/466/AE 128
Dazu kam, daß um jene Zeit die deutsche Abwehr gegen Devisenzahlung
ebenfalls Juden in das Ausland schleuste. Ich aber wie eine Pick-Neun da saß
und in wenigen Wochen, in wenigen Tagen, würde ich Fernschreiben mit
abgegangenen Transportzügen an die befohlenen Stellen zu richten haben.
Berichte an den Befehlshaber der Sicherheitspolizei für das
Reichssicherheitshauptamt, nachrichtlich an den Höheren SS- u. Polizeiführer;
dazwischen wieder Einholung von Detailauskünften aus dem ungar.
Innenministerium oder an die Reichsbahndirektion Wien, wegen Anberaumung einer
Fahrplankonferenz, zu der ich Befehl erhielt. Dazwischen dem Befehlshaber der
Sicherheitspolizei auf Grund der Fahrpläne, die Zahl der befohlenen
Transportbegleitmannschaften auszurechnen, welche dieser in Verhandlung mit dem
Befehlshaber der Ordnungspolizei klarmachen mußte. Die komplizierte
Korrespondenz bezüglich der Variationen in der Behandlung von Juden der
verschiedenen ausländischen Staatsangehörigkeiten und was dergleichen
bürokratischen Tätigkeiten mehr waren.
Und da begann ich zu überlegen.
/467/AE 129
Ich dachte mir, was die können, daß kannst Du auch. Ich schickte
Obersturmbannführer Krumey los und mit ihm den SS-Hauptmann Mislicenz. Ich
ließ bei den jüdischen Funktionären einmal sondieren, was für eine
Auswanderungsgenehmigung für sagen wir, 100.000 Juden, geboten würde. Devisen
wurden geboten. Aber dies half mir nichts; es war nichts Neues. Abwehr und der
Sonderbevollmächtigte waren darin ohnedies tätig.
Wie ich nun im Einzelnen mit dem jüdischen Funktionär Joel Brand damals
zusammen kam, wer dies arrangierte, dies weiß ich nicht mehr genau zu
schildern. Ich weiß nur, daß er eines Tages vor meinem Schreibtisch saß und
wir zusammen einen Plan besprachen; besser gesagt, ich entwickelte ihm meinen
Plan.
Ich fuhr in jener kurzen, knappen Zeit, einigemale zwischen Berlin und
Budapest hin und her.
Irgendjemand hatte nun damals eine Zahl von 10.000 Lastkraftwagen geborgen.
War ich es, war es mein Chef in Berlin, der Generalleutnant Müller, war es
Himmler oder Becker, ich vermag es mit Genauigkeit nicht mehr zu sagen. Genau
weiß ich noch, daß ich meinem langjährigen Chef Müller einen Vortrag
/468/AE 130
hielt, 1,000.000 Juden an irgendwelche von den jüdischen Organisationen
gewünschten Punkte zu transportieren. Dafür wurden eben die 10.000 LKW,
winterfest, mit Anhängern, unter der Zusicherung, dieselben nicht an der
Westfront einzusetzen, verlangt. 10%, also 100.000 Juden sollten, falls Joel
Brand mit günstigem Bescheid aus dem Ausland zurückkam, sofort auf diesen
Bescheid hin als Vorschubleistung zur Auswanderung gebracht werden.
Es ist zum heulen und zum lachen; zum lachen, wenn ich bedenke, daß dieses
Projekt seitens meiner Vorgesetzten genehmigt wurde. Himmler selbst genehmigte
es;
zum heulen, … doch darüber später.
Jetzt ging alles schnell
Eine aus dem Ausland angekommenen Sendung Devisen in der Höhe von etwa
120.000 Dollar, samt Auslandspost konnte sich Joel Brand bei mir abholen. Die
Post wurde nicht einmal kontrolliert; jede Auslandspost für jeden wurde in
jener Zeit kontrolliert. Mir stand der Sinn nach anderen Dingen. Damit hielt ich
mich nicht mehr auf. Joel Brand sagte während meines Prozesses als Zeuge der
Anklagebehörde, darüber aus, daß er nicht wußte wie ihm geschah; 120.000
Dollar, Post, 100.000 Juden Vorschubsleistung, Flug nach Konstantinopel –
Unterschriftkürzel
/469, 470/
AE 131
Eine Kuriermaschine der deutschen Luftwaffe brachte Joel Brand nach
Konstantinopel.
Krumez, als mein höchster Dienstgrad in meiner Dienststelle, erhielt von mir
Befehl, Brand sicher nach Wien zu bringen. Der Befehlshaber der
Sicherheitspolizei u. des SD in Budapest bestimmte die Person, welche Brand zu
begleiten hatte, einen Bondy Grosz. Auch diesen brachte Krumey pünktlich zum
Flugzeug.
So, dachte ich in meinem Sinn: diese Sache geht auf alle Fälle in Ordnung;
da kann nichts mehr schief gehen. Und mit keiner Winper zuckte ich, als die
ersten Deportationstransporte rollten. Denn jeden Tag konnte Nachricht von Brand
kommen; konnte Brand selbst kommen und der Fahrplan würde umgebaut nach
Spanien, Portugal, Rumänien. Weiter würden die jüdischen Organisationen schon
sehen. –
Und was mich während des Proyesses gegen mich, sehr in Erstaunen versetzte
war die Tatsache, daß Joel Brand, als Zeuge der Anklage, bis auf einiges
Weniges, genau wahrheitsgemäß über den Vorgang aussagte. Nicht richtig ist,
daß ich gesagt haben soll, die Deportationstransporte würden während der Zeit
bis zur Entscheidung eingestellt bzw. die Juden würden in Österreich "auf
Eis gelegt" werden. Ich sagte jedem, der es hören wollte, daß ich
befehlsmäßig zu sagen hätte,
/471/AE 132
daß die Transporte zufolge dem vorgesehenen Fahrplan solange laufen werden,
bis der Bescheid da sei. Diesen auftrag hatte ich.
Wie hätte ich als Obersturmbannführer etwas aufhalten, beschleunigen oder
umstoßen können, was ein halbes Dutzend hoher und höchster Vorgesetzter von
mir, in den verschiedensten Instanzen und Zentralinstanzen befohlen hatten. Man
nenne mir einen Menschen in einem europäischen Land, der an meiner Stelle, so
etwas während des Krieges zu tun in der Lage gewesen wäre. /1 ½ Zeilen
gestrichen, unleserlich/
Brand sagte, daß Krumey beim Abflug zu ihm gesagt haben solle, es gäbe auch
noch andere SS-Offiziere wie Eichmann. Es gäbe auch noch Krumey‘s und
Wislicenz‘s. Daran möge er, wenn er bei seinen Freunden im Ausland wäre
denken. Obzwar der ehemalige SS-Obersturmbannführer seit langer Zeit selbst als
Angeklagter in einem deutschen Untersuchungsgefängnis einsetzt, sagte er –
auch darüber als Zeuge vernommen – aus, daß er solches nie gesagt habe.
Und es ist glaubwürdig, denn es wäre sicher keine Belastung für Krumey
gewesen, hätte er Brand‘s Version bestätigt.
/5 Zeilen gestrichen, unleserlich/
/472/AE 133
/7 Zeilen gestrichen, unleserlich/
Nun, während des Prozesses gegen mich wurden im Zusammenhang mit dieser
Mission eine Reihe von Dokumente aus dem israelischen Geheimarchiv, seitens der
Anklagebehörde dem Gerichtshof als Beweismaterial vorgelegt und eingebracht. Es
ist nicht meine Aufgabe, hier diese Sache näher zu beleuchten. Es mögen auch
sicherlich noch ähnliche oder sogar ergänzende Dokumente in den Geheimarchiven
Englands und Nordamerikas liegen und für eine allfällige Veröffentlichung in
späteren Zeiten aufbewahrt bleiben.
Mir bleibt lediglich die traurige Aufgabe festzustellen, daß Brand – ohne
eigenem Verschulden – nicht wiederkam und daß eine Art Bestätigung, nie
einging. Die Deportationen aber ließen andere weiterrollen, wie die nächsten
Dokumente aufzeigen werden.
Nur Joel Brand und sonst keiner – so glaube ich – wird meinen Zorn und
meinen Schmerz nachfühlen könne, daß die Dinge so und nicht anders liefen;
und umgekehrt kann ich den Zorn und Schmerz eines Joel Brand
/473/AE 134
nachfühlen, ebenfalls aus erster Quelle, daß Papier, welches sonst stets so
geduldig ist, in diesem Falle offenbar nicht tauglich war. Denn die
Ingangsetzung von vorerst einmal 100.000 <auswanderungsbewilligten> Juden
noch ohne jede ausländische Gegenleistung, hätte ein völlig anderes Bild zur
Folge gehabt. Mit diesen oder ähnlichen Worten schloß ich meine
diesbezügliche Stellungnahme vor dem Gerichtshof, während des Prozesses gegen
mich.
Nun der andere Punkt des von Herrn von Thadden angeschnittenen
Geheimabkommens seitens Winkelmann, hinter Veesemayers Rücken, war ein Abkommen
des Bevollmächtigten Becker. Er kassierte gewissermaßen den Rüstungsbetrieb
des "ungarischen Krupp", den sogenannten Manfred Weiss – Konzern,
bei Budapest, gegen die Auswanderung der Gesamten Familien dieses jüdischen
Industriellen, nach Portugal.
Der Chef des Verwaltungs und Wirtschaftshauptamtes des Reichsführers SS, SS
Ober-Gruppenführer und General der Waffen SS Oswald Pohl, dem sämtliche
Konzentrationslager unterstanden richtete am 24. Mai 1944 an himmler ein
Fernschreiben, indem er ihn um Genehmigung bat, der "Organisation OT"
/474/AE 135
der deutschen staatlichen Großbaufirma, für deren Bauvorhaben, jüdische
Frauen aus Ungarn zuführen zu können. Himmler versah dieses Fernschreiben mit
seinen charakteristischen beiden großen "HH" und es ist anzunehmen,
daß er Pohl dies bewilligte. (150)
Etwa im Mai/Juni befaßten sich die planenden Köpfe mit einer Deportierung
der Juden aus Budapest. Herr von Thadden schreibt an Veesenmayer daß die
Presseabteilung des Auswärtigen Amtes beabsichtigt, beim Reichsaußenminister
anzuregen, daß man äußere Anläße und Begründungen für die Aktion schafft
wie z.B. Sprengstoffunde in jüdischen Vereinshäusern und Synagogen;
Sabotageorganisationen; Umsturzpläne; Überfälle auf Polizisten;
Devisenschiebungen großen Stils, mit dem Ziel der Untergrabung des ungarischen
Währungsgefüges. Der Schlußstein unter eine solche Aktion müßte ein
besonders krasser Fall sein, an dem man dann die Großrazzia aufhängt.
Veesemayer wird um Drahtstellungnahme gebeten.
Dieser aber muß dringen bitten, von jeder propagandistischen Aktion Abstand
zu nehmen, denn es sei überall bekannt, daß seit Wochen jüdische
Vereinshäuser und Synagogen unter scharfer Kontralle der ungarischen Polizei
stehen, bzw. zum Teil beschlagnahmt worden sind, das jüdische Vermögen
ebenfalls beschlagnahmt, bzw. gesperrt ist und daß die Juden in ihrer
Bewegungsfreiheit sehr eingeschränkt seien. (151)
/475/AE 136
Blaschke, der Bürgermeister der Stadt Wien, schreibt am 7. Juni seinem
Freunde Kaltenbrunner, daß er jüdische Arbeitskräfte haben möchte. Daraufhin
bewilligt ihm Kaltenbrunner, als Chef der Sicherheitspolizei, 4 Transporte mit
zusammen 12.000 Juden und schreibt ihm, daß davon etwa schätzungsweise 30 % an
arbeitsfähigen Juden abfallen dürften. Sowohl die arbeitsfähigen, als auch
die nichtarbeitsfähigen Juden müßten in bewachte Lager untergebracht werden.
Nähere Einzelheiten möge er mit dem SS-Obersurmbannführer Krumey vom
Sondereinsatzkommando Ungarn, besprechen.
Es werden sodann /2 ½ Zeilen gestrichen, unleserlich/ im einzelnen
Richtlinien für den Einsatz dieser jüdischen Arbeitsgruppen, die auf etwa 20
politische Kreise von Niederösterrreich aufgeteilt werden, besprochen. (152)
"Während bis zum 19. März zahlreiche Juden aus der Slowakei nach
Ungarn wanderten, ist nunmehr eine umgekehrte Wanderbewegung festzustellen. Es
würde die hiesige Arbeit erheblich erleichtern, wenn nunmehr auch in der
Slowakei gründlich gegen die Juden vorgegangen würde. Falls entsprechende
Weisung erfolgt, würde ich mich zu einer diesbezüglichen Besprechung mit Ludin
in Pressburg treffen, um gemeinsam prktische Vorschläge auszuarbeiten."
Dies schreibt Veesenmayer am 14. Juni, an das Auswärtige Amt. Und General
Winkelmann richtet einige
/476, 477/AE 137
Tage später an Himmler ein persönliches Schreiben. "Hochzuverehrender
Reichsführer! In der letzten Woche gab es hier eine größere Zahl von
Ereignissen, die in anderen Gegenden wohl Besorgnis hätten erregen
können." Er kommt über Judenfragen und deren Lösungsbestrebungen auf
ungarisch-innenpolitische Dinge zu sprechen, charkterisiert Einzelfiguren des
politischen Lebens und meint dann: "Das beste wäre natürlich, wenn der
Führer den Reichsverweser zu sich bestellte, um ihm in aller Deutlichkeit seine
Meinung zu sagen. Es müßte aber auch so gehen, daß Veesenmayer endlich einmal
strikte Anweisung erhält, hier auf den Tisch zu schlagen. Mit seiner
Verhandlungstaktik kommt er nun wirklich nicht mehr weiter." Am 4. Juli –
so schreibt er weiter – nahm er, Winkelmann an einer Besprechung teil, welche
Becker (der Sonderbevollmächtigte Himmlers) mit dem ungarischen Minister Imredy
über den "Manfred – Weiss – Konzern", hatte. Unter anderen ging
es um die Frage der Nationalität des Generaldirektors. Die Ungarn wünschten
einen Ungarn. Becker erklärte, daß eine solche Forderung gänzlich unannehmbar
sei, denn Generaldirektor könne nur ein Mann werden, der seine Befehle
unmittelbar von Himmler entgegennehmen könne und dessen volles Vertrauen haben
müße. Mit "Reichsführers gehorsamster Winkelmann", endete das
Schreiben.
Dazwischen funkt eine Botschaft von Ribbentrop persönlich. Er bittet
Veesenmayer, der ungarischen Regierung mitzuteilen,
/478, 479/AE 138
daß es nicht opportun ist, auf die verschiedenen ausländischen Angebote
zugunsten der Juden einzugehen und er bittet um eine entsprechende
Sicherstellung der Angelegenheit. (153)
Und was tat ich in jener Zeit? Was trieben die Leute meines Kommandos? Man
wird es mir sicherlich nur schwerlich glauben, wenn ich sage, nie hatte ich in
all den letzten Jahren mehr freie Zeit und weniger zu tun, als während der
Budapester Monate. Und doch ist es so. Derjenige Leser, welcher die sicherlich
sehr trockene Aneinandereihung der Dokumente, nach ihrem chronologischen Ablauf,
verfolgt, sah und wird weiter sehen, daß alles, buchstäblich alles, was auch
nur einigermaßen von Bedeutung war, entweder von Veesenmayer oder Winkelmann
persönlich behandelt wurde. Hatte ich mich während der "Berliner –
Jahre" geweigert, von dem mir eigentlich zustehenden kleinen
Ausführungsrecht, welches einem jeden Referenten zukam, Gebrauch zu machen und
hatte in es mir zur Gepflogenheit gemacht, in allen Dingen Weisung meiner
Vorgesetzten einzuholen, so brauchte ich selbst dieses in Ungarn sehr
selten zu tun. Denn die ständige Sorge beherrschte den Reichsbevollmächtigten,
wie den Höheren SS- u. Polizeiführer, einer könnte dem anderen den Rang in
der Zuständigkeit ablaufen. Daher trieb diese Sorge alleine schon den einen wie
den anderen, und ließ sie Dinge anordnen und verhandeln, welche sie in normalem
Zustand einem ihrer Untergeordneten
/480, 481/AE 139
übertragen hätten. Selbst der Befehlshaber der Sicherheitspolizei als
Person, hatte im Gegensatz zu anderen besetzten Gebieten, in Ungarn mit diesen
Dingen aus den angeführten Gründen recht wenig zu tun. Was im Vergleich zu
anderen Ländern sehr ins Auge fallend ist. Freilich muß ich billigerweise
zugeben, daß die Maschinerie der ungarischen inneren Behörde so funktionierte,
wie dies wohl selten von einer anderen Behörde in einem anderen Gebiet um jene
Zeit behauptet hätte werden können. Sie funktionierte nicht nur in
Judenangelegenheiten, sondern schlechtweg in allen ihren dienstlichen
Obliegenheiten; und mehr als einmal sagte ich zu mir selber, Donnerwetter,
bisher glaubtest du, nur in Deutschland würde jene exakte Genauigkeit obwalten;
hier siehst du mindestens genau dieselbe peinlich saubere Akuratesse. Ich
bewunderte um jene Zeit die ungarische innere Verwaltung; nicht im Hinblick auf
die Erledigung der Judenangelegenheiten, sondern ich spreche ganz allgemein, von
behörden-sachlichen Standpunkt aus.
Krumey ging oft und oft schon am frühesten nachmittag zum Tennisspielen ab;
und etwa im Juni/Juli wurde er nach Österreich versetzt, denn es gab für uns
wirklich herzlich wenig zu tun.
Es sagte noch 1961 als Zeuge in Deutschland vernommen hierüber:
"Beobachtet habe ich, daß seine (Eichmann‘s) Schreibkraft nicht viel zu
tun hatte. Eichmann hat auf der Dienststelle selbst wenig Zeit zugebracht. Er
kam und ging wann er wollte. Er hatte in Budapest ein ausgeprägtes und zeitlich
ausgedehntes Privatleben."
Ich hatte ja nicht einmal personelle Befugnisse
/481/AE 140
bezüglich der kaum zwanzig Angehörigen meines Kommandos; selbst diese
Arbeit erledigten andere, wie Krumey weiter bestätigt. Schon in Mauthausen
nämlich sah und hörte er, daß Dr. Geschke die Sicherheitspolizei leitete. Von
ihm erhielt er bereits dort seine Aufträge. Und er erklärt ferner, daß er von
dem Befehlshaber der Sicherheitspolizei – Ungarn, Dr. Geschke, von Ungarn, wo
er mein "Ständiger Vertreter" war, versetzt wurde; und nicht etwa von
mir. (154)
Nun ja, ich kann verstehen, daß dies alles noch keine Antwort auf die Frage
ist, was ich denn nun wirklich tat; sowohl dienstlich, als auch privat.
Dienstlich: solange die fahrplanmäßigen Transporte liefen, hatte ich
Ariso?fernschreiben gemäß den erhaltenen Abfahrtsmeldungen nach Auschwitz,
über den Befehlshaber der Sicherheitspolizei – Ungarn an das
Reichssicherheitshauptamt zu senden; die Statistik zu führen, meine
Vorgesetzten in Ungarn täglichen mündlichen Bericht zu erstatten; mindestens
wöchentlich einmal auch einen schriftlichen Lagebericht zu geben. Dazu mußte
ich mir die Unterlagen aus dem ungarischen Innenministerium besorgen; in der
Regel direkt von Staatsekretär Endre. Ich bekam tägliche Mitteilungen von der
ungarischen Gendamerie; kurz und gut, all jenes war meine Obliegenheit,
was mit der befohlenen Lageberichterstattung zusammen-
/482, 483/AE 141
hing, dazu kam all jene bürokratische Arbeit, von der ich anfangs
berichtete. Und das ganze aufgeteilt auf etwa fünf bis sechs Mann. Weitere acht
Personen zählten zur Wache, waren Kraftfahrer und Schreibkräfte. Der Rest war
in der Provinz und hatte darauf zu achten, daß Juden bestimmter ausländischer
Staatsangehörigkeit nicht deportiert wurden, so wie der Befehl es vorschrieb.
Privat: Ja, neben Motorsport und Segelsport am Plattensee (ich hatte
entfernte Verwandte in Ungarn) und neben zahlreichen privaten Besuchen und
familiär-gesellschaftlichen Beisammensein hatte ich in den Jahren 1943 und 1944
ein Steckenpferd, welches mir nach 1945 einigemale wieder einfiel, meistens aber
der Vergessenheit überantwortet blieb. Ich will es hier erzählen. Nach dem
Unglück von Stalingrad begann ich mich mit der Überlegung der Konstruktion
eines Motors zu beschäftigen, gerade stark genug, um einen bewaffneten Soldaten
wenige Meter hoch, kurze Strecken zu transportieren. Die taktischen, ja
strategischen Möglichkeiten bei Serienproduktion eines solchen Gerätes
schienen mir enorme zu sein. Leider verstand ich von dem konstruktiven Teil der
Seite doch zu wenig, um diese Sache alleine weiter zu betreiben, denn ich war
kein Explosionsmotorenbauer. Das einzige, was ich tun konnte, war vorerst, daß
ich mir einschlägige neueste Literatur
/484, 485/AE 142
besorgte und mich mit Verbissenheit dem Studium hingab. Bedauerlicherweise
hatte ich auch in jener Zeit zu viel bürokratisches Getriebe um die Ohren und
die zunehmenden Heftigkeiten der Bombennächte förderten die Angelegenheit
keinesfalls.
Trotzdem nahm ich nach einigem Studium Verbindung mit einer Kapazität auf
dem Gebiete des Hubschrauberbaues, dem Professor Flettmer auf; dem Erfinder des
Flettmer-Rotors; dem Erbauer von Kleinhubschrauber für unsere U-Boote. Er
erzählte mir eines Tages, daß seiner Tochter die Idee der sogenannten
Versorgungsbombe zuzuschreiben sei, denn inspiriert durch die propellerartige
Frucht des Ahornbaumes und ihr flatterndes, Zubodenfallen, wäre sie durch
Überlegung, zur Versorgungsbombe gelangt.
Kurz und gut, der Mann schien mir richtig zu sein. Und er war zwar von meiner
Idee begeistert, besonders, als ich ihm die herrlichen militärischen
Ausrüstungsmöglichkeiten entwickelte, aber infolge unseres latenten
Buntmetallengpasses, war das PS-Gewicht des deutschen Motors, beispielsweise im
Vergleich zu einem USA-Motor ungleich höher. Ich glaube mich erinnern zu
können, daß der Unterschied zwischen 30 oder 35% lag, zu ungunsten des
deutschen Motors oder noch höher. Aber er versprach mir, die Sache in die Hand
/486, 487/AE 143
zu nehmen, zu studieren uund mit mir auf dem Laufenden zu bleiben. So war es
mir recht. Da ich nichts für mich haben wollte, sondern für die Sache, war es
mir egal, wer die allfalligen Anerkennungen oder gar Früchte aus dieser Sache
erntete, wenn die Idee nur der Verwirklichung näher gebracht würde und eine
operative Erleichterung für die Truppe abgeben würde. Daher war es auch
völlig überflüßig, etwa einen Vertrag zu machen. Lediglich zum Schweigen
gegenüber Unbefugten mußte er sich verpflichten. Mein vornehmliches Interesse
in jener Zeit galt mehr dem Motor der Getriebereduktion /2 ½ Zeilen
gestrichen, unleserlich/, den Drehbewegungsübertragungen und anderen
einschlägigen Dingen mehr, als allen sonstigen Sachen.
Flettmer besuchte mich dann einige Male auf meiner Dienststelle; ich besuchte
ihn in seinem kleinen Werk und sah mir interessiert seine im Bau befindlichen
Kleinhubschrauber an. Ich wollt ja eigentlich dasselbe, nur einen Kleinsthubschrauber,
bzw. eine dem Hubschrauber ähnliche Konstruktion, oder wie ich es damals kurz
ausdrückte "Motor-Rotor" mit dem allernotwendigsten Drum und Dran.
Darüber kam allmälig Ungarn und ich hatte Zeit. Sehr viel Zeit. Aber leider
war Flettmer weit weg.; in Berlin. Und ich glaubte, ich müße es zwingen. Ich
skizzierte, ich studierte und plagte mich ab, wie man eine oder zwei Divisionen
auf diese Art und Weise "motorisieren" könnte. Aber Flettmer blieb
stumm und nichts ging weiter. Es kam
/488/AE 144
die V1 und sofort dachte ich getröstet, den Kohl mit dem
"Motor-Rotor" braucht nunmehr kein Mensch. Und ich sagte mir, daß
mich in diesem Stadium die dümmsten Säue auslachen würden, würde ich nur
meinen Schnabel aufsperren. Meinem Chef, dem Generalleutnant Müller, trug ich
die Idee eines Tages des mittleren Jahres 1943 vor. Aber ich hätte sie
ebensogut seinem Papierkorb erzählen können. Er hörte mir geduldig zu, sah
mich an und lächelte dünn, um mich dann mit einer dienstlichen Angelegenheit
wieder in den Alltag zurückzurufen. Dies war einer meiner leider fruchtlosen
privaten Beschäftigungen in Budapest. –
Wir stehen am Anfang Juli des Jahres 1944. Veesenmayer muß nach Berlin
berichten, daß ihm Ministerpräsident Sztojay mitteilte, Horthy habe die
Fortsetzung der Juden-Aktionen gestoppt; Sztojay bat ihn, sich bei Ribbentrop
dafür einzusetzen, daß verschiedenen ausländischen Angeboten zu Gunsten einer
Ausreise bestimmter jüdischer Personenverbände, nähergetreten werden könnte.
Auf Ribbentrop‘s Vorschlag, genehmigte Hitler daraufhin einige dieser
Angebote unter der Voraussetzung, daß der von Horthy vorrübergehend gestoppte
Abtransport der Juden nach dem Reich, sofort und schnellstens zu Ende geführt
würde.
/499/AE 145
Aber die Dinge komplizieren sich immer mehr; wenige Tage danach, am 16.Juli,
drahtet Ribbentrop erneut nach Budapest: "Hitler habe davon Kenntnis
genommen, daß Horthy die derzeitige Regierung Sztojay abzuberufen und an ihre
Stelle eine Militärregierung einzusetzen gedenke. Er habe dies mit Befremden
zur Kenntnis genommen. Mit noch größerem Befremden habe Hitler vernommen, daß
Horthy Verhaftungsbefehle gegen einzelne Minister und Staatssekretäre der
Regierung Sztojay, welche in letzter Zeit Maßnahmen gegen die Juden
durchgeführt haben, erlassen hätte.
Er drohte mit der sofortigen Abberufung Veesenmayers und der Ergreifung jener
Maßnahmen, die eine Wiederholung solcher Vorfälle ein für allemal
ausschließen würden. In diesem Falle, würde Hitler in Zukunft jede Rücksicht
fallen lassen.
Hitler hoffe jedoch, daß Horthy einsehen wird, daß jedes Abweichen von dem
in Klessheim beschlossenen Wege, Komplikationen in sich bergen würde. (155)
/1 Zeile gestrichen, unleserlich/
Die Deportationstransporte würden von Ordnungspolizei oder wenn äußerster
Personalmangel zu verzeichnen ist, gemischt mit Angehörigen der Dienststelle
des Befehlshabers der Sicherheitspolizei begleitet. Letzteres traf jedoch meiner
Erinnerung nach sehr selten ein. Die Verhandlungen zur Abstellung dieser Kräfte
von der Ordnungspolizei, führten
/500/AE 146
jeweils die Befehlshaber dieser Polizeieinheiten unmittelbar. /4 Zeilen
gestrichen, unleserlich/
Während eines Transportes, kam es glaublich auf slowakischem Gebiet einmal,
zu Ausschreitungen der Transportbegleitung gegen die Juden. Die deutsche
Gesandtschaft Budapest berichtet unter anderem darüber an das Auswärtige Amt
am 2. August: "Die Angelegenheit ist vom Befehlshaber der
Sicherheitspolizei und des SD in Ungarn – das Sondereinsatzkommando des
SS-Obersurmbannführer Eichmann ist ausschließlich für die technische
Durchführung der Judentransporte zuständig – untersucht worden, der über
das Ergebnis dem Reichssicherheitshauptamt berichtet hat."
Ich glaubte dieses Dokument mit einschalten zu müßen, da es schlagartig
erhellt, daß meine Männer mit der exekutiven Angelegenheit nichts zu tun
hatten, sondern sich deren Tätigkeit ausschließlich auf die Dinge
beschränkte, die ich im Wesentlichen bereits beschrieben habe.
Und wie wenig selbst in technischen Dingen mein Kommando entscheiden konnte,
zeigt daß ich sogar beim Vorliegen von Auswanderungsgenehmigungen, an den
Himmler-Befehl welcher der Sicher-
/501/AE 147
heitspolizei übermittelt wurde, gebunden war. Veesenmayer will Anfang August
vertraulich erfahren haben, daß ich mich nochmals an das
Reichssicherheitshauptamt mit der Bitte wandte, endgültige Entscheidung
Himmlers herbeizuführen, ob die Ausreise einer sogannten "Schweizer
Aktion" nach Palästina über Rumänien genehmigt werden könne. Ich hatte
bisher in Budapest vorgeschlagen lediglich nach Lissabon durch Westeuropa zu
gestatten; denn ich konnte aus eigener Vollmacht ja schließlich auch keinen
Befehl meiner Vorgesetzten umändern. Dieser Weg über Lissabon aber war in
solchen Fällen, im Hinblick auf das Abkommen zwischen Ribbentrop-Himmler-Mufti,
genehmigt. (156)
Es gab ja – wie ich den jüdischen Funktionären in Budapest oft und oft
sagte, schließlich auch die "grüne Grenze". Dazu brauchte es keiner
Genehmigung, und da mich der exekutive Teil nichts anging, interessierte mich
auch die "grüne Grenze" nicht.
Im August ging nun das Tauziehen zwischen Veesenmayer und der ungarischen
Regierung wegen des Beginnes der Deportation aus Budapest los. Mir wurde
daraufhin seitens des ungarischen Inneministeriums mitgeteilt, daß damit
begonnen würde; dann gab man wieder den gegenteiligen Befehl bekannt, kurz und
gut, es ging hin und her;
/502/AE 148
Das Resultat war schließlich, daß Horthy die Deportation verbot. Dieses
Verbot wurde von Veesenmayer am 24. August um 10,20 Uhr nach Berlin
durchgegeben.
Und am nächsten Tag um 11,15 Uhr konnte er dem Auswärtigen Amt melden, daß
ihm Winkelmann soeben telephonisch mitgeteilt habe, daß Himmler um 3 Uhr früh,
durch Fernschreiben den Befehl gab, jede Deportation von Juden stengstens zu
untersagen. (157)
Aber am 30. August geht es wieder von vorne an. Veesenmayer schreibt an
Ribbentrop, daß anschließend an die Vereidigung der neuen ungarischen
Regierung eine Ministerratssitzung stattfand, in der als Hauptgegenstand, die
Evakuierung der Juden aus Budapest zur Debatte stand. Es wurde beschlossen, die
Aktion sofort einzuleiten. (158)
Ich selbst war mit meinem Kommando schon längst nicht mehr in Budapest, denn
der Befehlshaber der Sicherheitspolizei, Dr. Geschke, erteilte mir Befehl, mich
mit meinem Kommando in den Raum von Groß Nikolsburg zu begeben, um dort durch
die Abtransportierung von 10.000 Volksdeutschen diese einem russischen Zugriff
zu entziehen. Aus Neu Arad transportierte ein Teilkommando von mir ein deutsches
Wehrmachtlazarett ab, welches vorübergehend von der russischen Besetzung
/503/AE 149
befreit war. Und am 22. September 1944, löste ich befehlsmäßig mit einem
Schlußappell das Kommando auf. (159) Ich wurde nach Berlin in das
Reichssicherheitshauptamt zurückbefohlen, wurde jedoch angewiesen noch eine
Woche in Budapest zu bleiben und mich dann in Berlin zurückzumelden.
Inzwischen berichtet Veesenmayer seiner Berliner Zentrale, daß die Ungarn
die eingegangenen Verpflichtungen zur Lösung der Judenfrage in Budapest als
innerstaatliche Maßnahme, bisher nicht nachgekommen seien und Legationsrat
Wagner als Gruppenleiter Inland II des Auswärtigen Amtes, schlug Ribbentrop am
12. Oktober im Hinblick auf das Nähherrücken der Front vor, die deutsche
Haltung grundsätzlich zu ändern und entweder die Evakuierung der restlichen
Juden in eigener Regie, oder durch entsprechenden Druck auf die ungarische
Regierung, zur Durchführung zu bringen. (160)
/Unterstaatsekretär Luther hatte inzwischen den in Berlin akkreditierten
ungarischen Gesandten bearbeitet, welcher am 18. Oktober zur Berichterstattung
nach Budapest reise und die ganze Angelegenheit seinem Ministerpräsidenten und
dem Reichsverweser vorzutragen gedenke.
Außerdem habe er einen offiziellen
/504, 505/AE 150
Schritt deutscherseits bei der ungarischen Regierung in Aussicht gestellt und
gibt an Veesenmayer nunmehr die Anweisung zu erreichen, daß die Maßnahmen
gegen die Juden in Ungarn entsprechen weiter zu betreiben seien. Und dann am 14.
Oktober schreibt er daß Ziel müße daher in Ungarn sein:
Die Juden auf dem Wege fortschreitender Gesetzgebung unterschiedslos aus dem
kulturellen und wirtschaftlichen Leben auszuschalten.
Durch sofortige Kennzeichnung aller Juden die entsprechenden
Regierungsmaßnahmen erleichtern und dem Volke die Möglichkeit zu klarer
Distanzierung zu verschaffen.
Die Aussiedelung und den Abtransport nach dem Osten vorzubereiten. – durchgestrichen/
Der Leser dieser Zeilen wird sich allgemach darüber wundern, warum ich, als
der Schreiber und gewissermaßen im Geschehen gestandene zeitgenössische
Chronist, denn mir immer vom Tun und Handeln des Reichsbevollmächtigten des
Auswärtigen Amtes, und allenfalls von dem des Höheren SS- u. Polizeiführers
berichte. Haben denn – so wird er sich fragen- nicht auch anderer Stellen hier
mehr ihre Finger im Spiel gehabt, als er durch deutschreiber dargestellt ist?
Will der Schreiber etwa Himmler, Kaltenbrunner, seinen eigenen unmittelbaren
Vorgesetzten, Müller, kurz Namen denen man sonst auf Schritt und Tritt
begegnet, bewußt aus den Belangen in Ungarn ferne halten? Etwa gar aus dem
Grund, weil er selbst dort tätig war?
Ich darf darauf erwiedern, daß dies keinesfalls so ist. Ungarn war im
Wesentlichen das "Rennen des Auswärtigen Amtes". Nicht daß, der
Sicherheitspolizei oder Himmlers. Ich habe sämtliche Dokumente, die hier in
Israel in dem Prozess gegen mich, vorlagen und denen ich auch nur eineige
Bedeutung
/506/AE 151
im Hinblick auf die Linienführung oder zu derem besseren Verständnis
einräumte, herangezogen. Es ist nicht mehr davon da. Man kann auch nicht
gur sagen, na ja klar, das Reichssicherheitshauptamt hat seine Akten ja im Jahre
1945 verbrannt. Dies stimmt zwar. Aber die anderen Zentralinstanzen taten es
nicht. Und da wurden eben nach 1945 alle die Schreiben mitgefunden, von denen im
Reichssicherheitshauptamt die Durchschläge verbrannt wurden. Sicher mag es
sein, daß im Laufe der Zeiten das eine oder andere Dokument sich noch auffinden
wird; aber das Gesamtbild kann sich dadurch nicht mehr ändern.
-"-
Kaum mag ich nach einigen Urlaubstagen bei meiner Familie – (soweit man in
diesem vorgerückten Kriegsstadium überhaupt noch von Urlaub sprechen kann) –
wieder in Berlin gewesen sein, da traf mich der Befehl meines Chefs, abermals
nach Budapest zurückzufahren. Was war geschehen?
Der Höhere SS- u. Polizeiführer drängelte den deutschen Gesandten ?
Reichbevollmächtigten.
Der Reichsbevollmächtigte drängelte die ungarische Regierung!
Das Auswärtige Amt und Veesenmayer drängelten sich gegenseitig!
Wozu?
Die Deportationen waren dort eingestellt. Himmler hatte sie doch verboten,
auch Horthy hatte sie verboten. –
Aber in Ungarn waren inzwischen die
/507, 508/AE 152
"Pfeilkreuzler" unter Szalasi als Staatsoberhaupt, an die Macht
gekommen. Und Veesenmayer unterrichtete das Auswärtige Amt am 18. Oktober wie
folgt: "Mit geänderter politischer Lage ist auch die Judenfrage hier in
neues Stadium getreten. Obersturmbannführer Eichmann, der auf Antrag des
hiesigen Höheren SS- und Polizeiführers und Befehl des Chefs der
Sicherheitspolizei heute nach Budapest zurückgeholt ist, hat Verhandlungen
mit ungarischer Regierung dahin aufgenommen, daß 50.000 männliche,
arbeitsfähige Juden aus Budapest zum Arbeitseinsatz nach Deutschland
transportiert werden.
Aus Veröffentlichungen neuer Regierung ist im übrigen zu ersehen, daß auch
bisherige Ausnahmejuden, wieder zum Sterntragen verpflichtet werden." (161)
Noch am selben Tag berichtet Veesenmayer weiter: "Trotz seitens Szalasi
bereits erfolgter grundsätzlicher Stellungnahme, keinen ungarischen Juden
weiterhin in das Reich abtransportieren zu lassen, wird Innenminister versuchen,
ausnahmsweise Zustimmung zu beantragter, zeitweiser Überlassung von 50.000
arbeitsfähigen, männlichen Juden zu erlangen, die im Reichsgebiet für
Jägerprogramm, und zur Ablösung von russischen Kriegsgefangenen, die
anderwärts dringen benötigt werden, eingesetzt werden sollen. Transport soll
durch Fußtrecks in Begleitung deutscher Kommandos erfolgen. Das Einsatzkommando
Eichmann
/509, 510/AE 153
wird abgesehen von teilweiser Übernahme der Bewachung des Fußtrecks, nur
beratend mitwirken, während Aktion im übrigen von ungarischer Gendarmerie
unter Leitung bisherigen Beauftragten für Judenfragen Oberleutnant Ferencsy und
Oberleitung Staatssekretär im Innenmi Laday, durchgeführt werden soll. (162)
Und an den Reichsaußenminister geht am 24. Oktober eine Geheime Reichssache
von Veesenmayer ab in der er seinem Minister berichtet:
"… teile ich mit, daß ich gestern auf die dringende, wiederholte
Bitte von SA Obergruppenführer Winkelmann, Syalasi gebeten habe, uns wenigstens
25.000 Arbeitsjuden leihweise für ein halbes Jahr für die Verwendung im
deutschen Jägerprogramm zur Verfügung zu stellen. SA Obergruppenführer
Winkelmann hat an sich die Forderung auf 50.000 Arbeitsjuden erhoben, doch ist
diese bisher am Widerstand der ungarischen Regierungsstellen gescheitert. Ich
hielt es für richtig, zunächst eine Teilforderung zu realisieren, mit der
Absicht, gegebenfalls später erneut unsere Wünsche vorzubringen.
Szalasi hat sofort dieser Bitte entsprochen, hat lediglich zunächst darauf
hingewiesen, daß Ungarn selbst das Gros der ungarischen Juden für
Schanzarbeiten brauche und hat mich gebeten die weitere Bearbeitung der
Angelegenheit zwischen Obergruppneführer Winkelmann und Minister Kowacs in die
Wege zu leiten." (163)
/511/AE 154
Folgendes war geschehen:
DerHöhere SS- u. Polizeiführer General Winkelmann wurde wiederholt bei
Veesenmayer vorstellig, daß 50.000 Arbeitsjuden in das Reichsgebiet zu
marschieren hätten.
Und er setzte sich darüber hinaus direkt mit dem Chef der Sicherheitspolizei
und des SD, Dr. Kaltenbrunner in Verbindung, mit der Forderung meiner sofortigen
Wiederinmarschsetzung nach Ungarn.
Den Befehl dazu bekam ich.
Ich hatte zu gehorchen.
Ich hätte keinesfalls etwa sagen können: "nein ich will nicht; sucht
Euch jemanden anderen."
Krankspielen durfte ich nicht, denn ich hatte ja einen Fahneneid geliestet.
Außerdem sah ich zum krankspielen zu gesund aus.
Was war das Jägerprogramm?
Die letzte Anstrengung, die feindlichenBomberströme vom deutschen Himmel zu
verjagen.
Tausende und abertausende Einmannturbinenjäger mit fantastischer
Geschwindikeit und Wendigkeit wurden gebraucht. Als sie fertig waren, standen
sie wie Hornissen auf den Autobahnen, auf Feldern, auf Flugplätzen, an
Waldesrändern. Aber sie stiegen kaum auf. Treibstoffmangel. Die Alliierten
hatten die deutschen Raffinerien – Duzende und aberduzende von
Kleinraffinerien, geschickt wie kleine
/512/AE 155
Schwalbennester in Bodenmulden und an Berghängen gegen feindliche Flieger
sicher getarnt, - durch systematische Kleinarbeit, oft in Tiefangriffen,
zerstört. Gut noch war es nicht so weit.
Noch lautete der Befehl: Jägerprogramm. Dazu hatte Winkelmann Gott und die
Welt verrückt gemacht.
Dazu bekkam ich Befehl, mit dem ungarischen Inneministerium
Detailbesprechungen zu führen.
Die Trecks;
Die Verpflegungslager;
Die Nächtigungslager;
Die Bewachung der Lebensmitteltransports;
Nur männliche Juden;
Nur arbeitsfähige Juden;
Zeitweise;
Leihweise;
Mir gelang die Verhandlung nicht, wie die Dokumente es besagen.
Neuer Vorstoß Winkelmanns bei Veesenmayer. Dieser reduziert die Winklemann‘sche
Forderung auf die Hälfte.
Er muß dieserhalb mit dem ungarischen Staatschef sprechen.
Szalasi genehmigt.
Die Einzelheiten muß Winkelmann mit dem Minister Karacs erledigen.
Ein nervöses, hektisches Getue. Eine Handlung planvoll lenkender,
/513/AE 156
verantwortlicher Führer?
Quatsch!
Irrsinn; die Leute dachten nur von heute auf morgen.
Sie befahlen! Nach dem Motto, besser ein unsinniger Befehl, als gar keiner.
Und was sagt derselbe General a.D. Winklemann im Jahre 1961 als Zeuge in
Deutschland vernommen?
"Himmler habe ihm erklärt, er sei an der Judenfrage in Ungarn nicht
interessiert."
Dazu muß ich schon fragen; warum hat Himmler denn die Deportation der Juden
von Osten nach Westen durchkämmend, aus strategischen Gründen, befohlen? Wozu
war denn dann Himmler bei der Hitler-Horthy Besprechung auf Schloß Klessheim
zugegen, wo die Dinge doch festgelegt wurden?
Warum ist denn der Obergruppenführer Winkelmann, als Höherer SS- u.
Polizeiführer nicht gegen die Deportation eingeschritten? Er war doch
die höchste SS u. Polizeiautorität als Vertreter Himmlers in Ungarn.
Warum wurde er dann wiederholt bei Veesenmayer wegen Durchführung der
Judendeportation vorstellig.
Warum holte er mich, durch Drängen bei
/514/AE 157
Kaltenbrunner, denn wieder nach Ungarn zurück?
Und dann habe ich seine Erklärung gelesen: "Eichmann hätte in seiner
subalternen Art seine Machtbefugnisse überschritten, wenn er glaubte damit im
Sinne seines Befehlsgebers zu handeln."
Dazu auf ein Wort Herr General:
Ich würde solches Ihrem inzwischen erreichten hohen Alter /1 Zeile
gestrichen, unleserlich/ zuschreiben. Aber wenn ich so bedenke, was für ein
alberner und törrichter Mensch ich gewesen sein muß, Ihren Befehlen im Jahre
1944 nachzukommen, dann packt mich heute noch der Zorn über mich, und das
Mitleid mit Ihnen Herr General!
Und daß ich albern und törricht gewesen sein muß, beweist mir Ihre
ungeneralmäßigen Worte. /Ich sitze hier in diesem israelischen Gefängnis,
aber ich habe den Mut, Ihnen dies zu sagen: - gestrichen/
/3 ¼ Zeilen gestrichen, unleserlich/
Sie werden daher verstehen, daß ich bei solcher Einstellung meiner
Vorgesetzten von damals ihren Untergebenen gegenüber, mich umso genauer, und nur
an den Wortlaut der Dokumente halte.
/515, 516/AE 158
/Sicher auch meine Ansichten haben sich in sechzehn Jahren geändert, aber
ich würde nicht ich sein, wollte ich meine Gesinnungsänderung oder Wandlung in
meinem Vorstellungsvermögen über die Dinge des Seins, in solch abgeschmacktem
Gesabbere von mir geben.
Dieses Herr General, waren die Worte, die ich Ihnen sagen wollte. (164) gestrichen/
Sicher auch meine Ansichten haben sich in den letzten sechzehn Jahren
geändert, aber ich würde eine solche Haltung, wie Sie sie als mein damals
vorgesetzter General mir gegenüber heute einnehmen, nie gegenüber einem meiner
mir damals unterstellt gewesenen Männer, Unteroffiziere oder Offiziere
einnehmen, außer er würde sich so an die Unwahrheit klammern wie Sie. Dieses
Herr General, waren die Worte, die ich Ihnen sagen wollte. (164)
-"-
Und wie liefen die Dinge weiter:
/1 ½ Zeilen gestrichen, unleserlich/ "Ich bitte Sie, den Ungarn
bei Durchführung aller Maßnahmen, die sie in den Augen unserer Feinde
kompromittieren, nicht hinderlich in die Arme zu fallen, sondern sie vielmehr
hierbei in jeder Weise zu unterstützen, insbesondere liegt es sehr in unserem
Interesse, wenn die Ungarn jetzt auf das allerschärfste gegen die Juden
vorgehen." Dies drahtet Ribbentrop für den Gesandten persönlich, als
Geheimvermerk für geheime Reichssachen am 20. Oktober. (165)
/Sollte hier Winkelmann und Veesenmayer aus diesem Grund einen planvollen
Vorschlag zwecks Anlegung von Lebensmitteldepots, Nächtigungslager, usf. nicht
zur Ausführung gelangen haben lassen, in dem sie sich nunmehr selbst in die
Detailverhandlungen mit Minister Kowacs einließen? Personal! Gestrichen/
/517/AE 159
Am 31. Oktober legte der Leiter der Gruppe Inland des Auswärtigen Amtes
Leg.Rat Wagner, dem Reichsaußenminister einen Lagebericht über die Judenfrage
in Ungarn vor. In Ungarn habe es etwa 900.000 Juden gegeben. Davon seien bis zum
10. Juli 437.402 in die Ostgebiete abtransportiert worden. Nach Einsetzen der
Regierung Szalasi sollen nun zunächst 25.000 Juden zum Arbeitseinsatz in das
Reich gelangen und wegen weiterer 25.000, beabsichtigte Gesandter Veesenmayer
demnächst zu verhandeln. (166)
Der zuständige Staatssekretär im Auswärtigen Amt, also Ribbentrops engster
und nächster Mitarbeiter war jetzt ein Herr von Steengracht. Er wurde vor dem
Internationalen Militär-Gerichtshof in Nürnberg vernommen und dort sagte er
u.a. folgendes aus:
"Es gab in Deutschland Stellen, die die Judenaktionen durchführten und
betrieben. Diese Organisationen griffen auch in das Ausland über und schafften
von dort ohne Wissen des Auswärtigen Amtes und ohne sein Zutun
die Leute aus dem Ausland weg."
/2 ½ Zeilen gestrichen, unleserlich/ Man könnte der Meinung sein,
der Schreiber, wäre einem Irrtum anheimgefallen. Nein, nein,
/518/AE 160
ich irrte mich nicht. Es stimmt so, wie ich es schrieb und es ist jederzeit
in den Quellen nachzuschlagen.
Ich hatte einmal vor vielen, vielen Jahren einen Lateinprofessor, der sich
auch mit mir abmühte. Viel habe ich mir nicht behalten. Aber sicher hatte er
Ursache, mir mehr als nur einmal folgendes "geflügeltes Wort"
entgegenzuschleudern:
"Sitacuisses philosophus manisisses."
Aber auch dieses hatte ich mir trotz oftmaliger professoraler Anwendung nicht
bis heute gemerkt, wäre dem lateinischen Zitat nicht jedesmal prompt die sehr
handgreifliche freie Übersetzung gefolgt:
"Hättest Du das Maul gehalten, wärest Du eine Weiser geblieben."
Ein Mehr kann ich zu diesem Steengracht‘schen Märchen nicht sagen. (167)
Veesenmayer unterrichtet das Auswärtige Amt, daß gemäß einer Meldung von
mir an ihn, bis zum Berichtstag rund 27.000 marsch- und arbeitsfähige Juden, in
das Reichsgebeit in Marsch gesetzt worden sind. (168)
In Budapest hatte sich inzwischen folgendes zugetragen: nachdem Veesenmayer
die Fußmarschgenehmigung bei dem
/519/AE 161
ungarischen Staatschef erwirkte und Winkelmann die Einzelheiten mit dem
Minister Karacs beprochen hatten, wurde festgestellt, daß dieser Fußmarsch in
Ungarn ausschließlich durch Pfeilkreuzler, unterstützt von Einheiten der
Exekutive, durchzuführen sei. Deutsche Unterstützung, deutsche Bewachung und
deutsche Transportbegleitung wurde auf ungarischem Gebiet, durch die ungarischen
Behörden abgelehnt.
Und in den ersten Tagen scheint man sich im großen und ganzen auch an die
Veesenmayer – Winkelmannschen Forderungen gehalten zu haben, mit der Ausnahme,
daß nicht nur männliche Marschierer, sondern auch Frauen eingereiht wurden;
dann aber wurde offenbar in Marsch gesetzt, was an Juden gerade angetroffen
werden konnte.
Da ich, der Schreiber, gerade in diesem Punkte nach 1945 – wie man sehen
wird sehr zu unrecht – heftigst angegriffen wurde, will ich keine eigenen
Worte gebrauchen, um die Situation zu schildern, sondern mich hier auf ein
Dokument berufen und dieses sprechen lassen. Ein Dokument, welches über jeden
Zweifel erhaben sein muß, weiß man, welcher Art es ist.
Es handelt sich um ein Protokoll einer Sitzung in der Schwedischen
Gesandtschaft zu Budapest am 22. Nov. 1944 um 6 Uhr abends.
/520/AE 162
Die Teilnehmer waren: Legationssekretär Raoul Wallenberg, Bevollmächtigter
der schwedischen Gesandtschaft;
N. Krausz, Bevollmächtigter der Schweizerischen Gesandtschaft;
Dr. Körner, Bevollmächtigter der Portugiesischen Gesandtschaft und
Polizeihauptmann Dr. Batiztalvy.
Der Polizeihauptmann, welcher um Diskretion ersuchte, gibt an, daß die an
der ungarisch-österreichischen Grenze ankommenden Juden, dort dem
Bevollmächtigten der Deutschen, übergeben werden. Er gibt weiter an, daß
10.000 Juden auf den Landstraßen verschwunden sind. Geflohen, gestorben, oder
erschoßen. Nichts oder zu wenig ist vorbereitet worden.
Es folgte dann ein Bericht der Abgesandten der Schweizer Gesandtschaft, Dr.
Leopold Breszlauer und Ladislaus Kluger, über ihre Erfahrungen, welche sie
während ihrer amtlichen Reise von Budapest, bis zur österreichischen Grenze,
zwischen dem 23. Und 27. November 1944, gesammelt hatten.
Dem Berict zu folge, sind von den bis zum 22. Nov. deportierten 25.000 Juden,
10.000 an die Deutschen übergeben worden; 6-7.000 sollen in den nächsten Tagen
übergeben werden und weitere 6-7.000 wurden von den
/521/AE 163
Pfeilkreuzlern unterwegs teilweise niedergeschoßen, teilweise sind sie den
Strapazen erlegen, teilweise krank.
Der ungarische Gendamerieoberstleutnant Ferencsy hat dem Protokoll dieser
Sitzung zufolge, das Kommando über den gesamten Fußmarsch.
Die Juden wurden in Budapest von den Straßen und aus den Häusern, durch die
Polizei, haupsächlich aber durch die Mitglieder der Pfeilkreuzler-Partei
ausgehoben.
Die Bewachung oblag prinzipiell der Polizei, tatsächlich aber sei die
öffentliche Macht durch die Mitglieder der Pfeilkreuzler-Partei ausgeübt
worden.
Die Deportierten wurden sodann ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht in
großen Gruppen, zu Fuß nach den verschiedensten Richtungen, zumeist aber zur
ungar.-österreichishcne Grenze getrieben.
Während des Marsches begleiteten ungarische Gendarmerie die marschierenden
Gruppen, unter Kontrolle der Mitglieder der Pfeilkreuzler-Partei.
Die Kommission konnte feststellen, daß die Deutschen an der Grenze die
Übernahme arbeitsunfähiger, alter oder kranker Personen, wie auch die von
schwangeren Frauen, verweigerte.
Im allgemeinen, so fährt der Bericht fort – haben wir feststellen können,
daß diejenigen Juden, die innerhalb des Landes unmittelbar unter deutschem
Kommando arbeiten
/522/AE 164
ordentlich verköstigt und anständig behandelt werden; diejenigen Juden
hingegen, die unter Aufsicht der Mitglieder der Pfeilkreuzler-Partei zu arbeiten
haben, in grausamster Weise behandelt und sehr schlecht verköstigt werden.
Von einer Gruppe von 4000 jüdischen Arbeitsdienstlern, seien etwa 2.000
erschoßen worden, die restlichen 2.000 seien zu Fuß an die
ungarisch-österreichische Grenze, in schlechter physischer Kondition, sozusagen
halbnackt ohne Verköstigung, aber viel Schläge, angekommen. Diese Gruppe sei
von den Deutschen in Deutschland zuerst desinfiziert, saodann eingekleidet und
in Arbeit gestellt worden.
Die Übergabe und Übernahme der Juden und in Hegyeshalem (ungar.-österr.
Grenze) von Gendarmen verrichtet, denen ungarische Honved behilflich ist.
Der Bericht enet mit der Feststellung der Kommission, daß der Zweck der
gegenwärtigen ungarischen Regierung zweilfellos dersei, das ungarische Judentum
vollständig zu vernichten und laut einer Erklärung Szalasi vor dem
päpstlichen Nuntius, werden sie nicht um Gnade bitten, aber sie geben auch
keine Gnade.
Ein abgesandter des Internationalen Roten Kreuzes vervollstaändigte das Bild
der Kommission.
Dr. Leopold Breszlauer und seine Kommisssionskollegen geben in ihrem Bericht
eine ganze Anzahl von Namen
/523/AE 165
jener Personen an, welche für die Angelegenheit verantwortlich waren.
Dr. Leopold Berszlauer trat auch als Zeuge der Anklage, in den Prozeß gegen
mich, in Israel, auf.
Mit keinem Wort erwähnte der Zeuge meinen Namen im Zusammehang mit diesem
Fußmarsch.
Und Dr. Breszlauer hätte es ganz sicher getan, er hätte es tun müßen,
hätte ich meine Finger in der Sache gehabt. (169)
Gemäß einer eideststattlichen Erklärung, blieb es, dem SS-General
Jüttner, am 3. Mai 1948, in Nürnberg, vorbehalten, hier ein Märchen
aufzutischen:
"Als wir ankamen (Jüttner und Becker, der Sonderbevollmächtigte
Himmlers, befanden sich auf einer Fahrt nach Budapest) fuhren wir also gleich
zum Höheren SS- u. Polizeiführer. Winkelmann sagte mir damals, er wäre in
dieser Angelegenheit völlig machtlos. Und er sagte mir, er wäre mir sehr
dankbar, wenn ich gegen das, was ich gesehen habe, Einspruch erhaben würde. Ich
verlangte nun, daß der für die Ausführung des Transportes verantwortliche
Mann zu mir geholt wird. Mir wurde gesagt, das ist der Obersturmbannführer
Eichmann. Ich forderte, daß er zu mir
/524/AE 166
geholt würde und zwar wollte ich ihn in Gegenwart des Höheren SS- u.
Polizeiführers und Becker‘s sprechen. Eichmann war nicht da. Es kam ein
Vertreter, soviel ich weiß ein Hauptsturmführer, den Namen weiß ich nicht
mehr."
Er habe ihn nun in scharfen Worten zurechtgewiesen und soforttige Abstellung
verlangt.
"Mir wurde in einer etwas schnoddrigen Weise von diesem
Hauptsturmführer entgegnet, er befolge auch nur Befehle und ich hätte ihm gar
nicht zu befehlen."
Jüttner wollte sich sofort mit Himmler in‘s Benehmen setzen, was er
angeblich dann auch getan haben will.
Hierzu wird der damalige SS- u. Polizeiführer General Winkelmann im Jahre
1961 in Deutschland, als Zeuge vernommen. Er bestätigt die Aussage Jüttners,
soweit sie sich auf die Schilderung des Fußmarsches bezieht. Er erinnert sich
aber nicht, ob der Name Eichmann dabei gefallen ist.
Dem damaligen Aufsichtsratmitglied des durch Becker "vereinnahmten"
Manfred-Weiss-Konzernes, General der Waffen SS – Jüttner, habe ich nur eines
zu sagen:
Herr General, Sie scheinen mir nach bestem Wissen, der einzige General in der
preußisch-deutschen Militärgeschichte
/525/AE 167
zu sein, der sich von einem Hauptmann in schnoddriger Weise erklären läßt,
"Sie haben mir gar nichts zu befehlen."
Aber gestatten Sie, daß ich nicht glaube, daß Sie dieser einzige General
sind. Hätte Ihnen dies um jene Zeit einer meiner Hauptleute wirklich gesagt,
dann hätten Sie ihn sofort eingesperrt und einsperren müßen. Außerdem hätte
der General Winkelmann, der ja Ihrem Bericht zufolge zugegen war, als der für
diesen Hauptmann zuständige Gerichtsherr, denselben sofort der SS- und
Polizeigerichtsbarkeit übergeben, weil er ihn hätte übergeben müßen.
Auf den anderen Unsinn, den Sie in Ihrer eidesstattlichen Erklärung zum
Besten geben, kann ich – da ich in einem israelischen Gefängnis sitze –
nichts anderes angeben, als Ihnen empfehlen, studieren Sie den Bericht, besser
gesagt, das Protokoll der schwedischen, schweizerischen, portugisischen und
spanischen Gesandtschaften vom 22.Nov. 1944, über den Fußmarsch, ferner die
Berichterstattung des deutschen Gesandten und Reichsbevollmächtigten
SS-Gruppenführer der Veesenmayer an das Auswärtige Amt und fragen Sie sich bei
Herrn General Winkelmann an, wie das damals mit seinen
/526, 527/AE 168
Verhandlungen bezüglich der Einzelheiten des Marsches mit dem ungarischen
Minister Karacs war.
Mehr wünsche ich mit Ihnen nicht zu tun zu haben, als das ich Ihnen nur noch
dieses sage: Schämen Sie sich Herr General; (170) Sie werden schon wissen
worüber. –
" –
Hätte der letzte ungarische Innenminister Vajna Gabor das
Gesandtschaftsprotokoll der Vertretung der neutralen Mächte in Budapest
gekannt, dazu die Veesenmayersche Berichterstattung nach Berlin, dann hätte er
sicher in seiner Erklärung vom 28. August 1945, vor einer alliierten Stelle
nicht geschrieben: "In Budapest wollte Eichmann auch die Frauen, Kindern
und alte Männer deportieren, wogegen ich mich wiederholt einsetzte. Zum Schluß
hat er erklärt: dann übernehmen die Deutschen die Abtransportierung der
Juden." (171)
Die Geschichte hat diese Herren inzwischen zu jenen gestempelt, zu
denen man vulgärerweise zu sagen pflegt: Lügner.
In Weiterführung der Judenevakuierung aus Budapest ist grundsätzliche
Änderung eingetreten. So telegraphiert der deutsche Gesandte aus Budapest nach
Berlin. Szalisi hat angeordnet, daß der Abtransport nicht mehr im Fußtreck,
sondern durch Transportmittel stattzufinden habe. Was praktisch, infolge Fehlens
solcher, Einstellung des Abtransportes gleichkäme.
Und noch am 23. Nov. 1944 unterrichtete Veesenmayer den Reichsaußenminister,
daß er heute Szalasi weisungsgemäß ;itteilung gemacht habe und dieser gewillt
ist, trotz der technischen Schwierigkeiten, die Evakuierung der Budapester Juden
/Unterschriftkürzel/
/528/AE 169
energisch voranzutreiben. Und er würde dafür sorgen, daß durch laufende
Auskämmung, dem Wunsche des Herrn Reichsaußenministers weitgehen Rechnung
getragen würde. (172)
Der ehemalige Legationsrat Dr.Grell, zeitweilig der deutschen Gesandtschaft
in Budapest zugeteilt, hatte als einziger den Mut, anläßlich seiner
Zeugenvernahme im Jahre 1961, in Deutschland, freiweg von der Leber zu
erklären, jawohl, in Nürnberg wurde auf diejenigen, welche tot oder nicht
gefangen waren, abgewälzt. –
Dies war einmal in jenen Zeiten, infolge Mangel an Dokumenten möglich, und
zum anderen, warum sollte solches ein untergeordneter Befehlsempfänger auch
nicht tun, wenn es seinem Plane entspricht.
Bei einem kommandierenden General jedoch, bei einem Staatssekratär, bei
Reichsbevollmächtigten und dererlei hochgestellten Persönlichkeiten mehr,
welche ja damals, in der Zeit des Geschehens befahlen, iniziierten und planten,
ist eine solche Haltung meines Erachtens nur als schamlos zu bezeichnen.
Heute stehen, dank der Forschertätigkeit der letzten anderthalb Jahrzehnte
bereits solch eine gewaltige Fülle an einwandfreien Dokumenten zur Verfügung,
daß ein "Abwälzen" in keinem Falle mehr
/529, 530/AE 170
möglich ist. Sie bilden das Fundament für künftige Geschichtsforscher, und
diese werden eines Tages, jenseits aller Leidenschaften und
Subjektivitätsverhaftungen, jenseits aller politischen und propagandistischen
Interessenbrücksichtigungen, ein objektives Bild des Geschehens geben.
Ich darf von mir sagen, daß ich der Meinung bin, mich als Angeklagter,
während des Prozesses gegen mich in Israel, bemüht zu haben eine halbwegs
objektive Einstellung zu den Dingen zu zeigen, wenngleich es für einen
Angeklagten sehr schwer ist, das Wort objektiv überhaupt nur in den Mund zu
nehmen.
Dort wo ich micht selbst belasten mußte, weil ich nun einmal die
entsprechenden Befehle bezog, tat ich dies, ohne zu wanken oder zu zaudern. Aber
dort, wo Unwahrheit, Feigheit ehemaliger Vorgesetzter, oder irgendwelche
Interessen mancher Publizisten während der lezten 1 ½ Jahrzehnte, ihren
geistigen Unrat auf mich abluden habe ich dagegen Stellung genommen und solches
auch zum Ausdruck gebracht. Meine besten Verteidiger hierbei waren die
Dokumente, soferne ich sie als einwandfrei und echt befand; und dies waren, von
einigen Ausnahmen abgesehen, die sich in den Nachkriegsjahren auf dunkle Art und
Weise zwischen den echten Papieren gemengt haben mögen, die weitaus
überwiegende Mehrzahl, kurz: fast alle.
Bei der Darstellung der Linienführung in der Tätigkeit der Judenverfolgung,
habe ich mich hauptsachlich auf Kerndokumente gestützt. Der Schwerpunkt
/531, 532/AE 171
Der Verantwortlichen hat sich dabei ganz von selbst herauskristallisiert und
durch meine Bezugnahme auf das jeweilige Dokument habe ich die Möglichkeit
gegeben, ohne Mühe, meine Zeilen einer Nachprüfung in sachlicher Hinsicht
unterziehen zu können.
Zwölf Länder habe ich in diesem Block behandelt; daß, was mir damals, das
von uns besetzte oder beeinflußte Ausland nannten. Und der Leser hat gesehen,
daß der ehemalige Reichaußenminister Joachim von Ribbentrop und seine Gehilfen
eifernd bestrebt waren, ihre Zuständigkeiten zu verteidigen. Sie ließen keinen
unkontrollierten Einbruch des Reichsführers SS und Chef der Deutschen Polizei,
in der Linienführung der Behandlung des Problems, in ihren Dokumenten zu.
" -
Ich habe den Totentanz der Götzen gezeigt. Jener Götzen, denen auch ich
diente. Von ganz geringen Ausnahmen abgesehen, tanzten sie ina allen Ländern
Europas; /Zeile gestrichen/ Es sei ferne von mir, diese hektische
Katastrophenpolitik auch nun mit einem Strich zu verteidigen; denn hier gibt es
kein Verteidigen mehr, hier gibt es nur ein Eingestehen. Obzwar es auch hier die
Wiirkung der Ursache war. Nationalistischer Superegoismus der Siegermächte nach
dem ersten Weltkrieg. Jener Egoismus, der zu Versailes führte, jener Egoismus,
den Wirtschaftsneid und Konkurrenzfurcht, gebar. Der da weder seinsehen wollte
noch konnte, daß runde ziehen sie Millionen Deutsche auch haben wollen. Ohne
diesen Tatsachen wäre der Nationalsozialismus nie geboren wor Ja, der
Nationalsozielaismus, jenes in Wahrheit größte Unheil der Völker.
-
Ich ? von Jugend auf einen mir innewohnenden Drang zur Freiheit des Geistes,
zur Freiheit der Persönlichkeit, den ich erziehungsbedingt mit mir herumtrug.
/533/AE 172
Das Wort, "wo es Stärkere gibt nimmer auf der Seite der
Schwächeren", wurde mir von meinem Vater oft und oft gepredigt. Durch eben
dieselbe Erziehung, hatte ich mich an eine einfügung in eine äußere Ordnung
ebenso frühzeitig zu gewöhnen gehabt.
Diese anerzogenen Werte waren es, welche mich später mit Macht und Zwang an
die Seite derer trieb, die da, als Minorität noch, und verspottet und verlacht,
ihrem Freiheitsdrang im Kampfe gegen das Schanddiktat von Versailles breiten
Raum gaben und dagegen in Wort und Schrift zu Felde zogen.
Und auf diesem Wege ward ich, ohne es bewußt recht eigentlich gewahr zu
werden, einer Wiilensbeherrschenden ? unterworfen, an die ich dann letztlich
durch das bindende Mittel des Eides gebunden wurde.
Und ich wurde zum Diener der Gätzen, behangen mit dem Lametta und
Schulterstücken und den Orden und Ehrenzeichen für die man mich würdig hielt.
Es klingt wie ein Witz, / 1 ½ Zeilen gestrichen, unleserlich/ daß just
jene, die mich dergestalt zur Damaligen Zeit mit diesen Dingen behangen und ie
mit meinen Weg aus dem Zentralen Dients an diese Götzen verbauten und
verwehrten, selbst in ihrren Zeugenaussagen vom Jahre 1961 noch, in ihrer Furcht
und Sorge
/534, 535/AE 173
keinen anderen Weg glaubten gehen zu können, als den der Verhönung meiner
Person, ihres ehemaligen Untergeordneten – und als den der Unwahrheit, in der
törriesten Meinung, man würde ihnen glauben; in der eitlen Hoffnung, soe
könnten ihren Körper und dazu ihre Seele, retten. (173)
Und wieder muß ich mich törricht schelten, ob meiner übergroßen Dummheit,
und Unzulänglichkeit, daß ich mich einstens von der fixen Idee umfangen lassen
gehalten hatte, diesen Götzen mit samt ihren Untergötzen, in Pflicht und Treue
zu dienen. Und gläubig ihre Reden von Gehorsam und vom "Dienen am
Reich", in mir aufnahm.
/4 ½ Zeilen gestrichen, unleserlich/
Es lebt wohl keiner mehr, dessen eigene Augen das potenzierte Grauen, das
infernalische, apokalyptische Gewitter in jener Umfassenheit sah, wie solches zu
sehen, mir bestimmt ward.
Niemand kann es mir daher verbieten, den Finger der Warnung zu recken.
Denn der Gätzen Zungen sind geschmeidig und ihre Worte verlockend.
/Und indem ich meine Söhne warne, vor solchen und ähnlichen
"Goldverschnürten" Gehorsamspredigern mit ihren salbadernden Phrasen
von Nationalismus, von Heiligem Krieg, und was dererlei wohltösrende Worte mehr
sein mögen, warne ich – auf Grund meiner gemachten Erfahrungen – die
gesamte Jugend, die heute und morgen, vor diesen tanzenden Götzen.
Es Lebt wohl keiner mehr, dessen eigene Augen das potnezierte Grauen, das
infernalische apokalyptische Gewitter, in jener Umfassenheit sehen, wie mir es
bestimmt ward.
Daher mag es die Jugend mir glauben, daß meine Warnungsworte von erheblichen
Gewichte sind, und aus jener Sorge
/536/AE 174
entspringen, 3 Zeilen unleserlich wieder einmal zu Dienern an
ähnlichem Götzentotentanze werden.
5 ½ Zeilen unleserlich – gestrichen/
/536/AE 174
14 –
Ich rückte genau am 24. Dezember 1944 um ½ 4 Uhr nachmittags, gemäß dem
Befehl, den ich erhielt von budapest ab. Über beinhart gefrorene Straßen und
Feldern vorbei an zerschossenen und ? Tieffliegern zerhackten Deutschen und
ungarischen Militäreinheiten, der ungarisch-österreichischen Grenze zu. Nach
dem Neujahrstag meldete ich mich bei meinem Vorgesetzten in Berlin, dem
Generalleutnant der Polizei Müller, zurück. Berlin war um jene Zeit ein
Hexenkesse. Schier Tag und Nacht luden anglo-amerikanische Bomber ihren Segen
auf des Häusermeer ab. Es stank nach Qualm und Moder, nach verbranntem Fleisch
und verwesenden Leichen.
An eine geregelte Behördenarbeit war nicht mehr zu denken. Auch ich richtete
mich mit meinen Männern zur Verteidigung ein, denn die gegneischen Panzerarmeen
drückten auf Berlin. Das Ruienenfeld
/537/AE 175
rings um meine Dienststelle bot für Panzerfallen und Schützennester, gutes
Gebäude. Ich wurde in den Verteidigungssektro "Wehrkanal" eingebaut.
Die Waffenbestände wurden aufgefüllt, Munition eingelagert und Eiserne-Ration
deponiert. Ein Befehl jagte den anderen; eine Parole die andere. In dieser Zeit
teilte mit Müller mit, daß ich mich bei Himmler zu melden hätte. Ich fuhr in
seine Feldkommandostele; ein kleines Schloß, welches Friedrich der Große
einstens seinem Reitergeneral von Ziethen schenkte.
Hier sagte er mir, daß wir zwar "Haare lassen mäßten", aber im
großen und ganzen einen besseren Frieden als den "Hubertusburger"
bekämen. Himmler hatte sich in jenen Zeiten ganz und gar in die Sorgen- und
Vorstellungswelt des "Alten Fritzen" geflüchtet. Und hatte jenen der
Tod der Zarin vor der Vernichtung gerettet, so hoffte wohl Himmler auf eine
ähnliche Schicksalsfügung, den gegebenen Zeitumständen entsprechend. Über
siene Mittelmänner hatte er seine Fähler bezüglich allfälliger
Kriegsbeendigungsmöglichkeiten ausgestreckt.
Und seine Konzeptionslosigkeit gipfelt in der Tatsache, daß er mir befahl,
100 bis 200 prominente Juden aus Theresienstadt nach Tirol, welches in der
geplanten "Alpenfestung" mit eingeschlossen war, zu verlegen; er
wollte sie dort als Geiseln halten, und benötigte diese mit -
/538/AE 176
als "Sicherheitskoëffizienten" im Hinblick auf seine geplanten
Verhandlungen mit Eisenhower.
Wenn ich dies so recht bedenke, dann muß ich mich heute fragen, ob er mir
dieses wirklich befahl, oder ob ich es mir nur einbilde. So kindisch und bar
jedweder Realität, inhaltslos, planlos, ja dumm scheint es mir, daß der Chef
der Deutschen Polizei, der Oberbefehlshaber der SS, mir solches befohlen haben
könnte; "mich als Sicherheitsgarant für seine Verhandlungen mit
Eisenhover".
Freilich, nur Schellenberg, der damalige Nachrichtenchef des
Reichssicherheitshauptamtes, mag alle seine diesbezüglichen
"Trümpfe" gekannt haben.
Aber ich muß den Befehl ganz zweifelsfrei erhalten haben, denn ich fuhr im
anschluß daran ja über Prag – Linz – nach Innsbruck.
In Linz erzählte ich meinem Vater vom "Hubertusfrieden"; mir
glaubte er, daß Himmler es mir gesagt hatte; aber Himmler glaubte er keinen
Buchstaben das langen Wortes.
In Bixlegg erlebte ich einen ziemlich knalligen Bombenangriff. Es war der 17.
April 1945, denn just in dem Augenblick, als ich im Orte war, rauschte der
Bombensegen der ersten Angriffswelle herunter. Der Angriff galt dem dortigen
Schwerwasserwerk, wie man
/539, 540/AE 177
mir später erzählte. Der Ort wurde so ziemlich "zur Sau gemacht".
Ich hatte mich an einen Toreingang zu einem Garten gelegt mir die Nase in die
Erde gesteckt, da die herumzischenden Bombensplitter zu solch einer Praxis
zwangen.
Nachdem einige Wellen ihre Last abgeworfen hatten, wurde es mir zu dumm und
da mein Wagen, wie durch ein Wunder noch fahrbereit war, haute ich ab.
/Nachdem einige Wellen ihre Last abgeladen hatten, wurde es mir zu dumm und
da mein Wagen wie durch ein Wunder nach fahrbereit war, haute ich ab; denn ich
hatte mich inzwischen an einen Toreingang zu einem Garten gelegt, die Nase in
die Erde gesteckt, da die herumzischenden Bombensplitter zu einer solchen Praxis
zwangen. Durchgestrichen/
Als ich auf meiner Rückfahrt wieder durch Linz kam, hatte auch diese Stadt
inzwischen einen Angriff abbekommen. Und in Prag sagte mir der Staatssekretär
K. H. Frank – einen anderen Polizeibefehlshaber traf ich nicht mehr an, sie
hatten ihre Dienststelle verlassen und offenbar andere Stellungen bezogen, daß
ich nach Berlin nicht mehr durch könne, der Ruße sei
"durchgestoßen".
Ich erfuhr, daß Kaltenbrunner in Altausse war und bekam Befehl, mich bei ihm
zu melden. Der Himmler-Befehl kam nicht mehr zur Ausführung
Im Aussseer-Land angekommen sollte ich im Gebirg in Partisanenkampf machen.
Waffen und Munition waren ja in genügender Menge vorhanden. Aber Kaltenbrunner
gab mir nach wenigen Tagen Befehl, auf Engländer und Amerikaner nicht zu
schießen. Einen großen Teil der
/541/AE 178
Männer, welche man mir an den Hals hing, hatte ich schon vorher entlassen,
da sie für das Gebirge untauglich waren. Nachdem aber ringsum nur
Nordamerikaner waren, konnte ich gemäß dem erhaltenen Befehl, den ich
quittieren mußte, nichts anderes machen, als das Partisanenkommando
aufzulösen. Ich begab mich mit meinem Adjudanten auf die Reise; wir wollten das
Hannover‘sche erreichen, aber da hatte ich Pech. Ich fiel in amerikanische
Gefangenschaft, aus der ich mich dann erst Anfang Januar 1946 selbst entließ;
das heißt mit Genehmigung meiner gefangenen Offizierskameraden, türmte ich. Es
war ein SS-Gefangenlager, in dem etwa 300 Angehörige aus vielen Divisionen
stammend, gefangen gehalten wurden. Als SS-Leutnant "Eckermann" wurde
ich dort verhört und karteimäßig erfasst.
Ich war so dann als Waldarbeiter in der Forstverwaltung Miele im Kreis Celle
bei Hannover tätig, als selbständiger Holzhändler und zuletzt als
Hühnerzüchter. Hier nannte ich mich Otto Henninger, aus Breslau gebürtig.
In den Maitagen des Jahres 1950 trat ich abermals die Reise an und gedachte
über Südamerika nach Ostasien zu fahren. Nach mancherlei Schwierigkeiten –
ich beschrieb meine Nachkriegserlebnisse an anderer Stelle detaillierter –
gelangte ich nach
/452, 453/AE 179
Argentinien. Da verblieb ich denn auch. Nach zweijährigen Dortsein ließ ich
meine Familie, welche ich Altaussee lebte, nachkommen.
Zehn Jahre war ich in diesem schönen Land. Während der meisten Zeit als
technischer Angestellter, zuletzt bei der "Merzedes-Benz-Argentina"
tätig. Zwischendurch führte ich die einem entfernten Verwandten meiner Frau,
gehörende Granja, ein landwirtschaftlicher Betrieb, als Administrator. Im
Norden Argentiniens, in der Einsamkeit des urweltlichen Aconquija-Massivs, einem
gewaltigen Gebirgsblock, dessen mehrere Spitzen bis auf fünftausendfünfhundert
Meter ragen, ging ich meiner Arbeit nach. Ich hatte dort hydrologische Studien
zu betreiben und bis auf fünftausendzweihundert Meter Höhe hatte ich
wiederholt dienstlich zu tun. In eintausendsechshundert Meter, in Rio Potreso,
an der Grenze von Tueumän und Catamarca, lebte meine Familie.
Je höher wir steigen, umso weiter wird unser sonst so begrenzter Blick. Und
in dem Schweigen der Pampa, konnte ich dann das mit meinem inneren Blick
Geschaute, verarbeiten.
Am 11. Mai 1960 fuhr ich wie täglich von Hause fort, zu meiner Tagesarbeit.
Zurück kam ich freilich nicht mehr, denn ein israelisches Kommando hatte mich
bei meiner Rückkehr von meiner Arbeitsstelle gestellt, Widerstandsunfähig
gemachte und auf eine Quinta, welche an der Nordstrecke lag, gebracht. Von dort
aus wurde ich, ohne daß ich Widerstand leisten konnte, mit einer Viermotorigen
Maschine von Argentinien herausgeflogen und nach Israel gebracht.
/7 ½ Zeilen gestrichen, unleserlich/
Natürlich war es für mich nicht gerade
/544/AE 180
angenehm; so etwas ist für den Betroffenen nie ein Honiglecken, dies ist
klar, aber ich wurde korrekt und anstöndig behandelt. Ich hatte mir auf alle
Fälle das Gegenteilige vorgestellt.
Am 11. April 1961 fing der Prozess gegen mich an.
Es ist Mitte August und die Plädoyers der Anklage und Verteidigung gehen dem
Ende entgegen.
Die Anklageschrift gegen mich beinhaltet 15 Anklagepunkte.
In vier Punkten bin ich des Verbrechens gegen das jüdische Volk, eine
Straftat gemäß Abschnitt 1(a) (1) des Nazi und Nazihelfer (Bestrafungs-)Gesetz
5710-1950 und Absatz 23 der Criminal Code Ordinance 1936, angeklagt;
In sieben Punkten, des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, eine
Straftat gemäß Abschnitt 1(a) (2) des Nazi und Nazihelfer (Bestrafungs-)Gesetz
5710-1950 und Aabschnitt 23 der Criminal Code Ordinance 1936;
In einem Punkt, des Kriegsverbrechens, eine Straftat gemäß Abschnitt
1(a) (3) des Nazi und Nazihelfer (Bestrafungs-)Gesetz 5710-1950 und Abschnitt 23
der Criminal Code Ordinance 1936;
/545/AE 181
sowie in drei Punkten, wegen Mitgliedschaft in einer feindlichen
Organisation, eine Straftat gemäß Abschnitt 3(a) des Nazi und Nazihelfer
(Bestrafungs-)Gesetz 5710-1950.
Auf die Frage des Gerichtspräsidenten, ob ich mich im Sinne der Anklage
schuldig bekenne, habe ich zu allen 15 Punkten erklärt: "nein, im Sinne
der Anklage nicht."
Und die Frage meines Verteidigers, ob es stimme, daß ich eine Erklärung
unterschrieben hätte, mich freiwillig vor einem israelischen Gericht zu
verantworten, habe ich mit "ja" beantwortet.
Die nächste Frage meines Verteidigers, ob ich diese Erklärung freiwillig
abgegeben hätte, beantwortete ich mit "nein".
Bis zum 6. Juli dauerte die Verlesung der Anklage und das Hören der
Anklagezeugen; sowie die Verteidigung.
Vom 7. Bis zum 24. Juli stand ich im Kreuzverhör des Generalstaatsanwaltes
Dr. Hausner.
Mein Verteidiger Dr. Servatius sagte mir, daß es das längste Kreuzverhör
in der Geschichte der Juristik gewesen sei.
Und ich ahbe gelegentlich des Kreuzverhörs meine Befriedigung zum Ausdruck
gebracht, daß es einmal so
/546/AE 182
lange und gründlich war und das mir Gelegenheit zur freien und offenen Rede
gegeben wurde, da dies meine bisher einzige Möglichkeit gewesen sei, vor aller
Öffentlichkeit, dem in langen 1 ½ Jahrzehnten auf meine Person abgeladenen
Unwahrheiten – durch die Praktiken der Zeugen in den Nachkriegsjahren vor den
alliierten Militärgerichten und durch eine gewisse Publiuistik entgegentreten
zu können.
Daß, wozu sich damals glaubte verpflichtet sein zu müßsen, gemäß den mir
erteilten Befehlen zu machen, habe ich zugegeben, alle anderen Beschuldigungen
habe ich von mir gewiesen.
Auf die Frage meines Verteidigers bezüglich meines Schuldigkeitsgefühls
habe ich im Gerichtshof folgendes gesagt:
/547/AE 183
"Es ist heute eine der schwersten Fragen, die Frage über das
Schuldgefühl; und ich glaube, daß ich bei der Beantwortung hier wohl einen
Unterschied, zwischen einer rechtlichen Betrachtung und der Beleuchtung
von der Seite der menschlichen Schuld heraus, machen muß.
Erstens:
Bei den mir vorgeworfenen Taten, handelt es sich um die Mitwirkung bei der
Deportation.
Da dieses damals eine politische Anordnung war, bin ich des Glaubens,
daß Schuld im rechtlichen Sinne, hier doch nur derjenige empfinden kann,
der die Verantwortung für die politische Entscheidung trägt; denn:
Wo keine Verantwortung, da ist auch keine Schuld.
Und das Ergebnis meines Nachdenkens ist daher, daß hier die Verantwortung im
Rechtssinne zu prüfen sei.
Solange das menschliche Zusammenleben in politischer Hinsicht, noch keiner
globalen Lösung entgegengeführt ist, solange ist Befehl und Gehorsam die
Grundlage jeder staatlichen Ordnung.
Kein Staatswesen kann im Ernstfall auf Spione und Verräter aufgebaut werden.
/548/AE 184
Zur höheren Sicherheit, bedient sich die Staatsführung eines bindenden
Mittels. Des Eides.
Die Verantwortung aber, das Gewissen, muß die Staatsspitze
haben.
Und es wurde uns ja dauernd gepredigt, in Wort und in Schrift: "Vertrauen
zur Führung".
Bei einer guten Staatsführung hat der Untergebene, der Befehlsempfänger,
Glück;
Bei einer schlechten Unglück.
- " -
Ich hatte kein Glück.
Denn:
Das damalige Staatsoberhaupt gab den Befehl zur Vernichtung der Juden.
Und:
Meine Mitwirkung an der Deportation ergab sich aus der Tatsache, daß der
damalige "Höhere Gerichtsherr" der SS- u. Polizeigerichtsbarkeit, der
ich unterstand, Himmler,
Die Deportationsbefehle an meinem Gerichtsherren, dem C.d.S.u.d.SD, gab.
Dieser beauftragte mit der Durchführung meinen unmittelbaren Vorgesetzten,
den SS-Gruppenf. und Gen.ltnt. der Polizei, Müller.
/549/AE 185
Von ihm erhielt ich sodann die Befehle, soweit ich zufolge des
Geschäftsverteilungsplanes meines Referates, dafür zuständig war.
Die Strafordnung der SS- u. Pol. Gerichtsbarkeit besagt, daß suf Ungehorsam
der Tod stehe;
Die Verschlußsachenanweisungen, die Geheimhaltungsvorschriften
staatswichtige Sachen betreffend, hatten ihre Zuchthaus- u.
Todesstrafeprpgraphen.
Ich hatte von mir aus, alle legalen Möglichkeiten ausgeschöpft, um eine
andere Dienstverordnung zu erhalten; ja, meine Versetzung vom SD zum Geheimen
Staatspolizeiamt im Herbst 1939, erfolgte gegen meinen Willen, gemäß
erhaltenem Befehl.
Ich hatte zu gehorchen.
Ich war Uniformträger.
Es war Kriegszeit. –
Ja, selbst als das Jahr 1950 herankam, und ich mich mit dem Gedanken trug,
aus Deutschland nach Übersee zu fahren, habe ich dieses nicht wegen eines
Schuldgefühles im Sinne der Rechtssprechung getan, sondern wegen der
politischen Lage und aus familiären Gründen.
/550/AE 186
Meine Stellung ist die gleiche, wie die von Millionen anderen, die zu
gehorchen hatten.
Der Unterschied ist nur der, daß ich einen viel schwereren Auftrag
hatte, den ich befehlsgemäß durchzuführen hatte.
" –
Alle Beteiligten, die behaupten, man hätte sich mühelos, bzw. ohne
große Gefahr, der Erfüllung eines Befehls entziehen können, geben
keine Einzelheiten für ihren eignen Fall an.
Man sagt, die Möglichkeit besteht immer, sich zu drücken und eine Krankheit
vorzuschützen.
Ein General hat hier große Möglichkeien. Ein Untergebener hat solche
Möglichkeiten nicht.
Denn: wenn festgestellt wird, daß die Krankheit ein Vorwand ist, wird das
seine Folgen haben.
Außerdem steht solches Tun, gegen den Fahneneid.
" –
Himmler sagt beispielsweise in der Posener-Rede auch nur bezüglich
der SS-Generäle, daß sie versetzt werden können, wenn sie sich nicht
fähig fühlen. Aber: wenn der Befehl aufrecht erhalten wird, ist er zu
befolgen.
/551/AE 187
Ein Mann in einer kleineren Stellung kann sich nicht entziehen;
Besonders nicht, wenn er höchster Geheimnisträger ist.
Er konnte sich selbst erschießen dies ist wahr.-
" –
Diejenigen, die davon sprechen, man hätte sich der Ausführung der Befehle widersetzen
können, erkläen selbst meist, sie hätten von Vernichtungen von Menschen
nichts gewußt.
Waren also keine Geheimnisträger.
Die SS- u. Pol. Gerichte legten an die unteren Stellen einen sehr
scharfen Maßstab an, und würden bei offener Befehlsverweigerung ein
entsprechendes Urteil erlassen haben müßen. –
Zweitens:
Die Schuld im ethischen Sinne, ein Schuldbekenntnis vor seinem inneren
"Ich", dies ist eine ganz andere Sache.
Sie liegt in Regionen, welche den Paragraphen einer Rechtsordnung entrückt
ist.
/552/AE 188
Hier hat jeder mit sich selbst zu rechten und zu richten.
Ich tat es für meine Person, und tue es noch.
. –
Abschließend verbleibt mir die Feststellung und das Bekenntnis:
"Ich bedaure und verurteile die von der damaligen deutschen
Staatsführung angeordneten Vernichtungstätigkeit gegen die Juden."
Ich selbst aber vermochte auch nicht über meinen eigenen schatten zu
springen;
Ich war lediglich ein Werkzeug, in der Hand stärkerer Kräfte,
Und eines unerfindlichen Schicksals."
/Unerschriftkürzel 6-7-61
(zum Ende der Verteidigung) gestrichen/
Diese Erklärung gab ich am Ende der Verteidigung ab, ehvor das Kreuzverhör
seinen Anfang nahm.
/553/AE 189
15 –
Und indem ich selbst mit mir zu Gericht sitze, sagen mit viele innere Stimmen
vieles.- Hätte ich meine Geschäfte niederlegen können? Hätte ich mich
einfach weigern können, weiter zu arbeiten?
Wäre dieses Meuterei gewesen?
Was heißt aber Meuterei gegen Mord?
Meuterei steht gegen Fahnen und Diensteid!
Was ist staatlich befohlener Mord und was ist der Eid?
Gehört das Halten des Eides noch zu dem Bereich ethischer Werte? Zur Einheit
der Ethik?
Gehört es wenigstens noch zum Rande der Moral?
Was ist sschon Moral?
Daß Moral ein Teil der ethischen Werte sei, kann ich nicht mehr glauben!
Es sei denn, der Eid wäre eine Nötigung; eine Verpflichtung, gegebenenfalls
zum Hehler des Staates zu werden.
Da scheint also etwas nicht in Ordnung zu sein. Denn die meisten Staaten
egal, welcher Staatsform verformten und verformen in ihrer zu Kriegszeiten an
den Tag gelegten Tyrannis, das logische Denken der Geister.
Sie verlangen von ihren Befehlsempfängern im Namen der Heiligkeit des Eides,
die Zuerkennung ethischer Wertungseinstufung für Heldenmut, Opferbereitschaft,
Gehorsam und Disziplin.
Und auf Grund dieses Verlangens befehlen sie Mord, Tod und Vernichtung.
/554/AE 190
Darüberhinaus ermuntert der Staat im Kriege mittels einer bereitgehaltenen
Serie von Auszeichnungen, seine Befehlsempfänger zur Verübung der vom ihm
befohlenen Verbrechen. Er benebelt die Gehirne seiner Befehlsempfänger mit
Kreuzzugsphrasen, Befreiungsparolen, Hingabe und Verteidigungsbereitschaft.
Die Mordwerkzeuge werden auf beiden Seiten unter Anrufung stärkerer Kräfte
und Mächte gesegnet, denn jede Seite verübt seine Verbrechen für eine
sogenannte "gerechte" Sache.
Und solange werden alle ethischen Wertgefühle sophierend seziert, bis sie in
jene Moralstufen eingezwängt werden können, dennen der Staat dann sein Sanktum
verleihen kann.
Durch solche Umwertung vereist die Staatsführung nun auch den Geist und den
Willen seiner Befehlsempfänger, nachdem er dessen Handlungsfreiheit längst
paralysiert hat.
Da scheint also wirklich etwas nicht in Ordnung zu sein.
Was also ist Wahrheit und was ist Recht?
Eugen Kogan schreibt in seinem buch "Der SS-Staat": "Was aber
erst die zwölf bis vierzehn Millionen Vertriebenen zu erzählen wußten, die in
den osteuropäischen Ländern vielfach auf die barbarischste Weise
"ausgesiedelt" und in plombierten Waggons, in
/555/AE 191
Elendszügen, einzeln, gruppen- und herdenweise nach Deutschland getrieben
wurden! Man mache einer Mutter, die ihre Kinder verloren hat, einem Mann, dem
die Frau geschändet wurde, Halbwüchsigen, deren Eltern man prügelte, allen,
die Tod und Grausamkeit nun am eigenen Leibe erlebten klar, daß dies – in
einer proklamierten besseren Welt – eben nichts als die traurigen Folgen
vorher begangenen Massenunrechtes seien, die ohne Unterschied Schuldige und
Unschuldige treffen. Und man verdeutliche einem Volke, es sei weder Heuchelei
noch Feigheit, wenn den Erklärungen von Jalta und Potsdam, daß die
"Umsiedlungen" "ordnungsgemäß" erfolgen sollten, nicht
Nachdruck verliehen wurde. Mehr Millionen haben auch die Nationalsozialisten
nicht durch Osteuropa gezerrt." (174)
Und wenn ich noch die Worte Hiroshima, Nagasaki und Dresden hinzufüge und
die Länder Korea, Indochina, Ägypten und Algerien erwähne, dann habe ich dazu
weiter nichts mehr zu sagen; höchstens noch dieses: auf der Moskauer
Außenministerkonferenz am 20. Oktober 1943 wurde die Eintschlossenheit
kundgetan, die Kriegsverbrecher zu bestrafen.
Alliierterseits aber wurde kein einziger Befehlsempfänger wegen der
Ausführung erhaltener Befehle vor Gericht gestellt und bestraft. Von den
/556/AE 192
Befehlsempfängern, ebenfalls ganz zu schweigen.
Zweierlei Maß!
Zweierlei Recht!
Nationalistischer Egoismus allenthalben; hüben und drüben. Ende des II.
Teiles
Adolf Eichmann /Unterschrift/
6-9-61
/557/AE 1
Quellen zum Teil II.
Frankreich
Dok. 440, (T 385)
Dok. 229, (N 36)
Dok. 955 (T 387)
Dok. 86
Dok. 309 (N 37)
Dok. 445
Dok. 1071
Dok. 441 (N 39)
Poliakov "Rot" Seite 118 – 121, Dok. V-3, 15, 16.
Dok 1209
/558/AE 2
Dok. 333
Dok. 694 (T 401)
Dok. 54
Dok. 113
Dok. 54
Dok. 485, 486, 1166, 459
Dok. 1211 (T 411)
Dok. 177 (T 402)
Dok. Prozess VI (IG-Farben) NI 500
Dok. Prozess IV, Ahnhift S. 8080
/559/AE 3
Dok. 585 (T 419)
Dok. 58, 59
Dok. 699
Dok. 64 (T 438), 65 (T 439)
Dok 142 (T 451) 1348 (T 1028)
Dok. 1164 (T 467)
Dok. 1260
Dok. Poliakov "Rot" S. 87, Dok. P5 3688
Dok. 270 (T 456)
Dok. 815 (N 40)
/560/AE 4
Dok. 726 (N 62)
Dok. 819 (N 41)
Dok. 489
Dok. 487
Dok. 121 (T 471)
Dok. 723,
Dok. 724 (T 610)
Dok. 961 (T 611)
Dok. 962 (T 612) ?
Dok. 697 (T 473)
456 (N 63)
727
561/AE 5
Dok. 820
Dok. 821
Dok. 822
Dok. 196
Dok. 826
Dok. 875
Dok. 217
Dok. 218
Dok. 960
Dok. 299
/562/AE 6
Holland
Dok. 582 (T 521)
Dok. 1627 (T 523)
Dok. 1359 (T 529)
Dok. 325
Dok. 594 (N 47)
Dok. 325
Dok. 1496 (T 531)
Dok. 589 (T 543)
Dok. 1356 (T 544)
/563/AE 7
Dok. 725
Dok. 463 (T 556)
Dok. 1439 (T 571)
Dok. 1353 (T 577)
Belgien
Dok. 753 (T 512)
Dok. 759 (T 514)
Dok. 760 (T515)
Dok. 761 (N 49)
/564/AE 8
Dok. 1604 (T 615)
Dok 1073
Dok. 3 (N12)
Dok. 1446 (T 519)
Italien
Dok. 1604 (T 615)
Dok. 1600 (T 616)
Dok. Zeugenaussage Kappler v. 27.6.61 im Militärgefängnis zu Gaeta
(Italien) Übersetzung aus dem Hebräischen; (S.2+3+5)
/565/AE 9
Dok. 299 (liegt bei den Frankreich-Akten)
Dok. 954 (T 618)
Dok. 1274
Dok. 964 (T 623)
Norwegen
Dok. 1622
Dok. 1621
Dok. 491
Dok. 198 (T 604
/566/AE 10
Dänemark
Poliakov "Rot" S. 102, Dok. NG-S121
Dok. 1074 (T 579)
Dok. 251 (T 585) ?
Dok. 1636
Dok. 757 (T ?)
Dok. 816 (T 584) ? Seite 2
Dok. 1077 (T 587)
Dok. 1078 (T 588)
/567/AE 11
Slowakei
Dok.1527 (T 1073) S. 5 Abs III.
Dok. 1266 (N 65)
Dok. 543
Dok. 1526 (T 1102)
Dok. 1267 (T 1057) ?
Dok. 1268 (T ?
Dok. 837 (T 1078)
Dok. 92 ?
Dok. 1270 (T 1079)
Dok. 1015 (T 1081)
Dok. 836 (T 1087)
Dok. 839 (T 1089)
/568/AE 12
Dok. 626
Dok. 627
Dok. 369 (T 1101)
Dok. 1016 (T 1106)
Dok. 499
Dok. 370
Dok. 514 (N 67) Seite 5
Griechenland
Dok. 998 (T 956)
Dok. 344 (T 958)
Dok. 1000 (T 959)
Dok. 1001 (N 54)
/569/AE 13
Dok. 424 (T 960)
Dok. 426 (N 55)
Dok. 427 (T 966)
Dok. 241 (T 963)
Dok. 425 (T 961)
Dok. 237 (T 962
Dok. 429 (968
Dok. 1343
Dok. 176 (T996)
Jugoslawien
Dok. 33 (T 887)
Dok. 423 (T 898
Dok. 1339
Dok. 1340 (T 888)
Dok. 642 (T 870)
Dok. 645 (T 873)
Dok. 643 (T 871)
644
/570/AE 14
Dok. 647 (T 874)
Dok. 648 (T 875)
Dok. 649
Dok. 650 (T 878)
Dok. 651 (T879)
Dok. 1044 (T 880)
Dok. 1045 (T 881)
Dok. 1162 (T 882)
Dok. 170 (T 883)
Dok. Poliakov, Rot, S. 350/51, 448
Dok. 170 (T 883)
Dok. 652 ( 884)
Dok. 654 (T 886)
Dok. 647 (874)
Dok. 1244, S. 3
Dok. 658 (T 902)
Dok. 87 (T 903)
Dok. 661
Dok. 1074 (T 906)
Dok. 1081 (T 907)
Dok. 656 (T 921)
/571/AE 15
Rumänien
Dok. 472 (T 1001)
Dok. 92 (?)
Dok. 573
Dok. 1225
Dok. 1227 + Dok. 404
Dok. 840 (T 1002)
Dok. 83 (T 1013)
Dok. 99 (T 1014)
Dok. 181
Dok. 561
Dok. 562 (N 60)
Dok. 477
Dok. 194 (T 1032)
Dok. 178 (T 1029)
Dok. 92
Dok. 987 (T 1042)
Dok. 224 (T 1044)
Dok. 484 (T 1052)
/572/AE 16
Bulgarien
Dok. 92
Dok. 1023 (T 926)
Dok. 1024
Dok. 1026 (T 930)
Dok. 1028 (T 931)
Dok. 1030 (T 934)
Dok. 1033
Dok. 420 (T 944)
/573/AE 17
Zeugenaussage v. Thadden, 1961, S. 10.
Dok. 1021 (T 1145
Dok. 801
Dok. 813 (T 1155)
Zeugenaussage v. d. Bach Zdersky 1961
Dok. 679
Dok. 114 (T 1211)
Dok. 1124 (N 70)
Dok. 675 (N 73)
Dok. 216 (N 72)
Dok. 366 (T 1182)
Dok. 213 (T 1186)
Dok. 681 (N 75)
Dok. 374 (N 76), Dok. 1314 (T 1158)
Dok. 180 Dok. 1315 (T 1159)
Dok. 158 (T 1193)
Dok. 678 (T 1193)
/574/AE 18
Dok. 529
Dok. 630 (T 1199)
Dok. 631 (N 79)
Dok. 632 (T 1200)
Dok. 114
Dok. 870 (T 1226)
Dok. 385 (T 1208)
Dok. 992 (N 80)
Dok. 680
Zeugenaussage Krumey 1961, S. 9, 10, 12, 13.
Dok. 797
Dok. 677
Dok. 848
Dok. 772
Dok. 640
Dok. 162 (N 86)
/575/AE 19
Dok.156 (T 1217)
Dok. 976 (T 1218)
Dok. 154 (T 1219)
Dok. 1441 (T 1222)
Dok. 155 (T 1223)
Dok. 387
Dok. 388 (T 1230)
Dok. 525
Dok. 212
Dok. 871 (N89)
Zeugenaussage Winkelmann 1961, S. 6.
Dok. 376 (N 90)
/576/AE 20
Dok.221 (
Dok. 44, (Seite 3.)
Dok. 973 (T 1247)
Dok. 853 (T 1237)
Dok. 1297 u. Zeugenaussage Winkelmann 1961 und Dok. 411 (Seite 12, Punkt 142)
Dok. 511 (T 1245)
Dok. 377 (T 1242)
378
Zeugenaussage Six (1961)
– " - Winkelmann (1961)
Dok. 1169
Dok. 27 (Vermerk zu meiner Beförderung durch Six)
Eugen Kogon: "Der SS-Staat". S. 403/404
Europäische Verlagsanstalt 1946
Fünfte Auflage
Zu Teil III, Schreiben des Pastor Achenbach an mich.
/577/
Götzen Teil III.
Inhalt
Teil III 72 Seiten
(Unterteilt in 14 Abschnitte)
Adolf Eichmann
6-9-61
/578/AE 1
III. Teil
"Denn Frieden und Glücksgefühl und die Freude, werden der Inhalt ihres
Ganzheitslebens sein. Denn die Ganzheit kennt nur das Gute." (Seite 67)
/579/AE 2
Teil III:
In sich ausgeglichene Naturen mit unkompliziertem Einfühlungsvermögen, sind
in außergewöhnlichen Zeiten, mit zunehmenden Außergewöhnlichkeitsgrad,
sicher immer seltener. Es sei denn, "sie hätten ihre Jahre bereits
erreicht." Junge Menschen wiederum befinden sich noch im Stadium der
Formung und mangels vergleichender Möglichkeiten aus der Erfahrung, wird diese
Formung durch die Umwelt vollzogen und von Individuum mehr oder weniger
kritiklos akzeptiert. Mancher der mittleren Jahrgänge hingegen, sieht
sich im Zustande der eigenen Umkrempelung, der Einordnungsversuche seines
inneren "Ich", zur außergewöhnlichen Umwelt, und er sieht sich den
geistigen Einflüßen dieser Umwelt, den handlungsmäßigen Einwirkungen dieser
Umwelt, auf sein inneres "Ich", mit den verschiedenartigsten Reaktionen,
gegenüber.
Das sinnlich wahrnehmbare und aufgenommene Tagesgeschehen, "der
Tagesablauf", wird von dem, der nicht allzu gleichgültig "in den Tag
hinein lebt", zu vergleichenden Vorstellungen in den Stunden der
"Abschaltung", in den Stunden der Muße, weiterverarbeitet. Oft
ungewollt und nicht in konzentrierter, bewußter Arbeit, aber, wie man zu sagen
pflegt, "man kommt nicht
/580/
Bemerkung für den Zensor:
Diese schriftstellerische arbeit kann nicht mit der Waage der
Rechtsparagraphen gewogen werden.
Unterschriftkürzel
/581/AE 3
davon los"; "es läßt einen nicht aus"; "es geht einem
nicht aus dem Sinn".
Und die eigene Haltung, die eigene Reaktion zum Geschehen des Tages, wird
dabei einer geistigen Selbstbeobachtung unterzogen, wobei mein äußeres
"Ich", mit meinem inneren "Ich" – man könnte es auch
Gewissen nennen – eine Art Zwiegespräch hält und mein inneres
"Ich", auf Grund dieser "Unterhaltung", dann seine Position
bezieht. Eine Position, die ich für mich als "beruhigend" oder als
für mich "beunruhigend" registriere. Und je nach diesem, meinem
psychischen Zustand, spüre ich dann ein Mitschwingen des physischen Befindens.
Klätzt ein Mensch – wie ich zum Beispiel - die innere Ruhe und eine
gewisse innere, beschwingte Ausgeglichenheit, oder, um ein geflügeltes Wort aus
meinen Vorkriegsjahren zu gebrauchen, die "innere stille
Heiterkeit", über alles, dann wird er – und ich spreche aus
gründlicher Erfahrung – alles daran setzen, nun die innere Unordnung, wieder
zur Ordnung zu gestalten, zumindest, es zu versuchen.
In welche innere "Hexenküche" ein Mensch jedoch im praktischen
Leben kommen kann, dessen eigene Handlungs-
/582/AE 4
Freiheit durch höhere Gewalt gebunden ist, gibt dieses Kapitel wieder. Mit
einem Beispiel will ich es im allgemeinen umschreiben:
Ein Blatt Papier; darauf Eisenfeilspäne gestreut.
Kreuz und quer liegen diese kleinen Eisenstückchen im wirren Durcheinander.
So sieht es bei mir aus, wenn mit die innere ruhe fehlt, wenn ich vergeblich
bemüht bin, Ornung in die Dinge meines Innenlebens zu bringen.
Fahre ich nun aber mit meinem Magnet unter dieses Blatt Papier, dann ordnet
sich im Bereich des magnetischen Kraftfeldes sogleich dieses Durcheinander an
Eisenfeilspänchen zu einer – fast möchte ich sagen militärische
ausgerichteten – Ordnung.
Was nützt mir aber allen Ordnenwollen, wenn meine Erkenntnis nicht in
Handeln umgesetzt werden kann, wenn ich diesen Magneten nicht bedienen darf, ja
wenn ich selbst sogar nur ein solcher Eisenfeilspan bin, der in dieses Kraftfeld
eingeordnet ist. Wenn mich stärkere Kräfte daran hindern, gemäß meinem
Willen zu handeln und darüber hinaus, gemäß einer staatlichen Befehlsgebung,
mein Handeln teilweise sogar in dem Entgegengesetzten zu
/583/AE 5
meinem inneren Wollen zu stehen hat; zu einem Wollen, daß gemäß der
Wahrnehmung meines Gefühlssinnes, aus den Bereichen der ethischen Werte zu
entspringen habe, will ich als Individuum, innere Ruhe und inneren
Gleichgewichtszustand für mich, alleine schon aus der mir triebhaft zukommenden
Egoistik heraus, buchen können.
- " -
/584/AE 6
(1)
Ich bin weder Philosoph, noch Physiker. Aus Lust und Liebe zur Sache
beschäftigte ich mich nach Art interessierter Laien, zuweilen sowohl mit der
einen, als auch mit der anderen Materie. Es bereitete mit Vergnügen und es war
lehrsam zugleich. So wie der Briefmarkensammler von Zeit zu Zeit seine Sammlung
durchstöbert. Gerne kaufte ich mir ab und an ein besonders empfohlenes Werk,
welches sich mit diesen Fächern befaßte, und dann konnte ich so recht wie ein
abseitiger Büchernarr darin schwelgen. Es war für mich das gleiche, wie
Sonntagvormittaggottesdienst, für fromme Kirchenbesucher; ein verlangendes
Suchenwollen nach dem absolut Gültigen, nach den wahren Dingen, nach dem
höheren Sinn des Seins. Wohl wissend, daß ich nur bis zu einer sehr
bescheidenen Grenze werde vordringen können, aber ein jedes Wenige nur an neuen
Erkenntnissen, befriedigte mich schon zutiefst. Dieses neugierige Wissenwollen
haftet mit viele Jahrzehnte schon an, und vielleicht gehe ich recht wenn ich
sage, solange ich überhaupt zurück denken kann. Freilich in diesen beiden
besonderen Fächern lag das beginnende rege Interesse, erst in späteren Jahren
und wurde oft durch längere Pausen unterbrochen; sei es durch die hastende
Schnelllebigkeit des beruflichen Alltags, die jedwede Muße zur Sammlung raubte,
oder auch gar zeitweilige Unlust, hervorgerufen durch dörperliche Müdigkeit
und Schlappheit, ketztlich besonders zur Zeit der argentinischen Sommer.
Schon mein Religionslehrer in der Linz a/Donau, legte den Grund für meine
zeitweilige besondere
/585/AE 7
>Kantvorliebe<. Der evangelische Pfarrer – gebürtiger Ostpreuße –
war in Sachen des >Königsbergers< geradezu Spezialist und es ist
erstaunlich daß es ihm gelang, in unseren Bubengehirnen ein solch mitgehendes
Interesse zu wecken, für eine Materie, welche gar oft selbst den Erwachsenen
langweilt. Er Jedenfalls brachte es lebensnahe, mit vielen Beispielen aus dem
Tagesleben eine Buben, gewürzt.
Mein Jugendfreund, heute Prior eine Prämonstratenserklosters in Deutschland,
liebte damals, wenn ich es so recht betrachte, die >Philosophie aus der
Technik<. Aus seinen zahlreichen Brückenbau-Konstruktions-Skizzen, muß er
die Ästhetik und Ethik das Schöpfungswillens mit erschaut haben; denn immer
neue Entwürfe und Ideen gebar er, und wir freuten uns beide über die
Schönheit der Linie. Wir besuchten in jener Zeit gemeinsam eine höhere
technische Schule. Er trat dann zum geistlichen Stande über. Ich freute mich
sehr, von ihm, zu Händen meines Verteidigers, in das Gefängnis nach Israël
freundliche Grüße geschickt zu erhalten. Und ich bedanke mich für sein
freundliches Gedenken, und weiß daß ich eine antwort auf meine Arbeit von ihm
bekomme. Sei sie positiv oder negativ, gleichermaßen sei er dafür bedankent.
Ja, mein lieber Frater Bernadus, da magst Du mal sehen, wie es einem Menschen
ergehen kann. Solches hätten wir uns nicht tträumen lassen, als wir das
letztemal in der abtei Hinsdorf beisammen waren und noch viel weniger früher im
Schloße zu Traun, oder in der >Höheren< in der Goethestraße, in Linz.
/586/AE 8
Der Krieg war ausgebrochen. Ich kaufte mir die >Kritik der praktischen
Vernunft<; in Reclam-Ausgabe, denn so konnte ich diese >Kritik< in
meinem Waffenrock bergen. Nicht aber könnte ich sagen, ich hätte Kant selbst
in reiferen Alter zu jeder Zeit gänzlich verstanden, denn dazu reichte mein
Verstehen zuweilig nicht aus. Ich bemühte mich, daß in mir aufzunehmen, was
ich durch ihn nun auch zu erkennen können vermeinte, um danach mein Leben zu
leben.Mit der Philosophie erging und ergeht es mir so, wie mit dem Bund, an dem
sehr viele Schlüßel hängen; und immer suchte und suche ich einen passenden,
für verschlossene Türen, zu finden. Manchesmal passt solch ein Schlüßel
sofort, ein anderesmal muß ich auch langmächtig suchen. Zuweilen muß ich mit,
und auch ohne Geschick, selbst noch ein wenig dran feilen.
Man sagt, es sei der Philosophie trotz jahrtausenderlanger Bemühungen noch
nicht gelungen, eine allgemein anerkannte Linie zu finden, die alle
philosophierenden Geister einigen könnte. Denn bisher gab es zu jeder
Erkenntnis >wenn< und >aber<. Der eine äußerte seine Bedenken
sanft und voll Kummer, andere wie Schopenhauer zum Beispiel, zogen zuweilen auch
forscher vom Leder. Solcher Gerede aber vermag offenbar den Pilosoph nicht aus
seinem Gleichmut zu bringen. Denn was bereits allgemein anerkannt würde, so
argumentiert er, habe mit eigentlicher Philosophie nichts mehr gleich, da es ja
dann ein allgemeines wissenschaftliches Erkennen, bindendes Gültiges, sei.
Freilich dachte ich oft, mein Gott, wie schön müßte
/587, 588/AE 9
es sein, dem Sucher nach letzten gültigen Dingen, wahres Wissen geben
zu können. Aber es ist nichts als höchstens ein Glauben an ein vermeintliches
Erkennen, je nach Vorstellung des einzelnen. Glücklich ist schon derjenige zu
nennen, der sich ein Weltbild zurecht bauen kann, darin aufgeht und seine innere
Befriedigung aus dieser Vorstellung erhält und dieses für sich als vorläufig
gültig betrachtet.
Das Suchen nach Wahrheit, daß wird ein Ende nie haben; denn nichts hat ein
wahres Ende im Sein.
Würde ein Ende es geben im Sein, und wir wüßten darum, dann wären wir
satt von der Wahrheit und traurig zugleich.
Und ohne dem Hunger nach der Wahrheit, würde keiner mehr suchen. Und das
menschliche Leben aber, wäre um vieles noch schwerer.
Heute verwirft er, was gestern nach Gültigkeit hatte.
Und heutiges Erkennen, wird morgen vervollkommt.
Dies ist das Werden.
Ein Ende jedoch findet er nie auf die Frage: was ist die Wahrheit der
Dinge?
/589/AE 10
(2)
Nicht sehr zahlreich so denke ich, sind die Fälle denen das Schicksal eine
solche Konzentration des Schauerlichen vor Augen geführt hat, wie gerade mir.
Und es hat mich bis jetzt obendrein all dieses als Mensch überlesen lassen.
Den Krieg mit seinem Grauenhaften und das Nachkriegsgeschehen; vor allen,
dann auch die Mühen des Existenzkampfes in Übersee, weniger die physischen
Belastungen durch Klima und all des Ungewohnten – dies trifft auf Tausende zu
– als vielmehr die psychische Last, bedingt durch die Anonymität der Person;
die Entführung aus Argentinien schließlich, und den darauf folgenden
Monsterprozess gegen mich.
Ich habe mich selbst oft gefragt, wie ich dies alles habe überstehen
können, ohne selbst Hand an mich zu legen, um endlich alles mit dem gnädig
zudeckenden Tuch einer freiwilligen und gewollten Daseinbeendigung als Mensch,
zu verhüllen.
Aber dadurch, hätte ich Schuld zugegeben, die ich nicht hatte noch habe. Und
in dem Maße ich mich in die Philosophie flüchtete, wurde meine Neugierde, mein
Wissenwollen, immer größer als die mich umfangen haltende augenblickliche Not;
stets gewann ich sodann an Abstand von dem Leide des Alltages, und nichtig
erschienen mir meine persönlichen Sorgen. Und ich erkannte, daß es für mich
kein Ende gäbe und ebenso wenig ein Nichts. In fernen, fernen Endlichkeiten
wird die Zeit sich wieder im Raume verlieren; aber ich weiß zugleich, daß für
mich abermals neue >Zeiten< bereit sind. Und dann erkenne ich, wie die
gebundene Enge des Augenblicks mich verläßt. Das Leid des Tages
/590/AE 11
Flieht, nur ich bleibe umstrahlt vom belebenden Glanze, mich ewig
beschützender Sonnen.
(3)
Ich war von Kindheit an, in protestantischer Erziehung aufgewachsen. Und als
ich längst schon in der SS, ja fast drei Jahre schon im Sicherheitshauptamt
war, hing ich noch immer in konservativer Verharrung dem Glauben meiner Väter
an.
Erst im Laufe des Jahres 1937, meldete ich aus freiem Willen und aus eigenem
Antrieb, meinen austritt aus der evangelischen Kirchengemeinde, bei irgend einer
Gerichtsstelle in Berlin-Neuköln an. Es waren keine politischen Überlegungen;
ich konnte ganz einfach den Inhalt der Bibel nicht mehr als daß gläubig
für mich betrachten, was sie vorgab vermitteln zu können, nämlich die
gültige Wahrheit der letzten Dinge. Ein zürnender und rächender Gott war mir
unvorstellbar geworden; solches schien mir zu menschlich, keinesfalls göttlich.
Und je mehr ich damals forochte, umso lockerer war das Gefüge, was ich bis
dahin als etwas Fundamentales betrachtete. Ich glaubte zu erkennen, das daß,
woran ich bis dahin glaubte, das Ergebnis der streibaren, rechthaberischen und
eifernden Kirchenväter der ersten Jahrhunderte der neuen Zeitrechnung war die
sich , welche jenes, welches Christentum genant ist, zurechtphilosophierten.
Sei es das Trinitätsdogma oder die Vielzahl
/591/AE 12
der anderen Dogmen. Sei es der Streit um die Göttlichkeits- oder
Menschlichkeitsthese Christus betreffend, mit dergleichen mehr.
Auch die Luhter-Melanchthon‘sche Reformierung dieses philosophischen
Gebildes fußte weitgehend auf dem Geistesgut der klassischen Philosophen des
alten Griechenlands, ebenfalls vermischt mit anderen Religionsphilosophien. Und
nachdem auch die evangelische Kirche kein Wissen vermitteln konnte,
sondern die Seligmachung im Glauben verkündete, glaubte ich, daß es
sicherer und einfacher sei, wenn ich mich küftig allein mit meinem Herrgott
zusammen fände, ohne mich der Vermittlung evangelischer Pastoren zu bedienen,
zumal auch sie den menschlichen Schwächen unterworfen watren, genau so,
wie auch der Protestantismus selbst Menschenwerk ist.
Daran hat sich bei mir bis heute nichts geändert und wird sich nichts
ändern.
Außerdem hat auch die Luther-Melanchthon‘sche Lehre genügend Unheil über
die Menschen gebracht. Oder sollte ich mich irren, wenn ich z. ? die Geschichte
des dreißigjährigen Krieges betrachte?
Als ich während des Prozesses gegen mich in Jerusalem vereidigt wrude –
als Zeuge in eigener Sache – sollte ich nach üblicher Gepflogenheit, mit der
Hand auf die Bibel den Eid leitsten. Meiner Überzeugung gemäß erklärte ich,
daß ich auf die Bibel nicht schwören werden, sondern bei Gott, denn ich sei
gottgläubig;
/592/AE 13
Dieses stimmt, denn das bin ich. Aber ich vermag nicht zu personifizieren.
Ich glaube an eine allwaltende und allmächtige Schöpfungskraft, Lenker dessen
was war, was ist und was kommt. An "das Gott"! Und ich der
Mensch, bin gemäß dessen Wollen und dessen Toleranz ein Mitfließendes im
Fließen des Werdens, in unserem Sein.
--
Ich bekam von einem protestantischen Pastor i.R., Paul Achenbach einen Brief,
den er am 11. September 1961 schrieb. Er lautet u.a.:
"An den Angeklagten Eichmann, z.Zt. Israel.
… Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, daß Ihre Auffindung in der
weiten Welt für Sie persönlich zugleich Gottes Gericht, aber wenn es zu einem
Schuldbekenntnis käme, auch Gottes Gnade bedeuten könnte.
… Ihre moralische Schuld haben Sie, soweit ich sehe, nicht geleugnet. Sie
suchten dieselbe aber wohl zu verkleinern.
… Wenn ich mich jetzt mühe, Ihnen innerlich ein weinig weiterzuhelfen,
dann tue ich das, im Angesicht der Ewigkeit, vor der sie stehen.
… Ein offenes, wahrhaftes, aufrichtiges, alles umfassendes Geständnis vor
Menschen, wird auch von Gott in der oberen Welt aufgenommen. Ein solches kann
nicht nur für Sie, sondern auch für unser unter Gottesgericht stehendes
zweigeteiltes deutsches Volk, ungeahnte Auswirkungen haben – im Blick auf
Begnadigung von Gott her." (175)
/593/AE 14
Des weiteren spricht der Schreiber von einer Studienreise, die ihn nach
Israel führte, von seinem Besuch im Gerichtssaal während des Prozesses gegen
mich, vom "jüngsten Gericht" und vom Teufel als Ankläger und anderes
mehr.
Ich habe darauf folgendes zu sagen:
"An den Pfarrer Achenbach, z.Zt. Bad Krozingen.
Ich wüßte nicht, daß ich Sie darum gebeten hätte, sich meinethalben
abzumühen.
Ihr versuchter Druck auf mich, meinerseits Schuld zuzugeben (worum Sie den
Inhalt Ihres Briefes nach zweifellos die rechtliche Schuld meinen, da Sie
an anderer Stelle, von moralischer Schuld sprechen), wo solche
nicht vorliegt, weise ich als eine namaßende Nötigung Ihrerseits, zurück.
Ich darf Sie sowohl auf mein Schlußwort, als auch auf das Kreuverhör meines
Verteidigers, im Falle des Zeugen der israëlischen Anklage, des evangelischen
Probstes zu Berlin, Grüber, hinweisen.
Ich empfehle Ihnen ein eingehendes, einschlägiges Quellenstudium, eher Sie
predigend Ihren Mund zur Nötigung öffnen. Ich fürchte, daß sonst Ihr
"Teufel" am "Jüngsten Tage" sich darüber freuen könnte,
daß Sie sich wegen versuchter Verleitung eines Angeklagten zu falscher Aussage,
schuldig gemacht haben.
Ihre inquisitorischen Eigenschaften, sind mir nichts Neues, wenngleich ich
wahrheitshalber
/594/AE 15
Feststellen muß, daß gottlob nicht alle protestantischen Geistlichen
so sind, wie Sie, wo keine rechtliche Schuld vorliegt, laße ich /2
Zeilen gestrichen, unleserlich/ mich auch durch Sie nicht dazu zwingen,
solche zuzugeben, nur wenn es Ihnen so paßt."
(4)
Ich sagte, daß ich freiwillig zur SS gestoßen sei. Dies stimmt auch. Und
die Gründe die mich bewogen, nannte ich schon.
Welch eine Fülle innerer Kämpfe standen mir noch bevor. Ich konnte es auch
nicht annähernd ahnen. Einem Schwimmer war ich vergleichlich, der in ein Tang-
und Schlingpflanzengewässer gerät und nunmehr bestrebt ist, herauszukommen aus
diesem Durcheinander, um wieder klare Wasserbahn zu gewinnen.
Das Gewässer war – zum Vergleich – für mich die SS; das Durcheinander
in daß ich geriet, war jenes Konglomerat, welches die damalige
>Weltanschauung< in Wirklichkeit bildete. Da die Grenzen des Gedanklichen
dieser Anschauung ich möchte einmal sagen, auch mit den Grenzen und Interessen
des >Reiches< endeten, würde man diese trefender und genauer mit
>Reichsanschauung< zu bezeichnen heben.
Und hätte ich in jener Zeit den Rat meines Religionslehrers befolgt und in
diesem Gedanken-Durcheinander, zum Zwecke der Gewinnung einer freien
Gedandenbahn, Kant‘sche Erkenntnisse weiter bedacht, wer weiß, wie sich meine
innere Konfliktstellung ausgewirkt hätte. Ich weiß, es ist müßig mit
>hätte< und >wenn< zu bedenken, denn Tatsache ist, ich tat es ja
nicht. Eine Weile versuchte ich noch, Kant‘sches Fordern meiner damaligen
national-
/595/AE 16
Sozialistischen Überzeugung anzupassen, und ich muß sagen, es ging eine
zeitlang recht gut. Freilich immer nur in dem bescheidenen Rahmen des
auffassenden Vermögens meines Gehirnes.
Dann aber kam der Augenblick, wo es zum Sprung kam und jegliches
Einpassenwollen vergeblich war; jene Zeit, wo selbst ein wenig Sophisterei,
deren ich mich – wie könnte ich es leugnen – zur abrundung des Ganzen
oftmals bediente, hier nicht mehr half.
Es waren die Zeiten, in denen mein Chef mich als Berichterstatter zu den
verschiedenen Tötungsstellen befahl.
Ich aber ließ es, dies muß ich sagen, in der Folgezeit an jener
Gesinnungsethik fehlen, die man füglich von einem Menschen hätte erwarten
können, der sich mit solchen Gedankengängen überhaupt schon befaßte. Aber,
es ist nachher stets leicht zu reden und zu rechten, denn da waren es auf der
anderen Seite auch wiederum äußere Bande, denen ich mich zu unterwerfen hatte.
Denn abgesehen vom Eid, den ich getreu zu erfüllen bestrebt war, hatte mich
meine zuständige Behörde nach meiner Versetzung im Spätherbst 1939, über das
Wehrmeldeamt zur Kriegsdienstleistung bei der Geheimen Staatspolizei
verpflichten lassen.
Einer solchen Verpflichtung hatte ich mich zu beugen, denn solches war
damals, - wie heute in ähnlichen Fällen, - gültiges Gesetz, dem der einzelne
sich auf legalem Wege nicht zu entziehen vermochte.
/596/AE 17
Aber wie sah nun mein Schlingpflanzengewässer, das damalige Konglomerat
meiner Anschauungen, mit dem ich mich abplagen mußte innen, aus. Ein Schuß
nationaler Egoismus, verment noch mit Selbstsucht. Dazu kam etwas romantischer
Idealismus, auch fehlte zuweilen ein wenig vernünftige, nüchterne Sachlichkeit
nicht, um die Dinge gegenständlich zu sehen. Im übrigen ging sie bald auf, im
kollektivistischen Denken und noch vorhandene individualistische Tendenzen
wurden diesem, gemäß dem geschworenen Gehorsam, nach und nach geopfert. Die
Unvernunft der Staatsführung sah ich zuweilen, wenn sie ihre besonderen Blüten
trieb und flüchtete mich, weil ich mit meinem Idealismus nicht mehr weiter kam,
endlich und letztlich in einen materillen Naturalismus hinein. Die Grundtendenz
aber wurde trotz allem stets pessimistischer. Meine persönlichen
Lebensanschauungen dievergierten zwar mit einem Teil der gepredigten offiziellen
>Weltanschauung<, aber allmälig nahm ich so ziemlich dann alles
vorläufig einmal in mir auf, was sich so bot. Freilich, eine bedingungslose
innere Aufnahmebereitschaft und ein fanatisches Wollen für alle
nationalsozialistischen Ziele konnte ich nicht aufbringen, denn dazu reichte es
in einem Herzen voll Zweifel, wohl nie.
Meine klare innere Anfangslinie nach meinem Kirchenaustritt konnte ich nicht
mehr in ihren Konsequenzen weiter verfolgen. Ich arbeitete zwar in mir und an
mir, wie der "Schopenhauer‘sche Bergsteiger", der den ungesicherten
Berpfad ohne Bergführer erarbeitet, dafür aber das Gefühl der Freiheit
bekäme. Und es ist sicher, daß es mir in normalen Zeiten gelungen wäre,
/597, 598/AE 18
hier auch die von mir stets erstrebte, ausgeglichene innere Ruhe und
Sicherheit zu erlangen.
Aber ich war in eine außergewöhnliche Zeit und in außergewöhnliche
Umstände hineingestellt worden, wofür bisher Gültiges und Praktiziertes nicht
nicht erprobt war.
Meine persönliche Arbeit an mir, wurde überlagert und verdrängt durch
totale staatliche Maßnahmen von einer Art die ich verwarf, und denen ich
selbst, gegen meinen Willen, unterworfen war. So kam es zur Spaltung zwischen
meinem inneren Ich, mit dem ich nur noch zu einem kleinen Teil meiner Führung
dienlich war, und zu meinem äußeren Ich, welches ich fast gänzlich der
Führung hingab, denn es war Krieg. Ich trieb eine Art gewollte und bewußte
Schizophrenie.
Dieses Gespaltensein wurde ausgelöst durch mein Nichtverstehenkönnen, im
Hinblick auf die Art der Behandlung von unbescholtenen Zivilisten durch die
damalige deutsche Staatsführung, ihre Anmaßung gegenüber den Zivilisten
ausländischer Staatsangehörigkeit in sonderhordt, und danach das Nicht mehr
mit kommen können bezüglich staatslicherseits befohlenen Massenmordes an den
Juden.
Da ich jedoch damit nicht direkt befaßt war und mein Handeln an der
Mitwirkung der Deportation weder meinem Willen entsprach, noch von mir aus
abgestellt werden konnte, ich solches überhaupt nicht einmal zu beeinflußen
vermochte, lagen meine Hemmungen, der Hauptsache nich bei meinem inneren Ich.
Mein äußerer Mensch, zwar ohnedies gebunden, gehorchte eidgetreu der
Staatsführung, denn Deutschlands Feinde hatten sich, so wurde es uns gepredigt
und wir sahen es auch, zum Ziel gesetzt, mein Vaterland zu vernichten. Und
gemäß meiner damaligen Auffassung über Fahnen- und Diensteid, kam für mich
nur der legale Weg im Hinblick auf Änderung meiner
Kriegsdienstverwendung in Frage. Denn der Vernichtungswille unserer damaligen
Feinde, appelierte auch trotz der Tollheiten der eigenen Staatsführung, an mein
damaliges vaterländisches Gewissen.
Der Fehler, abgesehen vom grundsätzlichen, war, daß mich meine damalige
Führung an einen für mich vollen ungeeigneten Platz stellte, den ich von mir
aus nicht zu wechseln vermochte, es sei denn, über den Weg der Desertation. Den
Weg aber lahnte ich ab.
Dies alles aber schuf in mir eine innere Zerrissenheit; das gerade
Gegenteilige von dem, was ich als Gleichwertig, ja besser noch als den
verlorenen Jugendglauben, fast schon vermeinte, mir erarbeitet zu haben.
Dieses Vermeinen lag in den Jahren 1937 bis Ende 1939-
Aber ab dieser Zeit sank die Kurve der inneren ruhe sehr steil nach abwärts.
Und wäre ich um diese Zeit noch in einer Kirchengemeinschaft gewesen, so hätte
auch diese an meinem inneren Zustande nicht zu ändern vermocht, noch an meiner
äußeren Bedingung.
Es war die Zeit nach dem ich zum Geheimen Staatspolizeiamt versetzt wurde.
/599/AE 19
Dabei hatte ich noch nicht einmal mit jenen charakterlichen Hemmblöcken zu
kämpfen, wie Neid, Habgier, Grausamkeit, Haß oder Rache. Davor war ich dank
meiner Jugenderziehung und dank der Tatsache, daß ich die Arbeit an mit selbst,
zu keiner Zeit gänzlich aufgab, gefeit.
Dafür aber sah ich den Tod an allen Ecken und Enden jetzt, in seinen
furchtbaren Formen.
Die einzige Erkenntnis, die ich auf Schritt und Tritt in jener Zeit
bestätigt fand war, daß die Welt, in der ich als Erscheinungsform Mensch zu
leben hatte, nie und nimmer die beste, sondern nur die allerschlechteste sein
mußte, die man sich denken konnte.
Ich hielt das Menschsein für sinnlos, denn so sehr ich auch forschte, ich
konnte bei dieser Massenvernichtung der Menschen, auf Freund und auf Feinseite
keinen höheren Sinn im Walten der Natur mehr erkennen; ja nicht einmal eine
ganz gewöhnliche Nebenabsicht vermochte ich zu erdenken.
Und im Stillen beneidete ich die Träger des gelben Budha-Gewandes, denn
dieser versuchten aus der pessimistischen Einstellung zu den "Dingen der
Welt", für sich wenigstens noch das Beste herauszuholen, und taten solches
offensichtlich – im Gegensatz zu mir – mit Erfolg.
Und wenn ich alles so recht bedachte, was hatte ich noch einige Jahre vorher,
für ein sonniges, frohes Gemüt; unbeschwert, optimistisch, ohne irgendwelche
Konflikte, --
Meine harmonische Ausgeglichenheit wich
/600/AE 20
In zunehmeden Maße der Disharmonie einer inneren Verkrampfung und mir blieb
als einziger eruhigender Trost, daß andere, mir noch bevorstehende Welten, auf
keinem Falle schlechter sein können, als die von mir jetzt als Mensch zu
Durchstehende; eine Welt der aufgezwungenen Komplexe. Aller Voraussicht nach
aber – so überlegte ich weiter – weil sich höheres Schöpfungswalten nicht
im Negativen verlieren könne, müßten nach meiner Erkenntnis, kommende
Lebenswelten daher zwangsläufig bessere sein; denn von allem organischen Leben
ist mir keines bekannt, daß vorsätzlich Schlechtes, statt Gutes setzt;
ausgenommen der
Mensch. –
Beweisen freilich konnte dieses – mit den guten und schlechten Welten –
niemand, aber trostreich war‘s doch. (Und zu meinem Pessimismus gesellte sich
während des Krieges ein gehöriger Schuß Fatalismus; welch letzteren ich bis
heute nicht abstreifte). Solches ergab dann für mich immerhin einigen
Hoffnungsschimmer. Und so sher war ich von solchen Gedanken verhaftet, daß ich
für meine Person beispielsweise nur dann während der Bomebenangriffe den
befohlenen Unterstaand aufsuchte, wenn ich mich dem, aus Gründen der Disziplin
nicht glaubte entziehen zu können.
(5)
Mein Egoismus und meine Selbstsucht, galten in ihrer eigentlichen Bezogenheit
und in bewußter Hinsicht zum weitaus übrwiegenden Teile meinem Volk und meinem
Vaterland. Es war richtiger gesagt, nationaler Egoismus.
Die Initialzündung hieß "Versailles"; daran läßt
/601/AE 21
Sich nichts ändern. Dieser einmal in Umlauf gekommene Motor, wurde durch
meine Umgebung weiter angetrieben. Meine haltungsmäßige Einstellung zum
Nationalsozialismus, volk und Staat, wurde aus der Situation heraus geformt, die
mich umgab.
Die weitere Formung meines Verhältnisses des "Ich" zum
"Reich", verlief ab nun in jenem Bereich, indem nach und nach der
nationale Stelbsterhaltungsgedanke die Dominante spielte, und der letztlich in
der gepredigten These: "Recht ist, was dem Volke nützt", gipfelte.
Selbstsucht leitet den Menschen als einer seiner Haupttriebe, denen er
unterworfen ist, von Anfang an. Seit jenen fernen Zeiten, da er als
Einzelgänger noch, oder schon Hordenweise, persönlichen Krief und Kampf gegen
alles zu führen hatte, um überhaupt sein Leben behalten zu können.
Später, viel später vereinigten sich dan die Menschen teils unter Druck,
teils ohne solchen zu einer Gemeinschaft, zum Staat. Sie leisteten dem Stammes-
oder Staatsführer Gehorsam; in diesem Kollektiv wurde ihnen ihre Existenz
offenbar besser garantiert, als sie solches früher je schaffen konnten. Was das
Oberhaupt ihres Gemeinschaftswesen für richtig hieß, war füglich gut, alles
andere war schlecht. An dieser Einstellung hat sich bei den verschiedenen Formen
des menschlichen Gemeinschaftslebens bis heute im Wesentlichen nichts geändert.
- " -
/602/AE 22
(6)
Die Untergangsprophezeihungen des eigenen Volkes bei nichterfüllter Pflicht,
welche von der Staatsführung propagandistisch ausgestreut wurden, glaubte man;
auch ich glaubte sie. Und so unrichtig war sie im übrigen auch gar nicht.
Stelbstverständlich wollte auch ich die Unrechtbeseitigung von Versailles;
wollte die Beseitigung der vielen katasrophalen Folgen dieses Diktates. Ich
gehörte auch zu jenen, die ein großes und freies und starkes Reich erhofften
und ersehnten. Dessentwegen hatte ja auch ich damals alle meine
Lebensbequemlichkeiten, denen ich nachhängenkonnte aufgegeben. Und ich war der
Meinung, daß ein starkes Reich, mit einem geeinten Volk alleine schon die
Garanten dafür wären, daß diesem Volk und Reich gegenüber, dann ein anderer
als der "Versailler-Respekt", an den Tag gelegt worden wäre.
Aber durch die Nichtachtung alles Nichtnationalsozialistischen, in dem
Zertreten jedes anderen Willens und Wollens durch den Unduldsamkeitsfaktor der
nationalsozialistischen Reichsregierung, eine Tatsache die ebenso bedauerlich
wie schmerzlich ist, entstanden in der Folgezeit notwendigerweise die
Komplikationen und Katastrophen, deren Traurigkeit wohl in ihrer Größe, bisher
einmalig in der Geschichte dastehen.
Ich glaube, es gab nur wenige, welche der Meinung gewesen waren, die Parolen
und Drohungen der Kampfzeitredner, würden nach der Machtergreifung, zur
Wirklichkeit werden. Vielmehr
/603, 604/AE 23
dachten doch alle, daß die von der Führung nach der Revolution versprochene
Evolution , für bare Münze zu nehmen sei. Und daß dann ein friedliches
Nebeneinanderregieren im Kreise der europäischen Völkerfamilie anheben würde,
nachdem die Einsicht der anderen Seite, zu Konzessionen deutscherseits führen
werde, womit dann im Laufe der Verhandlungen alle schwebenden Probleme, auf dem
Verwaltungswege ihre Erledigung finden würden.
Ein "tanzender Kongress" sollte fröhliche Urständ feiern.
Aber leider zeigte sich hier die unvernünftige Intoleranz, gepaart mit
machthungrigem Ehrgeiz seitens der Führungsspitzen des Reiches. Dies ist eine
Tatsache, die nicht zu umgehen ist. Ihr Vorgehen war vergleichlich, den
mächtigen Volksbeherrschern der alten und teilweise nicht mittleren Zeiten. Sie
bedachten dabei aber nicht genugsam, die mittlerweile außerordentlich fein
verästelten Bindungen und Beziehungen in kultureller, wirtschaftlicher und
politischer Hinsicht, welche das Leben der Völkerfamilien untereinander
regelten und von denen sie abhängig waren; und daß hier eine jede Störung
dieser empfindlichen Maschinerie zu Konflikten führen mußte. Vielmehr
waren sie von ihrer Macht dämonisch besessen und nicht achtend, das besonders
gefühlsgebundenem Denken unserer Zeit. Sie waren stehen geblieben, ja sie
schraubten wieder zurück, in das absolutistische Denken der
"Herrenmoral".
Es waren rückläufig betrachtet, ohne jede zwingende Notwendigkeit,
Hasardeure, die da leichtfertig
/605/AE 24
Glück und Freiheit der Natinen in ihnr Spiel warfen. Ich sage rückläufig
betrachtet, denn mein damaliges Eigenurteil war zufolge meiner untergeordneten
Stellung welche ich in der Hierachie, bekleidetet, ein recht beschränktes.
An Informationsmaterial stand mir freilich mehr zur Verfügung, als den
damaligen Durchschnittszeitgenossen, aber Kontakt mit den hohen Führungsstellen
hatte auch ich keinen. Meine persönliche Meinung war uninteressant und ist es
bis zum Mai 1945 geblieben.
Daß ich zu einem unbedingten Bejaher zu allen Maßnahmen der
ehemaligen Reichsregierung geworden wäre, dies erlaubte mit der von mir
gepflegte Rest, des über alles hinüber geretteten romantischen Idealismus
nicht. Ehner ich mit dem Nationalsozialismus Bekanntschaft machte, war dieser
der mich ausfüllende Hang; ja noch mehr, er gab mir jenes Gefühl, welches in
mir freudhafte Glücksvorstellungen hervorzuzaubern in der Lage war. Es hatte
nichts zu tun mit der Burschenschaftsromantik. Eher noch möchte ich ihn als
einen primitiven romantischen Idealismus bezeichnen; ein Zustand, in dem
ich mich der Naturschwärmerei, ohne Grenzen und Zügel, frei hingeben konnte
und in ihm ein wunderbares Gefühl der inneren Ruhe erlangte. Und ich schäme
mich selbst nicht einer Umdrehung der Worte, wenn ich sage, ich hatte den
romantischen Idealismus eines Primitiven. Denn ich war damals
/606/AE 25
Jedenfalls unverbildeter und glücklicher daran, als später, wo ich mich im
Sumpfe der inneren Unfreiheit befand und mich mit einem halben Dutzend und mehr
der verschiedenen Anschauungen herumzuschlagen hatte.
In die Reste dieser schönen Erlebniswelt, konnte ich mich dann flüchten und
tat es zuweilen auch, wenn ich mich hinten und vorne, nicht mehr auszukennen
glaubte, und mit nichts mehr zurecht kam. Es war eine Art Medizinschrank, den
ich mir hielt. Und ein Adalbert Stifter und Peter Rosegger, bereiteten mir
Genuß. Während all der Jahre in Berlin lag auf dem Schreibtisch meines
Privatzimmers, Roseggers reizende Gebirgsheiligenabendbeschreibung "Als ich
noch ein Waldbauernbub war". Ich habe sie oft und oft gelesen. Ein völlig
anspruchsloses Geschichtchen, aber sollte jemand mit Nein-, Habgier- oder
Machtgedanken liebäugeln, dann lese er diese Erzählung; bedachtsam und mit der
Ruhe des Bergbauern.
Die jungfräuliche Schönheit des Böhmerwaldes, die wohltuende Stille des
Alleinseins in der Welt der Gebirge und die von mir in diese Bereiche
hineingelegten und hineingedachten Überlegungen und Vorstellungen über das
Werden des Seins im Laufe der Zeiten, und meine eigenen Beziehungen zu diesem
Werden, ließen mich mit dem Versenken in diese Welt, alle Doktrinen und mich
verdrießendes Gegenwartsgeschehen vergessen.
Selbst heute noch, im Gefängnis zu Israël
/607/AE 26
Greife ich zu dieser erprobten Methode zurück; denn das Gefangensein und
Gefangenendasein, bringt nun einmal eine solche Fülle von Ungelegenheiten mit
sich, daß ich schon oft und oft dem Tag nach der Nacht grau war, der mich ihm
auf‘s neue erleben ließ.
Es gibt keinen Zweifel, daß der Tod besser ist, als die Gefangeschaft, aber
der Mensch tut gut daran, seinem Schicksal nicht auszuweichen. Und jedenfalls
sind die Kräfte aus diesen herrlichen Vorstellungswelten jeweils stark genug
gewesen, mich stets noch "auf andere Gedanken zu bringen". Aber ich
will ja jetzt nicht von meinen gegenwärtigen Gefühlen sprechen, sondern mich
in die vergangene Zeit zurück zu versetzen suchen. –
Daß ich solche "Ausflüge", zur inneren Ruheherstellung, zur
inneren Gleichgewichtshaltung benötigte, war sicherlich ein Zeichen, daß da
etwas nicht in Ordnung war. Dieses ist sicher. Aber ich konnte daran nichts
ändern, denn ich war weder Ursache, noch Wirkung; auch ich war zum Spielball
der Zustände geworden. Ich mußte ja selbst oft gegen mein Wollen, gegen meinen
Willen gehorchen.
Die meisten der Befehlsempfänger von damals sagten sich – wenn es wieder
einmal gegen ihren Strich ging – "Ach was, habe der Teufel den
Satansbraten; ich habe meinen Dienst zu schieben und hinter mir die
Sintflut". Ich will offen genug sein und zugeben, daß auch ich mich mehr
als einmal, hinter dieser Beruhigung auslösen sollenden Pille verschanzte. Nur,
es war ohne jede innere Wirkung.
/608/AE 27
Daher verlor ich mich lieber in meine zwar stets konfuser werdenden
Betrachtungen. Freilich hatte er etwas für sich, der Standpunkt der Realisten,
denn er nahm die Dinge eben entgegen, wie sie sich ihm boten. Ich verfügte aber
nicht über die Robustizität des Gefühls, welche dazu vonnöten gewesen wäre.
Natürlich konnte auch ich aus meinen schwärmereischen Liebhabereien
beraustreten in die Wirklichkeit, auch ich konnte meine tausend Bedenken einmal
verlassen und dann zweifelsohne manche Fortschritte feststellen. Es gab da zum
Beispiel keine Arbeitslose mehr. Es wurden Werte geschaffen in baulicher
Hinsicht; auf dem Gebeite der Produktion, welche wieder angekurbelt war, ob die
Art der Arbeit und die Vehemenz mit der sie vorwärts getrieben wurde, im
Hinblick auf die Mißtrauenssteigerung, den Neid und die Habgier des Auslandes,
vom Vernunftstandpunkt aus diktiert wurde, dieses konnte ich damals nicht
beurteilen, denn daran dachte ich nicht einmal. Heute muß ich solches füglich
bezweifeln. Wenngleich es ja eigentlich eine innerdeutsche Angelegenheit war und
auch geblieben wäre, hätte unsere damalige Führung nicht in ihrer Unvernunft
ihren "Justamentstandpunkt" derart säbelrasselnd vertreten; ein
Unterfangen, welches unsere Nachbaren kopfstutzig machen mußte. Die Behandlung
der Judenfrage, durch die damalige deutsche
/609/AE 28
Regierung tat ein übriges, um Abkapselung und den Boykott gegen Deutschland
zu festigen.
Und Anfangserfolge verführten die Spitzen des Reiches, zu leichtfertigem und
unüberlegtem Tun, präsentiert in immer neuen Forderungen. Gleichwohl mußte
endlich auch nach Danzig vom Zaune gebrochen werden. Und diese Stadt sollte zum
Schicksal Deutschland und seines Volkes werden.
Schuld an dem ganzen unheilvollen Entwicklungsprozess hatte aber nicht nur
die damalige politische Führung, wenngleich sie die entscheidende Verantwortung
trug, sondern auch die deutsche Hochfinanz jener Zeit. Sie schürte und trieb
genau so, wie die internationale Hochfinanz, dieses steht außer Zweifel.
(7)
Nun, wie die Dinge einmal lagen, gab es vieles, zu dem man bejahend stehen
konnte; aber mindestens ebenso vieles geschah, wo einem Menschen wie mir, nur
das Eintauchen in andere Welten, die Flucht aus dem Alltag ernöglichte. Dieses
ewige Suchen und Dochnichtfinden, zerriß mich mehr, als ich mir davon
Erleichterung erhoffen konnte. Und der Schluß: nachdem ich doch nicht
entscheiden konnte, dann ganz "untertauchen", im kollektivistischen
denken. Im Denken nit der Masse. Die
/610/AE 29
Masse war für mich damals die SS. Sie war ferner die gesante NSDAP und will
man weitergehen, der Großteil des deutschen Volkes, daß ja im Wesentlichen
auch nicht gefragt wurde, und nicht anordnete, und auch nichts abstellen konnte.
Hier im Kollektiv war die Gelegenheit, als Einzelpersönlichkeit zu
verschwinden und sich ideologisch gleichzufühlen mit dem Massendenken. Ich
fühlte mich nicht unwohl bei diesem Gedanken, denn es lag mir ohnedies, - zu
keinem Zeitpunkt meines Lebens, von mir aus ein höheres Maß an Verantwortung
zu übernehmen, als ich ein solches zur Existenz meiner Familiie glaubte
übernehmen zu müßen. Darüber hinaus aber kein Quäntchen mehr.
Mit irgendwelchem Ehrgeiz oder gar Machthunger war ich nicht ausgestattet.
Möglich, daß ich daher auch meistenteils mit allen Kollegen, Kameraden und
Vorgesetzten, gut auskam; denn ich war im ihren persönlichen Ambitionen zu
keiner Zeit je ein Hindernis gewesen. Möglich, daß ich dieserhalb schließlich
auch vier Jahre lang auf meinem Oberstleutnant sitzen blieb, während Kameraden,
mit denen ich lange Zeit gleichrangig war, inzwischen zu Generalen befördert
wurden.
Möglich, daß ich aus diesem Grunde auch mit dem jüdischen Funktionären,
mit denen ich zu tun hatte, gut auskam und
/611, 612/AE 30
sie mit mir.
Ich sage "möglich", denn wissen tu ich gar nichts.
Freilich das Kollektiv war nichts anderes als ein militärisch
durchgegliedertes Instrument; mehr oder weniger scheint straffste Ordnung und
System, allem Kollektiven eigen zu sein. Kritikloses, blindes Gehorchen,
Disziplin und Opferbereitschaft. Dafür versprach das SS-Kollektiv im Frieden
materiell gesehen eine Sicherung der Existenz, im Kriege den sehr möglichen
Tod.
Hat man sich einmal mit dem kolletivistischen Denken abgefunden, dann ist es
ein relativ bequemes Leben; ich meine jetzt weniger vom Standpunkt des
leiblichen Lebens, sondern ich habe dabei das Inneleben im Auge.
Freilich verlangt ein solches Denken schließlich und endlich eine gewisse
Oberflächlichkeitsbereitschaft. Der eine bringt dazu von Haus aus die Neigung
mit, dem anderen wird solches, ohne daß es ihm noch recht bewußt wird,
anerzogen und der dritte – ich möchte es einmal bildlich ausdrücken –
flüchtet sich sogar in diese Bereitschaft hinein, weil er – egoistisch wie er
nun einmal denkt – der Meinung ist, dergestalt jeder inneren persönlichen
Problemstellung, mit all den zermürbenden Zweifeln, die ihn nie zur Ruhe kommen
lassen wollen, entrinnen zu können. Das weltliche Kollektiv nach Art der SS,
verlangte die befohlene Arbeitsleistung und die Bejahung
/613/AE 31
zur "Weltanschauung des Nationalsozialismus". Da diese aber noch
etwas völlig Unausgegorenes, von allen möglichen Erkenntnissen und
Vorstellungen Zusammengetragenes war, gab es eigentlich so recht auch keinerlei
geistige oder "weltanschauliche" Aufsicht, die Vertiefungen in diesem
Bekennen hätte feststellen oder fördern können; die da lenkend und leiten
hätte Geistesgut nach bestimmtem Plane vermitteln können. Freilichm da gab es
die Ordensbürgen, auch die SS-Junkerschulen. Einmal aber waren diese
Einrichtungen, zeitbedingt, auf rein kriegsmäßige Belange abgestellt und zum
anderen, waren es Nachwuchsangelegenheiten. Um die Probleme der
"Alten", kümmerte sich keiner. Hätte sich schließlich und endlich
auch keiner zu kümmern brauchen, da weder ich noch andere, Ammenhilfe
verlangten. Aber in dem Maße, in dem die Staatsführung von der herkömmlichen
Rechtsnorm – wie sie sagte nur für die Kriegsdauer – abwich und sich
nachträglich dazu sogar die Genehmigung durch den Reichstag hatte geben lassen,
in dem Maße, konnte der sonst keiner Ammenhilfe Bedürftige, dann sehr wohl
nach einer regulierenden Aussprache Verlangen haben, besonders dann wenn er
gegen seinen Willen zu einer Behörde versetzt wurde, die soche Rechtsnormab-
/614, 615/AE 32
weichungen, in exekutive Bahnen zu leiten hatte.
Aber die Kardinalforderung war eine einzige und sie hieß: gehorchen.
Einjeder hat in Zeiten des Krieges irgendwie zu gehorchen, gleichgültig
wo er hingestellt wird; dies ist überall so.
Ein Loslösen aus diesem Kollektiv, so etwa wie seinerzeit aus dem
Kirchenverband, solches gab es jetzt nicht mehr. Ich hätte es jedenfalls auch
solange nicht getan, als Feinde mein Vaterland kämpfend bedrohten. Das einzige
war ich tat, waren meine Bemühungen, an einer anderen Stelle des Kollektivs
eingesetzt zu werden. Etwa an der Front oder wenigstens in der allgemeinen
Polizeiverwaltung. Es war zwar ein Kollektiv, aufgebaut auf dem
"Führerprinzip". Aber das verpflichtende sture Gehorchenmüssen in allen
Dingen und das Warten auf die jeweiligen Befehle und Anordnungen, nahm jeden
Persönlichkeitswert, beziehungsweise ließen ihn einmal zufolge des Zwanges und
im Verlaufe der Gewohnheeit, unter dem Einfluß des Trägheitsgesetzes, zur
Verdrängung gelangen.
Mir war es recht so, denn nun ich ohnedies nicht mehr Herr meines
Willens war, bedeutete soches für mich die einzige Zufluchtsmöglichkeit um den
ohnhin fruchtlosen Problem- und Komplexlösungsversuchen, aus dem Wege zu gehen.
Ich habe die Erfahrung gemacht, daß wenn man schon in einem grausamen
Gegenwartsgeschehen schicksalsbedingt leben muß, und nicht recht
/616/AE 33
Regulator sein kann,sondern Regulierter ist, dann die kollektive Einordnung
immer nich leichter zu ertragen ist, da anders das Einzelwesen mit "sich
und den Schwierigkeiten", überhaupt nicht mehr fertig werden kann.
Freilich erfährt das individuelle Denken eine Zurücksetzung zugunsten des
Gruppenbewußtseins, dieses aber ist in Zeiten des Krieges, für den sensiblen
geist eher von Vorteil, weil ihm Denkvernachlässigung und
Verantwortungsaufteilung, vor der Wucht des seelischen Druckes einen gewissen
Schutz bietet.
Das Kollektivumfangene Bewußtsein, eingespannt in Forderungen und Befehlen
verliert zwar an Persönlichkeitswerten, aber auf diese verzichtet der einzelne
oft ohnedies mit tausend Freuden, denn nur im Fortfall all der vielen seelisch
beslatenden Punkte, kann das Individuum überhaupt noch bestehen. Es sei denn,
es hadele sich um Menschen denen ein Abweichen von der Rechtsnorm, häheren
Sinn, oder überhaupt nur einen Sinn oder irgend eine Verpflichtung bedeuten
würde. Solche aber glaube ich, sind doch nur in einer verschwindenden
Minorität vorhanden.
Ich fand aber das Kollektivverhaftetsein in Anbetracht der Umstände und
Zustände noch als das einzig Lindernde und nahm daher alle kollektivbedingten
Nachteile in Kauf. Es ging mir so, wie dem im technischen Kollektiv lebenden
Zeitgenossen,
/617/AE 34
dem das elektrische Licht plötzlich ausgeht. Solch ein in der Masse
Verhafteter stellt dann lediglich fest, ob es nur bei ihm alleine ausging, oder
ob er dasselbe im Nachbarhause auch feststellen kann. Ist er nicht alleine das
Opfer der Verdunkelung, dann wird er zwar murrend und schimpfend feststellen,
daß diese ewigen Störungen eine eminente Schweinerei seien, er wird sich aber
schließlich resignierend in sein Schicksal fügen, in der Überlegung, daß er
soch machtlos ist und als Einzelmensch nichts mit Erfolg dagegen unternehmen
kann. Er wird sich auch erkundigen, warum dieses notwendig sei, oder wieso es
entstehen konnte; ja er wird unter Umständen Vorschläge machen, wie solch
Unliebsames, künftig in Fortfall kommen könnte, er wird auf den Schaden
hinweisen, der durch solche Maßnahmen entsteht, und was dergleichen noch mehr
sein mag. Das Resultat solcher Bemühungen, hat man bei seinem zuständigen
Elektrizitätswerk ja mehr als einmal gesehen.
Da könnte man nun einwenden, schön, dann trete ich aus diesem technischen
Kollektiv aus, kaufe mir eine Petroleumlampe und bin frei. Bescheidener zwar,
aber dafür unabhängig.
Ja, in normalen Zeiten ist solches ganz schön und gut. Aber in Kriegszeiten
gibt es eben weder Petroleum noch Kerzen, in den Städten; und der eventuellen
Absicht, seinen
/618/ AE 35
Wohnsitz auf das Land zu verlegen, um freier leben zu können, ist ebenfalls
ein Riegel vorgeschoben, durch eine mehr oder weniger straffe Einschränkung der
Freizügigkeit für jedermann, für die Dauer des Krieges.
Nun, es gab auch einige wenige, die warfen den Laden hin und machten
überhaupt nicht mehr mit; sie stellten sich gegen das System. Die Folgen sind
ja bekannt; das Ergebnis ebenso.
Während meiner SD-Hauptamtzeit bis 1938 fiel mir öfter Freimaurerliteratur
über Giordano Bruno, dem ehemaligen Dominikanermönch, der im Jahre 1600 wegen
Ketzerei den Scheiterhaufen besteigen mußte, in die Hände. Seine
pantheïstische Lehre widersprach den Prinzipien der damaligen Kirche.
Abgesehen davon, daß ich kein "Giordano Bruno" war, hätte eine
allfällige öffentliche Opposition meinerseits, - etwa gegen die Art der
Lösung der Judenfrage, - das gleiche Ergebnis insoferne gezeitigt, als ich
verschwunden und unschädlich gemacht worden wäre; ein anderer
Befehlsempfänger wäre an meine Stelle gerückt.
Es ist natürlich heute ein leichtes Reden, "der Mensch ist stets Herr
seines Willens; Wahrung der Persönlichkeitswerte; etwas Gesinnungsethik"
und dergleichen mehr. Auch mir schwebte einmal die Freiheit des Individuums vor;
auch ich stand einmal gegen jede geistige Versklavung. In Wunsch- und
Tagträumen
/619, 620/AE 36
Konnte ich mich zeitweilig daran berauschen. Aber dann mußte ich erkennen
und konnte sagen, versuche es einmal jemand in der Praxis. In Mitten eines
mörderischen Krieges, unter einer totalitären Staatsführung als
Befehlsempfänger.
Welch ein Unterschied ist hier zwischen Theorie und Praxis. /19 Zeilen
gestrichen, unleserlich/ Das willensmäßige Wollen des Einzelnen, nämlich
die Verwirklichung des in ihm seienden Sittengesetzes, stößt bei dem Versuch
der praktischen Anwendung, in Konsequenz des Erkennens, auf eine
unüberwindliche Mauer. Denn durch Umkehrung der Werte seitens der
Staatsführung, wurde das Umkerungsergebnis zum neuen, "sittlichen
Gebot" erhoben. Was aber ist sittliches Gebot, wenn es durch die
Staatsführung zu etwas Variabelen gemacht werden kann, und den politischen
Wünschen der Staatsführung untergeordnet wird, statt daß es umgekehrt wäre
und die Führung des Staates sich diesem Gebot unterwerfe
Was also ist Recht?
/Die Staatsführung zwingt seine Exekutive, das Einzelwesen zu vergewaltigen.
Und welchen wesentlichen Schutz hätte der Befehlsempfänger, wenn er gemäß
seinem Gewissen überhaupt handeln könnte. Und was noch wichtiger, welchen
praktischen Erfolg hat das Wollen des einzelnen Befehlsempfängers, wenn er nach
seinem Gewissen nicht handeln kann, da die Staatsführung pare gebietet. Was
nützt bloße Erkenntnis und der Wille allein, wenn die Tat keine Wirkung zeigt?
– gestrichen/ Und niemand kann sagen, daß solches nur in totalitären
Staaten geschehe. Auch die westliche Hemispäre lieferte und liefert Beispiele
genug.
--
/621/AE 37
(8)
Kaum aus anderen Gebieten bezieht der nicht an Konfessionen Gebundene, soviel
ihn befriedigendes Material gegen Willkär, Unvernunft und
Abweichungsbestrebungen von der Gesetzesnorm, wie gerade aus dem Gebiete des
materiellen Naturalismus, wenn er die Dinge von einer höheren Warte aus
besieht.
Der Blut- und Bodengedanke, das Weiterleben im Blute der Nachkommen,das
Geborgensein im Schoße der Sippe, sind solange keine schlechten Gedanken,
solange sie nicht von Überheblichkeitsvorstellungen begleitet sein. Aber
trotzdem können auch sie den geist, der mehr wissen will, der suchend weiter
treibt, nicht befriedigen; ich sagte schon einmal, es sind Werte innerhalb des
Geviertes der Grenzen des Reiches, Gültigkeit habend. Fragestellungen Logos und
Leben im Sinne einer allwltenden Ordnung, und damit solche nach dem höheren
Sinn allen organischen Lebens überhaupt, finden damit keine Beantwortung. Es
sei denn mit Sophisterei; damit kann ich ja schließlich sehr vieles
beantworten; aber es kommt dann oft einem Trugschluß recht nahe, wenn es nicht
solch einer ist. Als kleinliche, menschliche Torheit muß der im materiellen
Naturalismus auch nur kurz und flüchitg Hineinsehende, beispielsweise alle
Rassenvorurteile und Rassendiskriminierungen bezeichnen.
Man frug mich einmal während des Prozesses gegen mich, ob ich Antisemit
gewesen sei.
/622/AE 35
Ich konnte diese Frage frei und gerade heraus mit einem Nein beantworten und
dafür Beweise erbringen. Wäre ich es gewesen, dann hätte ich sicher dafür
auch meine "Gründe" gehabt und dann würde ich solches auch erklärt
haben. Natürlich war ich – und dieses sagte ich auch – für eine Lösung
der Frage zwischen Wirtsvolk und Gastvolk, nun die Komplikationen durch eine
gezielte Propaganda seitens des Wirtsvolkes auf eine Spitze getrieben wurden,
die angeblich nicht mehr sang- und klanglos aus der Welt zu schaffen war, und da
diese Angelegenheit schließlich zu eienm unverrückbaren Dogma erhoben wurde.
Aber einmal schwebte mir eine politische Lösung vor und zum anderen hatte
ich keiner Rassenvorurteilsgefühle.
--
(9)
Ein Walten schuf das all und im All manifestierte sich das Walten; und dem
Menschen kommt im Geschehen des Seins weder eine bevorzugte Sonderstellung zu,
noch ist er das "Ebenbild Gottes", er kann es nicht sein, denn dazu
fehlt ihm die Allmacht.
Die Natur ist das Sein und der Menshc ist darin ein kleines Partikelchen.
Kaum erst von der Natur geschaffen, schon maßt er sich an, korrigierend tätig
werden zu wollen. Nein, dieses ging gegen meine Überzeugung.
Verlautete man seinerzeit Solche Gedankengänge,
/623/AE 36
etwa die "Blutschutzgesetze" betreffend, in Verbindung mit
materialistisch- naturalistischer Überlegung, dann konnte ich hören, daß es
ein Abschwenken in transzendentale Welten wäre und ein Verlassen der staats-
und gegenwartsbejahenden Lienie. Natürlich stand auch ich auf dem boden des
Gegenwartsbejahenden und in vielen Dingen auch konnte ich von einer
Staatsbejahung sprechen, schon aus Gründen der Selbsterhaltung meines Volkes.
Aber die Tötung von Zivilisten, die konnte ich allen nationalsozialistischen
Bekenntnissen zum Trotz, in keiner Form ordnend unterbringen.
Unreife Geister waren am Werk, um einer Häufung von Begriffen und
Vorstellungen, den Klang von Ewigkeitswerten aufzudrängen. Aber selbst nach
einem gewonnenen Kriege, hätten diese zusammengebrauten Postulate, einer
umfassenden Art Renaissance bedurft und unr unter Erarbeitung gänzlich neuer
und innerlich auch wirklich befriedigender Ziele, hätte man von einem etwaigen
Weiterbstand dieser Bewegung überhaupt sprechen können. Wenngleich ich auf der
anderen Seite der Überzeugung bin, daß es der damaligen Staatsführung sogar
gelungen wäre, selbst Zivilistenmord, durch entsprechende psychologische
Beeinflussung, bei dem Zeitgenossen moralischen Druck solange zu kompensieren,
solange der einzelne noch nicht in jenes
/624, 625/AE 40
Lebensalter einer abgeklärten Überschau eingeteten sein würde, die ihn vor
propagandistischer Vernebelung feit.
Die Masse wäre ihr auf jeden Fall erlegen. Man hat es ja anderwo praktiziert
und erlebt.
Solche Gemeinschafts-Systeme aber sind als naturwidrig abzulehnen. Und man
sage nicht, das nationalsozialistische System würde einen Einzelfall
darstellen. Der Beispiele sind viele. Ja ich möchte behaupten, daß die wenigen
Fälle, in der Geschichte, wo dem einzelnen Gemeinschafts-System solches nicht
nachzuweien ist, weil es ihm an entsprechender Gelegenheit dazu gefehlt hat.
Es ist einer der menschlichen Urtriebem der Kampf aller gegen Alle und er
wird solange dauern, bis sie nicht alle eines Tages "in ein und denselben
Topf gesteckt werden".
Das einzige, worüber ich mich wundere ist, daß sich zu diesen eigentlich
doch recht überlebten System, selbst Nobelpreisträger und die übrige Crème
der Wissenschaften bekannten und bekennen; ihnen folgten und folgen; von
geringen Ausnahmen abgesehen.
Freilich, es ist schwer, wenn man in einem Atemzuge damit bedenkt, daß es
selbst einem Platon nicht gelang den Tyranen Dionysios, zur Verwirklichung
seiner Staatsführungsreformvorstellung zu gewinnen. Und auch Platon mußte
erkennen, daß die Staatsführung mächtiger ist als selbst der Weise und daß
sie auch dessen ethisches Handelnwollen paralysieren kann.
Nein, es ist richtig: ändern kann
/626, 627/AE 41
der einzelne einen Zustand, den auch das Wollen der Masse im guten Glauben
mit herbeigeführt hat, nur in den allerseltensten Fällen. Wenn man nun selbst
ein Teilchen solch einer Masse war und das Sein dazu beitrut, daß ein solcher
Zustand eintreten konnte, den man später für verhängnisvoll erkennen mußte,
dann macht sich solch einer mit Recht Selbstvorwürfe. Es nützt zwar auch
nichts, denn Geschehenes läßt sich nicht ungeschehen machen und man konnte die
Zielrichtung nicht ahnen. Und wenn nun jemand, - dem unter der Diktatur im
Rahmen des Kollektivs, Funktionen übertragen waren, die er auszuführen oder
auszuüben hatt – nun plötzlich nach Zerschlagung der
kollektivistischen sicherheit alleine und ganz auf sich selbst angewiesen ist,
dann tritt eine ebenso plötzliche Leere ein. /2 Zeilen gestrichem
unleserlich/Ein Zustand in dem er logischen Denkens oder Handelns noch
weniger fähig ist und in welchem er nach der Überwindung des ersten Schockes,
nach Überwindung jenes Zustandes, in dem er sich unterhalb jeder
Lebenswillensgrenze befindet, alles Unheil und alles Ursächliche, daß zu
diesem Unheil führte durch vergleichende Überlegungen, jawohl auch vermischt
mit Trugschluß und anderer Sophisterei, in seiner gesamten Ausschließlichkeit,
zuerst einmal den Feinden zuschiebt, und nur sie alleine
verantwortlich macht, für das Herausreißen seines Volkes, aus der
existenzsichernden Geborgenheit, und schlechterdings
/628, 629/
AE 42
für alles Negative, zu dem sie, seine eigene Regierung zwangen.
Erst viel später, bei nüchternerer Betrachtung erkennt er, daß die
Feindseite nicht schlechterdings für alles und jedes Negative verantwortlich
gemacht werden kann und langsam bekennt er sich zu einer etwas objektiveren
Betrachtung der Dinge, und gibt unter dem Druck seiner inneren Fragestellung
nach vermeintlichem Recht und Unrecht, daß auch nach außen hin zu, was
er bezüglich dieser Überlegungen, gefühlsmäßig oder erkennend, schon zur
Zeit der Macht seiner eigenen führer empfunden hat.
Aber erst ganz zum Schluß, beschäftigt er sich mit der Haltung seiner eigenen
Persönlichkeit. Hier aber ist für ihn die Differenzierung der Wertungsgruppen,
was vermeintliches recht und was Unrecht war, noch bedeutend schwieriger, da
jetzt die Ausgangspunkte seiner Betrachtungen von einer Unzahl Faktoren
beeinflußt werden, die ihn gewissensmäßig beschäftigten und jetzt erst recht
beschäftigen. Sie reichen von der wirklichen oder vermeintlichen Verpflichtung,
der er unterworfen war, bis in das Gebiet der Psychologie hinein. Ganz besonders
dann, wenn es sich um eine Kollektivangelegenheit, politischer Natur handelt.
Die frage der Willens- und Handlungsfreiheit ist hier nicht nur ein Berg,
hinter dem er sich verstecken kann. Sie ist auch ein sehr reales und
entscheidendes Faktum.
Einfacher freilich müßte eine jede solche Betrachtung bei ehemaligen
Befehlsgebern sein.
Eines ist richtig: es läßt sich annehmen, daß im Verhältnis zur Masse
aller Beteiligten nur in den selteneren Fällen
/630/AE 43
eine Übertretung des sittlichen Gebotes, in Handlungen welche zur Kriegszeit
geschehen, vom befehlsempfangenden Einzelindividuum initiativ und von sich
heraus ausging. Die Staatsführung selbst war es, die solches befahl; das
Staatsoberhaupt; der eigene Polizeichef; der unmittelbar vorgesetzte
Gerichtsherr. Diese befahlen.
Ich selbst stehe auch heute, nach wie vor – bezüglich meines Falles –
auf dem Standpunkt, daß mich eine Schuld im juristischen Sinne, in keinem Falle
trifft.
Und dies ohne jede Sophisterei!
" –
(10)
Ich gehörte nicht zu jenen, welche nach dem verlorenen Krieg nun alles von
heute auf morgen von sich warfen und sich opportunisische lauthals zur
demodratischen Umerziehung und Entnazifizierung behkannten und sich als unfreie
Verführte hinstellten. Ich halte selbst heute noch die Form, wie solches
durchgeführt wurde, für einen Unfug, den sehr Schlaue, nicht geboren haben
mochten. Ganz abgesehen davon, daß das Verhalten gewisser Mächte nach 1945,
due Meinung aufkommen lassen konnte, als habe man den Teufel mit dem Belzebub
vertrieben. –
Eine Flucht in die Philosophie alleine, hätte mich keinesfalls restlos
befriedigt, auch benötigte einen guten Schuß an Tatsachen, die geeignet waren
mein Vorstellungsgebäude, welches sich mir jetzt neu zu errichten hatte, zu
stützen. Es war anfänglich ein schwaches Gebäuse, daß durch nationalistische
Anwandlungen immer wieder zusammenbrach oder zusammen zu
/631/AE 44
Brechen drohte. Meist waren esVorgänge politischer Natur, just in den Jahren
der "Umerziehung" des eigenen Volkes, die mir dann jede Lust nahmen,
an mir weiterzuarbeiten und die mich rückfällig werden ließen. Dann aber
kamen Jahre gewisser Ruhe und ich fand keine allzugroßen Anstoßsteine; es
waren die Jahre der ersten erfolgreichen Versuche, den Schritt in den Weltenraum
zu tun, es waren die Jahre in denen sogar den Raketen einmal ein anderes Ziel
gegeben wurde, als dichtbewohnte Städte der Erdbevölkerung.
Und in dem Maße ich mich immer intensiver mit meinen Gedanken befaßte,
erhielt mein geplantes Gebäude, ohne daß es mir so eigentlich recht zum
Bewußtsein kam, jedenfalls ein Fundament, daß meinen ansprüchen, die ich
keinesfalls sehr hoch schraubte, genügte. Ich brauchte es jetzt nur noch zu
festigen und auf dieses Fundament mein neues Gebäude zu bauen.
(11)
" –
Will ein Mensch sich ein Haus bauen, dann muß er zu allererst einmal
zusammenkratzen, was er an Geld oder Geldeswert hat, um dafür den Baugrund und
das Baumaterial zu kaufen; denn nur die wenigsten Menschen können solche
Auslagen als Nebenauslagen ansehen, die sie mühelos bestreiten können.
Dem kleinen Mann genügt ein bescheidenes Häus‘chen, denn seine Mittel
sind beschränkt. Er kann es ja später, im Laufe der Zeit immer noch besser
ausbauen. Er kann es vergrößern, durch Anbau oder Aufstockung. So, wie es ihm
seine Vorstellung
/632/AE 45
Und Möglichkeiten gestatten werden. Er hat inzwischen mit dem Spaten einige
Probeaushebungen vorgenommen; er weiß wie das Erdreich beschaffen ist und wie
er daher glaubt fundamentieren zu müßen. Auch umzäunt er seinen Bauplatz; er
kapselt sich ab. Es ist ja nicht nötig, daß ihm alle Nachbarn zuschauen; sie
würden ihn auch nur unnötig stören. Er beginnt jetzt einen kleinen Plan, oder
auch nur eine Skizze zu fertigen und dann gedenkt er danach Ziegel für Ziegel
zu setzen, nachdem das Fundament tragfest geworden ist. Ein Dach über den Kopf;
Fenster und Türen werden eingepaßt und schon kann der Mensch, wenn Not am Mann
ist, einziehen, denn die meiste weitere Arbeit, wird sich ohnedies jetzt im
Inneren des Hauses abspielen. Sie ist bei fast jedem Wetter zu machen. Der
äußere Verputz ist gegen die Unbilden der Witterung auch noch nötig,
wenngleich nicht für alle klimatischen Zonen von gleicher Bedeutung.
Meine Frau und meine erwachsenen Söhne wollten in Argentinien ein Haus
bauen. Eich hatte damals etwas freie Zeit und besuchte die Fachleute. Ich kam
aus dem Stauenen nicht mehr heraus, was da alles zu beachten wäre und mit was
man rechnen müßte. Wie sich die Kosten verteilen würden und welche
gesetzlichen Bestimmungen vorgesehen seien. Die für mich zum Teil
unverständlichen Fachwörter, komplizierten und verwirrten die Dinge immer
mehr.
Ich sagte mir, bei solchen Schwierigkeiten kommen voraussichtlich weder meine
Frau, noch meine
/633/AE 46
Kinder, zu Lebzeiten zu einem Haus. Da setzte ich mich eines Tages hin, und
machte eine Skizze. Im Maschinenbau wäre sie sicherlich irgendwie noch gnädig
akzeptiert worden aber jeden Baupolier hätte sie in hellste Verzweiflung
gebracht.
Dann fundamentierten und mauerten meine Söhne, und ich mit ihnen, und ich
glaube in Jahresfrist stand der Rohbau fertig da. Nicht tagtäglich konnten wir
arbeiten, dazu hatten wir keine Zeit. Samstags und Sonntags und sonst, wenn
jeder gerade mal Zeit hatte. Und es ist nach Meinung der Fachleute, ein recht
solides und fest gebautes Haus geworden.
Genauso ging ich mit dem Bau meines neuen Weltbildes zu Werke. Die Arbeiten
und Schwierigkeiten waren ganz ähnlich, dem eben geschilderten Hausbau.
Hier stößt man beim Suchen nach der Wahrheit, nach der Gültigkeit der
Dinge, nach umfassender Klarheit, auf eine solche Unmenge schulphilosophischer
Überlegngen, Vermutungen, Erkenntnisse und Meinungen, daß man zu Anfang
schlechterdings zurückschreckt.
Aber nach und nach geben die alten und neuen Weisen daß, was zur Sammlung
zuerst vonnöten ist: den Abstand von den Dingen des Tages. Als ich diesen
endlich hatte, da konnte ich anfangen zu mauern. Nur eines: bauen mußte ich
hier ganz alleine
/634/AE 47
Für mich. Mein Weltbildhaus hat sicherlich viele fachliche Mängel und
Fehler. Ich habe es daraufhin noch nicht einmal überprüfen lassen. Auch das
Haus, daß meine Söhne und ich bauten, hat einige fachliche Mängel, aber sie
stören meine Familie nicht, denn die Statik wird durch sie in keinerlei Weise
beeinträchtigt und es läßt sich recht schön in diesem Hause wohnen. Es
interessiert auch einmal groß, ob sich da und dort, dieser oder jener Fehler
eingeschlichen hat; die Hauptsache ist, daß man sich in einem solchen Hause
wohl fühlt.
- " -
/636/ AE: 48
-(12)-
Protagoras sagte vor rund 2.400 Jahren, daß er von den Göttern nichts
wisse; er könne weder sagen daß es solche gäbe, noch könne er sagen, daß es
keine gäbe.
Wir sind in dieser Erkenntnis bis zum heutigen Tage nicht um einen Schritt
weiter gekommen.
Der eine glaubt an Gott; der andere nicht.
Wissen tut es keiner.
Ich glaube an einen Gott. –
Ich laß(sic) vor wenigen Jahren in Argentinien eine mich fesselnde
Theorie über die Entstehung unserer Welten. Ein belgischer oder französischer
Priester stellte sie auf.
Vor einem Zeitraum von etwa fünf Milliarden Jahren explodierte eine
Kernbreimasse vorstellungsmäßig etwa in der Größe eines Würfel von mehrern
hundert Kilometer Kantenlänge. Der modernen Astronomie und Physik sind solche
Katastrophen nichts Neues.
Der Kernbrei wurde "verdampft". Mit gewaltiger Geschwindigkeit
wurden diese "Explosionsdampfwolken" in den Raum geschleudert. Nach
allen Richtungen stieben sie auseinander und ihre Geschwindigkeit nahm (und
nimmt immer noch) zu, je weiter sie sich dem Explosionsherd entfernten. Die
Rotation verlieh diesen
/637/ AE: 49
Gasgebilden Form und Gestalt und die Abkühlung hatte Verdichtung zur Folge.
Und unsere Erde, als einer der Planeten unseres Sonnensystems ist ein ganz
kleines Partikelchen, ein Stäubchen nur, in der gewaltigen Zahl der anderen
Sonnensysteme im Rahmen "unserer Milchstraße", von denen es ebenfalls
ungezählte noch gibt.
Soweit die Geschichte.
Nun, solches ist so undenkbar nicht und scheint durchaus verständlich;
besonders nachdem der Menschheit selbst es bereits gelungen ist, solche
Naturkatastrophen, im kleinsten und bescheidensten Rahmen, in Form von einigen
Atombombenexplosionen während des letzten Weltkrieges, und danachfolgen
Wasserstoffbombenversuchen, nachzumachen.
Bezüglich der Zeitbestimmung scheint es von seiten der berufenen Fachleute
offenbar auch keine die Theorie umstürzenden sachlichen Einwände zu geben. Ja,
sie ist darüber hinaus, wie man lesen kann, in etwa sogar kontrollierbar;
Verfallszeiten, Halbwertzeiten und Strahlungsverlust; Umwandlung, z.B.: Radium
in Blei; sie spielen in solchen Berechnungn mit ein(sic) Rolle. Aber
nicht nur irdische Zeugen erzählen von längst vergangenem Geschehen, auch
andere Sterne schicken uns laufend die Boten. Das auf uns kommende Licht ferner
Welten, wird spektralanalysiert und Meteorteilchen wandern in Laboratorien.
Und so ergibt es sich, daß die Explosion, von der unserer kleine Geschichte
erzählte, offenbar nicht einmal die einzige
/638/ AE: 50
ihrer Art ist. Und zwar andere, gewaltigere Naturkatastrophen, den lumpigen
zwanzigmillionen Grad Hitze, dem Helfer bei der Geburt unserer Welten, noch
spottend. Und wir Menschen, inmitten unserer galaktischen Welten, erahnen
supragalaktische Größen, die Bahnen des Raumes durchjagend.
Dies alles bewegt sich im Raum; im All, wie wir es nennen.
Einer bezeichnet als Raum das Insgesamt aller Getgend, in der die
körperlichen Dinge auftreten können.
Der andere gibt zu dem Dreidimensionalen des Raumes an sich, die Zeit noch
/2 Zeilen unleserlich gemacht/. "Er fließt"; "ununterbrochen
und stetig sich ausdehnend."
Wieder andere sehen ihn rechtwinkelig und sie stehen im Gegensatz zu denen,
die ihn gekrümmt wissen wollen.
Jene vertreten die Meinung, der Raum sei ein leeres und totes Nichts und er
habe keine andere Möglichkeit, als ausgefüllt zu werden.
Und diese wiederum sagen, kein Zweifel, er hat eine Realität, wenngleich
auch außerhalb unseres Geistes.
Ich meine, ein Nichts kann weder gekrümmt sein, ein Nichts dehnt sich nicht
aus, es "fließt" nicht, ein "Insgesamt der Gegenden" ist
immerhin
/639/ AE: 51
auch ein Etwas, und daß(sic) worin etwas auftreten kann, ist folglich
kein Nichts.
Ob die mir augenscheinlich bekannten Weltensysteme und darüber hinaus
gemäß meiner ahnenden Vernunft weitere Welten auf die Art von stattgefunden(sic)
Explosionen, wie eine solche meine Eingangsgeschichte aufzeichnete in dieses
Etwas geschleudert wurden, eine Sache, die mir recht einleuchtend ist, und für
meinen Hausverstand brauchbar erscheint, oder ob sich die Ordnung auf anderen
Bahnen ursächlich vollzog, wird solange sicherlich unbekannt bleiben, bis eines
Tages der Mensch diese Welten betreten kann und seine Untersuchungen an Ort und
Stelle durchführen wird.
Als vorläufigen Endwert dieser Ursächlichkeit aber sehe ich, der Mensch,
nunmehr das "Sein" und empfinde es. Dieses "Sein" unseres
Weltensystems hat jedenfalls in einer "Zeit", die vor einer bis zehn
Milliarden Jahren zu liegen kommt, konkrete Gestalt angenommen. Ein
"Ist" kam durch einen Schöpfungsakt und zieht seine Bahn. /gestrichen:
nach den Gesetzen des Makrokosmos/
Und hier setzt man den Beginn unserer "Zeit"; das "Sein"
liegt in ihr.
In dieser "Zeit" erfolgt im ununterbrochenen Kräftestpiel der
Natur, das sich stets vervollkommnende "Werden" des entandenen
"Seins".
Alles "Sein" ist im steten "Werden"; und dieses
/640/ AE: (52)
(Irrtümlich ausgelassen)
/641/ AE: 42
(Irrtümlich ausgelassen)
/642-643/ AE: 52
ist es, was mich ganz besonders interessiert. Hier habe ich also für mein
Vorstellungsvermögen etwas "Handfestes, Greifbares". Und ich hüte
mich aus Gründen der Vorsicht, mich nicht zu sehr in andere
Vorstellungsmöglichkeiten zu begeben, in der Sorge, ich könnte etwas relativ
Sicheres dabei verlieren. Ich kümmere mich einfach um andere Seins-Auslegungen
nicht mehr.
Es ist ja alles etwas unglaublich Fesselndes und Interessantes, aber wenn ich
mir ein Haus bauen will, dann muß ich mich schließlich und endlich auch einmal
für einen bestimmten Typ, für eine bestimmte Ausführung entschließen. Oh ja,
es gibt eine ganze Menge schöner und herrlicher Formen, aber als "kleiner
Mann", kann ich mir schließlich keinen Zwanzig-Zimmer-Palast bauen. Und
was hätte ich von einem Palast, wenn nur die vier Wände hochgemauert würden
und nicht mehr, weil die Finanzen erschöpft sind. Was nützt mir existieren
wollenden Menschen, etwa ein glühender Gasball, eine halbflüßige Feuerkugel
oder ein zwar schon fester Körper, der aber beschaffenheitsbedingt, dem
organischen Leben keine Existenzmöglichkeit bietet.
/6 Zeilen gestrichen, ersetzt durch Text von Seite gegenüber: Was
nützen mir ein halbes Dutzend anderer theorien; sehr schön, interessant aber
leider unglaublich kompliziert und schwer zu verdauen./
/644/ AE: 53
-(13)-
Das "Sein" ist ein einziges, großes ununterbrochenes
"Werden", solange der Seins-Zustnad anhält; und das
"Werden", ein immerwährendes, ineinandergreifendes und fließendes
Übergehen von einem Seinszustand, über das Werden, in einen anderen Zustand
des Seins.
Und dann war es eines Tages so weit, daß der Seins-Zustand unserer Erde
geeignet war, organisches Leben zu geben und zu erhalten.
Pflanze; Tier; Mensch. –
Ob Haeckel, Darwin oder andere auf dem richtigen Wege der Deutung zur
Lebenswerdung waren, ist schlüßig bis heute noch nicht bewiesen worden. Mir
genügt es zu wissen, daß ich im Akte der Zeugung einem einzigen von etwa 150
Millionen Spermateilchen, welches als erstes das reife Ei im Mutterleibe
befruchtete, meinen Eintritt als Mensch in das Dasein zuschreiben kann.
Ich, der Mensch, stamme aus einem gar reichen Hause; denn die Natur der ich
angehöre, kann sich unglaubliche Verschwendung leisten; ich brauche mich daher
um gar ncihts zu sorgen, sie tut es mit ihrem unendlichen Reichtum für mich.
Und für mein "Werden" ist für das ganze "Sein" gesorgt und
ein Fallen in´s "Nichts", das nicht existieren kann, ist unmöglich.
/645/ AE: 54
Und Tatsache ist, ich stehe im "Leben" des "Seins"; und
das "Leben" ist eine Werdens-Bestimmtheit des "Seins". Und
solange aber das "Sein", "Leben" tragen wird, bin ich diesem
ewigen Kommen und Gehen, diesem ewigen Stirb und Werde unterworfen. Solange
einmal bin ich auf jedenfall unsterblich.
Dies aber ist es, was mich beruhigend an der Sache interessiert.
Und ich vermag nicht einzusehen, daß das Leben eine Last ist – obschon ich
zur Zeit im Gefängnis sitze – auch vermag ich nicht zu erkennen, inwieferne
man sich "vor dem Tode" fürchten solle, oder infolge einer
mjutmaßlichen Endbestimmung alen organischen Lebens, von Angst geplagt sein
muß.
Etwas, welches das naturgewollte Schicksal aller Menschen ist, kann nichts
Schreckliches sein. Undenkbar ist es für mich, wenn ich den natürlichen Ablauf
der Dinge betrachte, das Walten, welches uns Menschen in seinen Plan setzte,
könne nur Nutzlosigkeit und Leid, zum Lose des Lebens bestimmt haben.
Freilich, es ist eine weise Vorsehung, die uns Menschen, nicht gerade als
Menschen unsterblich werden läßt. Dies ist sehr tröstlich. Aber der Gedanke
an die Fülle der Lebensformen, welche ich einem ehernen Naturzwang noch zu
durchleben haben werde, stimmt mich heiter, glücklich und froh.
/646-647/ AE: 56
Daß wir als Menschen noch so viel an Leid und Sorge mit uns herumtragen und
gegenseitig zufügen, liegt in der Unzulänglichkeit unser selbst. Auch der
Mensch ist einer immerwährenden Verfollkommnungsentwickelung unterworfen,
solange das "Werden" es vorsieht. Und noch stehen wir Menschen erst am
Anfag unserer Formung und vieles, was uns Heutigen noch Ängste und Schrecken
verursacht, wird durch den Schleifstein des "Werdens", geglättet.
Das Leid und die Drangsal der Menschen in früheren Zeiten, war
vergleichlich, noch ungleich größer als heute. Und in künftigen Epochen
werden unsere Nachkommen bei Anlegung des Vergleichsmaßstabes, genau dasselben
behaupten, von uns.
Immer kann es und wird es zeitweilige Rückschläge, ja vermeintlihce
Rückwärtsentwicklungen geben; doch was tut dieses zur Sache, bei Betrachtung
der Ganzheit. Es ist ein trauriges Schicksal für in solche zeiten
Hineingeborene; dies ist unleugbar. Und der Mensch sollte versuchen, kraft
seines Könnens, dem Rückschlag zu steuern. Er vermag es schon längst /ca.
1 Zeile unleserlich gemacht, ersetzt durch Text von Seite gegenüber: ob er
es endlich will, wird die Zukunft beweisen./
Ein gütiges Walten will jedenfalls keineswegs das Verderben. Dies beweist
mir ganz deutlich, daß es mir, der ich mit in einem Teil des organischen
Ablaufes der Dinge gestellt bin, das Gefühl für Freude und Herzlichkeit gab.
/648-649/ AE: 57
Und unmöglich ist das Wollen des Waltens, daß sein Geschaffenes, in Furcht,
Angst, Zittern und Leid gar, verkomme.
So gesehen ist meine Auffassung, welche ich mir von den Dingen mache,
freundlich und heiter. /Zusatz von Seite gegenüber, nicht genau plaziert:
Und ich vermag nicht den Sartre´schen Standpunkt zu teilen, daß Leben, wie
Tod, Absurditäten seien. Zwar gebe ich zu, daß sie unwichtig sind, sowohl
Leben sie Sterben, von der Wartes des "Werdens im Sein" aus
gesehen, soweit es mich, als Person anbelangt./
Ich habe den Anschluß wieder bekommen an Ruhe und Frieden; Werte, die ich in
jüngeren Jahren schon einmal hatte.
Zwar beziehe ich sie jetzt aus anderen Bereichen; doch was tut dies zur
Sache. Das Ergebnis alleine ist bestimmend.
Die Zeit dazwischen aber hätte mich mir einsparen können.
----------
Epikur sagt über den Tod, daß dieser, solange er lebe nicht da sei. Kommt
er, ist Epikur nicht mehr da. Und Schopenhauer denkt den Tod nicht schlimmer als
die Geburt.
Ich ergänze, halte mich zwischen Tod und Geburt, die ich nicht kenne, und
sage, die Hochzeit mit meiner Braut zu feiern ist fröhlich; ein "neues
Leben" beginnt dann für beide. Und der Tod tut nichts anderes, er führt
mich zu neuen Leben.
/Zusatz von Seite gegenüber: Achtung! nicht neuem
Leben, sondern wie ich es schrieb! (Mehrzahl)/
Aber der "Tod" des Organischen ist eine naturgesetzte
Notwendigkeit, im Zuge der fortschreitenden "Werdung des Lebens" und
dient der Vervollkommnung. Eine Umwandlung ist es zu Neuem, nicht mehr. Wozu
also Angst und Besorgnis?
/650-651/ AE: 58
Tausend mal tausend Tode, ziehen mich in tausend mal tausend Leben; in seinen
mannigfaltigsten Daseinsformen. Im ununterbrochenen Spiel. Solange, bis aus
klimatischen Gründen, die Erde, welche mein jeweiliges Leben trägt und
ernährt, mich nicht mehr erhalten kann.
Mit Erreichung der Existenzlosigkeitsgrenze für organisches Leben auf
unserer Erde, fällt dieses wieder zurück in andere Formen des
"Seins". Und hiermit wird der erste Kreis nun geschlossen, und weitere
folgen. Bis abermals eine neue Ursächlichkeit zu neuen Beginnen /Zusatz auf
Seite gegenüber: Achtung! Zu neuen Beginnen!!! (Mehrzahl)/ den
Anlaß gibt. Denn nichts im All kann ruhen und stehen und alles ist stets im
fluß. Und es gibt keinen Tod als solchen, weil es kein Nichts gibt. Denn das
Gließen schließt sich in sich, um wieder zu fließen.
-(14)-
Wenn ich so dieses Gebilde betrachte, dann muß ich sagen, es ist eine
Zeichnung die mich erfreut. Alles Finstere und Dunkle entschwindet und ich bin
glücklich darüber. Einfach, in sich geschlossen, steht es mir stets vor
Augen; anders hätte es im Gehetze des Alltags auch wenig praktischen Wert. Denn
je mehr Zeit ich aufwenden müßte, um durch scharfsinniges Denken – falls ich
mich dazu überhaupt aufraffen möchte – mein Weltbild vor mir zu haben, desto
weniger würde es mir für den Hausgebrauch nützen.
So also kenne ich meine Rolle, welche zu spielen, im Ablauf der Dinge
/652/ AE: 59
mir zugedacht ist.
Dies gibt mir jetzt auch den Abstand vom kleinlichen
Tagesgeschehen und alles gestern noch Schwere, ist heute entschwunden.
Es ist dies die wahre Freiheit; aus der Erkenntnis geboren, daß kein
Menschentand mehr fähig ist, mir meine innere Ruhe zu rauben. Und damit ändert
sich gleichzeitig meine Stellung von Mensch zu Mensch; sie wird eine andere.
Heutere Aufgeschlossenheit, kein ängstliches Lauern, Vorurteilslosigkeit, kein
Neid und kein Haß, sind mit die wichtigsten Pluspunkte. Zwar bin ich nach wie
vor Egoist, doch diesmal nicht auf Kosten der anderen. Jetzt nehmen sogar die
Mitmenschen, an diesem Egoismus auch für sie gewinnbringenden Anteil. Denn
Streitsucht, Hader, Schwierigkeitsbereitung, Mißachtung, Verleumdung und wie
die Litanei der Verdrußgründe da lautet, erlebt mangels ausreichender
Begründung, Abschwächung in bisher nicht gekannten Größen.
Ich erfuhr in genügendem Maße die Auswirkung einer pessimistischen
Weltbildvorstellung; als Gebärmutter vielen Übels kann man sie ruhig
bezeichnen.
Und in folgerichtiger Auswertung dieses Erkennens, ist zerfleischender Kampf
um souveräne Belange kleiner Sektoren, jene Zusammendrängung beherbergend, die
als "mein Volk" genannt wird, von absoluter Unwichtigkeit geworden.
/653/ AE: 60
Es ist mir nationales enghorizontiges Denken und Verharren in demselben
direkt zur Last geworden, die mich behindert.
Gegenseitiges Mißtrauen, Vorherrschaftsbestrebung des einen über den
anderen, Wertung- und Klassifizierungsgruppen der Menschen, dies alles gehört
fortan zum alten Gerümpel.
In Wahrheit, daß(sic) derzeitig immer noch andauernde und
beigehaltene(sic) System im Zusammenleben der Völker, kann nur als eine
tragische Lage der Menschen auf Erden bezeichnet werden. Und bei Fortdauer
derselben, lebt der Mensch, bar jeder Hoffnung und Zuversicht, seine Erdentage
dahin, ohne sie in glücklichere Bahnen verbringen zu können.
Denn was nützt dem einzelnen seine ihn befriedigende Weltbildvorstellung und
was nützen Erkenntnis vom höheren Sinne des "Seins", wenn jeden Tag
Kriegsgesetze in Kraft treten können und die Handlungsfreiheit des einzelnen,
starr mit Beschlag gelegt(sic) wird.
Zahlreich sind die durch Jahrtausende erprobten Gesellschaftsformen, mit dem
Ziel, mehr oder weniger befriedigende Systematik in das Zusammenleben der
Menschen zu bringen. Aber wirklich gerecht werdend für heutige Verhältnisse,
scheint nichts von allem Herkömmlichen zu sein. Freilich, wie überall, sind
auch hier die Dinge in stetem Fluß. Und es läßt sich annehmen, daß was bei
einer Gesamtbevölkerung von rund drei Milliarden,
/654/ AE: 61
ein dringendes Gebot der Stunde wurde, die Menschen zu einer Zeit, wo sie mit
einer einzigen Milliarde dahin leben konnten, möglicherweise noch nicht zu
interessieren gehabt hat. Und mir will scheinen, als seien Gedanken, die eine
globale Lösung behandeln, umstnadsgemäß, glücklich und gut. Denn im
"Werden des Seins", drängt alles zum Ganzen.
Warum der moderne Mensch sich einer solchen Lösungsform trotz zwei
vernichtenden Weltkriege, bisher noch immer verschloß, dies scheint wie ein
Rätsel. Vielleicht ist es eine Verkettung von mancherlei Ursache und Wirkung;
und menschliche Starrköpfigkeit scheint mir dabei nicht eine der letzten zu
sein.
Nun gut, die Kommenden werden es ändern; ohnedies werden sie nur noch ein
bedauerndes Lächerln übrig haben, für unser Verhalten.
Haben wir Heutigen etwa kein mitleidiges Lächeln bezüglich der Haltung
unserer Vordern, wenn wir an die Dutzende der deutschen Kleinstaaten denken.
Noch Goethe fuhr nur wenige Stunden Postkutschenfahrt und schon war er im
Ausland und anderen Gesetzen unterworfen. Dann aber räumte man eines Tages auf
mit dieser Miniaturstaaterei. Und warum sollte solches für die gesamte
Völkergemeinschaft nicht Gültigkeit haben.
Nach solcher Lösung wird sich von selbst dann ein friedliches Zusammenwirken
der Menschen untereinander ergeben. Denn in politischer Hinsicht wird es
solcherart zwangsläufig schon, zu einer Neutralisierung des Gegensätzlichen
/technische Bemerkung am unteren Rand unleserlich gemacht/
/655/ AE: 62
kommen. Und dem Alltagsgeschehen wird dann jene Bedeutung zuteil, die ihm
billigerweise zur Lebensverbesserung eingeräumt werden muß.
Aufgabe der Länderregierungen, welche dann nur noch provinziellen Charakter
haben, wird sein, im Verein mit der Zentrale, die Glücklichermachung der
Völker der Erde. Und je eher ist solches erreicht, je mehr für die
persönliche Sicherheit und Unabhängigkeit des Einzelmenschen gesorgt und
jedwede Vergewaltigung desselben verhindert wird.
Bei gleichbleibender Tendenz aber wird trotz der schönsten
Weltbildvorstellungen, die der Einzelne auch(?) haben mag, die Masse
unweigerlich in die Daseinsangst der Primitiven so lange zurückfallen, bis ein
äußerer, gewaltsamer Anlaß, zu solch einer Lösung dann zwingen wird, falls
es sich dann überhaupt noch verlohnt.
/656/ AE: 63
/technische Bemerkung am oberen Rand unleserlich gemacht/
Denn bei ehrlicher Betrachtung der Lage ist es seit langen, langen Zeiten
doch so, daß sich jeder selbst der Nächste ist. Trieblich bedingt; ein
Urzustand. Alle diesbezüglichen Korrekturbestrebungen haben breiten und
dauernden Niederschlag bisher nicht gefunden. Und nur eine Übernationalisierung
der Völker, nimmt den nun einmal vorhandenen Urtrieben, wenigstens einen Teil
der von Menschen durch die Nationalisierung künstlich
geschaffenen, zusätzlichen Tummelplätze. Und solange des bei der
Eigenstaatlichkeit, bei dem Unabhängigseinwollen des einen Staates vom anderen
bleibt, solange wird der Standpunkt "Jeder ist sich selbst der
Nächste", auch im nationalen Sinne, seine unausrottbare Bedeutung
beibehalten, und in Zeiten des Kriegszustandes wird die Mehrzahl der
Bevölkerung eines Staates auf jeden Fall, willig oder widerwillig, daß(sic)
ausführen, was der Staat befiehlt. Geht solches nicht mehr auf gütlichem Wege,
dann hat der Staat bereits dafür Vorsorge getroffen, dem Nachdruck zu
verleihen.
Und alle sittlichen Forderungen mit denen der einzelne schwanger geht, alles
ethische Wollen des einzelnen, bleibt Theorie, die praktisch keinerlei konkreten
Niederschlag zu zeitigen in der Lage ist. Denn der Machtapparat des Staates,
wälzt alle Erscheinungen handlungsmäßiger Natur, so sie seinem Ziel und
seinem Wollen entgegenstehen, nieder.
Egal, ob Demokratie oder Totalitarismus, egal, ob Monarchie oder Republik.
/657-658/ AE: 64
Dies ist in Kriegszeiten jedenfalls die nakte(sic) Wirklichkeit, die
durch nichts fort philosophiert, ja nicht einmal fort sophistiziert werden kann.
Es ist für einen Menschen verhältnismäßig leicht, von zu verwirklichenden
Sitttengesetzen zu sprechen und dabei auch gegen einen staatlichen Machtapparat,
als einzelner /Zusatz von Seite gegenüber: - gleichwohl er um die
praktische Erfolglosigkeit weiß - / aufzustehen und lauthals zu sagen:
"Hier stehe ich, ich kann nicht anders, als Euch zu sagen, daß(sic),
was Ihr macht ist eine große Schweinerei, ihr seid Mörder, Verbrecher und
Volksbetrüger und ich schreie es in alle Welt hinaus und ich selbst werde nicht
einen Tag mehr für euch tätig sein", wenn der Betreffende entweder sein
entsprechendes Alter so zwischen die Fünfzig und Sechzig mindestens, erreicht
oder: keine Familie hat, oder: seine Familie wirtschaftlich so gesichert ist,
daß seine diesbezügliche Sorgepflicht als unerheblich angesehen werden kann.
In allen anderen Fällen, wird das Individuum sich im besten Falle winden und
wenden und letztlich doch die staatlich befohlene "Pflicht" tun. Die
wenigen Ausnahmen bestätigen die Regel.
Und nicht zuletzt waren offenbar auch solche Überlegungen mit der Grund,
wessentwegen beispielsweise die römisch-katholische Kirche ihren Geistlichen
das Zölibat auferlegte. Der Bekennermut und der Wider-
/659/ AE: 65
stand in Zeiten der Bedrohung ethischer Werte, in Zeiten der
Glaubensbedrohung, unbeschadet der Konsequenzen für die Person des Bekennenden,
und unbeschadet der irdischen Nutzlosigkiet seines Opfers, wird durch solch eine
Freiheit von Sorgepflichtbindungen, stärker und hartnäckiger.
Deswegen sagte ich, das Übel müße im Grunde, an der Wurzel,
ausgerottet werden. Die Organisationsform, die den Menschen in solche Konflikte
bringen kann müßte beseitigt werden. Nicht der Mensch hat sich der
Organisationsform im Zusammenleben, anzupassen, sondern die Organisationsform,
müßte auf den Menschen zugeschnitten werden. Dieses alleine scheint praktische
Nutzanwendung auf Grund der bisherigen trüben Erfahrungen zu sein; das andere
ist, glaube ich, Häretisches(?) Geschwätz. Wohl schön für die Stunden der
inneren Erbauung, aber was nützt dies, wenn Mord und Vernichtung weiterhin
staatlich befohlen werden können.
Und es ist für mich heute ein leichtes reden(sic), wenn ich sage, ich
habe für mich mein Weltbild, daß(sic) mich befriedigt, endlich
gefunden.
Ich bin inzwischen sechsundfünfzig Jahre geworden, und sehe die Dinge auch
des täglichen Lebens anders als früher. Sterbe ich morgen, ist es gut; sterbe
ich heute, bueno, dann ist es auch recht. Nicht von unbedingter Wichtigkeit bin
ich mehr für die leibliche Existenz meiner Familie. Zur Not wird sie heute auch
ohne
/661/ AE: 66
mich, zurecht kommen, Denn rund zwanzig Jahre ist seit dem Geschehen
inzwischen alles älter geworden.
Der Soldat der da fiel, er wußte, daß staatliche Hinterbliebenenfürsorge
die Seinen vor bitterster Not schützte, denn so besagten es die Gesetze. Der
Kriegsdienstverpflichtete aber, der da gegen den staatlichen Stachel
löckte und dieserhalb geahndet wurde, wußte, daß sich um seine
Familienangehörige niemand kümmern würde. Im besten Falle, im allerbesten,
wären sie dem Familienverbande zur Last gelegen.
Und weil die Sorgepflicht, das Sorgefühl um die Seinen ebenfalls trieblich
bedingt ist, wird sich auch an der Einstellung des Menschen zu diesen Dingen
nicht ändern.
Damit aber wird in Zeiten der Katastrophen auch die Einstellung der
Jahrgänge zumindestens zwischen fünfundzwanzig bis fünfzig zu diesen Dingen
die gleiche sein, wie wir sie hatten und wie jene sie hatten, die vor uns waren.
Denn noch ist das System der Gesellschaftsordnung dasselbe.
/nach Zusatz von Seite gegenüber, gestrichen, aber noch lesbar: Daher
möge die kommende Generation sich für sich zuerst einmal jene
Organisationsform zu einem besseren Gemeinschaftsleben zurecht bauen, die
solche Komplikationen ausschließt, denn die Weltbildvorstellung, die da
beruhigt, die kommt dann ganz von selbst und sie wird in Frieden und Ruhe leben
können und die Freude wird der Inhalt ihres lebens sein; denn die Ganzheit
kennt nur das Gute./
/660/ Zusatz zu S. 66
Ich sprach von der Sorgepflicht.
Aber warum trägt das Individuum sich denn mit der Sorge; doch nur weil es
für sich und den Seinen, Frieden und Nahrung will, dann lebt es in Freude.
Und ob Flora und Fauna, auch dort ist´s das Gleiche.
Um die Freude alleine, dreht sich das Fühlen und Denken der Menschen.
Aber der Sorge des Individuums um sich und den Seinen, haben die Stärkeren
unter den Menschen, sich zu allen Zeiten, als mit eines der Haupthilfsmittel,
zur Erreichung ihrer eigenen persönlichen Wünsche bedient. Und von den
Sklavenhaltern in grauen Vorzeiten als Einzelpersonen bis zu unseren angeblich
modernen Gesellschaftsformen als Gemeinschaftsunternehmen, ist es ein und
dasselbe. Das bereits ursächlich im Menschen als Hauptquell seines Seins
vorhandene Sichfreuenwollen, wurde und wird ausgenützt, unter Versprechung und
Gewalt.
Die Ursache, wessentwegen überhaupt organische Einzelwesen existent sind,
nämlich sich der durch ein Walten eingesetzten Freude zu bedienen, wird durch
menschliches Eingreifen herangezogen, um auf Kosten der Freude anderer, entweder
seine Freude mühelos zu erhalten, oder sie mühelos zu vervielfachen.
Solches aber, kann nicht im Sinne der gesetzten Ordnung und Harmonie des
Waltens sein, weil es allem uns Bekannten widerspricht; seien es die Prinzipien
der Ordnung und Harmonie in den atomaren Welten, seien es diese, der Bewegung
der Körper im All.
/662/ AE: 67
Daher möge die kommende Generation sich für sich zuerst einmahl(sic)
jene Organisationsform zu einem besseren Gemeinschaftsleben zurecht
bauen, die solche Komplikationen und Konfliktstellungen ausschließt, denn die
Weltbildvorstellung, die da beruhigt, die kommt dann ganz von selbst.
Und das Hoffen und Sehnen der Menschheit wird sich endlich erfüllen; Frieden
und Glücksgefühl und die Freude, werden der Inhalt ihres Ganzheitslebens sein.
Denn die Ganzheit kennt nur das Gute. /7 Zeilen bis zum Ende des Kapitels
weitgehend unleserlich gemacht/
_________
/3 Zeilen unleserlich gemacht; der weitere Text bis zum Ende der Seite
gestrichen, aber noch lesbar: "….. Ich, der ich aus dem Sein einer
allwaltenden Ordnung in die hauchartig vorübergehende Erscheinungsform Mensch
herausgestellt wurde – so notierte ich mir einmal – erkannte durch der
Umwelt Formung, allmälig das "Reich". Denn ich wurde als Deutscher
geboren. Ich lernte das "Reich" sowohl als etwas Konkretes, wie auch
seinen begrifflichen Sinn zu erfassen; alles, was hier hineinversenkt wurde, und
was ich als Nationalist empfand und ersehnte. –
So war es bis zum Jahre 1945./
/663/ AE: 63
/diese gesamte Seite gestrichen, aber weitgehend noch lesbar; obere
Hälfte nahezu identisch mit S. 62, untere Hälfte mit S. 67/
kommen. Und dem Alltagsgeschehen wird dann jene Bedeutung zuteil, die ihm
billigerweise zur Lebensverbesserung eingeräumt werden muß. Aufgabe der
Länderregierungen, welche dann nurnoch provinziellen Charakter haben, ist im
Verein mit der Zentrale, die Glücklichermachung der Völker der Erde. Je eher
ist solches erreicht, je mehr für persönliche Sicherheit und Unabhängigkeit
des Einzelindividuums gesorgt und jedwede Vergewaltigung desselben verhindert
wird.
Bei gleichbleibender Tendenz aber wird trotz der schönsten
Weltbildvorstellungen, die der Einzelne auchhaben mag, die Masse unweigerlich in
die Daseinsangst der Primitiven so lange zurückfallen, bis ein äußerer,
gewaltsamer Anlaß, zu solch einer Lösung dann zwingen wird. (x) Fortsetzung
siehe die vier Beiblätter 59-62
-(15)-
/3 Zeilen weitgehend unleserlich gemacht, enden mit: meine
Verteitigung einen Gefangengruß zu gehen:
"….. Ich, der ich aus dem Sein einer allwaltenden Ordnung in die
hauchartig vorübergehende Erscheinungsform Mensch herausgestellt wurde,
erkannte durch der Umwelt Formung, allmälig das "Reich". Denn ich
wurde als Deutscher geboren. Ich lernte das "Reich" sowohl als etwas
Konkretes, wie auch seinen begrifflichen Sinn zu erfassen; alles, was hier
hineinversenkt wurde, und was ich als Nationalist empfand und ersehnte. –
So war es bis zum Jahre 1945.
/664/ AE: 68
Aber im Laufe der letzten rund 1 ½ Jahrzehnte, lernte ich langsam und ganz
nach und nach, immer wieder zögernd und rückfällig werdend, dann diesen
partikularisitschen Gedanken, in das Globale zu formen.
Ich bin der Meinung, daß dieses Sehnen und Hoffen nach einer Vereinigung von
Logos und Leben, welches bedauerlicherweise zeitweilig in den verschiedenen
Formen, mit verschiedener Vehemenz zum Austragen kommt, nicht nur eine auf uns
Deutsche bezogene Angelegenheit, sondern allen Völkern dieser Erde bewußt
eigen ist.
Darin aber erkenne ich den Kern aller menschlichen Zwietracht untereinander
und mit eine der Wurzel vieler Übel.
Wird aber dieses, dem menschlihcen Wunschgedanken ursächliche Sehnen anstatt
sektorenartig in globaler Universalität gedacht, und ihm Ausdruck verliehen,
dann tritt an Stelle einer alles zerstörenden Wirkung, ein friedliches
Hinstreben nach der Erfüllung der menschlichen Wünsche. Ja, selbst der Hang zu
dem nun einmal vorhandenen menschlichen Egoismus geht hierbei nicht leer aus,
denn ein jedes Individuum bucht per saldo aus dem friedvollen
Nebeneinanderleben, seinen eigenen, ganz persönlichen Vorteil, der ihn mit
größeren Annehmlichkeiten als zuvor, in den nunmehr geruhsameren Mittelpunkt
seiner eigenen, kleinen, privatpersönlichen Welt stellen läßt.
Ich habe während der letzten Jahre
/665/ AE: 69
teils in der Stille der argentinischen Pampa, teils in der Unberührtheit der
zerklüfteten Urwelt des argentinischen Nordens, in seinem Aconquija-Massiv,
gelernt, aus zweierlei Dingen die für mich gültige Nutzanwendung zu ziehen.
Ich sah Hölle, Tod und Teufel, weil ich dem Wahnsinn der Vernichtung zusehen
mußte; denn ich war als eines der vielen Pferde in den Sielen mit eingespannt
und konnte gemäß dem Wollen und den Befehlen der Kutscher, weder nach links
noch nach rechts ausbrechen.
Ich habe ferner lebhaften inneren Anteil an den Erkenntnissen genommen,
welche der menschliche Geist dem All bisher abgerugnen hat, bei seinen
Bemühungen, "die Sterne zu greifen".
In jener Ruhe der argentinischen Gegenden, konnte ich mich so recht in das
Walten einer höheren Ordnung hineinvertiefen, soweit dies für mich gedanklich
noch möglich war; und zu diesem versuchte ich, mir den Spiegel der
Selbsterkenntnis vorhaltend, mein Ich, meine Position als Mensch, in Relation zu
setzen. Und ganz von selbst wird dabei der Logos des nationalen Denkens,
hineingedrängt in andere Überlegungen, die letztlich in das unbedingte Wollen
zur universellen, zur globalen Lösung, münden.
Und ich muß sagen, dieses Ergebnis be-
/666/ AE: 70
friedigte mich tief.
Es ist nicht einmal schwer; es ist eigentlich – wie alles in der Natur –
einfach. Die Wiederspiegelung des Makrokosmos im Mikrokosmos und umgekehrt.
Tausendmal gehört; auch erfaßt. Aber ich zog in früheren Jahren nicht die
Nutzanwendung.
Freilich, ich stehe damit nicht alleine da; denn die Oberflächlichkeit ist
es, welche triumphiert. Sonst gäbe es ja längst schon keine Kriege,
Ausrottungen, Haß und Zerstörung mehr.
Mit Beginn der Existenz des materiellen "Seins" unserer Welten, den
der Mensch erkenntnismäßig vor runden fünf Milliarden Jahren glaubt ansetzen
zu können, steht dieses "Sein" in der "Zeit".
Seit eben dieser Zeit, stehe auch ich, der ich mich augenblicklich im
Seins-Zustande des Menschen befinde, in irgendwelchen Lebensformen des
"Seins", gemäß einer Ordnung des Waltens.
Fünf Milliarden Jahre mußte ich also warten bis mich eine allwaltende
Ordnung, auf einen kurzen Zeitla?? als Daseinsform Mensch
"abkommandierte".
Ob ich in diesem genannten Zeitraum schon einmal als Erscheinungsform Mensch
gegenständlich und gegenwärtig war, weiß ich nicht. Ob ich in künftigen
Äonen wieder einmal zu solch einer "Kommandierung"
/667-668/ AE: 71-72
gelange, weiß ich auch nicht.
Ich glaube weder das eine, noch das andere. Nur eines weiß ich sicher, daß
ich nach Beendigung meiner augenblicklichen Lebensform, unzählige andere
Daseinsformen des organischen und anorganischen Lebens, als Partikelchen des
"Seins" zu durchlaufen habe.
Sechzig Jahre lebe ich als Mensch. Mag sein etwas länger, mag sein etwas
kürzere Zeit.
Wie töricht war ich, nur im Sektor "Das Reich", nur im engen,
nationalistischen Verharren zu denken.
Es ist ein Wunder, besser gesagt wunderbar, daß ein allgütiges Walten, dem
Menschen seines "Sein", als der Güter Höchstes, die Freude gab. Die
Freude in ihren tausendfältigen Formen.
Freude nutzend, und wieder teilend, sollte alleine die wahre Lebensafgabe des
Menschen während seiner Erdenjahre sein.
Alles andere lohnt wenig und ist so recht bedacht nicht einmal egoistisch. Es
ist nur töricht, sonst aber nichts.
/6 Zeilen bis Ende der Seite unleserlich gemacht, ebenso knapp 6 weitere
Zeilen auf der neuen Seite oben/
Ende
Adolf Eichmann
6 – 9 – 61
Ich habe die letzten Seiten gestrichen. Falls man glaubt, das eine oder
andere davon verwenden zu wollen, habe ich nichts dagegen; mir ist es egal. /Kurzsignatur/
/669/
IV. Teil (Anhang)
"Götzen" Skizzen.
Inhalt 6 Blätter
5 Skizzen als Anhang zur
Illustration
Adolf Eichmann
Haifa, den
6-9-61
/677
/Anhang 1
/durchgestrichen mit der Bemerkung Ungültiger Entwurf
Testament.
Im falle meines Todes bitte ich folgendes:
Ich wünsche, daß meine Leiche von meinen Brüdern aus Israel nach Linz
a/Donau, Oberösterreich gebracht wird.
Daselbst ist sie zu verbrennen.
Die Asche ist in sieben Teile zu teilen.
1/7 der Asche soll in das Grab meiner Eltern auf dem Friedhof zu Linz
a/Donau, kommen.
1/7 der Asche im Garten des Hauses meiner Frau und Söhne in Buenos Aires,
verstreut werden.
Von den restlichen 5/7 gehören jedem, meiner Ehefrau Vera geborene Liebl,
und meinen Söhnen: Klaus, Horst, Dieter und Ricardo-Francisco, je ein
Siebentel.
-
Es soll einem jeden von ihnen dermaleinst, wenn auch sie ihr Erdenleben
beendet haben, mit in ihrem Sarg gegeben werden.
/678/
Es mag ihnen zur Beruhigung dienen, dieses zu wissen, und allfällige Angst
vor dem Tode, ihnen nehmen.
Denn: der Tod ist nicht schlimmer als die Geburt; und tausendmal tausend
andere Leben erwarten noch unser.
Adolf Eichmann
Jerusalem, den fünfzehnten August Eintausendneunhunderteinundsechzig.
(Am 30. Jahrestag meiner Verlobung mit meiner Frau).
Die Adressen meiner Brüder sind:
Otto Eichmann, Linz a/Donau, Bischofstraße 3, Oberösterreich
Dr. Robert Eichmann, Linz a/Donau Bischofstraße 3, Oberösterreich
Dieses Testament ist meiner Ehefrau Vera geb. Liebl über Herrn Dr. Robert
Eichmann, Linz a/Donau auszuhändigen. Für die Arbeit, die ich nach meinem Tode
noch mache, hatte ich nur Entschuldigung und danken den Personen, die sich darum
bemühen.
Adolf Eichmann
15-8-61/
-
/677/
Anhang 1
/durchgestrichen mit der Bemerkung Ungültiger Entwurf
Testament.
Im falle meines Todes bitte ich folgendes:
Ich wünsche, daß meine Leiche von meinen Brüdern aus Israel nach Linz
a/Donau, Oberösterreich gebracht wird.
Daselbst ist sie zu verbrennen.
Die Asche ist in sieben Teile zu teilen.
1/7 der Asche soll in das Grab meiner Eltern auf dem Friedhof zu Linz
a/Donau, kommen.
1/7 der Asche im Garten des Hauses meiner Frau und Söhne in Buenos Aires,
verstreut werden.
Von den restlichen 5/7 gehören jedem, meiner Ehefrau Vera geborene Liebl,
und meinen Söhnen: Klaus, Horst, Dieter und Ricardo-Francisco, je ein
Siebentel.
Es soll einem jeden von ihnen dermaleinst, wenn auch sie ihr Erdenleben
beendet haben, mit in ihrem Sarg gegeben werden.
/678/
Es mag ihnen zur Beruhigung dienen, dieses zu wissen, und allfällige Angst
vor dem Tode, ihnen nehmen.
Denn: der Tod ist nicht schlimmer als die Geburt; und tausendmal tausend
andere Leben erwarten noch unser.
Adolf Eichmann
Jerusalem, den fünfzehnten August Eintausendneunhunderteinundsechzig.
(Am 30. Jahrestag meiner Verlobung mit meiner Frau).
Die Adressen meiner Brüder sind:
Otto Eichmann, Linz a/Donau, Bischofstraße 3, Oberösterreich
Dr. Robert Eichmann, Linz a/Donau Bischofstraße 3, Oberösterreich
Dieses Testament ist meiner Ehefrau Vera geb. Liebl über Herrn Dr. Robert
Eichmann, Linz a/Donau auszuhändigen. Für die Arbeit, die ich nach meinem Tode
noch mache, hatte ich nur Entschuldigung und danken den Personen, die sich darum
bemühen.
Adolf Eichmann
15-8-61/
/675/
175
1
Anhang 2
P. Achenbach(1) Bad Krozingen (Baden),
Pastor i. R. Hofstrasse 14
11. September 1961
An den Angeklagten Eichmann, z. Zt. Israel.
Gelegentlich einer Studienreise durch Israel hatten evangelische Pfarrer in
Deutschland mich beauftragt, bei Herrn Dr Servatius anzufragen, ob auch
seelsorgerlich für Sie etwas getan würde. Nach einem Telefongespräch mit
Herrn Staatsanwalt Wechtenbruch erhielt ich keine Nachricht mehr.
Von einem Pfarrer, der in Israel lebt und im Blick auf eine gleiche Bitte
Ihrer damaligen evangelischen Heimatgemeinde Linz, sich mit Herrn Dr. Servatius
ind Verbindung setzte, ergab sich, daß auch er bis zu meiner Abreise aus Israel
nichts mehr gehört hat.
Nun weiß ich nicht, ob Sie von diesen Verhandlungen Kenntnis erhalten haben.
Vielleicht haben Sie inzwischen den Wunsch nach seelsorgerlicher Aussprache
selbst gehabt.(2) Es bewegt mich aber doch einmal persönlich an Sie zu
schreiben. Auf meiner Reise durch Israel war ich auch im Gerichtssaal und folgte
einer Verhandlung. Später habe ich durch Rundfunk und Fernsehen an dem fortgang
des Prozeßes teilgenommen.
Als ich im Gerichtssaal die Anklagen vernahm und auch den Verteidiger wie
die Öffentlichkeit beobachtete sah ich mich im Geist an den jüngsten Tag,
dem Gerichtstag Gottes, versetzt. Schon jetzt war ja im Gerichtssaal alles
öffentlich zu beobachten. Am jüngsten Tage wird aber unsere Schuld für alle
Welt vernehmbar aufgedeckt. Denn wird der Teufel selbst der Ankläger
sein. Was wird ein Mensch dann antworten, wenn er nicht den Verteidiger JESUS
zur Seite hat. Es wird am jüngsten Tage alles noch so Geheimnisvolle vor
Gott offenbar werden. Am Richterstuhl gottes kommt niemand vorbei. Darum ist es
gut, wnn amn schon in dieser Welt Schuld erkennt, bereut und soweit es
möglich ist wieder gutmacht. Darf ich Sie an einen Liedervers erinnern, den sie
wohl aus dem Konfirmanden-Unterricht noch im Gedächtnis haben:
"Wenn der Kläger mich verklagt, Jesus hat mich schon vertreten,
Wenn er gar zu schten wagt, Jesus hat für mich gebeten,
Daß mein Mittler für mich spricht, das ist meine Zuversicht."
Sollte es Ihnen von diesem Gesichtspunkt aus nicht möglich sein, einmal Ihre
ganze Schuldfrage an der Vernichtung der Juden von Gott her im Lichte der
Bibel und der Ewigkeit zu sehen. Aus zuverlässiger Quelle habe ich gehört,
daß Sie einmal ein frommer Junge gewesen sein sollen. Wenn dem so ist, wäre es
doch wichtig, sich zu fragen, an welchem Punkt die Weichen Ihres Lebens
umgestellt wurden, sodaß Sie trotz Kenntnis der Bibel dem Fanatismus des
dritten Reiches verfallen konnten. Wenn amn beabsichtigte die gesamte
Judenschaft der Welt auszurotten, dann fanden Ihre Vorgesetzten wohl in Ihrer
Person ein willfähriges Werkzeug.(3)
Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, daß Ihre Auffindung in
der weiten Welt für Sie persönlich zugleich Gottes Gericht, aber wenn es zu
einem Schuldbekenntnis käme, auch Gottes Gnade bedeuten könnte. Ihre
Bereitschaft, sich selbst das Leben zu nehmen, hebt Gottes Gericht nicht auf.(4)
Ich bin der Überzeugung, daß kein anderes Volk, als Israel, das Recht hatte
nach Ihnen zu fahnden und Sie vor Gericht zu stellen; denn die Juden sind das
Volk, an welchem wir Deutsche in einem ausmaß schuldig geworden sind, wie es
bisher nie in der Welt vorkam. Gott sucht uns Menschen immer in unserer Schuld.
Das geteilte Berlin und Deutschland sehe ich als Gottes Gericht wegen unserer
Schuld an Israel.
/676/2
Da Sie nicht nur dem richterlichen Urteilsspruch in Israel entgegesehen,
sondern auch dem Richtspruch Gottes über Ihr Leben, Handeln und Tun, sollten
Sie ein umfassendes Geständnis der ganzen Schuld(5) vor Gott und
Menschen ablegen. Es war ja schon im alten Testament so, daß wer Sünde und Schuld
erkannte und im Lichte Gottes bereute, auch Vergebung empfing. Eine Bibel zum
Studium wurde Ihnen ja schon, als Sie nach Israel kamen, übersandt.(6) In
ihr können Sie ja nachlesen, was Gott zu solchen schweren Verbrechen an
Menschen sagt. Ich kann nur hoffen, daß Sie sich noch von Gott und Seinem Wort
ansprechen lassen.
Ihre moralische Schuld haben Sie – soweit ich sehe - nicht
geleugnet: Sie suchten dieselbe aber wohl zu verkleinern. In Ihren Erwiderungen
stützen Sie sich auf den abgelegten Eid. Jeder Eid, auch wenn er scheinbar vor
Gott ausgesprochen wird, hat seine Grenze am göttlichen gebot und allgmein
gesagt an der Humanität. In der Prozeßführung wird Ihnen ja vom
Richter-Kollegium und der Anklage Humanität in einem solchen Maße zuteil, wie
man das sonst in schweren Prozessen kaum erlebte.
Wenn ich mich jetzt mühe(7), Ihnen innerlich ein wenig weiterzuhelfen,
dann tue ich das im Angesicht der Ewigkeit, vor der Sie stehen. Durch ein klares
Bekenntnis und einen ehrlichen inneren Aufschluß für Ihren und unser aller
Anteil an dem Furchtbaren, was an dem jüdischen Volk geschehen ist, könnte es
vielleicht doch für Sie zu einer Entlastung kommen.
Wenn ich nicht irre, haben Sie sich auch einmal auf den Philosophen Kant
berufen, aber gerade Kant hat uns Menschen ja gesagt:
"Das Gewissen des Menschen ist der große Mitwisser Gottes. Es steht
immer auf Gottes Seite. Es ist der große Mahner in der Menschenbrust."
Man kann das Gewissen zum Schweigen bringen, aber doch bricht eines Tages die
Not auf, sich verantworten zu müssen. Ein offenes, wahrhaftiges, aufrichtiges,
alles umfassendes Geständnis vor Menschen wird auch von Gott in der oberen Welt
aufgenommen. Ein solches kann nicht nur für Sie, sondern auch für unser unter
Gottes Gericht stehendes zweigeteiltes deutsches Volk ungeahnte Auswirkungen im
–Blick auf Begnadigung von Gott her haben.
Lassen Sie mich Ihnen noch einige Bibelworte in Erinnerung bringen.
"Wer Israel antastet, tastet Gottes Augapfel an." Sch.2,12.
Auf Grund der Bibel wurde mir folgender Satz bedeutsam:
"Wer Israel liebt wirkt Hand in Hand mit Gott."
Das Ernste ist, daß für jeden von uns persönlich die Stunde des Todes
kommt. Dann müssen wir vor Gottes Richerstuhl erscheinen. Unentrinnbar werden
wir dann Gott und seinem Gerichtsurteil ausgeliefert sein. Jedem wird die Frage
nach Gottes auserwähltem Volk und nach dem, was wir den Juden getan oder diesem
oder jenem Bruder getan oder nicht getan haben, vorgelegt werden. Dann kann sich
gottes Gericht nicht mehr in Gnade verwandeln. Das ist nur möglich, solange wir
auf Erden sind, d.h. wenn wir Buße tun. Buße aber heißt, sich sehen, wie Gott
uns sieht. Wer Gnade finden will vor Gott – wer Deutschland liebt und es mit
vom Verderben retten will, der stelle sich ein in die Reihen derer, die sich
richten lassen und zur Sühne bereit sind. Wer Gott liebt und ihn nicht weiter
erzürnen und betrüben will, der kehre heute noch um und bekenne seine Schuld,
auf daß die Gnade der Vergebung über ihn kommen kann, und dann den jüdischen
Brüdern Liebe und Wohltat gebracht werde, solange es noch für uns Zeit ist.
Seien Sie der Gnade der irdischen Richter, wie des himmlischen Richters
befohlen.
Paul Achenbach
(Unterschrift)
Die Hervorhebungen im Brief wurden von Eichmann vorgenommen.
Anmerkungen Eichmanns
zu dem Brief:
(1) Als Antwort; dem Pastor Achenbach:
1.)Er möge sich die Stellen lesen, die mein Verteidiger seinem Kollegen
Grüber
anläßlich des Kreuzverhörs vorgelesen hat.
(2) Nicht mit einem protst. Geistlichen.
(3) ???
Frechheit von diesem Achenbach!!
(4) Er soll siicht bekommen, auch nicht verlangt.
(7) Ich habe nicht darum gebeten, daß sich der pensionierte Pastor bemühen
möge.
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