großen Städten die Mitteilung erhielt, in ihren Archiven, Museen und Bildstellen seien keine Abbildungen ihrer Synagogen aufzufinden, war mir zuerst unfaßbar. Später fand ich die Ursache. Die Gestapo hatte sich aus vielen dieser Institutionen rigoros die Bauunterlagen und Fotos von Synagogen aushändigen lassen und vernichtet. Wie sie die Namen von Firmen, Stiftungen, Straßen usw., die an Juden erinnerten, eliminierten, so beseitigten sie auch alle Schriftstücke und Fotos von Synagogen und anderen Gebäuden.

Dieser Sachverhalt zwang mich, einen Teil der Abbildungen älteren Monographien, die den einzelnen Gemeinden gewidmet waren, graphischen Sammlungen und anderen Quellen zu entnehmen. Der Leser möge diesen Sachverhalt, der sich in der unterschiedlichen Qualität der Reproduktionen ausdrückt, immer bedenken; denn auch dies spiegelt einen Teil der von den Nazis begangenen Verbrechen wider.

Manche der hier abgebildeten Synagogen werden dem heutigen Betrachter kaum als bedeutsames Bauwerk erscheinen, besonders die aus dem 19. Jahrhundert. Aber, auch da möge der Leser bedenken: Es handelt sich um den überall herrschenden Architekturstil jener Epoche, und die nach jahrhundertelangen Kämpfen endlich als vollwertige Bürger geltenwollenden Juden möchten mit ihren Bauten im nachgeahmten Stil nur beweisen, daß sie als Teil der deutschen Bourgeoisie oder des Kleinbürgertums ganz »dazugehören«. Einige der Synagogenbauten sollten wiederum an die einstige orientalische Heimat der Juden erinnern.

Zur Geschichte der Architektur der Synagogen sei die Dissertation von Harold Hammer-Schenk »Untersuchungen zum Synagogenbau in Deutschland von der ersten Emanzipation bis zur gesetzlichen Gleichberechtigung der Juden (1800 bis 1871)« empfohlen. Einige Passagen seiner Arbeit flössen in den hier vorgelegten Text ein.

Dank geziemt all den jüdischen Gemeinden und allen Institutionen sowie den verschiedenen Stadträten und Stadtarchiven, die dem Verfasser mit Unterlagen und Rat geholfen haben.

 

Die Nacht über Deutschland wurde durch den Sieg der alliierten Armeen beendet. Etwa 15000 Juden hatten die Verfolgung in Deutschland überlebt. Ein großer Teil von ihnen hat in Mischehen gelebt und war so der Vernichtung entgangen, ein geringerer Teil (in Berlin waren es 18 Prozent) hat die letzten Jahre des Krieges in Deutschland versteckt oder mit gefälschten Papieren überstanden. Hinzu kommen die Überlebenden des Lagers Theresienstadt und die wenigen, die in anderen Vernichtungslagern überlebten. Von all diesen hatten die meisten vor der Verfolgung den jüdischen Gemeinden ferngestanden. Was sie unmittelbar nach dem Krieg zu deren Mitgliedern machte, waren weder religiöse noch nationale Überzeugung, sondern das gemeinsame Schicksal der Verfolgung und des Ausgestoßenseins.

Von den Überlebenden begannen etwa 6000 bis 8000 den neu konstituierten jüdischen Gemeinden beizutreten. Dem folgte die provisorische Einrichtung von Betstätten. Synagogen wurden erst etwa seit 1950 errichtet, oder man begann die noch bestehenden wieder in ihren ursprünglichen Zustand zu versetzen.

Für die Berliner Juden wurde das erhalten gebliebene Verwaltungsgebäude der Jüdischen Gemeinde in der Oranienburger Straße erneut deren Zentrum. Bald wurden auch die jüdischen Friedhöfe, deren Grabsteine zum Teil für Straßenschotter und Kanalbauten verwendet worden waren, andere waren umgestürzt und beschmiert, wieder in Ordnung gebracht. Damals im harten Winter 1945/46 gab es als Nachwirkung der Grausamkeiten und der tragischen Nachrichten der Suchdienste viele Freitode.

Zu dieser Zeit wurde die Jüdische Gemeinde »Liquidationsgemeinde« genannt, weil sie in der Unterstützung der Auswanderung ihrer Mitglieder den besten Ausweg aus deren damaliger sozialer Not sah.

Die Finanzierung der Wiederinstandsetzung dreier noch stehender, aber zweckentfremdeter Synagogen sowie des Verwaltungsapparates mußten in Berlin aus Spenden, Sammlungen und Vorschüssen der Stadt Berlin bestritten werden. Auch die jüdischen Organisationen des Auslandes halfen beträchtlich, und das nicht nur den Juden. Allmählich wurde aus der »Liquidationsgemeinde« die Berliner Aufbaugemeinde.

Diese Periode endete 1948 mit der ersten Nachkriegswahl ihrer Repräsentantenversammlung. Ähnlich verhielt sich der Wiederaufbau des jüdischen Gemeindelebens in den anderen deutschen Großstädten.

Sehr bald stellten die Regierungen aller deutschen Länder ihren jüdischen Gemeinden für deren Wiederaufbau große Summen zur Verfügung. Die Regierung der DDR und der Berliner Magistrat übergaben der Berliner Jüdischen Gemeinde 400000 Mark, damit ihr erhalten gebliebenes Gotteshaus in der Ryke-straße restauriert werden und ab 1. September 1953 wieder seinem ursprünglichen Zweck dienen konnte. Es erhielt den symbolischen Namen »Friedenstempel«. Ehemals besaß ihn die in der »Kristallnacht« völlig zerstörte Synagoge in der Markgraf-Albrecht-Straße.

Die in der DDR bestehenden acht Gemeinden haben heute insgesamt etwa 550 Mitglieder. Für die von ihnen gepflegten etwa 200 Friedhöfe erhalten sie vom Staat jährlich 200000 Mark Unterstützung.

Mit Unterstützung der staatlichen Behörden errichteten die Gemeinden zahlreiche Gedenksteine und Mahnmale, um die Nachwelt auf die Verbrechen hinzuweisen.

In beiden deutschen Staaten sind die heute in 500 Orten lebenden Juden in etwa 85 Synagogengemeinden organisiert.

Nach wie vor sind die Synagogen in beiden deutschen Staaten Symbole des religiösen Lebens, die meist modern wie ihre Umgebung gebaut sind und heute eine geschlossene jüdische Gemeinschaft vereinen.

haGalil onLine 12-02-2005