[Zeitzeugen] [Gedenken] [Geschichte und Diskurs] [Erinnerung] [Nationalsozialismus] [Entschädigung] [Webausstellungen] [Suchformulare] [Literatur]
schoah.org

Wir versuchen auf diesen Seiten alle Dienste kostenlos anzubieten und sind somit auf Unterstützung angewiesen, denn leider wird haGalil im Rahmen der Bundesmittel zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Antisemitismus, trotz mehrfacher leitlinien-konformer und fristgerechter Antragstellung, in keiner Weise unterstützt. Wir müssen Sie deshalb bitten, haGalil auch weiterhin mit Ihrer ganz persönlichen Spende zu unterstützen. Schon zwanzig Euro helfen, haGalil zu erhalten; wenn's zweihundert sind, finanzieren Sie die Information für weitere Leser gleich mit.

haGalil e.V., Münchner Bank BLZ 701 900 00, Konto Nr. 872 091.
Sie finden weitere Angaben zu Überweisungen aus dem Ausland, zu Lastschriftverfahren, Spendenquittungen etc. auf den Seiten des haGalil e.V..

 

Entrance haGalil
Search haGalil
Jahaduth: Jüdische Religion
Jüd. Kalender
Forum Judaicum
Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!

Die dritte Generation:
Enkel des Holocaust

Von C. Zimmermann

Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, warum ich meine Gedanken zum Schicksal meiner Großmutter und zum Holocaust aufschreiben musste. Ich hatte wohl das Gefühl, einen persönlichen Abschluss mit dem Thema herbeiführen zu müssen, das mich schon so lange beschäftigt. Seit ich ein kleiner Junge war, habe ich mich mit Geschichte beschäftigt, und die meiste Zeit davon mit der Geschichte des Dritten Reiches und der Shoah.

Es hat seitdem keinen Tag gegeben, an dem meine Gedanken nicht wenigstens kurz bei dem Schicksal meiner Großmutter oder den damaligen Zeitumständen waren. Geradezu zwanghaft habe ich alles verschlungen, was ich dazu in die Finger bekommen konnte. Seltsamerweise hat das sehr abgenommen, seit ich den Mut vor mir selber und die Muße fand, die Gedanken, die ich dazu hatte und habe, niederzuschreiben. Warum das so ist, weiß ich (noch) nicht. Ein klein wenig spielt aber auch die Vorstellung mit hinein, ein indirekter Zeitzeuge zu sein, der Zeugnis ablegen sollte. Die Häftlinge von Sobibor oder Treblinka – so genau weiß ich das nicht mehr – schworen einen Eid, der Nachwelt gegenüber Zeugnis abzulegen über die Geschehnisse in den Todeslagern. Ein ganz klein wenig fühle ich mich als Enkel aber auch an diesen Schwur gebunden.

"Meine Großmutter hat Auschwitz überlebt".

Ich habe diesen Satz in meinem Leben schon sehr oft und zu allen möglichen Leuten gesagt: zu Mitschülern, Lehrern, Kommilitonen, Freunden, Bekannten, Fremden. Und ich habe ihn in den verschiedensten Situationen gesagt: in zwanglosen, förmlichen, intimen Situationen, wie auch an den verschiedensten Orten. Ich war nie dazu gezwungen; ich habe es immer freiwillig getan. Manchmal war es nötig, weil ich meine Beziehung zu Israel und zum Judentum erklären wollte, manchmal, weil es sich ergab, aber manchmal auch (besonders als Jugendlicher), um mich damit ein bisschen interessant zu machen. Für letzteres schäme ich mich nicht, ich glaube, das ist ein für Jugendliche typisches Verhalten, daher werde ich auch nicht zu langer Rechtfertigung anheben.

Dieser Satz – und was er bedeutet – hat mein Leben geprägt wie sonst kaum etwas anderes. Ich versteige mich zu der Behauptung, dass es für mich als Mensch etwas Prägenderes nicht gegeben hat. Eine Ausnahme davon bildet vielleicht nur die Musik, die mich ebenfalls mein ganzes Leben begleitet hat.

Ich werde wohl nicht darum herumkommen, zunächst das Leben meiner Großmutter "unter dem Hakenkreuz" – wie es so schön heißt – zu umreißen. Ich werde nur die wesentlichen Aspekte herausgreifen und dem Leser die vollständige Lebensgeschichte ersparen. Meine Großmutter väterlicherseits, geboren 1913 (auf den Tag genau 65 Jahre vor mir) im damaligen Westpreußen, war Jüdin. Ihr Vater war im Holzhandel tätig, die Mutter Hausfrau. Die Familie war, wenn überhaupt, nicht besonders religiös und in jeder Hinsicht deutsch. Mein Großvater, ein Protestant, war Jurist in der Justizverwaltung und bekleidete dort bis zu seiner Entlassung aufgrund der nationalsozialistischen Rassengesetze hohe Ämter. Nach der Verhaftung und Haft in einem Wiesbadener Gefängnis wurde meine Großmutter in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz verbracht, wo sie von Juli 1944 bis zur Befreiung durch die Rote Armee am 27. Januar 1945 interniert war.

Es liegt mir fern, das Leiden meiner Großmutter herunterzuspielen, das ohne Zweifel grenzenlos gewesen sein muss. Jedoch kann man wohl von ihr als von einem alles in allem durchschnittlichen Häftling sprechen, der zwar den alltäglichen Quälereien und Strapazen ausgesetzt war, jedoch keine unter diesen Umständen außergewöhnliche Geschichte zu erzählen hatte. Dies soll lediglich betonen, dass meine Großmutter also nicht das individualisierte, besondere Ziel von Grausamkeiten gewesen ist. In diesem Teil ihrer Geschichte kann daher auf die bekannten Informationen über den Lageralltag in Auschwitz verwiesen werden kann. Ich will keine Geschichte der Konzentrationslager schreiben und setze das Wissen über die Zustände in Auschwitz voraus.

Ihre eigenen Erfahrungen über das Leben in Auschwitz hat sie in einem vielleicht fünfseitigen, maschinegeschriebenen Bericht festgehalten, der ebenfalls völlig allgemein und unpersönlich den Tag eines Häftlings in Auschwitz schildert, jedoch in seiner Einfachheit und Klarheit ein beeindruckendes Zeugnis ablegt. Ich darf mir die Bemerkung erlauben, dass meine Großmutter kein großer Geist war, eine einfache Frau mit einem Sinn für das Praktische, der man nach ihrer kleinen Statur das erforderliche Maß an Zähigkeit, das zum Überleben erforderlich war, nicht zutrauen würde. Doch vielleicht gerade darum vermochte sie es, in schnörkelloser und zugleich plastischer Erzählweise das Leben der Häftlinge zu dokumentieren.

Meine eigenen Informationen über das Schicksal meiner Großmutter verdanke ich neben dem geschilderten Bericht hauptsächlich dritten Quellen: der Lektüre der einschlägigen Literatur über die Geschichte des Dritten Reiches und der Konzentrationslager, aber vor allem dem Interview, das im Auftrage von Stephen Spielbergs "Shoah Foundation" mit meiner Großmutter geführt und auf Videokassette aufgezeichnet worden ist. Mir gegenüber erzählte sie nie von ihrer Zeit in Auschwitz. Ich kann mich nur daran erinnern, dass sie mir einmal – ich war noch ein kleiner Junge – von ihrem Aufenthalt in dem Wiesbadener Gefängnis erzählte, wo sie eingesperrt war, bevor sie auf den Transport nach Auschwitz geschickt wurde. Sie musste dort eine kleine Zelle mit einer fremden Frau teilen, dazu gezwungen, den ganzen Tag auf der einzigen Pritsche oder auf der Kloschüssel sitzend zu verbringen. Das war ganz besonders quälend, weil es rein gar nichts zu tun gab und die zwei Frauen den quälenden Gedanken an ihre Familien ausgeliefert waren, von denen sie nur spärlich Nachricht erhielten. Dieses quälende Nichtstun, verbunden mit dem ununterbrochenen Grübeln über das eigene Schicksal, das der Familie und den Selbstzweifeln ("Hätte ich etwas tun können, um das alles abzuwenden?..."), trieb die Gefangenen an den Rande des Wahnsinns.

Ich weiß nicht, warum ich mit meiner Großmutter nie über ihre Erlebnisse gesprochen habe. Merkwürdig genug, aber Tatsache ist, dass ich nie das Bedürfnis danach hatte. Ich wusste stets, dass sie in Auschwitz war und las viel über Konzentrationslager und Judenvernichtung, aber ich hatte nie ein gesteigertes Verlangen, es aus ihrem eigenen Munde zu hören. Ich gehe noch weiter und muss bekennen, dass ich schließlich der Ansicht war, es brächte mir keine neuen Informationen. Man könnte einwenden, dass es für mich dennoch von Interesse hätte sein müssen, die Geschehnisse aus erster Hand, von einem Augenzeugen, geschildert zu bekommen. Aber auch dieses Verlangen hatte ich nie. Die einzige Erklärung, die ich dafür anbieten kann, ist Scheu. Dass ich Scheu davor hatte, ist sicher, aber ich bin mir nicht sicher, ob das der vorrangige Beweggrund war.

Das leitet über zu der Frage, was dieser familiengeschichtliche Hintergrund für mich bedeutete und noch heute bedeutet. Im Alltag nichts oder wenig, könnte manch einer vermuten. Ich war doch ein Kind der 90er Jahre, geboren 1978, ich erlebte den Fall der Mauer mit 11 Jahren, wuchs auf mit Techno und HipHop, mit Helmut Kohl, dem ICE und der Einführung der fünfstelligen Postleitzahlen. Deutschland ist wiedervereinigt, Franzosen und Polen der Deutschen beste Freunde. Warum hätte das Schicksal meiner Großmutter sich noch woanders bemerkbar machen sollen als in meinem Bücherschrank und den Erzählungen der Eltern? Die Antwort ist: Ich wuchs mit dem Holocaust auf. Es muss sehr früh gewesen sein, als mir klar wurde, dass meine Großmutter etwas besonderes und dies für meine ganze Familie immer noch irgendwie von großer Wichtigkeit war. Ich kann mich noch an die erste Begegnung mit dem Thema "Drittes Reich" erinnern. Es war der Jahrestag des Stauffenberg-Attentats. Ich saß bei meiner Mutter hinten im Auto und wir fuhren auf das Gebäude der Hauptpost meiner Heimatstadt zu. Ich fragte meine Mutter, warum denn am Postgebäude eine Flagge mit Trauerflor hinge. Meine Mutter antwortete sinngemäß: "Früher gab es in Deutschland einen bösen Menschen, der hieß Adolf Hitler. Einige Männer haben versucht, ihn umzubringen. Sie haben es leider nicht geschafft, aber man gedenkt ihrer heute noch."

Dieses Ereignis ist eher eine Anekdote und von geringer Wichtigkeit. Aber ich begann schon als kleiner Junge, mich für das Dritte Reich und den Holocaust zu interessieren. Mein erstes Buch über das Dritte Reich und die Shoah war ein Bildband mit dem Titel "Hitler", der Titel auf einem mauergrauen Einband in blutroter Pinselschrift geschrieben. Die Gesichter von Hitler, Goebbels und Göring, die Bilder von ausgemergelten KZ-Häftlingen, von Leichenbergen und dem sowjetischen Kriegsgefangenen im Kältebad gehören zu meinen ersten geschichtlichen Eindrücken. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich je deswegen angefangen hätte zu weinen oder dass ich gesteigerte Furcht empfunden hätte. Wahrscheinlich war ich anfangs schockiert, aber offensichtlich hat dies keine bleibende Erinnerung hinterlassen. Ja vielmehr, seitdem sind all diese Bilder für mich Normalität und Teil meines inneren "Familien-Photoalbums". Ich sprach auch nicht ständig mit meinen Eltern darüber, aber das war auch gar nicht nötig. Ich nahm die Tatsache zur Kenntnis, dass unsere Bücherregale voll waren mit Büchern über das Dritte Reich, den Holocaust, Israel und das Judentum, nahm es als gegeben hin und beschäftigte mich damit.

Die Tragweite dieser zunächst hingenommenen Familiengeschichte wurde mir aber erst später richtig klar. Ich begriff, dass meine Großmutter etwas besonderes war, dass wir (meine zwei älteren Brüder und ich) etwas besonderes waren, weil sie unsere Großmutter war. Es mag seltsam klingen, aber wir waren Zeugen und wir wussten es. Am eindrücklichsten wird das am Beispiel des Schulunterrichts. In mindestens vier Fächern – Geschichte, Deutsch, Gemeinschaftskunde/Politik, Religion – ist in der Bundesrepublik Deutschland das Dritte Reich und der Holocaust ständiges Thema. Und immer, wenn dieses Thema zur Sprache kam, stellte sich für mich und meine zwei Brüder die quälende Frage: "Sollen wir es ihnen (dem Lehrer bzw. der Klasse) sagen; sollen wir ihnen sagen, dass unsere Großmutter in Auschwitz war?". Wahrscheinlich wird dem Leser jetzt nicht ganz klar, warum das ein Problem war. Es war deswegen ein Problem, weil hierbei für uns nicht nur über "den Holocaust" oder "die Judenvernichtung" gesprochen wurde. Es wurde über uns gesprochen. Über unsere Großmutter. Über unsere Familie. Wir wussten ja mehr darüber als jeder einzelne unserer Klassenkameraden. Wir wären dadurch sofort in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Wir hätten über uns berichtet. Möglicherweise ist das schwer nachvollziehbar, aber wir spürten dieses Band durch die Geschichte, das uns mit dem Schicksal unserer Großmutter verband. Wir waren Zeugen für etwas, das einem Familienmitglied passiert war.

Mag es auch pathetisch klingen, wir öffneten einen Zeittunnel zu längst vergangenen Ereignissen in einem fernen Land. Und wir meldeten uns auch. Nicht immer, aber immer dann, wenn wir es für richtig hielten. Mein Bruder erzählte gerne die Anekdote, wie unser Geschichtslehrer, ein strammer, grundanständiger Sozialdemokrat alter Schule, im Zusammenhang mit der Ausgrenzung der Juden und der Rassengesetzgebung im Dritten Reich auf ihn deutete und meinte, er mit seinen dunklen Haaren und braunen Augen sähe ja schließlich auch ein bisschen jüdisch aus. Mein Bruder erzählte ihm später, er habe tatsächlich jüdische Vorfahren. Dem Lehrer war es furchtbar peinlich, wollte er doch nur seinen Schülern zeigen, wie abstrus die Vorstellungen der Nazis von sichtbaren Rassenmerkmalen waren. Ich glaube, es war im Jahre 1996, als mein Gymnasium am 27. Januar zum ersten Mal eine Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee veranstaltete. Ich teilte zuerst meiner Deutschlehrerin und dann meinen Mitschülern mit, dass meine Großmutter einen Bericht verfasst habe und ich ihn in die Feier einbringen könne. Zusammen mit einer Mitschülerin verlas ich den Bericht auf dem Schulhof vor versammelter Schülerschaft. Wir sagten, es handele sich um den Bericht "der Großmutter eines Mitschülers"; alles andere wäre selbstredend einer Form von Exhibitionismus gleichgekommen.

Ich könnte jetzt noch viele warme Worte verlieren, warum diese Situation für uns spannungsgeladen war und manchmal noch ist. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass für Dritte die Zerrissenheit, die wir dabei spürten, oft nicht nachvollziehbar ist. Aber sie war da. Wir saßen zwischen allen Stühlen. Wir waren junge Menschen, aber doch Zeitzeugen. Es wurde zugleich mit uns als auch über uns gesprochen. Das für mich anschaulichste Beispiel für diese beklemmende Situation ist folgendes: Ich besuchte mit meinem besten Freund im badischen Emmendingen eine kleine Gedenkveranstaltung der dortigen alten und traditionsreichen jüdischen Gemeinde für einen bedeutenden jüdischen Sohn der Stadt. Im Anschluss an den Teil der Veranstaltung im Freien fand man sich in einem Saal zusammen und irgendjemand hielt einen Vortrag, der irgendetwas mit Elie Wiesel zu tun hatte. Es waren einige junge Menschen in unserem Alter (wir waren zu diesem Zeitpunkt bereits Studenten in den ersten Semestern) anwesend. Im Anschluss an den Vortrag wollte der Vortragende in eine Diskussion über Holocaust und Antisemitismus mit dem Publikum eintreten und wandte sich besonders an die jungen Zuhörer, um ihre Beziehung und Meinung zum Thema zu erfahren. Es entspann sich die übliche, zähe Diskussion über ein Thema, über das wie stets unter den demokratisch und republikanisch gesinnten Zuhörern (die ja sowieso immer die einzigen sind, die solche Veranstaltungen besuchen...) völlige Einigkeit herrschte. Aber da war es wieder: Ich hätte mich jetzt melden und sagen können "Hallo, ich bin 20, was meine Beziehung zu dem Thema angeht, meine Großmutter war in Auschwitz." Ich hätte die Diskussion gesprengt. Ich wäre ein Zeitzeuge gewesen. Ich hätte erzählen müssen, über meine Großmutter, meine Familie und mich. Ich tat es nicht, aber ich wurde unglaublich nervös und begann so heftig zu zittern, dass ich Mühe hatte, mich ruhig auf den breiten Gemeindestühlen zu halten und nicht aufzufallen. Ich krallte mich also am Stuhl fest und war froh, als die Veranstaltung mit der fruchtlosen Diskussion über den unsinnigen Beitrag eines sozialistisch angehauchten Teilnehmers zu Ende ging.

Kurz: Wir waren nicht nur Enkel. Wir waren in gewisser Weise mit verstrickt. Die Geschichte unserer Großmutter war unsere Familiengeschichte, die Geschichte des Holocaust damit unsere eigene. Ich möchte mir erlauben, ein weiteres Beispiel anzuführen, das klarmachen soll, wie nahe wir letztlich doch der Thematik stehen: Wir sind Deutsche, natürlich, und fühlen uns auch so, weil wir gar nichts anderes sein könnten. Ich für meinen Teil wagte es im Schulunterricht sogar, für einen entspannteren Umgang mit dem Bekenntnis zur Nation zu werben. Ich bin kein Rechter, oh nein, aber ich bin Deutscher und fühle mich ausgesprochen wohl dabei. Mitnichten erfüllt mich meine Familiengeschichte mit Unbehagen gegenüber dem eigenen Volk. Eines Tages, ich war Jurastudent an der Universität Freiburg, surfte ich im Internet auf der Seite der Jewish Agency for Israel, die auf staatlicher israelischer Seite die Einwanderung nach Israel organisiert. Ich blätterte in den vorhandenen Gesetzestexten und stieß auf das "Rückkehrgesetz", das eines der "Grundgesetze"/"Basic Laws" darstellt, die zusammen die "Verfassung" des Staates Israel bilden (Eine Verfassung im europäischen Sinne, die in einem einzigen Dokument niedergelegt ist, besitzt Israel nicht). Ich las es zum ersten Male genauer und stellte verblüfft fest: Einwanderungsberechtigt sind nicht nur "Juden", sondern auch alle Personen bis hin zu den Enkeln eines Juden oder einer Jüdin. Ich habe also die Möglichkeit, israelischer Staatsbürger zu werden. Ich war lange Zeit verwirrt und erstaunt. Ich habe die Auswanderung nie ernsthaft erwogen, aber die Vorstellung, Anrecht auf die Staatsangehörigkeit eines fremden Staates zu haben, ist eigenartig und zeigt mir aufs Neue, dass meine Verbindung zum Holocaust nicht nur aus Büchern besteht.

Was die Berührung durch den Holocaust im Alltagsleben angeht, kann ich nur für mich sprechen, weil meine zwei Brüder deutlich älter sind als ich. Wie gesagt, ich wuchs mit Büchern über den Holocaust auf. Allgegenwärtig war auch das Interesse am Schicksal Israels. Auch hier wurde nicht ständig darüber gesprochen, aber es war immer spürbar, dass Israel irgendwie sehr wichtig war. Man horchte bei Nachrichten über Israel auf, es war Literatur vorhanden, es tauchte im Gespräch mit meiner Großmutter auf, es gab Bekannte im Heiligen Land. Als Junge und Jugendlicher faszinierte mich dieses Thema natürlich. Natürlich waren auch meine Vorbilder die Helden der Western-Romane, die ich so gerne las, oder die cleveren Jungs aus Hitchcocks "???". Aber später wurden es auch die Kämpfer der Haganah, die für die Unabhängigkeit Israels gegen die Briten kämpften oder die jüdischen Pioniere, die die Wüste Palästinas in einen blühenden Garten verwandelten. Und es wurde irgendwie auch Theodor Herzl, der Journalist der Wiener "Neuen Freien Presse", der die zionistische Weltbewegung gründete und der geistige Vater des Judenstaates wurde, obwohl er doch eigentlich lieber mit seinen drittklassigen Theaterstücken erfolgreich gewesen wäre...

Wenn ich meine emotionale Beziehung zum Thema Holocaust/Judenvernichtung beschreiben wollte, käme ich in Schwierigkeiten. Im Grunde kann ich es nicht. Ich kann nicht sagen, was ich angesichts der Vorstellung empfinde, dass 6 Millionen Menschen, nämlich Juden, auf industrielle Weise in den Tod getrieben worden sind. Meistens habe ich zu diesem Thema überhaupt keine emotionale Beziehung. Die altbekannten Bilder von Gaskammern, Schuh- und Brillenhaufen, pöbelnden SA-Mobs und verängstigten Kindern an der Rampe können meistens bei mir nichts mehr auslösen. Es ist für mich so alltäglich, so normal. Es sind Photos aus meinem Familien-Photoalbum, ich sehe sie mir an, wie andere Menschen sich Bilder vom letzten Familientreffen ansehen.

Doch es gibt die Momente, bei denen es auch mich überkommt, wenn auch selten. Einer dieser Momente war in der Gedenkstätte Yad Va'Shem in Jerusalem. Aber nicht die "Yad Va'Shem-Highlights" waren es, die mich berührten. Offen gesagt, Yad Va'Shem ist in meinen Augen ein seltsamer Ort. Man steht in der glühenden israelischen Mittagshitze, die Turnschuhe sind staubig und voller Sand, man hat eine Sonnenbrille im Haar stecken und der beste Freund ist in diesem Moment die Wasserflasche. Die Luft flirrt. Der Blick schweift über ein Tal, bewachsen mit allerlei mediterranem Grünzeug, dessen Namen ich nicht kenne, das sich aber jeder vorstellen kann, der einmal Urlaub in Italien gemacht hat. Und jetzt beginnt der Gang durch einen Ort, der erinnern soll an Todesmärsche, Krematorien und furchtbare Verbrechen unter einem kalten, abweisenden polnischen Herbsthimmel. Vieles wirkt idyllisch und so gar nicht abweisend, wie das Tal der Gemeinden, aus dem lebenden, schimmernden, weißen Stein der judäischen Berge geschnitten. Es ist ein schöner Ort. Die zentrale Gedenkhalle mit der ewigen Flamme, vor der sie alle schon standen, Helmut Kohl, Jimmy Carter, Richard von Weizsäcker, Horst Köhler, wirkt mit ihrem düsteren Gusseisen und grauen Beton irgendwie gammelig und in den 50er Jahren stecken geblieben.

Was ich damit sagen will ist: Yad Va'Shem ist nur bedingt geeignet, um – Neudeutsch gesagt – den "Holocaust-Flash" zu kriegen. Ich ging also hindurch und stieß dann auf das "Memorial for the Deportees", einen alten Reichsbahn-Viehwaggon, der auf Schienen buchstäblich ins Tal fährt und mitsamt den Schienen frei in der Luft hängt. Davor am Abhang steht eine brusthohe Mauer, auf der auf Englisch und Hebräisch eine Inschrift wiedergegeben ist, die man im Inneren dieses Wagens geschrieben fand: "Here in this carload, I'm Eve, together with Abel, son of man. When you see my elder son Cain, tell him...". Ich stand in der heißen Sonne, in der Hand meinen Photoapparat, und begann bitterlich zu weinen. Ich kann nicht genau sagen, warum gerade hier es mich überkommen hat. Aber niemals habe ich etwas gelesen, das die Bedeutung des Holocaust als Verbrechen von Menschen an Menschen auch nur annähernd so getroffen hätte. Eigentlich ist es unnötig, aber ich erlaube mir trotzdem, meine Gedanken oder besser, meine Übersetzung dieser Worte wiederzugeben: Im Hebräischen heißt "son of man" "ben adam" und trifft es damit eigentlich besser. "Adam" heißt nicht nur "Mensch", sondern meint natürlich auch Adam, den ersten Menschen. Denn Abel ist nicht nur Sohn eines Menschen, sondern der Sohn des, des ersten, Menschen, Adam. Eva, Adam, Abel und Cain sind also die Keimzelle des Menschengeschlechtes, die erste Familie. Eva sitzt da nun, sie ist auf sich allein gestellt, eingesperrt, und weiß, dass sie sterben wird. Sie versteht nicht warum, sie begreift es einfach nicht, denn sie hat ja gar nichts getan. Bei ihr ist ihr jüngerer Sohn Abel, schutzlos und unschuldig wie ein Kind eben ist. In ihrer Verzweiflung tut sie das, was nur natürlich ist: Sie versucht, eine Nachricht an ihren älteren Sohn Cain zu hinterlassen. Wenn Ihr das hier findet, schreibt sie, sagt ihm doch Bescheid. Er ist doch mein Sohn, er wird kommen und uns hier rausholen. Aber Cain wird nicht kommen. Denn er ist draußen vor dem Waggon und er wird sie beide töten, seine Mutter und seinen kleinen Bruder. Und selbst wenn Eva ihren Sohn Cain vor ihrem Tod sehen könnte und begriffe, dass er der Mörder sein wird, sie würde sich bis zum Schluss, wenn das Gas ihre Lungen füllt, fragen: Warum? Er ist doch mein Sohn. Er ist doch der Sohn eines Menschen. Er ist doch Abels Bruder. Und Abel hat ihm doch gar nichts getan.

Es erscheint wie ein Gedankensprung, aber ich will noch eine kleine Begebenheit anfügen, die mich auch sehr beschäftigt hat, mich aber in Ratlosigkeit zurücklässt. Vielleicht kann es mir jemand erklären und mir Antwort geben. Ich glaube, im Verlaufe des Eichmann-Prozesses (aber so genau weiß ich das nicht mehr) hat man einen Überlebenden befragt. Wahrscheinlich als Zeugen, aber das ist auch unwichtig. Dieser Mann gab bereitwillig Auskunft über die Verbrechen, die er gesehen hatte. Aber eine Frage stellte er seinem Gesprächspartner immer und immer wieder: "Was ist", fragte er, "was ist eigentlich ein Mensch?". Mir ist bis heute nicht ganz klar, was der Mann mit dieser Frage sagen wollte. Fragte er sich, was mit einem Menschen passiert, der sich an Verbrechen von ungeheurem Ausmaß wie dem Holocaust beteiligte, nämlich dass er sich dadurch außerhalb alles Menschlichen stellt? Oder dachte er daran, was mit Menschen passiert, die unter menschenunwürdigen Bedingungen zu hausen gezwungen sind, so dass sie möglicherweise dadurch zwangsläufig irgendwann alles Menschliche verlieren müssen und zu dem werden, was die Täter Ihnen vorher vorwarfen zu sein, nämlich zu Tieren oder zu noch weniger? Oder stellte er nach seinen Erfahrungen überhaupt in Frage, dass dem Begriff des Menschen noch eine andere als eine biologische Bedeutung, nämlich eine sittliche oder moralische zukommen soll? Ich weiß es nicht, aber diese Frage, die der mir unbekannte Mann stellte, scheint mir zentral zu sein für das Verständnis des Holocaust, seiner Schrecken und seiner Bedeutung.

JUDENTUM. Eigenartigerweise ist meine Verbindung zur jüdischen Religion die schwächste innerhalb der Themenbereiche, die mit dem Holocaust verbunden sind. Zwar ist das Judentum die Religion, die meinen eigenen religiösen Überzeugen am nächsten kommt. Daher kann ich das jüdische Glaubensbekenntnis zu meinem eigenen machen: Schma jisrael, Adonai eloheinu, Adonai echad. Höre Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr ist EINER. Aber obwohl mir das Judentum inhaltlich so nahe ist, habe ich doch keine wirklich enge Beziehung zu ihm. Ich war lediglich zweimal in meinem Leben in einer Synagoge, ich kenne nur wenige Juden und will – entgegen den Mutmaßungen meiner Freunde – auch nicht konvertieren. Die Traditionen des Judentums empfinde ich als ausgesprochen schön, sie sind aber nicht meine und ich betrachte sie in religiöser Hinsicht sogar als überflüssig oder verfehlt. Ich vermag nicht zu akzeptieren, dass Gott von mir verlangt, an einem bestimmten Tag der Woche bittere Kräuter zu essen, und ich würde auch notfalls reinen Gewissens zu einem Schweineschnitzel ein großes Glas Milch trinken. Dennoch fühle ich mich dem Judentum verbunden, und zwar wieder im Rahmen einer Art Schicksalsgemeinschaft.

Wenn "die Juden" etwas betrifft, betrifft es – obschon fern – auch mich. Meine Eltern beziehen die "Jüdische Allgemeine", die ich bei Gelegenheit mit großem Interesse lese, es ist mir wichtig, jüdische Meinungen zu einem Thema zu erfahren, auch wenn ich sie oft genug nicht teile. Oft genug reduziere ich diese Verbundenheit auf das Flachsen mit Freunden, etwa wenn ich mich selber als "Judenbengel" bezeichne oder Ausdrücke im Munde führe wie "Blut ist dicker als Wasser". Aber obwohl das natürlich immer mit dem schmunzelnden Hintergedanken "Ich darf das." geschieht, ist es doch stets zumindest halbernst gemeint.

ISRAEL. Ich möchte auch etwas über meine Beziehung zu Israel sagen. Penibel wie ich bin, müsste ich eigentlich sagen, zum Staat Israel, Medinat Jisrael. Denn mit dem Begriff des Heiligen Landes oder dem Land selbst, diesem – Entschuldigung – beschissenen kleinen Fetzen Sand und Felsen an der Ostküste des Mittelmeeres verbinde ich zunächst nichts. Nein nein, dieses Land ist wunderschön und ich habe mich regelrecht darin verliebt. Aber ohne den Staat Israel darauf würde es genauso viel für mich bedeuten wie jeder andere Streifen Erde.

Aber Israel, der Staat Israel, der Judenstaat, das hat für mich seit je her eine fast magische Bedeutung gehabt und zwar in vielerlei Hinsicht. Zugegeben, manches mag noch aus einer jungenhaften Bewunderung für das Abenteuerliche und einem mir eigenen Sinn für das Pathetische herrühren. Aber ich habe diese Menschen immer bewundert, die in ihrer gestreiften Häftlingskleidung von den Schiffen stiegen und sich aufmachten, eine Nation aufzubauen. Sie errichteten Städte, machten das Land urbar, pflügten, pflanzten und mauerten. Sie gaben sich Gesetze, lernten alle dieselbe neue, fremde Sprache und verteidigten ihre neue Heimat mit der Waffe in der Hand gegen übermächtige Feinde. Innerhalb von 50 Jahren machten sie aus einem kargen Fleckchen Erde am Rande aller großen Zivilisationen einen modernen High-Tech-Staat. Ja, noch heute bewundere ich diese Nation genauso wie als Junge. Ich kann nicht anders, obwohl man mich dafür einen Kindskopf schimpfen könnte, und zu Recht.

Ich bin kein zionistischer Extremist mit einem deutschen Pass, ich glaube, ich habe zum Nahost-Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern die liberalste nur denkbare Haltung. Ich weiß genau, dass jede Seite Fehler gemacht hat und kann sie benennen. Wenn ich etwas zu sagen hätte, hätten die Palästinenser schon morgen einen Staat auf eigenem Land in den Grenzen von 1967 mit freiem Transit zwischen Gaza und dem Westjordanland. Aber ich glaube an Israel und ich bin der Überzeugung, dass es diesen Staat geben muss, solange es Juden gibt. Israel ist für die Juden die einzige Sicherheit auf Erden, und sie brauchen Waffen, um sich verteidigen zu können.

Aber warum geht mein Interesse an Israel über reinen Wissensdurst hinaus? Ich bin ja kein Jude, werde nicht verfolgt und sehe deutscher aus als manch einer meiner Landsleute. In unserer Familie ist aber Israel eben doch immer ein wenig im Hintergrund gewesen. Wie für jeden Juden war Israel für meine Großmutter nicht nur ein Land, sondern ein möglicher Zufluchtsort. Und auch für meinen Vater ist es mehr als ein Land. Wer in irgendeiner Weise Berührung mit Holocaust und Judentum hat, kann verstehen, dass für Juden Israel eine Art Lebensversicherung darstellt. Gleichgültig in welch sicheren Umständen man lebt, Israel bedeutet die Möglichkeit, an einen Ort zu gehen, wo man unter seinesgleichen ist, der Unterdrückung entgehen und Herr im eigenen Lande sein kann. Und daher ist Israel nicht nur ein Land, sondern ein Prinzip, das unter keinen Umständen aufgegeben werden darf. Natürlich ist Israel für mich kein möglicher Zufluchtsort, schlicht und ergreifend weil ich von niemandem etwas zu befürchten habe. Aber zu erleben, mit welch stiller und auch unnachgiebiger, ja sturer Selbstverständlichkeit Menschen, denen man nahe steht – konkret: meine Großmutter und mein Vater – an dieses Prinzip glauben, prägt einen sehr. Ich glaube, das ist wieder einmal schwer nachzuvollziehen, aber vielleicht illustriert folgende Begebenheit, was ich meine: Eines Tages sprach meine Großmutter mit meinem ältesten Bruder über meinen Entschluss, Jura zu studieren. Im Verlaufe des Gesprächs fragte meine Großmutter: "Kann man damit auch ins Ausland gehen?" Was sie damit meinte, war: Sollte es jemals wieder zum Äußersten kommen, kann er seinen Beruf auch im Ausland ausüben? Könnte er notfalls auch, ohne mittellos zu werden, seinem Beruf auch als Auswanderer nachgehen?

Ich bin ein einziges Mal dort gewesen, für 10 Tage im Juli/August 2004. Ich sagte meinen ewig besorgten Eltern, ich würde nach Kroatien fliegen und bestieg die Maschine der El Al nach Tel Aviv. Es war ein unglaubliches Gefühl, als die Maschine in den Abendstunden aufsetzte und der Kapitän diese Worte sagte: "Ladies and gentlemen, bruchim habaim le'jisrael, welcome to Israel." Benommen stieg ich aus, sog die schwüle, stickige Luft ein, die mir wie eine dicke Wand entgegenkam. Ich konnte es den ganzen Abend und noch tagelang nicht fassen, endlich da zu sein.

Nach Israel zu fahren, war einer meiner Lebensträume gewesen. Ich genoss das Land, die Bilder, die Menschen, die Gastfreundschaft der arabischen Familien, bei denen ich über meinen arabisch-israelischen Tandempartner zu Gast war. Ich muss jetzt nicht in Einzelheiten gehen, meine Erlebnisse dort kann man zum größten Teil im "Lonely Planet – Israel and the Palestinian Territories" nachlesen. Aber für mich war es eine Reise an einen vertrauten Ort. Kaum etwas war mir dort wirklich fremd. Ich hatte ja mein ganzes Leben lang alles über dieses Land aufgesogen, was nur in meine Nähe gelangte. Viele werden mich jetzt auslachen, möglicherweise sogar meine eigene Familie, aber ich hatte ein wenig das Gefühl, heimzukommen. Es war mein Land. Ich kannte mich dort aus, ohne jemals vorher dort gewesen zu sein. Ich wusste, irgendwie gehörte ich dazu. Und wenn ich gewollt hätte, hätte ich ja sogar bleiben können.

Es gab einen Moment unter vielen, der mir meine Verbindung mit Israel vor Augen führte: Ich saß im Dizengoff-Park in Tel Aviv auf einer Parkbank unter hohen Palmen und frühstückte meinen Bagel. Unweit von mir auf einer anderen Parkbank saßen zwei alte Frauen, die sich auf Deutsch unterhielten. Irgendwann stand die eine auf und verabschiedete sich, sie sagte dabei irgendetwas wie: "Also dann, Schalom, Schalom, auf Wiedersehen, und kol tuv (Alles Gute)." Dabei dachte ich bei mir, das hätte meine Großmutter sein können, wäre sie damals ausgewandert, anstatt in Deutschland zu bleiben. Dasselbe geblümte Kleid im Stil der 50er Jahre, dazu eine dicke Halskette, so schritt sie vorsichtig davon. Ich bin mir sicher, sie spricht Hebräisch noch immer mit einem deutschen Akzent, in ihrem Wohnzimmer steht noch der alte deutsche Nippes und die hippen israelischen Jugendlichen mit ihren modischen Sonnenbrillen, knallengen T-Shirts und trendigen Mobiltelefonen sind ihr fremd. Sie weiß, sie gehört nach Israel, es ist ihr Land, ihre Zuflucht und ihr sicherer Hafen, aber tief drinnen lebt sie noch in Deutschland und ignoriert das orientalische Treiben, so gut es eben geht. Und immer, wenn ich daran zurückdenke, ist es nicht die fremde Frau, die dort mit vorsichtigen Schritten den schattigen Weg entlanggeht, sondern meine Großmutter.

Meine Großmutter starb im Jahre 1999 an den Folgen eines Selbstmordversuches. Nach allem was ich weiß, konnte sie die Einsamkeit nicht mehr ertragen und auch nicht die Gedanken an Auschwitz, die sie in dieser Einsamkeit wieder stärker überkamen.

hagalil.com 30-10-2005

 

Jüdische Weisheit
Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren. Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2006 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved
haGalil onLine - Editorial