[Zeitzeugen] [Gedenken] [Geschichte und Diskurs] [Erinnerung] [Nationalsozialismus] [Entschädigung] [Webausstellungen] [Suchformulare] [Literatur]
schoah.org

Wir versuchen auf diesen Seiten alle Dienste kostenlos anzubieten und sind somit auf Unterstützung angewiesen, denn leider wird haGalil im Rahmen der Bundesmittel zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Antisemitismus, trotz mehrfacher leitlinien-konformer und fristgerechter Antragstellung, in keiner Weise unterstützt. Wir müssen Sie deshalb bitten, haGalil auch weiterhin mit Ihrer ganz persönlichen Spende zu unterstützen. Schon zwanzig Euro helfen, haGalil zu erhalten; wenn's zweihundert sind, finanzieren Sie die Information für weitere Leser gleich mit.

haGalil e.V., Münchner Bank BLZ 701 900 00, Konto Nr. 872 091.
Sie finden weitere Angaben zu Überweisungen aus dem Ausland, zu Lastschriftverfahren, Spendenquittungen etc. auf den Seiten des haGalil e.V..

 

Entrance haGalil
Search haGalil
Jahaduth: Jüdische Religion
Jüd. Kalender
Forum Judaicum
Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!

... 30

Man wird einwerfen, ja großer Herrgott, wenn ich irgendwo gegen mein Wollen mit einer Arbeit, welche mir gegen den

/31/ AE: 13

Strich geht, als freier Mensch, eingespanntt werden soll, da macht man einfach Schluß damit, oder man ist ein Waschlappen, dem eben nichts besseres gebührt. Kaserne na ja, gut und schön; da hat man zu gehorchen, daß(sic) weiß ein jeder. Aber in einer Kanzlei, in einem Amt, da hau ich einfach auf den Tisch, sage meine Meinung und wetze aus dem Tempel raus. Noch dazu wenn man inzwischen ein Kerl von 28 Jahren geworden ist.

Genau dieselben Gedanken hatte auch ich um jene Zeit und mit mir eine Anzahl meiner Stubengefährten.

Aber da waren die Götter, denen ich ja dienen wollte.

Und die weltanschauliche Schulung, der man uns am Anfange unterzog, brachte uns noch näher an sie.

Das Leben des alten Preußenkönigs, Friedrich des Großen wurde uns in den lebendigsten Formen, von Meistern auf diesem Gebiete, lebensnahe gebracht.

Volksbindung und Blutsbande in den leuchtendsten Farben idealisiert.

Der Dienst am Volk, der Dienst am Führer als ein geheiligtes Privilegium gepredigt. Für die Freiheit des Vaterlandes alles hinzugeben, als höchste Verpflichtung und freudiges, jederzeitiges Wollen, eingehämmert.

Und ich glaubte es; mit allen Fasern

/32/ AE: 14

meines Glaubens, den aufzubringen ich in der Lage war.

So tat ich denn meinen Dienst; Schreibtischdienst, der mir weder physisch noch psychisch lag; der für mich eine Qual bedeutete; zu dem ich mich jeden Tag auf‘s Neue selbst kämpfend besiegen mußte, ehvor ich an das befohlene Tagewerk ging.

(3)

Der Mensch gewöhnt sich an alles, wenn es sein muß. Und nachdem die Macht der Gewohnheit große Prozentsätze des Widerwillens an der nichtbehagenden Tätigkeit verschluckt hatte, die weltanschaulichen Belehrungen einen weiteren Teil unter den Tisch schlug(sic), blieben relativ nur noch geringe Rückstände des Widerwillens an der Oberfläche und auch diese wurden alsbald übertüncht durch die nicht ableugbaren Erfolge der Führung des Reiches, die sie für das deutsche Volk erlangten. Die große politische Linie sah unsereiner ja nicht. Auslandsmeldungen durch Presse und Rundfunk gelangten noch nicht zu uns; dazu waren wir zu geringe Diener an Volk und Staat. Die internationalen Verflechtungen im politischen Geschen(sic), waren damals auch mir noch "Böhmische Dörfer".

Aber auch ich sah das Verschwinden der Arbeitslosenarmeen, die Militarisierung der Rheinlandzone,

/33/ AE: 15

die Wiederherstellung der Wehrhoheit; den frenetischen Jubel der Millionenmassen, wenn die Götter sich zeigten. Und meine Verhaftung an diese war eine stets fühlbarere.

Aber es waren schließlich doch nur irdische Götter. Bewußt und unbewußt wehrte ich mich, ihnen mit meinem allerletzten inneren Ich zu verfallen. Das Vaterland, die Freiheit, ja.

Bedingungslos!

Die Seele, daß(sic) was dann kommt, wenn die Stunde da ist, und diese irdischen Werte aufhören Gegenstand des Hoffens, Glaubens und Wirkens zu sein, dies behielt ich als ein Privatissimum, über welches ausschließlich nur ich selbst entscheiden konnte und wollte. Hier ließ ich auch die Götter nicht heran, so sehr ich ihnen sonst gläubig verfallen war.

Hier war die elterliche Erziehung und die innere Bindung an die von Generation zu Generation überlieferten Werte noch zu stark, um dem Einbruchsversuchen(sic) nachzugeben. Hier war ich stur.

Stur wie die neuen schweren Panzer, welche eben zur Hebung der Herzensfreude und als sichtbare Garanten der Freiheit, in Erscheinung traten.

Stur wie die Kurse der neuen Bombengeschwader, welche unbeirrbar am

/34/ AE: 16

berliner Himmel dahindonnerten.

Meine Bindung an die Kirche! Fast alle meine Kameraden waren längst aus den Religionsgemeinschaften ausgetreten und wetzten nun den Schnabel in Zoten und Verleumdungen gegen Kirche und Klerisei.

Und hatten sie Alkohol im Bauch, dann wollte damit einer den anderen, im Wettstreit mit ihrer Dummheit, übertrumpfen. Natürlich war ich dann stets besonders eine willkommene Zielscheibe, freilich nicht böse gemeinten, Kameradenspottes. Schon in der Kaserne fing es an. Es gehörte zum neuen Ton, selbstverständlich den Kirchenaustrittschein zu bringen. Nicht daß von seiten der Obrigkeit darauf gedrängt wurde; dies wäre unwahr. Mag sein, daß dies im Parteileben üblich war. Bei den SS-Verfügungstruppen und selbst auch im SD-Hauptamt, war es nicht üblich. Aber der Kameradenspott grob, ja saugrob, freilich landserhaft gutmütig, doch nicht ohne Stachel und Dorn, der sorgte dafür und auch die Hoffnung auf schnelles Avancement tat das ihre, diese Austrittsscheine im allgemeinen baldigst zu holen.

Bei der Truppe hatte ich dieser halb bald Ruhe.

Denn wie es unter jungen Menschen schon einmal so üblich ist, zählte alles andere oftmals nicht halb so viel,

/35/ AE: 17

wenn der Betreffende ein guter Sportler ist.

Das gefürchtete Gerät in jener Zeit, war die Eskladierwand. Eine zwei Meter und einiges, hohe und starke Bretterwand, über die es in mehr oder weniger eleganter Weise hinüber zu wetzen galt. Hier arbeiteten die Hintern, Knie und Fußspitzen, verzweifelt mit der Muskulatur der Arme, um die runden 70 Kilogramm Landserlebendgewicht, auf die andere Seite zu befördern.

Die "Taugenichtse" gingen in das Vermerkbuch des "Spieß"; zwecks Dienstleistung in der Küche zum verhaßten Kartoffelschälen, zum Abortbrillenputzen, denn gelernte Optiker gab es stets nur sehr wenige, oder gar keine, und diese Tätigkeit wurde dann meistens von diesen Nichtskönnern verlangt, wenn die übrige Kompanie Ausgang hatte, und mit Fräulein Braut in‘s Grüne abhauen konnte.

Ich hatte den Vorzug – in jener Zeit hatte ich noch eine turnerische und sportliche "Ader" – mühelos und sogar elegant über jene Wand zu kommen und wurde auszeichnungshalber, zwecks leichter Hilfeleistung, welche nur mit Fingerspitzen gegeben werden durfte, vom Kompaniechef abgestellt. Dies war eine übliche Erleichterung.

/36/ AE: 18

Aber in der Regel hatten die Hilfeleister ihre allergrößte Freude an einer Behinderung und Erschwerung, statt umgekehrt. Dies gehörte ebenfalls zum allgemeinen "Flachs" und Ulk. Freude auf Kosten anderer. Ja, das Kasernhofleben war eben rauh aber herzlich. Ich leistete damals in Wahrheit, vorzügliche Hilfestellung. Es genügte meist ein leichter Druck auf eine der in der Luft herumorgelnden Hinternbacken, und der Kerl war drüber. Das Zünglein an der Wage(sic) gewissermaßen. Und da gerade Samstag vormittag war und der Stabsfeldwebel keine Notierungen zu machen hatte, kamen die Herren der Kompanie alle mit ihren geehrten Bräuten zu ihrem Wochenendvergnügen.

Ich wurde seit damals, so wenig die Motive selbst auch zusammenhingen, in religiösen Dingen nicht mehr belästigt.

Als ich 1935 Hochzeit machte, fand diese in der evangelischen Kirche zu Passau statt; in Uniform.

Hier freilich versuchten meine damaligen Vorgesetzten zu intervenieren und wiesen auf die Unmöglichkeit hin.

Aber die Panzer waren ja auch stur. –

Erst im Herbst 1937, ich war jedenfalls schon seit einer kleinen Ewigkeit Hauptfeldwebel, trat ich ohne Druck oder Zwang, aus freien Stücken und in voller Überlegung aus dem evangelischen Religions-

/37, 38/ AE: 19

Verband aus und bezeichnete mich ab dieser Zeit, als "gottgläubig". Daran hat sich bis heute nichts geändert. Ich wurde weder ein Kirchenfeind, noch war ich je antiklerikal. Ich sah die Notwendigkeit religiöser Gemeinschaften aus ethischen und aus Gründen der Erziehung als wichtig an, aber ich wollte frei und ohne kirchliche Bindung im Verkehr zwischen meinem Herrgott und mir sein. Außerdem widerte mich der seinerzeitige Kampf innerhalb der evangelischen Kirche so an, daß ich nichts mehr von ihr wissen wollte. Die eine Seite war Feuer und Flamme für die neuen Götter und ihr Tun; die andere Seite bekämpften sie auf Tod und Teufel.

/Der folgende Abschnitt ist gegenüber von S. 17 nachträglich notiert, gehört offenbar hierher:

Nicht die Tatsache des Kampfes gegen den damaligen Staat selbst war es, der mich zur Distanzierung zwang, als vielmehr die Überlegungen, "daß es kaum göttlichen Wünschen entsprechen mochte", wenn seine verordneten Diener sich derart eifernd und gegenseitig verunglimpfend, in irdische Belange einließen und sich gegenseitig "in die Wolle" bekamen. Hinzu kamen meine Zweifel in glaubensmäßiger Hinsicht, die ich an anderer Stelle noch einmal streife./

Da lobte ich mir damals die römisch-katholische Kirche; sie holte ihren Wertmaßstab erst gar nicht aus der Kiste. Sie war gewohnt in Jahrhunderten zu denken, zu messen und zu wägen. Wäre ich damals Katholik gewesen und nicht Protestant, ich wäre stur als solcher im Kirchenverbande geblieben. Man hatte sich ja schon seit drei langen Jahren daran gewöhnt gehabt, daß ich einer der ganz wenigen, wenn nicht der einzige war, der hier so lange stur blieb. Freilich muß ich einschränkend hinzufügen, daß ich auf der anderen Seite aber auch in keiner

/39/ AE: 20

Form etwa missionierend oder sonst irgendwie predigend tätig geworden bin. Solches hätte ich nie und nimmer getan. Ich verteitigte(sic) ausschließlich meine eigene persönliche Stellung zu den mir anerzogenen Werten und Überlieferungen; bis auf den Tag, an dem ich aus eigener Erkenntnis, die Dinge in einer mich innerlich befriedigenderen anderen Helle sah.

Ja, und wie war es mit der Judenfrage in jener Zeit und wie stand ich zu ihr.

Als ich im Herbst 1934 in das SD-Hauptamt versetzt wurde, gab es dort überhaupt noch kein Referat und keinen Sachbearbeiter, der sich mit Juden zu beschäftigen hatte. Dies war erst im Laufe des Jahres 1936 der Fall.

Während des Prozesses, und zwar innerhalb des etwa 10 Tage dauernden Kreuzverhöres, frug mich einer der drei Richter, oder war es der Generalstaatsanwalt, bezüglich meiner seinerzeitigen Einstellung zum Programm der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiter Partei", ob es mir bekannt gewesen sei, und ich doch zweifelsohne gewußt haben mußte, daß diese Partei den Kampf gegen das Judentum, als einen nicht zu übersehenden Faktor ebenfalls auf ihr Panier geschrieben hatte; also müßte ich doch auch Antisemit gewesen sein.

Ich konnte diese Frage sehr einfach und wahrheitsgemäß beantworten, indem ich

/40/ AE: 21

sagte, daß ich den Judenprogrammpunkt wohl gekannt habe, doch niemals Antisemit war. Nun, diejenigen der israelischen Polizeibeamten, mit denen ich während der Voruntersuchung laufend zu tun hatte, kannten die näheren Umstände, die mich berechtigten, eine solche Antwort zu geben. Auch mit einem Psychiater unterhielt ich mich über diese Frage. Es ist üblich, daß Angeklagte in größeren Prozessen im Laufe der Voruntersuchung sich mit solchen Fachärzten zusammensetzen, der(sic) dann auf Grund der Unterhaltung, seine Teste macht. Diese Unterhaltung setzt natürlich eine freiwillige Bereitschaft seitens des Angeklagten voraus, denn sonst wäre der Test ja schließlich auch wertlos.

Nun, ich will zu dieser Frage jetzt auch hier Stellung nehmen; und ich muß auf eine kleine Sekunde in mein Elternhaus zurückgehen.

Meine erste Mutter starb sehr früh; mein Vater heiratete zum zweiten Mal. Er mußte es, denn wir waren fünf kleine Kinder und es gab mit den Wirtschafterinnen, Köchinnen und Stubenmädchen, die in einer zweijährigen "mutterlosen" Zeit den Haushalt meines Vaters zu führen hatten viel Ärger. Wie es schon so geht. –

Mit der zweiten Mutter, die selbst keiner jüdischen Familie entstammte, kam aber jüdische Verwandtschaft in unsere Familie.

/41-42/ AE: 22

Tanten, Onkel, später Cousinen. Wenn man klein ist, dann wächst man automatisch in seine Umgebung hinein. Unsere Familie, nicht nur die engere, ich meine die gesamte Sippschaft, gehörte zu den seltenen Familienverbänden, von denen man behaupten konnte, daß niemand dem anderen seine Wässerchen trübte. Es war ein fröhliches, herzliches Verbundensein ohne Arglist, Lug oder Trug. Egal, ob Jude, jüdisch versippt oder Nichtjude.

/1. Zusatz von Seite gegenüber: Meine Eltern und damit meine Familie war weder judenfreundlich, noch judenfeindlich. Das Problem als solches, war eben ein völlig Familienfremdes gewesen; es stand niemals in irgend einer Form zu(sic) Debatte./

Mein alter Herr selbst hatte u.a. auch Juden zu Freunden.

/2. Zusatz von Seite gegenüber: Wären es keine Juden gewesen, wären sie auch befreundet gewesen. Mein Vater kümmerte sich um diese Dinge ebensowenig, wie etwa, was es am Abend zu essen gäbe./

Ich erinnere mich noch des jüdischen Hopfenhändlers Taussig aus Urfahr bei Linz. Ich glaube es war der Nachbar unseres damaligen Gartens am Hang des Pöstlingbergs. Und wir Kinder kamen zur Erdbeerzeit aus unserem Garten in Taussig‘s Gehege und schnabelten dort, mit seinem Einverständnis und Einladung, allmälig(sic) die Erdbeerbeete leer, nachdem unsere schon längst von uns Kindern abgeerntet waren.

Ich war noch ein sehr kleiner Lausbub, aber ich erinnere mich zu genau, eines anderen jüdischen Freundes meines Vaters, der mir, war er Gast meiner Eltern, auf dem Flügel stets sehr feurig die Marseillaise vorspielte /3. Zusatz von Seite gegenüber: und vorsang "Allons enfants de la patrie"./ Er war gebürtiger Franzose, aber längst

/43/ AE: 23

naturalisierter Österreicher. In der Volksschule kam ich neben einem Juden zu sitzen; wir wurden Freunde. Ich in seinem Elternhaus, wie das schon so geht, er in dem meinen. Die Freundschaft hielt eigentlich lange an. Genau gesagt, bis wir uns aus den Augen verloren, durch meinen Abgang von Linz a/Donau, im Jahre 1933. Eingemale trafen wir uns auch auf der Reise, letztmalig in Grünau im Almtal, bei einem Raseur. Es machte ihm offenbar nichts aus, daß ich das Abzeichen der NSDAP angesteckt hatte und mir machte es nichts aus, daß er Jude war. Im Gasthof tranken wir unser Getränk und kümmerten uns den Teufel ob Jude oder Nichtjude. /6 Zeilen gestrichen, noch lesbar: Mein Religionslehrer, der evangelische Pfarrer Tiebel in Linz, ein Junggeselle aus Ostpreußen, erzählte uns während des Religionsunterrichts oftmal von seinem Amtsbruder – wie er ihn nannte – dem Rabbiner in [Ortsname]./ Noch als SS-Obersturmbannführer, küßte ich sehr herzlich meine halbjüdische Cousine, die mich mit ihrem Vater in Berlin auf meiner Dienststelle besuchte und man brach am Abend in einer netten Weinstube in Berlin, einigen netten Flaschen den Hals.

Und warum sollte ich meine bildhübsche

/44/ AE: 24

zwanzigjährige halbjüdische Cousine nicht küßen, sagte ich zu meinem "ständigen Vertreter", dem SS-Sturmbannführer Günther; so was kann doch unmöglich Reichsverrat sein. Er hatte diesbezüglich strengere Auffassungen.

In Budapest hatte ich auch entfernte Verwandte sitzen. Meine dortige Cousine, eine Psychiaterin, war mit einem jüdischen Schuhindustriellen verheiratet, von dem sie aber geschieden war und just um die Zeit, als ich 1944 nach Budapest befohlen wurde, war sie mit einem jüdischen Dozenten an der Universität Budapest, verlobt.

Gemeinsam tafelten wir zu Abend. Meine Tante, meine Cousine, ihr jüdischer Verlobter und ich in der Uniform eines SS-Obersturmbannführers. So, wie es mir mit den Juden in der Verwandtschaft meiner zweiten Mutter erging, ähnlich erging es mir mit der Verwandtschaft meiner Frau bezüglich der Čechen. Ich feiere übrigens in wenigen Tagen hier im Gefängnis in Israel, den dreißigsten Jahrestag unserer Verlobung; seit 26 Jahren bin ich verheiratet.

Die Verwandtschaft meiner Frau besteht aus Čechen und ehemaligen Österreichern, also Böhmen mit der Muttersprache Deutsch. Seit 1648 ist ihre Familie in

/45-46/ AE: 25

Südböhmen ansäßig gewesen. Und ein Holzbalken im Hofe zeigt eine noch frühere Jahreszahl.

Als ich dienstlich im Jahre 1939, nach Prag versetzt wurde hatte ich genau dasselbe herzliche Zusammenleben mit meinen čechischen Schwägern, es waren die Ehemänner der Schwestern meiner Frau, wieder aufgenommen. Der eine davon war während der Zeit des(sic) čechoslovakischen Republik Artillerieoffizier gewesen, der andere zur Zeit der Besatzung durch uns, aktives Widerstandsmitglied und Kommunist. Seine Tochter, meine Nichte also, studierte irgendwann nach 1945, Welthandel in Moskau.

Ich weiß, daß meine beide Schwäger glühende čechische Patrioten waren und ich achtete ihren Nationalismus. Ich hätte mir eher die Zunge abgebissen, als das(sic) ich sie angezeigt hätte, oder selbst eine Verhaftung vornahm, zu der ich berechtigt gewesen wäre. Die verwandtschaftlichen Bande waren stärker als die zu meinen Göttern; obgleich sie auch durchaus nicht schwach waren.

Ich haßte weder den Čechen, noch den Juden, noch irgend jemanden anderen.

/Zusatz von Seite gegenüber: Ich hatte auch nie von irgend jemanden(sic) persönliches Leid erfahren./

Die ganze Erziehung die ich genoß feite mich darüber hinaus vor solchen Gefühlen. Ich kannte sie nicht. Ich lebte in einer Welt, die gegensätzlich beispielsweise von der, junger Corpsstudenten der schlagenden Verbindungen

/47/ AE: 26

war. Hier nährte(?) diese, der Geist eines Ritter von Schönerer mit seinen antisemitischen Gesängen und Predigten. Hier wurde das Wort Arier, betont und deutlich ausgesprochen, ein Wort, welches erst spät, sehr spät überhaupt in meinen Wortschatz gelangte.

Hätte ich nicht innerhalb eines solch innigen und herzlichen Familienverbandes gelebt, ein Verband, zu dem sich dann die Familien meiner Frau hinzugesellten, möglich daß auch ich von solchen Gedankengängen angesteckt worden wäre. Aber ich wurde es nicht und dies ist entscheidend.

/zweieinhalb Zeilen unleserlich gemacht/ Als in Linz einmal Pfadfinderführer, von irgendeiner Tagung kommend in unserem schönen Landeshauptstädtchen einige Tage verweilten und die einzelnen ausländischen Pfadfinder auf Bürgerfamilien aufgeteilt wurden, da brachte mein Vater einen französischen Pfadfinderführer als Gast mit nach Hause. Ich sprach um jene Zeit – genau wie mein zweitältester Bruder Emil – recht ordentlich französisch, da unsere Mutter, ein gutes französisch und englisch sprach und uns durch Conversation, die Sprache mühelos eintrichtern wollte.

Dieser junge Franzose war ein prächtiger

/48/ AE: 27

Mensch und ich fühlte mich nach Art der Halbwüchsigen glücklich, ihn zum Freunde gewonnen zu haben. Wir verlebten gemeinsam frohe unbeschwerte Tage, schwelgend in Romantik, Bubenfreundschaft und Pöstlingbergrosengärten und tauschten unsere bündischen Lieder aus dem "Zupfgeigenhansel" des Wandervogels, und aus anderem aus. Und später, als auch für mich die Franzosen mit die Verkörperung von Versailles schlechtwege wurden, selbst da gelang es keiner Macht, in mir auch nur die leisesten Haßgefühle gegen auch nur irgend einen Franzosen als solchen zu erzeugen.

Und ich lernte eigentlich schon recht früh, daß das Einzelindividuum keinesfalls zu identifizieren ist mit Nation oder Glauben oder gar Politik.

Die Worte Rasse, Volkstum und ähnliche gelangten gleichermaßen erst spät in meinen Wortschatz, so wie ich es bezüglich des Wortes "Arier", schon feststellte.

Und auch da, klassifizierte ich das Verhältnis zwischen dem Individuum und den für mich neuen Begriffen nicht anders, als wie ich es bis dahin zwischen Individuum und Nation tat.

Selbstverständlich bin ich kein Heiliger; als während des Krieges der Bombensegen ganze Stadtviertel in Null komma Nichts in Schutt und Asche legte, und tausende Deutscher verreckten und ver-

/49-50/ AE: 28

kamen, verschmorten und zerrissen wurden, da habe auch ich in der Hitze-Leidenschaft ungezählte derbe und derbste Flüche gegen die Bombenwerfer vom Stapel gelassen.

Auch ich bin kein Heiliger und habe als die Israeler mit den Franzosen und Engländern Ägypten angriffen in der Hitze der durch die Presse entfesselten Leidenschaften, derbe und derbste Worte gegen die Angreifer gebraucht. Ich bin nicht anders als andere auch. Aber dies ist eben eine Reaktion die ausgelöst wird, der man sich je nach Temperament hingibt und die dann mit Worten ihr Ende findet. Dies bezieht sich weder auf den einzelnen Engländer, Franzosen, Juden oder Nordamerikaner; weder auf den einzelnen Rußen, Polen, Jugoslawen, noch auf einzelne andere.

Sie ist – es kommt mir jedenfalls so vor – irgendwie natürlich; denn nur kranke oder teilnahmslose Menschen, oder der Weise, die sind gefeit von(sic) diesen menschlichen Schwächen; andere nicht, besonders dann nicht, wenn sie /Fortsetzung gestrichen und ersetzt durch Zusatz von Seite gegenüber: anläßlich der Beispiele die ich nannte, durch Zerstörung praktisch, und durch die Presse künstlich, in einem erweckt, ausgelöst werden./

So also konnte ich sagen, ich bin nie ein Antisemit gewesen, denn es stimmt. Und während der sogenannten Kampfzeit der NSAP, nahm weder ich, noch die mir geistig verwandten Meinesgleichen, den Judenbekämpfungsprogrammpunkt der Partei auch nur im leisesten ernst. Ja,

/51/ AE: 29

man beachtete ihn nicht einmal. Seinetwegen fühlte man sich ja auch in gar keiner Form mit der Partei verbunden. Die Anziehungspunkte lagen, wie ich schon sagte, auch für mich, auf einem ganz anderen Sektor. Wenigstens war es so im österreichischen Bergland. Ich beachtete ihn ebenso wenig und er war für mich ganz genau so bedeutungslos, wie die "Bekämpfung" der Kirche und Klerus.

------- ----------

Dies also war mein Ich, als ich meine Anfangszeit im SD-Hauptamt zu Berlin verbrachte.

Unverbildet, unkompliziert, nicht faul und nicht fleißig; und eine derbe Kasernenhofschale nach außen, schützte mein Innenleben.

Zwar war meine Tätigkeit nicht nach meinem Geschmack, aber die steten weltanschaulichen Hinweise auf Eid und Verpflichtung, ließen in mir nach und nach keine anderen Überlegungen mehr aufkommen.

Ich gehorchte und blieb meinen Göttern verbunden, indem ich mich befehlen ließ und gegen den Stachel nicht löckte.

-(4)-

Ein halbes Jahr nach meiner Versetzung nach Berlin, heiratete ich. Seit dem 15. August 1931, war ich verlobt und die Hochzeit fand am 21. März 1935 in Passau statt.

Bis der Möbelwagen meiner Frau aus der

- - - - - -

/52/ AE: 30

- - - - - -

Čechoslowakei nach Berlin kam, und die Zoll- und sonstigen Formalitäten erledigt waren wohnten wir – es waren etwa drei Wochen – in einer Pension und bezogen dann ein nettes, kleines, einstockhohes Einfamilienhäuschen mit Garten, in dem es sich ruhig und gemütlich leben ließ.

Tagsüber schob ich meinen Dienst, mit der Gleichförmigkeit eines Uhrwerks und Abends und Wochenende arbeitete ich im Garten oder wir rekognoszierten und inspizierten in Berlin und nähere Umgebung herum.

Ich ließ mir über einen Kameraden manches Fäßlein guten Pfälzerweines aus seinem Heimatgau kommen. Und je nach Witterung und Jahreszeit, verdrückte ich manches Tröpflein unter dem Schatten einer japanischen Blutbuche oder innerhalb des geschmackvollen Mobiliars, dem Ausstattungsgut meiner Frau, im Living(?). Ab dem Augenblick der Dienst für mich vorbei war, ließ ich die Götter sein, wo sie waren und mein ausschließliches Interesse galt dem familiären Beisammensein.

Meine dienstliche Tätigkeit war auch – wie ich zu sagen pflegte – zum Knochenkotzen. Tausende von Freimaurersiegeln und Münzen mußte ich katalogisieren und einordnen; meine kümmerlichen, allerletzten Lateinreste feierten in jener Zeit noch einmal fröhliche Urständ. Mein Chef war

/53/ AE: 31

ein dienstgradgleicher, verbummelter Student an der Berliner Universität und selbst Berliner; ungedient und nie bei der Truppe gewesen; aus der zivilen, bzw. allgemeinen SS, kommend.

Er war als "Museumdirektor", als Referent des Freimaurermuseums in der Wilhelmstraße 102 tätig, und ich war ihm als einer seiner "Sachbearbeiter" zugeteilt worden. Viel Würdezeigen und Dreischrittvomleibetaktik waren die hervorstechensten(sic) Eigenschaften des "Direktors", und wir Kasernhofblüten nahmen ihn gewaltig auf die Schippe. Besonders, wenn er mit tierischem Ernst seine surrealistischen "halbverwesten" Leichen aus Modellierpaste formte und sie mit überdimensionalen Würmern und Asseln garnierte. Und war ihm solch ein Prunkstück gelungen, dann hinein in einen Sarg und aufgestellt, zur Schau; etwa in den "Andreassaal".

Und Professor Schwarz-Bostaunitzel, der stocktaube ehemalige Verteitiger(sic) am Appellationsgerichtshof in Kiew, zur Zarenzeit, und nunmehrige Leiter der Abteilung Freimaurerei des SD-Hauptamtes machte mit dem donnernden Baß seiner Stimme und in seiner deutsch-russischen Aussprachsweise, die offiziellen Besucher des Museums anläßlich der Führungen durch dieses, mit kurzem Hinweis auf die "Geschmacklosigkeit und das Verworren-Dekadente der freimaurerischen Geistesverbildung" aufmerksam; nicht ohne

/54-55/ AE: 32

bissigen Nebenbemerkungen, wobei durch plötzliches Kopfheben sein spitz auslaufender Knebelbart wie eine Parallele, zur Decke und Fußboden gebracht wurde und gleichsam als kleiner Keil von ihm abstand: "und so etwas waren dann Studienräte und Studiendirektoren, verantwortlich für die Erziehung unserer Kinder", war sein sarkastischer Abschluß und seine /Fortsetzung auf der Seite gegenüber: Physiognomie erinnerte stark an einen eifernden babylonisch-assyrischen Priester./

Ich sah, wie hier böser Heck-Meck getrieben wurde, um die Freimaurerei ad absurdum zu führen und dachte in meinem Sinn, na, wenn sie nichts anderes finden und Wurmkram und Leichen mit Ton und Modellin präparieren müßen, dann scheint mir nicht viel dahinter zu sein. Ich hatte das Wort Freimaurerei zum allerersten mal genau am 1. 4. 1932, gehört. Ich meine, wissentlich zum ersten mal gehört, und das kam so:

Ich wurde durch Kollegen so etwa Anfang 1932 als Gast der Linzer "Schlaraffia" im "Vereinshaus" zu Linz eines Ortsverbandes der sogenannten "Allmutter-Praga" eingeführt. Kaufleute, Ärzte, Rechtsanwälte, Künstler usf. zählten zu ihren Mitgliedern. Der Brauch dort war witzig und das Völkchen war harmlos-humorig. Narrenkappenähnliche Kopfbedeckungen, mit vielen Orden und Verbandsauszeichnungen, zierten die Köpfe der Mitglieder. Einen ausgestopften Vogel, einen Uhu, der in einer Ecke, auf bevorzugtem Platze aufgestellt war, mußte man beim

/56/ AE: 33

Eintritt, die Hände über die Brust gekreuzt, und sich verneigend, begrüßen. Ein Erzmarschall leitete den offiziellen Teil des Beisammenseins und Klavizimbel hieß das Klavier. Na, wie ich schon sagte, harmlos-fröhlich; Jude wie Christ saßen hinter Bier und Wein, das heißt man hätte nicht gewußt wer Jude war, wer Christ, aber in so einer kleinen Stadt, kannten ja viele, Viele.

Am 1. 4. 1932 trat ich in die SS ein. Der damalige SS-Oberscharführer Dr. Ernst Kaltenbrunner, Rechtsanwalt in der Kanzlei nach seinem Vater, war schon eine bedeutende Persönlichkeit innerhalb der österreichischen NSDAP. Er wollte wissen, ob ich in irgendwelchen Vereinen oder Verbänden wäre, wenn ja in welchen und warum.

Und ich sagte ihm, daß ich als Gast bei den Schlaraffen verkehre. Raus aus dem Freimaurerhaufen, das ist eine ganz gefährliche Bande, sagte er mir. Nun er war damals noch nicht Chef der Sicherheitspolizei und des SD, noch kein General der Polizei und der WaffenSS, und noch nicht Mitglied des Reichstages. Ich konnte ihm daher sagen, von der Freimaurerei wüßte ich nichts, da ich davon bisher nie etwas gehört hätte, aber eine gefährliche Bande ist es ganz bestimmt nicht, so viel wüßte ich inzwischen sehr genau. Kaltenbrunner und ich kannten uns schon viele Jahre von der Straße her.

/57/ AE: 34

Man grüßte sich und sprach, so wie es der Tag und die Stunde mit sich brachte. Unsere Väter hatten geschäftlich öfter miteinander zu tun.

Aber ich kann die ganze Sache kurz abtun, indem ich erkläre, daß auf mein weiteres Kommen als Gast bei der "Schlaraffia" Linz gerade um diese Zeit herum kein Wert mehr gelegt wurde, weil ich in vorgerückter Stunde und in vorgerückter Laune, den ebenfalls um jene Zeit in vorgerückter Laune befindlichen oberösterreichischen humoristischen Schriftsteller Franz Resl, im Rosenstüberl zu Linz auf eine Flasche Wein eingeladen hatte. Er war Erzschlaraffe, ich war nur ein lausiger Gast; ich war damals 26 Jahre alt und er so zwischen fünfzig und sechzig; ich war ein Niemand, er aber war ein bedeutender Schriftsteller; wenn auch über Österreichs Grenzen hinaus eigentlich wenig bekannt. Aber trotz allem: diese meine Frechheit überstieg den Rahmen des Gewohnten. Dies war mein erstes Erlebnis mit der "Freimaurerei".

-(5)-

Obwohl also der Antisemitismus in einem der Parteiprogrammpunkte fixiert wurde, blieb ich demgegenüber unempfänglich; nicht einmal aus Wissen oder Wollen, sondern ganz einfach aus dem Grunde, weil er nicht zu meiner Vorstellungswelt gehörte, und weil ich nichts mit ihm anzufangen wußte.

/58/ AE: 35

Zum vielen Bücherlesen hatte ich es in jenen Jahren nicht gebracht. Sehr zum Kummer meines Vaters. Mit irgendwelchen "ismen" hatte ich mich aus Indolenz nicht auseinander gesetzt; und persönlich hatte ich keine Feinde; weder Juden noch Nichtjuden.

Die Günthersche Rassenlehre habe ich bis zum heutigen Tage nicht gelesen, ebenso wenig den Rosenberg’schen "Mythus des 20. Jahrhunderts" oder Mathilde Ludendorff. Dem Mystizismus war ich nie verfallen. Für mich haben bis zur Gegenwart weder die klaräugig-nordischen Rassevertreter das Licht, noch die dunkeläugigen Semiten die Finsternis oder umgekehrt verkörpert. Ich habe solches stets für einen ausgesprochenen Kohl gehalten und halte solches noch immer dafür.

Freilich, in dieser Vorstellung wühlten und bohrten Himmler und andere. Auch kleine Diener, wie besagter Professor Schwarz-Bostaunitzel, schwelgte in seiner mystischen Vorstellungswelt und pendelte in seinen verschiedenartigen geometrischen Figuren herum, um einem diese ganze Angelegenheit nach Art der alten Alchimisten schmackhaft zu machen. Seine Diagramme, seine Pentagramme und Hexagramme, dargestellt in den verschiedenartigsten Formen und Bedeutungen geschmückt mit Dutzenden von weiteren Symbolen, fanden in meinem wein- und bierfrohen Soldatengemüt keinen Platz. –

Als ich um jene Zeit im SD-Hauptamt war, hatte Himmler einem solchen modernen Alchimisten

/59/ AE: 36

in dem Park, in dem wir unsere morgendlichen Exerzierübungen absolvierten, ein kleines Laboratorium eingerichtet. Er sollte darin Gold machen. Angeblich konnte er es. Dieser Goldmacher hieß merkwürdigerweise Tausend.

Himmler war auf dem Wege, die SS zu einem Orden mit besonderem Brauchtum zu formen, in dem sich Gedankengut der alten Germanen mit dem des Deutschen Ritterordens, Materialismus, Romantik, Gottgläubigkeit und anderes mehr mengte. Die Brauer dieses Gemisches saßen im SS Rasse- und Siedlungshauptamt, und von dort aus wurde dieses Geistesgut in den Orden gepumpt. –

-(6)-

Im Jahre 1936 sprach mich ein SS-Untersturmführer von Mildenstein an, der seit kurzer Zeit ebenfalls im SD-Hauptamt tätig war. Er hatte eine Judenabteilung eingerichtet und suchte nun Personal, um seine Sachgebiete zu besetzen. Er erzählte mir, daß er Diplom Ingenieur von Beruf sei, in Palästina gewesen wäre und nun noch einen Sachbearbeiter genötige, ob ich Lust hätte. Ich hatte Lust. Ich hätte alles angenommen um jene Zeit, wenn ich dadurch nur von meinen verdammten Münzen und Siegeln, die mir schon beim Halse heraushingen, fortgekommen wäre.

Und so kam ich fort.

Die Abteilung hieß II 112; der Hauptabteilungschef blieb derselbe wie bisher, infolgedessen war die Personalabteilung des SD-Hauptamtes nicht erst groß zu befragen, sondern es brauchte

/60/ AE: 37

ihr lediglich eine formlose Ordnungsmeldung gemacht werden.

Herr v. Mildenstein hatte sich die Bearbeitung der Zionisten vorbehalten, ich hatte die jüdische Orthodoxie und ein dritter Mann die Assimilanten zu bearbeiten. Dazu kamen noch drei Hilfskräfte, als Schreiber und Aktenschieber. Herr von Mildenstein leitete das Ganze. [1]

Meine erste Tätigkeit in diesem neuen Laden, war das Lesen eines Werkes von Adolf Böhm. Es war eine ausführliche Schilderung des Wirkens und Wollens der Zionistischen-Weltorganisation.

Ich sollte eine Kurzdarstellung des Inhaltes herausarbeiten.

Dies war meine erste bewußte Kontaktaufnahme mit dem Judentum.

Mildenstein war ein liberaler und toleranter Geist; fern allem Fanatismus, Mystizismus und Radikalismus; und aus der Znaimer Gegend, aus Mähren, stammend; er war stets freundlich, ruhig, und hatte ein mildes Gemüt. Er sah die Judenfrage nicht vom rassischen und nicht vom religiösen Standpunkt, sondern einzig und alleine von der politischen Warte aus. Er war mein erster und zugleich mein bedeutenster(sic) Meister und Lehrer auf diesem Gebiet und seine Anschauungen von den Dingen habe ich mir zu eigen gemacht, da sie mich beeindruckten und überzeugten. Ich habe diese Anschauung bis zum Ende beibehalten.

Leider schied von Mildenstein bereits nach einigen Monaten aus. Er war einer der

/61-62/ AE: 38

wenigen, dem es gelang. Freilich, sein Beruf kam ihm dabei zu Hilfe, sonst wäre es sicher nicht gegangen. Er war Straßenbaufachmann; als solcher erhielt er den Befehl, in Nordamerika die Autobahnen zu studieren. Als er von seiner Studienreise zurückkam, wurde er von irgend einem anderen Ministerium vereinnahmt, da um jene Zeit der Reichsautobahnbau, mit aller Macht vorangetrieben werden mußte.

/Abschnitt gestrichen, noch lesbar: Seine Stelle als Abteilungsleiter übernahm ein junger Mann, der aber bereits nach kurzer Zeit zu(sic) Militär eingezogen wurde und mit der Übernahme der Judenabteilung im SD-Hauptamt durch Wisliceny, und später durch Six kam auf längere Zeit eine gewisse Stabilität in den Laden./

/ersetzt durch Zusatz von Seite gegenüber: Es wechselten dann in der Folgezeit kurz hintereinander die Abteilungsleiter. Jeder hatte sein eigenes System soeben als gültige Norm von sich gegeben, schon war er wieder abgelöst und ein anderer trat an seine Stelle. Schließlich übernahm Prof. Dr. Six die Zentralabteilung und setzte einen seiner Vertrauten als Leiter der Abteilung "Judentum", ein./

Es wurde im Laufe dieser Zeit mit der Anlage von Sachakten begonnen, eine Sachkartei wurde aufgestellt, eine Generalaktenhaltung aufgezogen und laufende Berichterstattung für die Vorgesetzten, bildete die Hauptarbeit, der wir nachzukommen hatten. Dem Berichterstattungswesen, waren alle anderen Arbeiten unterzuordnen.

Himmler und Heydrich müßen in jener Zeit auf ihren Nachrichtenapparat, dem SD-Hauptamt, sehr stolz gewesen sein. Ein mir vorliegendes Dokument aus jener Zeit, zeigt die stattgefundenen Besichtigungen auf, und man ersieht, daß

/63/ AE: 39

die Dienststelle innerhalb weniger Tage von 150 Offizieren der Kriegsakademie besucht wurde, daß Heydrich den(sic) Reichsaußenminister v. Ribbentrop das SD-Hauptamt zeigte, ferner sind 150 Offiziere des Reichskriegsministeriums verzeichnet sowie der Besuch des Chef(sic) der jugoslawischen

Geheimpolizei. [2]

In jener Zeit bestand meine Hauptarbeit im Lesen von Fachzeitungen und Zeitschriften sowie im Verdauen der einschlägigen Werke. In rauhen Mengen lagen die Zeitungen auf und ich ärgerte mich jedesmal, wenn ich die in hebräischen Lettern gedruckten jiddischen Zeitungen sah, denn die konnte kein Mensch lesen. Also ging ich eines Tages daran und kaufte mir in einer Buchhandlung ein Lehrbuch zum Studium der hebräischen Sprache. "Hebräisch für Jedermann" hieß es und ein gewisser Samuel Kaleko hatte es verfaßt. Nach einem Jahr Selbststudium kam ich nicht mehr zügig weiter, auch war mir das Alleinebüffeln längst zu langweilig geworden und ich suchte auf dem Dienstweg um die Genehmigung nach, die weitere Unterrichtserteilung durch einen Rabbiner, gegen ortsübliches Stundengeld von drei Reichsmark, zu gestatten.

Offenbar aus politischer Sorge, wurde mir diese Genehmigung nicht erteilt. Möglicherweise wäre der Bescheid ein positiver gewesen, wenn ich gesagt hätte, dann sperrt man

/64/ AE: 40

eben einen Rabbiner solange ein, bis er mir die Sprachte vermittelt hat. Es wurde ja in der damaligen Zeit durch die Geheime Staatspolizei am laufenden Bande eingesperrt. Aber mir kam nicht einmal die Idee zu einem solchen Tun, geschweige denn, daß es mir ein Vergnügen bereitet hätte, auf diese Art und Weise, mir fehlendes Wissen zuzulegen. [3]

-(7)-

Jedes Jahr einmal, im Herbst, hielten die Götter Heerschau. Sie stiegen von ihrem Olymp herab und zeigten sich in breiter Front den Massen, die sie aufboten. Militärparaden, Paraden der SA u. SS, Aufmärsche der anderen Parteiorganisationen. Konferenzen, Kongresse, Resolutionen, Ansprachen und Paroleausgabe. Die Führung teilte ihren Gläubigen mit, was sie geschafft hatte und was sie plante.

Es wäre ungerecht zu sagen, sie hätte nichts getan. Sie lag wahrlich nicht auf der faulen Haut. Und sie hatte in kürzester Frist für das deutsche Volk soviel getan, besonders in wirtschaftlicher Hinsicht, daß der gewaltige, jubelnde Beifall der Masse, echt war. So etwas an rauschender, impulsiver Begeisterung konnten(sic) selbst Goebbels nicht künstlich hervorrufen.

Ich war zum ersten mal auf einem solchen Parteitag, der jeweils in Nürnberg stattfand; ich wurde dienstlich dorthin

/65/ AE: 41

geschickt. Nicht um an Paraden und Aufmärschen teilzunehmen, nicht um mir Reden anzuhören und Versammlungen zu besuchen, sondern um nachrichtendienstlich tätig zu sein. Denn das SD-Hauptamt war um jene Zeit nichts anderes, als eine einzige große, straff gelenkte und organisierte Spionageorganisation. Sie war niemanden anderen unterstellt, als Himmler und auf dessen Befehl, hatte sie ihr Gründer Heydrich, zu leiten.

Eine große mächtige Boykottbewegung mit der Zentrale in Nordamerika kämpfte gegen das nationalsozialistische Deutsche Reich. Nicht grundlos; dies war selbst mir damals schon klar geworden. Wenn wir während der Truppenausbildungszeit aus irgendwelchen Gründen dermaßen geschliffen wurden, daß uns das Wasser am Arsch zu kochen anfing, wie wir im rauhen Landserjargon zu sagen pflegten, dann erzeugten die augenblicklichen Leiden in uns Landser fürchterliche Vorstellungen im Hinblick auf Vergeltung an die uns schleifenden Ausbilder, nach der Dienstzeit. Zwar kühlten diese furchtbaren Vorsätze nach beendeter Tagesdienstleistung, nach dem Motto "gehabte Schmerzen hat man gerne" ebenso rasch wieder ab, als sie aufflammen konnten, und verbrannten bei einem oder auch mehreren halben Liter Bier in der Kantinie(sic), restlos.

/66-67/ AE: 42

Aber wenn ich so sah, besser gesagt gelesen hatte, was die Abteilung I des Reichsaussenministeriums an Judengesetzen seit 1935 erlassen hatte, dann konnte ich die Boykottbewegung gut verstehen. Sie war eine ganz natürliche Reaktion. Wenn ich bedenke, daß in jener Zeit, sich ein Berliner Rabbiner namens Prinz von seiner Gemeinde verabschiedete, um nach Nordamerika auszuwandern und sagte, er wolle drüben mitarbeiten an der Schaffung eines mächtigen Reservoirs aus dem das Judentum Kraft und Hilfe erhalte, dann wußte ich, der ich mich unter den Zuhörern befehlsgemäß befand, sehr wohl, was Prinz damit meinte; und ich konnte ihm gar nicht Unrecht geben. Der anwesende Kriminalbezirkssekretär /Zusatz von Seite gegenüber: der Geheimenstaatspolizeileitstelle Berlin/, welcher die Versammlung auftragsgemäß zu überwachen hatte, verließ sich auf mich und ich mich auf ihn, bezüglich einer allfällig notwendig sein sollenden Auflösung und Inhaftnahme des Sprechers. Ich tat nichts dergleichen, denn meine Überlegungen verboten mir, mich diesbezüglich an den Kriminalbeamten zu wenden, da ich wie gesagt dem Sprecher von seinem Standpunkt aus gesehen Recht geben mußte und es tausendmal tausend Prinzen gegeben hat, so daß eine Inhaftnahme

/68/ AE: 43

eines einzelnen, das Problem ohnedies nicht löste. Gemäß dem Befehl den ich erhielt, machte ich später meinen Bericht, indem ich alles wahrheitsgemäß schilderte und auch meinen Überlegungen breiten Raum ließ. Ich habe nie wieder etwas darüber gehört; Prinz wanderte nach Nordamerika aus.

Ich hatte die Nürnberger Gesetze ja nicht geschaffen; nicht dabei mitgeholfen und hatte auch als ausführendes Organ nichts damit zu tun, denn ich gehörte einer Nachrichteninstitution an und keinem exekutiv-tätigen Polizeiapparat.

Daß die Götter hier einem verhängnisvollen Irrtum anheimgefallen waren schien klar, aber Auswüchse gibt und gab es nach jeder Revolution und dann sagte man sich immer noch, daß nie etwas so heiß gegessen werde, wie es gekocht würde. Selbst große Teile der Judenschaft sagten und dachten genau dasselbe. Und dann sollte das Ziel der Maßnahmen sein, die Auswanderung der Juden aus dem Reich anzukurbeln; freilich waren diese Maßnahmen dazu nicht sehr geeignet. Die Lösung durch eine planvoll gelenkte Auswanderung ging auch mir in’s Hirn ein. Denn inzwischen hatte ich ja nun gelesen, daß die Juden im Laufe der Geschichte in vielen europäischen Ländern

/69/ AE: 44

dann stets als Sündenböcke herzuhalten gehabt haben, wenn über ihren Rücken oder auf ihre Kosten, die Masse von augenblicklichen Schwierigkeiten oder Übelständen irgendwelcher Art abgelenkt werden konnte.

Also war eine gelenkte und planmäßig organisierte Auswanderung von allen Übeln, noch das kleinste; und dem abgewanderten Juden taten die Gesetze ja nicht mehr weh. Viel schlimmer war es mit der Bedrängnis, denen(sic) sie unterworfen waren, bis zur Zeit der Auswanderung. Aber ich konnte hier weder den Göttern noch ihren Untergöttern hindernd in den Arm fallen, dazu fehlte mir jede Möglichkeit. Ich hatte auf meinem Sektor nachrichtendienstlich tätig zu sein und die erhaltenen Meldungen und Mitteilungen in Berichtsform auf dem Dienstwege weiter zu geben. Meine Vorgesetzten verarbeiteten diese Mosaiksteinchen aus vielen Referaten und Sachbearbeitungen kommend, zu einem Bild und legten es den Untergöttern zur gefälligen Kenntnisnahme vor. Dergestalt, konnten sich auch die Götter selbst jederzeit solche "Bilder" betrachten.

Nun also war ich in Nürnberg. Es war das Jahr 1937. Festliche Parteitagsatmosphäre, große gewaltige Sportfelder, Stadione, Hunderttausende

/70/ AE: 45

fassend, lärmendes Gedränge in den alten, heimeligen Gassen und Gäss´chen innerhalb der Mauern des mittelalterlichen Nürnberg. Das Rot der tausend und abertausend Fahnen leuchtete im Schein der prächtigen Früh-Herbstsonne.

Ein Nachrichtenmann muß, will er etwas hören und Agenten, Mitarbeiter, Vertrauensmänner oder Zuträger, wie alle die Fachausdrücke auf diesem Gebiet lauten, werben, überall herumkriechen. Zur damaligen Zeit waren es für unsereinen insonderheit die netten kleinen verrauchten biergeschwängerten Bräustuben in denen ganze Ausländergruppen von den ihnen zur Verfügung gestellten Betreuern gastlich bewirtet, geführt, eben so richtig betreut wurden. Hier galt es also mit mehr oder weniger Glück, durch Verbindungen und Beziehungen, Kontakt mit den Besuchern aus fernen Ländern zu bekommen.

Aus einem Dokument, welches mir hier vorliegt entnehme ich folgende Worte, die ich damals in meinem Dienstreisebericht u.a. verwendete:

"Der Großteil machte den Eindruck von mehr oder minder fragwürdigen Existenzen, die zum Teil von der fixen Idee besessen sind, als Führer von Parteien und Organisationen in ihren Ländern

/71/ AE: 46

einstmals berufen zu sein." Lediglich ein einziger fand "Gnade vor meinen Augen", ein nordamerikanischer Staatsangehöriger, welcher ausgezeichnete Verbindungen zu dem Leiter der "Anti-Nazi-Liga", der Befehlsstelle der Boykottorganisation gegen Deutschland, haben wollte.

Aber da dieser Fall auch nicht ganz klar war insbesondere bezüglich der Frage ob das SD-Hauptamt hierfür noch zuständig sei, bemerkte ich abschließend, daß ich um Weisung bäte, ob der SD diese Angelegenheit selbst bearbeiten soll, oder ob sie dem Propagandaministerium abzutreten ist.

Ich habe nie mehr etwas darüber gehört, so daß ich annehme, daß meine Vorgesetzten in ihrem Ratschluß entschieden, die Sache abzutreten. [4]

(8)

Einige Tage später, trat ich zusammen mit meinem mir vorgesetzten Abteilungsleiter eine Dienstreise nach Palästina und Ägypten an. Der Zug brachte uns durch Polen und Rumänien nach Constanza und von hier aus ging es mit der "Romania" nach Konstantinopel, Piräus, Beyruth, Haifa und Alexandrien.

Moscheen, Akropolis, der Berg Carmel, das graeco-romanische Museum in Alexandrien wurden besucht, ebenso das ägyptologische Museum in

/72/ AE: 47

Cairo. Die Pyramiden von Gizeh sahen wir ebenso wie die von Sakarat; die ehemals heiligen Stiergräber; ein Abstecher in die ägyptische Wüste ein anderer in die lybische Wüste wurde unternommen. Der vor 3 einhalb Jahrtausenden verstorbenen(sic) Pharao Tutenchamon samt seinen Schätzen, welche dank der Kunstfertigkeit der Archäologen ihrem langen Schlaf entrissen wurden und einer staunenden Nachwelt zur Schau gestellt sind, erfreute auch mein Auge und Wissen und auch ich konnte nur staunen. Staunen über die hohe Kultur der Menschen jener grauen Vorzeit und meine Gedanken verloren sich weitab vom "Staats- und Gegenwarts-Bejahenden", in Zonen und Regionen, in denen die Wandelbarkeit und das ewige Werden und Vergehen allen Lebens, ja schließlich allen Sein‘s, die führende Rolle spielten. Alles eitle Hoffen und Streben, scheint einem beim Anblick vergangener Jahrtausende, nichts als flüchtiger Menschentand zu sein; und ich beneidete in diesem Augenblick alle Archäologen und Geologen, denen es meiner Meinung nach vergönnt sein mußte, in solchen Gedanken und Überlegungen ungestört Tag für Tag schwelgen zu können, dieweil es für unsereinem(sic), im Trubel des Alltags, lediglich oasenhafte Glücksmomente sein durften.

Aber unsere Chefs hatten uns ja nicht all dieser Dinge wegen auf Dienst-

/73/ AE: 48

reise geschickt sondern – wie immer – hatte die Sache ihren Grund in einer informativen Bereicherung, in einer politischen Nachrichtensammlung.

Durch Vermittlung des Vertreters der offiziellen "Deutschen-Nachrichten-Agentur" in Jerusalem, Dr. Reichert, besuchte mich Monate vor unserer Reise, in Berlin ein jüdischer Funktkonär auf Palästina. Gemäß Weisung meiner Vorgesetzten wurde der Besucher zum Gast des Reichssicherheitshauptamtes erklärt und ich erhielt den Befehl, ihn zu betreuen. Wir aßen zusammen in der "Traube" am Zoo und unterhielten uns, denn jeder wollte ja vom anderen daß(sic) wissen, was ihm an Wissen zu seiner gegenständlichen Sache fehlte. Mein Interesse galt dem zionistischen Leben in Palästina. Das Ende vom Lied war eine Einladung des Gastes an mich, ihn in Palästina zu besuchen.

Ich erhielt Befehl, diese Einladung anzunehmen. So also kam es zur Reise, der sich mein damals unmittelbar vorgesetzter Abteilungsleiter anschloß. Ich fuhr als "Schriftleiter des Berliner Tageblattes" und mein Vorgesetzter als "Student der Auslandwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Berlin", deren Dekan unser gemeinsamer nächsthöherer Vorgesetzter in jener Zeit war. Als Angehörige des Sicherheitshauptamtes hätte man ja damals

- -

/74/ AE: 49

- -

schließlich und endlich auch fahren können, denn der mich Einladende wußte ja, wer ich war und letztlich hat es der englische Geheimdienst ohnehin herausgebracht, aus welchem Nest diese beiden Vögel waren; genauso, wie uns ein Mitglied des Secret-Service, oder ein solches des 2-eme Bureau, wenn sie nach Deutschland kamen, in der Regel ja auch sehr schnell bekannt wurden. Man tat sich gegenseitig nichts, man war sehr höflich zueinander, nur man erleichterte dem Kollegen von der anderen Seite nicht gerade seine Arbeit, oder wenn, dann hatte es schon seinen besonderen Grund, der auf Gegenseitigkeit lag. Aber es war ja schließlich Frieden.

Wir waren etwa sechs Stunden in Haifa, und fuhren dann programmgemäß mit unserem rumänischen Dampfer nach Alexandrien und gedachten innerhalb der nächsten 14 Tage, drei Wochen, zum eigentlichen Palästina-Besuch zu starten. Aber da bedauerte man es englischerseits, daß man nicht in der Lage wäre, ein diesbezügliches Visum erteilen zu können. Gut, dann muß eben der Berg zu Mohamed kommen. Dr. Reichert und der jüdische Funktionär wurden von uns nach Ägypten eingeladen. Zu uns gesellte sich noch der Vertreter des DNB in Cairo, so daß wir alle fünf Mann hoch eine ganz schöne Nachrichtenbande bildeten.

/75/ AE: 50

Wir tafelten im Mena-Hotel, bei den Pyramiden von Gizeh und ferne von uns waren "Nürnberger Gesetze". –

Ich selber kam allerdings nicht auf meine Kosten bei dieser Dienstreise in den "Nahen Orient", will ich den dienstlichen Sektor betrachten, weil ich das jüdische Leben in Palästina durch das englische Einreiseverbot ja nicht zu sehen bekam.

Privat und persönlich hatte ich durch die Fülle des Erlebten eine schöne Bereicherung erfahren.

Mein mir vorgesetzter Reisegefährte, ursprünglich aus dem Zeitungswesen kommend, hatte mehr Erfolg in dienstlicher Hinsicht für sich buchen können, denn ihm genügten ja auch die wirtschaftlichen und politischen Meldungen, die er aus erster Hand, soweit sie den Nahen Orient betrafen, bekam. [5]

Nun, nach diesem mehrwöchischem(sic) Aufenthalt in sonnigen Landen, kamen wir wieder in die spätherbstliche, ja fast schon winterliche Landschaft unserer "Festung" Deutschland zurück. Wenn jemand eine Reise tut, dann kann er auch erzählen, heißt es; aber er kann auch Vergleiche anstellen. Über Italien und die Schweiz fuhren wir nach Berlin zurück. Viel Tolernaz, viel Liberalismus sah ich und es war daß(sic), was mir am meisten auffiel. Ich kannte es aus meiner langen Österreich-

/76/ AE: 51

zeit her; vom Elternhaus, aus der Schule, kurz das ganze Leben in Österreich war ein einziges großes Toleranzpatent gewesen, so wie Kaiser Joseph II es sich wohl erträumt haben mag, will ich die Zeit bis etwa 1932, ansetzen.

Aber es war bei mir durch die inzwischen verlebten, über fünf Jahre Totalitarismus bereits leicht übertüncht worden. Nicht ausgelöscht; im Gegenteil, die Reiseerlebnisse verwischten wieder einen Großteil der Tünche. Ich sah den "Stürmer" mit einem Male wieder deutlicher – obgleich er im SD-Hauptamt weder geschätzt noch beachtet oder gelesen wurde; ich sah sein Herumwühlen im Pornographischen; im verworrenen mittelalterlichen Mystizismus schlimmer Prägung. Ich sah das Reichsinnenministerium bei seiner fleißigen Gesetzes- und Verordnungsfabrikation, die Geheime Staatspolizei bei ihren Verhaftungsbefehlen, das Propagandaministerium bei der Herausgabe des Verbotes für Juden die "Bank im Park" zu benutzen, das Reichswirtschaftsministerium bei seiner Tätigkeit die Juden aus dem Wirtschaftsleben auszuschalten und das Auswärtige Amt bei seiner Behinderungsarbeit, bezüglich einer an sich gewünschten Auswanderung der Juden.

Das Reich, bzw. dessen Führung wollten es doch – so nahm ich stets an – und die Mehrzahl der Juden trachtete im Hinblick auf die Lebenserschwerung dasselbe

/77/ AE: 52

Ziel anzustreben.

Und das Sicherheitshauptamt besorgte sich die Nachrichten und fabrizierte Berichte. Das alles schien mir gleich wie eine Katze, welche sich in ihren eigenen Schwanz beißt.

Da fand beispielsweise 1938 in Evian ein(sic) internationale Konferenz statt und der britische Botschafter in Berlin sprach den Deutschen Reichsaußenminister v. Ribbentrop darauf an, ob die Rechsregierung bereit sei, bei der Lösung der Emigrantenfrage, insbesondere bei der Förderung der Auswanderung von Juden deutscher Staatsangehörigkeit, mit den übrigen interessierten Staaten zusammenzuarbeiten. Denn kein Land sei bereit, die auswandernden deutschen Juden aufzunehmen, wenn sie mittellos wären. Ob daher die Reichsregierung bereit sei, bei der Transferierung von Kapital in jüdischen Händen, mitzuwirken.

Nachdem die Reichsregierung einer Förderung der Auswanderung eigentlich grundsätzlich keinerlei Hemmnisse in die Wege legte, hätte man annehmen müßen, daß eine solche Anfrage seitens offizieller britischer Stellen, freudige Zustimmung gefunden hätte.

Nicht so bei Ribbentrop.

Er teilte dem britischen Botschafter mit, daß er eine Zusammenarbeit mit anderen

/78/ AE: 53

interessierten Staaten ablehnen müße, da es sich um ein innerdeutsches Problem handele. Auch die Frage, ob Deutschland eine Transferierung von Kapital in jüdischen Händen erleichtern könne, müße verneint werden.

Es käme daher eine Zusammenarbeit mit den in Evian tagenden Mächten für Deutschland nicht in Frage. Der Staatssekretär Weizsäcker schickte diese Stellungnahme am 8. Juli 1938 an zehn in Frage kommende deutsche Botschaften und Gesandtschaften, zur Kenntnisnahme ab.

Also, statt Auswanderungserleichterung, ein Handicap, eine Erschwerung. [6] Statt dessen aber erging an alle diplomatischen und berufskonsularischen Vertretungen im Ausland eine Aufforderung des Auswärtigen Amtes, über alle Regierungsmitglieder, Parlamentarier, Wirtschaftler, Wissenschaftler, hohe Offiziere und Journalisten, soweit sie als jüdisch, jüdisch versippt, oder als Freimaurer galten, zum Zwecke der Errichtung einer Kartothek, zu berichten. [7]

Und in einem Telegramm Kennedy`s an das Staatssekretariat in Washington vom Dezember 1938, kommt Ribbentrop infolge seiner gegen das Judentum geschleuderten, höchst undiplomatischen Verbalinjurien, alles andere, als gut weg. [8]

/79/ AE: 54

Wir Referenten im SD-Hauptamt, erhielten Anfang 1938 von unserem Abteilungsleiter die Weisung, Material für eine Denkschrift zusammen zu stellen, in der darzulegen sei, daß die Judenfrage auf der augenblicklichen Basis nicht zu lösen ist, wegen finanzieller Schwierigkeiten usw., und daß man daran herantreten müße, eine außenpolitische Lösung zu finden, wie sie bereits zwischen Polen und Frankreich verhandelt wurde. Ich schrieb damals folgendes:

"Das Ergebnis der Volkszählung abwarten."

"In 10 Jahren giebt(sic) es in Deutschland bei gleichbleibender Tendenz nur noch etwa 60.000 Juden."

(Unter gleichbleibender Tendenz verstand ich die stagnierende Haltung des Auswärtigen Amtes im Hinblick auf die Auswanderung von Juden, in Verbindung mit der Verproletarisierung der Juden, durch die gesetzgeberische Tätigkeit der hierfür zuständigen Zentralinstanzen.)

"Wenn die mittellosen Juden abgewandert sind kommen die Kapitalisten an die Reihe, die durch wirtschaftliche Maßnahmen bis dahin langsam entkapitalisiert sein können, mit Hilfe von Stapomaßnahmen."

(Darunter war zu verstehen, die von der Geheimen Staatspolizei in jener Zeit durchgeführten Beschlagnahmen und Einziehungen der Vermögenschaften).

/80/ AE: 55

So war der Status, so wurde es praktiziert. Es war die Katze, die sich ewig im Kreise drehend in ihren eigenen Schwanz biß.

Ich schrieb dann weiter als Vorschlag:

"Sie ist ferner dann zu lösen, wenn dem SD-Hauptamt keinerlei Hemmungen auferlegt werden"; und ich nahm als Beispiel ein gerade in jenen Tagen aufgetretenes Problem im Hinblick auf das Jugenderziehungsclearing. Ich lebte damals gerade im Kampf mit den wirtschaftlichen Einschränkungen, welche den Juden auferlegt wurden, worunter auch die auswanderungshemmenden Devisenvorschriften zählten.

Ich vertrat den Standpunkt der "arme" Jude will genau so gerne und so schnell auswandern wie der "reiche" Jude. Einem jeden war es lieber, je schneller, desto besser; nämlich das Ausland zu gewinnen. Und an sich wollte es ja auch die Reichsregierung. Sei es aus Neid oder Knickrigkeit, sei es aus Dummheit oder Unverständnis, oder aus blindem Haß, die meisten dieser Stellen förderten diese Auswanderung nicht, sondern hemmten sie; bewußt und unbewußt.

Was nutzte es, in Fragen des Jugenderziehungsclearings devisentechnische Schwierigkeiten zu machen, die obendrein meistens nur formeller und rein paragraphenmäßiger Natur waren? Weder dem Deutschen noch dem Juden war dabei gedient.

Und warum mußte das Reich dem reichen

/81/ AE: 56

Juden das Geld abnehmen, und dem Reichsfiskus einverleiben, anstatt mit einem Teil dieses Geldes die Auswanderung zu finanzieren. Natürlich - so dachte ich - sollte der "reiche" Jude mehr bekommen, denn es war ja sein Geld, aber ein Teil seines Geldes sollte er zwecks Finanzierung der jüdischen Kultusgemeinden und der Finanzierung der Auswanderung vermögensloser Juden zur Verfügung stellen. Denn eine Auswanderung war teuer. Reisekosten, Vorzeigegeld usf. An Stelle eines zehn Jahre langen elenden Dahintreibens, konnte nach meiner Idee eine Auswanderung zügig und flott in die Wege geleitet werden und die Juden dergestalt im Besitze ihrer Gesundheit und physischen Kraft neues Land betreten. Einen durch jahrelanges, zermürbendes Warten krank Gewordenen, nahmen die Einwanderungsländer ohnedies kaum auf.

Nein, so wie dies damals praktiziert wurde ging es nicht; und Ribbentrop irrte hier sehr, obgleich er Reichsaußenminister war, und es hätte wissen sollen. Bei jedem Reisebüroinhaber hätte er sich dieserhalb besser informieren können, als bei seinen Legationsräten und Unterstaatssekretären.

Außerdem schlug ich in diesem Lösungsvorschlag als letzten Punkt, allmonatliche Besprechungen in dieser Angelegenheit zwischen

/82/ AE: 57

allen an der Sache beteiligten Stellen vor, damit das hemmende Gegeneinander innerhalb der Behörden in Fortfall käme und schließlich Zurverfügungstellung von Ländereien für die Juden, und setzte dazu in Klammer, das Wort "Madagaskar". [9]

Aber all dies war hoffnungslos, bei der Sturheit der deutschen Bürokratie. Ich will nicht einmal sagen deutsche Bürokratie, eine jede Bürokratie ist egal weg, gleich stur. Nur die Nachrichtendienste aller Länder neigen eher zur Beweglichkeit; es liegt in der Natur ihrer Aufgabe.

Auch das SD-Hauptamt war um jene Zeit noch lange nicht so verbürokratisiert, wie es später werden sollte. Natürlich verlangt eine jede Behördenarbeit ihr Maß an Schematismus, dies ist klar; aber er dürfte keinesfalls zum Selbstzweck ausarten.

-(9)-

Kurze Zeit nach der "Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich", wurde ich nach Wien versetzt, um dort als Referent des SD-Oberabschnittes "Donau", die Auswanderung der Juden lenkend zu betreiben. Es war Frühjahr 1938. Aber was sah ich, als ich nach Wien kam; ein zerschlagenes jüdisch-organisatorisches Gebilde. Von der Geheimen Staatspolizei geschlossen und versiegelt. Die jüdischen Funktionäre saßen in Haft. Die Juden wollten auswandern, aber keiner kümmerte sich um sie.

/83/ AE: 58

Sie wurden von Behörde zu Behörde geschickt. Standen halbe Tage lang und mehr Schlange, und mußten dann hören, daß diese Stelle seit gestern nicht mehr für ihren Fall zuständig wäre.

Systemlos, ordnungslos; das Resultat war Verdruß, Ärger und Verstimmung auf beiden Seiten, wenn nicht noch Ärgeres.

Als erstes hielt ich den Assessoren und Regierungsräten der Staatspolizeileitstelle Wien, Vorträge, wie sie am besten jede Auswanderung behindern und verhindern können. Darüber war nicht viel mehr zu sagen als wie: "gleichbleibende Tendenz". Dann entwickelte ich ihnen meinen von meinen Vorgesetzten genehmigten Plan. Enthaftung der jüdischen Funktionäre, Wiedereröffnung all jener jüdischen Organisationen, soweit sie der Auswanderung dienlich waren. Ferner die Genehmigung einer jüdischen Zeitung in welcher alles Wissenswerte über die Auswanderung und der damit verbundenen Dinge zu lesen war. Auftreibung von Reichsmarkbeträge(sic) zur Anfangsfinanzierung der jüdischen Organisationen, Einstellung von Hilfskräften und Errichtung jüdischer Wohlfahrtsstellen zwecks Betreuung der Kranken und Alten. –

Nach all den unwahren Vorwürfen, die ich in den letzten fünfzehn Jahren über mich habe ergehen lassen müßen, mag es der Leser schwerlich glauben, daß ich solches tat. Daher setzte ich jetzt im Anschluß an diese Zeile eine

/84/ AE: 59

Nummeration. Sie weist auf die Quellen hin. Und dies sind die Dokumente, in denen alles viel ausführlicher steht, als ich dieses hier mit mageren Worten zu schildern in der Lage bin. [10]

Als ich das jüdisch-organisatorische Leben so in Gang gebracht hatte und bei der Geheimen Staatspolizei – Wien, auf Verständnis bezüglich der "neuen Linie" traf, da bewarb ich mich um eine freigewordene Abteilungsleiterstelle beim SD-Unterabschnitt in Linz a/Donau. In dieser Stadt wohnten meine Eltern, dort war ich aufgewachsen. Nach dorthin wollte ich nun wieder zurück.

Freilich, es war die unterste Instanz innerhalb des Gebildes des Sicherheitsdienstes, aber ich wäre wieder zu Hause gewesen und wer weiß, vielleicht hätte ich wegen Übernahme des elterlichen Geschäftes die Genehmigung bekommen, meinen Dienst eines Tages zu quittieren. Schicksal. Ich sage immer, es kann niemand über seinen eigenen Schatten springen.

Denn mein Chef in Berlin Prof. Dr. Six hatte von meinem Vorhaben Kenntnis erhalten und so schrieb er am 16. Mai 1938 meinem damaligen Vorgesetzten, dem SS-Oberführer Naumann nach Wien, daß ich keinesfalls von Wien fortzugehen habe, da er mich, falls ich in Wien nicht bleiben wolle, notfalls durch den Chef des SD -Hauptamtes, wieder nach Berlin zurückversetzen lassen würde.

/85/ AE: 60

Ja, so war es schon 1938; im Frieden. Ich war nicht mehr Herr meiner Freizügigkeit; ich hatte zu gehorchen und daß(sic) zu tun, was mir befohlen wurde.

Ich habe meinen Söhnen später oft und oft gesagt, seht zu, daß ihr nie Offiziere werdet, denn dann seid ihr nicht mehr frei. Inzwischen war ich nämlich längst zum Offizier avanciert und meine Verhaftung an die Götter war noch bindender, als vorher geworden.

Ich hatte also befehlsgemäß in Wien zu bleiben. Die Einschränkungen, denen die Juden unterworfen wurden, waren immer fühlbarere. Das Amt des Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich war fleissig tätig, auch auf dem Sektor "Juden", Verordnung um Verordnung herauszugeben.

Die Behörden behandelten die Juden gelinde gesagt schroff und unsachlich, gemäß den von höheren Orten ergangenen Weisungen, sodaß der seine Auswanderungspapiere komplett machen Wollende, hier nie auf einen grünen Zweig kam. Denn ein Teil der Dokumente, wie zum Beispiel die "Steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung" hatte lediglich eine Laufzeit von sechs Wochen, nach der sie ungültig wurde und die Schlangensteherei zur Erlangung einer neuen Bescheinigung, von vorne angefangen werden mußte. Dazwischen

/86/ AE: 61

aber wurden dann wieder andere Papiere ungültig, so daß es einer Schraube ohne Ende gleichkam.

Die jüdisch-politischen Funktionäre klagten mir ihre Not. Dr. Löwenherz, Dr. Rottenberg und Kom. Rat Storfer hatten täglich neue Anliegen, die sie mir vorbrachten.

Die Anklage gegen mich sagte, daß die Dokumente es ja beweisen würden, daß ich für alles, in des Wortes wahrster Bedeutung, die zuständige und verantwortliche Stelle im Hinblick auf Judenfragen in Wien, gewesen wäre.

Obwohl es, wie ich sofort nachweisen werde nicht zutraf, so kann ich der Anklage rein augenscheinlich, so Unrecht nicht einmal geben.

Denn man braucht ja nur einmal die Fülle der von Dr. Löwenherz dem Amtsdirektor der israelitischen Kultusgemeinde Wien gefertigten Aktennotitzen(sic) über die jeweils mit mir gehabten Rücksprachen in jener Zeit – soweit es sich um solche handelt, welche damals, und nicht erst nach 1945 angefertigt wurden – vornehmen.

Er kam buchstäblich mit allem und jedem zu mir.

Nun, es liegt mir ferne, mich besser machen zu wollen, als ich war. Warum aber mag Löwenherz, Rottenberg, Storfer und andere, hohe jüdisch-politische Funktionäre denn ausgerechnet zu

/87/ AE: 62

mir gekommen sein? Ich war zu jener Zeit im Range eines Leutnant, später Oberleutnant und dann Hauptmann; es gab ja Stellen von entscheidenderer Bedeutung. Meine Dienstellung(sic) war lediglich die eines Referenten bei einem SD-Oberabschnitt; also nicht einmal im exekutiven, sondern nur im nachrichtenmäßigen Dienst.

Mein Jargon soll hart gewesen sein, so sagen die Zeugen von 1960 und 1961. In der Tat, ich muß es zugeben, mein Ton war kasernhofmäßiger Natur. Und trotzdem weiß ich, daß er frei war von beleidigendem Tenor, frei war von Rüpeleien, frei war von Gebrüll, kurz frei war von jener Begleitmusik, die der Wald- und Wiesenzivilist zu gerne jedem "Kasernhofton", unterstellt.

Wie denn wäre es sonst möglich, daß man heute noch in einer solchen Löwenherz´schen Aktennotitz(sic) lesen kann, wie er bei mir beschwerdeführend vorspricht und mir klagend mitteilt, die Juden würden auf dem Wohnungsamt der Stadt Wien, "schroff" behandelt. [12]

Dies setzt doch voraus, daß die Juden weder von mir, noch von meinen mir damals unterstellten Offizieren, Unteroffizieren und Männern, schroff behandelt wurden.

Und überall dort, wo ich sachlich für mich keine Zuständigkeit erblicken konnte,

/88/ AE: 63

ja darüber hinaus nicht einmal die Polizei zuständig war, setzte ich mich an das Telephon oder sprach bei der federführenden Behörde vor, um, auch dort in meinem "Kasernhofton", daß(sic) abstellend zu erbitten, was Löwenherz drückte. Nicht immer gelang es mir; ich versuchte es.

Aber die jüdischen Funktionäre mußten letztlich mit der Kasernhofpflanze manierlich ausgekommen sein; denn auch sie konnten mit mir frei von der Leber weg sprechen, ohne sich ihre Worte zehnmal überlegen zu müßen, ehvor sie das Gehege ihrer Zähne verließen.

Und man konnte dies in jener Zeit nicht überall tun, ohne Gefahr zu laufen, dies wußten die Funktionäre. –

Das Reich drückte auf Auswanderung. Die Juden wollten auswandern. Und alles was dem dienlich war tat ich, war ich zuständig für den einen oder anderen Fall, dann war es ohnedies klar; war ich nicht zuständig, dann wetzte ich ab, und versuchte es zu erledigen.

So kam es, daß man mir in den Ohren lag, und mir die Sprünge eines lahmen Amtsschimmels darlegte, der vor lauter Paragraphenreiterei überhaupt nicht mehr geradeaus marschieren konnte. Und man schlug mir jüdischerseits eine

/89/ AE: 64

gewisse Zentralisierung der behördlichen Arbeit vor.

Na, dies war ja nun gerade daß(sic), wo man bei den Behörden, egal welchen Landes auf unserer Erde, stets in das Fettnäpfchen trat.

So etwas, was ich mir nun durch mein Kasernhofgehirn gehen ließ, war auch in der preußisch-deutschen Verwaltungsgeschichte noch nicht dagewesen.

Ich dachte so in meinem Sinn, alles was behördlicherseits mit der Ausstellung von Papieren an auswandernwollende Juden, zu tun hat, ran(sic) unter ein einziges Dach, und dann unter SD-Leitung. Dann muß doch solch ein verdammter Reisepaß anstatt in 10 oder 12 Wochen oder noch länger, in gut und gerne 2mal 24 Stunden fertig sein können.

Gedacht getan. Ich meldete dies alles meinem Chef, dem Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD, der in Personalunion gleichzeitig den SD-Oberabschnitt "Donau" führte.

Er machte die nötigen Wege, führte die notwendigen Verhandlungen mit dem Reichskommissar Bürckel; und auf dem Verordnungswege wurde die "Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien", geschaffen, zu der alle in Frage

/90/ AE: 65

kommenden Behörden ihre Sachbearbeiter abzustellen hatten.

Die Leitung hatte der SD-Führer des Oberabschnittes Donau. Ich wurde von ihm mit der Durchführung der Aufgabe betraut, wie der Befehl es in der damaligen Terminologie besagte. [13]

Tatsächlich wurden Reisepässe jetzt in zwei, höchstens drei Tagen fertig. Einhundertdreißigtausend oder einhundertvierzigtausend solcher Reisepäße konnten in etwa Jahresfrist ausgefolgt werden.

Nun, wenn die Anklage in dem Prozess gegen mich behauptet, es wäre eine Zwangsauswanderung gewesen mit all ihren üblen Begleiterscheinungen, so hat sie damit eigentlich recht. Ich kann es auch nicht anders bezeichnen.

Aber zu bedenken wäre doch auch dieses: ich habe die forçierte Auswanderung ja nicht befohlen, wenngleich ich sie unter den gegebenen Umständen als die noch beste Alternative ansah und auch als beste Lösungsmöglichkeit im Hinblick auf die von der Reichsregierung eingenommene Stellung, den Juden gegenüber.

Die jüdisch-politischen Funktionäre, mit denen ich ja am laufenden Bande diese Angeheiten(sic) besprach, waren in Anbetracht der den Juden entgegengebrachten Tendenz, ja derselben Meinung.

/91, 92/ AE: 66

Auf meinem eigenen Mist ist die Sache nicht gewachsen. Irgendwo her muß ich ja die Anregungen bezogen haben. Von den Reichsstellen aber konnte ich solches nicht beziehen; dazu brauche ich nur auf die offizielle Stellungnahme Ribbentrop‘s hinweisen. Und wenn man ferner sagt, ja damals ist weit und breit von einer Vernichtung der Juden noch keine Spur gewesen und trotzdem hat dieser Eichmann hier ein Auswanderungstempo vorgelegt, daß einer Sau grauste, dann muß ich nur sagen, daß das Ergebnis alleine zählt. Und kein "hätte" und kein "wenn" und kein "aber".

Ich setze den Fall, die Auswanderung in jener Zeit wäre durch mich behindert worden, wie die Ribbentrop´sche Haltung es ja automatisch im Gefolge hatte, dann würde man mir heute dieserhalb den Strick drehen.

Also wie man sieht, was immer ich auch tat, "gefangen wird der Kerl auf alle Fälle". – Hay que tener paciencia!

/Zusatz auf Seite gegenüber: Hay que tener paciencia! (Man muß Geduld haben; span. Sprichwort in Argentinien wird es für alles Unklare gebraucht, hat also eine(sic) spezifischeren Sinn, als die bloße Übersetzung)/

Bueno, was tat sich in jener Zeit also weiter.

Die Paßausstellung und die dazu notwendigen Papierkramgeschichten liefen jetzt in einer unkomplizierteren Maschinerie. Das Komplizierte, hatte ich längst nach Kasernenhofart abgeschliffen.

Aber die Auswanderung kostet viel Geld; sehr viel Geld sogar. Und woher sollte man

/93/ AE: 67

solches bei der allgemeinen Verarmung der jüdischen Massen nehmen. Sie waren ja aus dem gesamten wirtschaftlichen und gewerblichen Leben, sagen wir es kurz, aus allen Lebensgebieten schlechtweg, hinausgedrängt.

Da sollten Vorzeigegelder in Devisen vorhanden sein; die Reisekosten waren zu bezahlen; für die dringensten(sic) Unterstützungsfälle mußten von der jüdischen Kultusgemeinde Wien über ihr Wohlfahrtsamt Mittel aufgebracht werden; der Beamten- und Angestelltenkörper dieser jüdischen Kultusgemeinde in der Höhe von etwa 500 Köpfen mußte bezahlt werden und vieles andere mehr.

Keine Reichsstelle half; allen war dieses schnurz und egal. Diese Stellen befahlen nur "Raus mit den Juden".

Löwenherz kam zu mir. Ich hätte ja sagen können, was geht dies alles mich an. Ich hätte dieses schon viel früher sagen können. Vielleicht stünde ich heute besser da, denn ich hätte mich von Haus aus nie so tief in diese Dinge eingelassen. Ich mochte Löwenherz und Rottenberg und Storfer gut leiden; sie mochten zweifelsohne auch mich. So lernte man sich immer näher kennen. Und so luden sie alles bei mir ab. Alles. Buchstäblich alles.

Sie hatten in mir einen Menschen gefunden, der sie anhörte; stundenlang, ohne die Geduld zu verlieren. Nicht so wie sie

/94/ AE: 68

dies bei anderen Behördenvertretern gewöhnt waren. Dazu kam dann, daß dasjenige, was miteinander abgesprochen wurde, dann auch irgendwie tatsächlich funkte.

Also, jetzt war der Geldjammer an der Reihe. Ich selbst habe kein Geld; ich persönlich war immer schon vermögenslos gewesen und blieb es. Ich habe keinerlei buchhalterische Stärken; Kontobücher und dererlei Dinge, sind mir stets ein Greuel gewesen. Und ob ich persönlich hundert oder fünfhundert Mark in der Tasche hatte, war mir egal. Ich hatte zum Geld kein persönliches Verhältnis. In meinem Haushalt schaltete und wirtschaftete meine Frau; darüber war ich froh und so brauchte ich mich selbst um diese Dinge nicht zu kümmern.

Und jetzt auf einmal wurde ich mit solchem Greuel angegangen. Aber ich muß es sagen, wenn es sein muß, dann befaßt man sich auch mit Dingen, die man nicht versteht. Und in meinem finanztechnischen Unverstand – denn nur solcher konnte in seiner Harmlosigkeit solchen Dingen gegenüber, so etwas zustande bringen, was ich nun in die Wege leitete – stellte ich mir die Angelegenheit gar nicht einmal so schwierig vor. Die jüdischen Funktionäre mußten nur

/95/ AE: 69

in das Ausland fahren, dazu verschaffte ich ihnen die Genehmigung, von den jüdischen Hilfsorganisationen Dollars erbitten und damit nach Wien zurückkommen. Dann verkauft die Kultusgemeinde einen Teil dieser Dollarbeträge an Juden, welche noch viel Geld hatten zu einem Mehrfachen des amtlichen Kurswertes und mit diesem Reichsmarkerlös bezahlte sie Gehälter für ihre Angestellten, Unterstützung, Reisekosten für die vermögenslosen Juden und gab ihnen jenen Dollarbetrag als Darlehen, welchen sie als Vorzeigegelder benötigten.

Manche der Einwanderungsländer witterten darin ein Geschäft und erhöhten diese nun laufend.

So war alles gut und schön, aber ich dachte nicht daran, daß wir unter strengster Devisenbewirtschaftung standen.

Nun, auch dieses konnte ich dann endlich mit "Hängen und Würgen" einer Erledigung zuführen, indem ich den Reichsbankrat Wolf aus Berlin, er war im Reichwirtschaftsministerium, in der Devisenbewirtschaftungsabteilung tätig, nach Wien eingeladen hatte. Wir kannten uns schon von Berlin her. Ich erklärte ihm meinen Plan. Er besprach dann diese Angelegenheit mit seinem Staatssekretär, welcher sie genehmigte. Es war dies auch gut so,

/96/ AE: 70

denn mir wurde bereits vorgeworfen, daß meine Praktiken zu einer theoretischen Unterbewertung der Reichsmark führen müße(sic), indem hier der Dollar gewissermaßen offiziell, zu Schwarzmarktpreisen in Reichsmark verhökert würde.

Damit und wie man aus den Löwenherz´schen Aktennotitzen(sic) weiter entnehmen kann, mittels anderer finanzieller Angelegenheiten, wurde der geldliche Teil dieser Dinge erledigt. [14]

Am 10. November wurde von der politischen Führung des Reiches auf dem jährlichen Treffen in München, am 9. Nov. 1938, als Vergeltung für die Niederschießung eines deutschen Botschaftsrates in Paris durch einen Juden, zu einer Vergeltungsaktion im ganzen Reichsgebiet aufgerufen.

Die offizielle Berichterstattung in jener Zeit durch den SD-Oberabschnitt Donau zeigt dokumentarisch, daß, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Dienstellen(sic) der Geheimen Staatspolizei und des SD, scheinbar durch einen Fehler in der Nachrichtenübermittlung, erst dann dieserhalb verständigt wurden, als die Synagogen und die Häuser der israelitischen Kultusgemeinden bereits brannten. Jüdische Geschäfte wurden zertrümmert und die Juden zu Tausenden eingesperrt.

------ Die Götter wandelten sich offensichtlich zu

/97/ AE: 71

Götzen. Diese Befehle waren nicht nur unsinnig, sie waren verbrecherisch.

Die Gesetzesfabrikation, die sah derjenige nicht, der nichts damit zu tun hatte. Die praktische Durchführung der gesetzlich verankerten Maßnahmen, betraf nicht den SD-Angehörigen, denn er hatte keinerlei exekutive Vollmachten.

Aber die folgen der "Reichskristallnachtbefehle", die trafen in ihrer Unsinnigkeit diesmal auch mich. Denn was ich mit Mühe in Österreich wieder aufgebaut hatte, nämlich ein funktionierendes jüdisch-organisatorisches Leben, freilich mit Blickpunkt auf Auswanderung, wurde in einer einzigen Nacht wieder zerschlagen.

Das Büromaterial, Karteikarten, Akten, die Auslandskorrespondenz, kurz alles wurde ein Raub der Flammen. Dazu kam(sic) die Verhaftungen von Funktionären der jüdischen Organisationen. Ich tat interessenbedingt was ich konnte, um zu retten was noch zu retten war. Aber viel war es nicht. Die Funktionäre bekam ich allmälig(sic) frei.

Ich erspare mir das Anführen von Einzelheiten, denn es sähe mir zu sehr nach Selbstbeweihräucherung aus. Ich mußte nun wieder einmal aufbauend tätig werden.

Scharfe und schärfste Bestimmungen gegen die Juden, hatten diese Zerstörungsbefehle obendrein zur Folge. Auch in finanzieller Hinsicht. Eine Verfügung des Devisenfahndungsamtes in Wien besagte, daß Juden von ihren

/98/ AE: 72

Konten monatlich nur noch Beträge bis zum Höchstwert von vierhundert Reichsmark abheben können.

Dies wäre für den Betrieb der jüdischen Kultusgemeinde ein vernichtender Schlag gewesen, wäre diese Verfügung auch auf sie ausgedehnt worden.

Aber sie wurde ausgenommen und konnte von ihren Konten, Summen in jeder, dem Bedarf entsprechenden Höhe abheben. Die Zentralstelle für jüdische Auswanderung gab bei Abhebung größerer Beträge jeweils ihre Befürwortung dazu. – [15]

Bei jungen Juden war oftmals der Nachweis über einen erlernten praktischen Beruf die Voraussetzung für die Erteilung einer Einwanderungsgenehmigung. Also mußten auch solche Stellen geschaffen, und hier bei den örtlichen Staats- und Parteistellen um Verständnis dafür geworben werden. Natürlich blieb auch solches Bemühen, bei der uneinheitlichen Ausrichtung der diversen Amtsträger schließlich an mir hängen.

Da heißt es beispielsweise in einer Aktennotitz(sic) von Dr. Löwenherz über eine Rücksprache mit mir, am 9. März 1939, "Der Leiter des Palästinaamtes erhielt den Auftrag einen Bericht über die Möglichkeit der Errichtung einer landwirtschaftlichen Hachscharah (Umschulung) auf dem Gute Markhof zu erstatten und darauf

/99/ AE: 73

hinzuweisen, welche staatlichen und Parteistellen, für und gegen die Errichtung dieser Hachscharah sind."

In demselben Aktenvermerk von Dr. Löwenherz und Dr. Rottenberg heißt es dann weiter: "Herr SS-Hauptsturmführer Eichmann erklärte sich bereit, die Gebeine Herzl’s zwecks Überführung nach Palästina freizugeben, jedoch unter der Voraussetzung, daß aus diesem Anlaß die jüdischen maßgebenden Organisationen neue Einwanderungsmöglichkeiten für 8.000 Personen aus der Ostmark verschafft werden (sic), und beauftragte die Gefertigten, diesbezüglich gelegentlich ihrer Anwesenheit im Auslande, die erforderlichen Verhandlungen zu führen."

Natürlich konnte ich hier nicht selbst freigeben. Wie jedermann weiß, sind für solche Exhumierungsgenehmigungen viele Wege bei den hierfür zuständigen Behörden erforderlich. Und um jene Zeit der "Nachreichskristallnacht", hatte auch ich bei den verschiedensten Behörden, in allen Dingen wenn es sich um Juden handelte, große Schwierigkeiten.

Es ist nachträglich immer sehr leicht, jemanden - ich spreche jetzt von mir – mit diktatorischen Vollmachten ausgestattet darzustellen und die Konstruktion so zu führen, daß dieser Mensch dann

/100-101/ AE: 74, 74a

einfach in Bausch und Bogen verantwortlich für alles gemacht wird. Es ist interessanter, es liest sich leichter und es ist unter Umständen auch gar nicht inopportun.

Nur – wieder meine Person herangezogen – es trifft nicht zu und ist daher nicht wahr. [16]

Wenn ich heute, nach 22 Jahren so die Dokumente jener Zeit betrachte, dann muß ich mich fragen, wie ein vernünftiger Mensch ausgerechnet mir Haß und Vernichtungswillen unterstellen kann. Im Gegenteil, ich muß den jüdisch-politischen Funktionären gegenüber doch sicherlich wohlwollend eingestellt gewesen sein; frei ohne jeden persönlichen Haß, denn man könnte ja fast von einem gegenseitigen dienstlich bedingten Vertrauen sprechen, daß(sic) unschwer aus und zwischen den Zeilen jener Dokumente herauszulesen ist.

/Einschub Text von Seite gegenüber:

Da kam einmal an einem Vormittag der von der israelitischen Kultusgemeinde, Wien, mit übrigen jüdischen Beamten dieser Institution, in die Zentralstelle für jüdische Auswanderung, eingebaute Jurist zu mir. Ein Dr. Sowieso; den Namen habe ich vergessen.

Während der Nacht hatte die Staatspolizei, Verhaftungen vorgenommen. Wir besprachen das Ereignis und er meinte dann: "frecher Judenlümmel greift harmlosen deutschen Löwen an". Und im selben Atemzuge meinte er, aber er wüße, zu wem er solches sagen könne.

Ich sagte ihm, da habe er zwar recht mit seinem Wissen, aber wenn er solches anderwärts anbringe, müße er sich nachher unter Umständen in einer Polizeizelle sagen "Hättest du das Maul gehalten, wärest du ein Weiser geblieben"; diese Übersetzung hatte mir einer meiner Lateinlehrer für "Si tacuisses philosophus mansisses" gegeben. Wohingegen einmal mein Maschinenbauprofessor anläßlich einer Statikprüfung zu mir sagte: "Gehirn ausgeschaltet, Schnauze läuft leer mit". Und ich sagte dem Juristen, ich möchte nicht gerne haben, daß er sich solche Selbstvorwürfe eines Tages machen müße, weil uns beiden damit nicht gedient wäre; denn es "säße", und ich müßte für ihn intervenierend tätig werden./

Aber meine Aufgabe soll es nicht sein, auf diese Stellen im einzelnen hinzuweisen; mögen dies Berufenere eines Tages tun oder auch lassen, mir ist es egal. Ich war daneben förmlich so etwas wie eine Beschwerdestelle, zu der man mit allen Anliegen kommen konnte, und ich wahrte sicherlich eine tendenzlose Korrektheit gegenüber den Juden und Nichtjuden; und ganz sicher kamen sie nicht zu mir

/102/ AE: 75

voll, von persönlicher Angst.

Freilich läßt es sich nicht leugnen, daß später mit zunehmenden Kriegsgeschehen die Verordnungen und Befehle auch meiner Vorgesetzten, welche ich an die in Frage kommenden Dienststellen weiterzuleiten hatte stets schärfer und radikaler wurden.

Aber noch war es in Wien nicht so weit. Wenngleich der zunehmende Druck der staatlichen und parteilichen Leitung in Österreich, nach einer beschleunigten Entjudung, stets fühlbarer wurde.

Wäre ich wirklich der "Haßer", der "Bluthund", der "ordinäre Fletz" gewesen, so wie mich manche Zeitgenossen nach 1945 gerne darstellten, dann würde man dies zweifelsfrei irgendwie sogar zwischen den Zeilen der Löwenherz’schen Aktennotitzen lesen können, aber mir will wirklich scheinen, als ob es das Gegenteil wäre. Ich spreche hier natürlich von den Dokumenten, die vor der Beendigung des Krieges angefertigt wurden. Und dabei ist der Stil beispielsweise von Dr. Löwenherz als durchaus trocken und sachlich zu bezeichnen.

Das damalige amtliche Deutschland, an seiner Spitze das Auswärtige Amt, schufen eine "Schraube ohne Ende", "eine sich in den Schwanz beißende Katze", und es hatte schließlich als seiner Weisheit letzten Schluß, kaum andere Befehle zu erteilen als solche, wie sie zur Reichskristallnacht führten. Andere Mächte, zu deren Sprecher sich in Berlin der britische Botschafter machte, erklärten, "keine Juden ohne Kapital".

Ja, in drei Teufels Namen, was sollte denn da noch an Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Ich habe es oft fast schon beweint, in jener Zeit meine

/103/ AE: 76

>> weiter

 

Jüdische Weisheit
Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2011 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved
haGalil onLine - Editorial