Die schrecklichen Ereignisse in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938
waren die Initialzündung für eine konsequente Verschärfung der
nationalsozialistischen Judenpolitik. Zersplitternde Schaufenster und brennende
Synagogen waren nicht die eigentliche Zielrichtung; die wirkliche Perspektive
war physische Gewalt gegen Menschen, war Mord.
München, das seit 1935 mit dem Schandtitel "Hauptstadt der Bewegung"
stigmatisiert war, ist sich bis heute nicht bewußt, daß das Signal für diesen
"Probelauf" des Holocaust aus dem hiesigen Alten Rathaus kam, wo Goebbels im
Kreise brauner Kumpane die Erinnerung an den Hitlerputsch von 1923 feierte.
Die Arbeit von Andreas Heusler und Tobias Weger möchte an die hervorgehobene
Rolle und Verantwortung Münchens erinnern und erstmals für diese Stadt einen
genauen Bericht über alle in diesem Zusammenhang heute noch eruierbaren
Ereignisse und Abläufe liefern. Die in der Ausstellung "Kristallnacht"
zusammengefaßten Forschungsergebnisse des Stadtarchivs fußen u. a. auf
umfangreichen Recherchen zur Biographie und Geschichte der nach 1933 aus München
vertriebenen, deportierten und ermordeten jüdischen Mitbürger. Ein umfangreiches
Gedenkbuch wird alle Einzelschicksale vorstellen und damit dem bislang
namenlosen Leid auch einen Namen geben.
Die Begleitpublikation zur Ausstellung versteht sich nicht als Katalog,
sondern als stadthistorische Dokumentation, die dem Themenkreis der Ausstellung
zwar folgt, diesen aber erweitert und vertieft. Andreas Heusler und Tobias Weger
haben die Aufgabe dieser doppelten Präsentation mit größtem persönlichem
Engagement auf sich genommen. Das Ergebnis spricht für sich.
Manchen wird vielleicht der Titel von Ausstellung und Buch stören. Die
Fachpublizistik hat in jüngster Zeit versucht, mit synthetischen
Wortschöpfungen, wie "Reichspogromnacht", einen neuen Terminus einzuführen, der
die zynisch-euphemistischen Untertöne des zeitgenössischen Begriffs
"Reichskristallnacht" vermeidet. Bei solch bemühten Sprachregelungen wird
freilich meist nur Unwort durch Unwort ersetzt.
Es erschien uns deshalb ehrlicher, an der unangemessenen zeitgenössischen
Begrifflichkeit "Kristallnacht" festzuhalten, um auf diese Weise die
Widersprüche zwischen der vordergründigen offiziösen Sprachregelung und der
eigentlichen Zielvorgabe deutlicher hervortreten zu lassen. Zu berücksichtigen
war auch der Umstand, daß vor allem im englischsprachigen Ausland - wo viele
jüdische Emigranten und ihre Familien heute leben mit dem verunglückten
semantischen Kunstprodukt einer "Reichspogromnacht" keine konkreten
Vorstellungen verbunden werden.
Ohne Mitwirkung, Unterstützung und Wohlwollen einer Vielzahl von Freunden,
Kollegen und von der Thematik betroffener Menschen hätte dieses Projekt nicht
realisiert werden können. Viele heute im Ausland lebende Mitglieder der
damaligen jüdischen Gemeinschaft in München haben uns mit Erlebnisschilderungen,
Informationen und Dokumenten geholfen, wobei die bedrückende Erinnerung an die
bewußten Ereignisse manche alte Wunde wieder aufriß. Gerade diesen Beiträgen
verdankt die Ausstellung, daß die nüchterne Sphäre archivischer Nachweise mit
lebendiger Anschaulichkeit bereichert wird. Ihnen allen sei an dieser Stelle
herzlich gedankt.
Unerläßlich war auch die bewährte konstruktive Zusammenarbeit mit Richard
Grimm (Jüdisches Museum, damals Maximilian-, heute Reichenbachstraße). Seine
Erfahrungen und sein Rat waren uns jederzeit wichtig; die vorliegende
Dokumentation ist deshalb auch ein gemeinsames Unternehmen. Für alle Beteiligten
war es eine besondere Freude, daß der im Bereich der Monacensia-Literatur
führende Buchendorfer Verlag von Tillmann Roeder unser Projekt von Anfang an zur
eigenen Sache gemacht hat.
Nach dem Vorwort von Richard Bauer (München, 2. September 1998)