
20 Johan Lansen und Alexandra Rossberg
In dem Beitrag Die Adoleszenz der Zweiten Generation beschreibt David de Levita
einen psychodynamischen Rahmen der Enrwicklungspsychologie. Er offenbart die
Bedeutung der unterschiedlichen Phasen für die Entwicklung des Identitätsgefühls
und das mögliche Scheitern in der Adoleszenz.
Eltern, die die Schoa überlebt hatten, waren oft traumatisiert, und der Umgang
mit ihren Kindern war von den Folgen ihres Traumas gekennzeichnet. "Normale"
Eltern geben ihre Erwartungen zu Gunsten der Kinder auf: Sie sind bereit das,
was ihr Kind zu bieten hat, als die Erfüllung ihrer Erwartungen hinzunehmen.
Traumatisierte Eltern können ihre Erwartungen oft nicht aufgeben, zumal wenn
schon ein Kind während der Verfolgung getötet worden ist. Der Neuling ist nicht
das Kind, auf das die Mutter gewartet hat; es ist nicht die Erfüllung ihrer
Erwartungen. Das neue Kind ist nicht das Kind, das sie liebt. Der Autor gibt
drei Beispiele dieser Problematik und Behandlung.
Der Beitrag Die Zweite Generation: Forschung, Theorien und Schlussfolgerungen in
den Niederlanden von Johan Lansen gibt eine Übersicht über diesen Bereich.
Die Therapeuten, die als erste die typische Problematik in der jüdischen
Nachkriegsgeneration feststellten, meinten zuerst, dass alle der Zweiten
Generation Zugehörigen betroffen seien. Bald zeigte sich, dass dies nicht der
Fall war. In den späteren Publikationen richtet sich das Interesse besonders auf
die Art und Weise, in welcher die unverarbeiteten Verfolgungstraumata der Eltern
die Entwicklung ihrer Kinder beeinflusst haben. Die Problematik zeigt sich in
drei Bereichen: emotionales Gleichgewicht, Erlangen gefühlsmäßiger Autonomie und
Identitätsbildung.
In den Niederlanden wurden zu diesem Thema mit staatlicher Förderung
verschiedene wissenschaftliche Forschungen möglich; einige davon werden hier
beschrieben. Als Folge der Ergebnisse dieser Erhebungen hat die Regierung
besondere Unterstützungsmaßnahmen für die Zweite Generation subventioniert.
Inzwischen blieb auf internationaler Ebene eine Kluft zwischen den Ansichten der
Kliniker und der Forscher bestehen. Die Forschungsarbeit mit kontrollierten
Studien konnte im Allgemeinen nicht bestätigen, was die Kliniker gefunden
hatten.
Es folgt die Beschreibung, wie ein neuerer und noch fast unbekannter Beitrag in
den Niederlanden des Forschers Peter van der Velden die Kluft zwischen Klinikern
und Forschern überbrückt hat. Seine Forschung besteht in einer epidemiologischen
Untersuchung der sogenannten Indischen Gruppe, d.h. der rassisch sehr gemischten
Gruppe der Menschen, die wegen ihrer niederländischen Nationalität im II.
Weltkrieg von den Japanern interniert wurde. Ein Teil dieser Studie betrifft die
Frage der transgenerationellen Traumatisierung. Sie bestätigt die Hypothesen der
Übertragungsmechanismen, die aufgrund der Studien über die jüdische Zweite
Generation schon aufgestellt worden waren.
Der Beitrag Gefühle und Belastungen in der Arbeit mit Schoa-Opfern und anderen
Extremtrauntatisierten von Johan Lansen beschreibt die Folgen emotionaler
Belastung durch diese Arbeit für die Therapeuten selber. Anfang der 90-er Jahre
des letzten Jahrhunderts ist zunehmend allgemein akzeptiert worden, dass die
Konfrontation mit den grauenvollen Erzählungen der Traumatisierten menschlicher
Gewalt und Verfolgung eine schwere Last für Therapeuten sein kann. Das gleiche
gilt für die Gegenübertragung und andere Phänomene in der therapeutischen
Interaktion. Negative Ansichten in der Gesellschaft, z.B. über Flüchtlinge,
können die Arbeit erschweren. Die Beschädigung bei Therapeuten wird u.a.
Sekundärer traumatischer Stress genannt. Die Symptome der Betroffenen ähneln
manchmal den Symptomen der traumatisierten Menschen selbst (wie PTBS). Sie
können aber auch als allgemeine Erschöpfung oder Persönlichkeitsveränderungen
erscheinen. Der Autor beschreibt einen typischen Vorgang in der therapeutischen
Interaktion, nämlich die projektive Identifikation, die der Entstehung von
Sekundärem traumatischen Stress zugrunde liegen kann. Auch kann davon ein ganzes
Team betroffen sein. Diese Erkenntnisse bieten Ansatzpunkte für die Behandlung
und Prävention, sowohl für einzeln Arbeitende als auch für Behandlungsteams. Sie
werden kurz beschrieben.
Teil III Entschädigung und zeitgemäße psychiatrische Begutachtung
Im dritten Teil findet man Beiträge von Experten psychiatrischer gutachterlicher
Tätigkeit für die Anerkennungsverfahren bei deutschen Entschädigungsbehörden.
David de Levita berichtet in seinem Aufsatz Einige Erfahrungen mit der
Begutachtung im Rahmen der Entschädigung von Verfolgten in den Niederlanden über
die Entwicklung der Richtlinien von Kriegsende über die Einführung der
umgekehrten Beweislast bis zur heutigen Situation. Er spricht von realen, aber
in der Fachwelt kaum zur Kenntnis genommenen Spätfolgen des Traumas. Dazu gehört
auch das von ihm so genannte Diachron-Trauma. Diachron bedeutet geschichtlich,
enrwicklungsmäßig betrachtet. Er stellt den Bezug der Situation der während der
Verfolgung alten Menschen zu der Situation der heute alten Überlebenden her.
Dann kommt er noch auf die niederländischen Entschädigungsleistungen für die
Zweite Generation zu sprechen, für deren Voraussetzungen sich in den letzten
Jahrzehnten auch Grundlegendes geändert hat.
Reinhart Lempp schreibt in dem Beitrag Lernen von den Überlebenden über
psychische Folgeschäden in Anbetracht der unangemessenen Entschädigungsregelung
für die Opfer des Naziterrors. Bei deren Feststellung und Beurteilung gibt es
besondere Probleme. In der verankerten Lehrmeinung der Psychiatrie kamen
psychische Dauerschäden als Folge von Verfolgungstraumata und
22 Johan Lansen und Alexandra Rossberg
Extrembelastungen weder bei Erwachsenen noch bei Kindern vor. Gleichzeitig löste
sich die Psychoanalyse nicht von dem Dogma, dass nur Traumen in der frühen
Kindheit neurotische Fehlhaltungen hervorrufen könnten. Reinhart Lempp selber
musste wie andere Gutachter aus den vorliegenden Fakten lernen. Erst in den
späten 80-er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden Nachbegutachtungen möglich,
die neue Erkenntnisse boten. Die zuvor beschriebenen Spätfolgen waren noch lange
nicht die letzten. Es gibt Folgen bis in die nächsten Generationen hinein.
In seinem Beitrag Die Einschätzung einer verfolgungsbedingten Minderung der
Erwerbsfähigkeit bei psychischen Störungen nach Verfolgung im Kindes- und
Jugendalter führt Reinhart Lempp seine Auseinandersetzung über den psychischen
Schaden nach Verfolgung weiter. Bei der Feststellung der verfolgungsbedingten
Erwerbsminderung wurden seiner Meinung nach die neuen Erkenntnisse nicht
angemessen berücksichtigt. Er bezieht sich dabei auf die offiziellen
Anhaltspunkte für die ärztliche Begutachtung. Er stellt dazu vier wichtige
Fragen und beantwortet sie kritisch.
Der Beitrag Psychiatrische Expertise von Haim Basberg ist ein Bericht über die
Wahrscheinlichkeit des späten Ausbruchs von PTBS (Posttraumatische
Belastungsstörung) bei Holocaust-Überlebenden im fortgeschrittenen Alter. Als
Sachverständigengutachten wurde es als unterstützendes Beweismaterial beim
Herantreten an die deutschen Behörden erstellt in der Absicht, die gegenwärtigen
Entschädigungsgesetze zu verändern, welche die Einreichung neuer Anträge nach
dem Jahr 1969 ausschließen.
Anstatt im Alter allmählich nachzulassen, verschlimmert sich viel mehr das
chronische posttraumatische Leiden in zahlreichen Fällen. Nicht nur über
jüdische Holocaust-Überlebende, sondern über eine enorme Anzahl anderer passiver
Opfer oder aktiv Beteiligter aus der Epoche des II. Weltkriegs wird berichtet,
dass sie an spät beginnenden, posttraumatischen Reaktionen leiden. Der Autor
zitiert in diesem reichen Beitrag aus einer großen Menge von Forschungs- und
Untersuchungsergebnissen vieler Experten aus diversen Ländern.
Teil IV Child Survivors an ihre Schicksalsgefährten
Im vierten Teil möchten die Autoren in kurzen Beiträgen ihre Schicksalsgefährten
ansprechen und ihnen aus eigener Erfahrung sagen, dass das Mitteilen und das
Wiedererlangen der Erinnerung heilend sein kann, auch wenn dies nicht immer
schmerzlos geschieht. Haim Dasberg spricht über das Paradoxe der Treffen von
Child Survivors, Louis Tas über das Mit-teilen, Robert Krell über das Geheimnis
und die Würde der sehr jungen Child Survivors und Rachel Maier über die
Bedeutung dieses Buches für sie ganz persönlich: Es kommt ein Buch, es kommt ein
Buch ...
Zu den Autoren
Chris Barneveld (1927-1998 Niederlande), Psychiater und Psychotherapeut,
war zuerst als niedergelassener Allgemeinmediziner und Hausarzt tätig. 1970 trat
er in den Dienst des Sinai Centrum Amersfoort und arbeitete sowohl in der Klinik
als auch im ambulanten Bereich. Er wurde dort vom Direktor und Chefarzt Dr.
Armand Sunier zum Psychiater ausgebildet. Als Psychiater arbeitete er für das
Sinai Centrum weiter und übernahm 1983 die Leitung des Behandlungsteams des
ambulanten Instituts in Amsterdam. Dort war er Ausbilder im Fachbereich Soziale
Psychiatrie. Er verfügte über große Erfahrung in der Behandlung von Kriegs- und
Verfolgungsopfern und gab nach seiner Pensionierung verschiedene Kurse beim
ICODO, dem nationalen Institut für Information und Dokumentation auf diesem
Gebiet.
Prof. Haim Dasberg (Psychiater, Jerusalem), geboren 1930 in Amsterdam,
hat als Kind und Teenager die Schoa in Holland überlebt. Im Alter von 19 Jahren
emigrierte er nach Israel, wo er als Psychiater ausgebildet wurde. Über viele
Jahre war er Direktor des psychiatrischen Krankenhauses Ezrath Nashim und dessen
Ambulanz in Jerusalem. Als Professor der Psychiatrie bildete er Psychiater und
Psychotherapeuten in Jerusalem aus. Er publizierte viel; seine zahlreichen
Beiträge über Spätfolgen des Holocaust und entsprechendes 'Care' für die
Überlebenden haben die Literatur über Trauma sehr bereichert. Acht Jahre lang
hatte er den ersten Lehrstuhl Psychosoziak Folgen des Holocaust an der Bar Ihm
Universität inne. Gerne stellt er die Fragen, worüber nicht gesprochen wird, und
verfügt über größte Erfahrung auf dem Gebiet der Psychotherapie mit Child
Survivors. Er war Mitbegründer von psychosozialen Diensten für Schoa-Überlebende
in Israel, ELAH und AMCHA, und von ESRA.
Leo Eitinger (1912 -1996) wurde in der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn
geboren und in der Tschechoslowakei zum Mediziner ausgebildet. 1939 floh er nach
Norwegen und wurde von dort während der Deutschen Besetzung nach Auschwitz
deportiert. In Norwegen zum Psychiater ausgebildet, wurde er Professor der
Psychiatrie an der Universität von Oslo. Er publizierte über 20 Bücher, u.a.
eine Bibliographie, größtenteils über den Holocaust und dessen psychische
Folgen, das gilt auch im Wesentlichen für seine über 150 Artikel (siehe Leo
Eitinger in memoriam). Zudem stammen von ihm psychiatrische Lehrbücher über
Neurosenlehre, Psychosen und Forensische Psychiatrie.
Er war Mitglied zahlreicher ausländischer und norwegischer Medizinischen
Gesellschaften, der norwegischen Wissenschaftlichen Akademie und der Königlichen
Akademie der Kunst und Wissenschaft sowie Empfänger von zahlreichen
wissenschaftlichen Auszeichnungen, u.a. dem Preis für das freie Wort und
Kommandeur des Sankt Olaf Orden in Norwegen. Er starb 1996 in Oslo.
Han Groen-Prakken, 1927 in Amsterdam geboren, ist Ausbildungsanalytücerin
der Nederlandse Vereniging voor Psychoanalyse. Sie war wissenschaftliche
Hauptmitarbeiterin in der Abteilung Kinderpsychiatrie der Universität von
Amsterdam und danach therapeutische Mitarbeiterin des Niederländischen
Psychoanalytischen Instituts. Sie war aktiv beteiligt an der Entwicklung der
Psychoanalyse in ehemaligen Ostblockländern. Ihre Publikationen betreffen u.a.
Entwicklungsphasen Erwachsener, technische Probleme in der Behandlung von
Erwachsenen und das Thema Trauma und Entwicklungsinterferenz.
Dr. phil. Dierk Juelich (Jahrgang 1945) ist niedergelassener Psychoanalytiker (DPV/IPA),
Kliniktätigkeit in Hamburg und war 1983 -1992 Lehrbeauftragter an der
Universität Bremen. Forschungsgebiet: Spätfolgen des Nationalsozialismus in der
intrapsychischen Struktur. Diverse Veröffentlichungen zu diesem Thema, u.a.
(Hrsg.): Geschichte als Trauma. Frankfurt/Main 1991 und 1999. Prof. Robert Krell
(Kinderpsychiater, Vancouver), geboren 1940 in Amsterdam, hat als Kind die Schoa
in Holland überlebt. Als 11-Jähriger emigrierte er mit den Eltern nach Kanada.
Er ist Professor em. der Psychiatrie an der University of British Columbia. Sein
frühes audio-visuelles Zeitzeugen-Projekt mit 120 Überlebenden war Vorlage für
andere. 1983 rief er in Los Angeles die erste Gruppe für Child Survivors ins
Leben, 1985 leitete er den ersten Kongress zu diesem Thema. Von ihm sind viele
Publikationen erschienen, u.a. Research Bibliographien (zusammen mit Leo
Eitinger 1985 und mit Marc Sherman 1997) über körperliche und seelische Folgen
von Konzentrationslager auf Überlebende.
Johan Lansen Jahrgang 1933, Niederlande) ist Psychiater und
Psychoanalytiker. Von 1981 bis 1992 war er medizinischer und allgemeiner
Direktor vom Sinai Centrum, der jüdischen psychiatrischen Gesundheitsfürsorge in
Amsterdam und Amersfoort (Niederlande); 1982 -1992 Ausbildungsleiter für
psychodynamische Psychotherapie in der Ausbildung von Psychiatern in
Zentral-Holland. Seitdem war er aktiv involviert als Berater, Supervisor und
Dozent beim Aufbau von ESRA Berlin und bei verschiedenen Projekten in Europa im
Bereich der psychosozialen Versorgung und Behandlung der Opfer von Krieg und
Verfolgung. Er leitet im Auftrag der nationalen Zentren Centrum 45, ICODO und
Sinai Centrum einen Kurs zur Ausbildung von Supervisoren in diesem Bereich.
Seine Publikationen betreffen besonders Spätfolgen bei Opfern von Krieg und
Verfolgung und ihre Behandlung, emotionale Betroffenheit von Therapeuten sowie
Supervision.
Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhart Lempp (Jahrgang 1923, Stuttgart) hat sich als erster
nichtjüdischer Kinder- und Jugendpsychiater in Deutschland mit den psychischen
Folgen und Spätfolgen des Holocaust bei den überlebenden Kindern und
Jugendlichen befasst. Nach Dasberg teilen Psychiater die Vorurteile ihrer
Gesellschaft, ihre blinden Flecken, Tabus und Mythen (Myths
Zu den Autoren 25
2000). Reinhart Lempp ist eine Ausnahme davon. 1979 erschien von ihm
-gleichzeitig mit Sequentielle Traumatisierung von Hans Keilson - als erste
deutsche Veröffentlichung darüber die Extrembelastung im Kindes- und
Jugendalter.
Er studierte Medizin und erhielt seine Facharztausbildung an der
Universitäts-Nervenklinik Tübingen unter Ernst Kretschmer. 1963 habilitierte er
sich für Neurologie und Psychiatrie, ab 1966 war er ärztlicher Direktor der
selbständigen wissenschaftlichen Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie am
Klinikum der Universität Tübingen und dort seit 1971 Ordinarius. Schwerpunkte
der wissenschaftlichen Tätigkeit: Organische Psychosyndrome, endogene Psychosen
und frühkindlicher Autismus, gerichtliche Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Prof. David Joel de Levita (Kinderpsychiater, Amsterdam), geboren 1926 in
Amsterdam, hat als Jugendlicher die Schoa in Holland überlebt. Er wurde
ausgebildet als Psychiater und Psychoanalytiker und war über viele Jahre Inhaber
des Lehrstuhls für Kinderpsychiatrie an der Universität von Amsterdam. Nach
seiner Emeritierung hatte er den ersten Lehrstuhl für Transgenerationelle Folgen
von Krieg und Verfolgung an der Katholischen Universität Nijmegen inne. Von ihm
stammen verschiedene Publikationen über die Folgen von Traumatisierung durch
Verfolgung und ein grundlegendes Werk über den Begriff der Identität (The
Concept of Identity 1965). Er hat ein Programm für die Behandlung von
traumatisierten Kindern in Ex-Jugoslawien erarbeitet und vermittelte diese
Methode dort den professionellen Helfern. Seit 1999 ist er im Vorstand von
ESRA-Berlin.
Alexandra Rossberg (Jahrgang 1945) wurde ausgebildet in Psychotherapie mit
Extremtraumatisierten und Gruppenanalyse. Sie studierte Psychologie, weil sie
verstehen wollte, wie die Schoa geschehen konnte. Anlässlich des 9. Novembers
machte sie 1990 in Ostberlin ein internationales Symposium Spätfolgen des
Naziterrors für AMCHA möglich. Danach hat sie ESRA initiiert und zusammen mit
Dr. Johan Lansen und Dr. Werner Platz, Chefarzt in einer psychiatrischen Klinik
in Berlin, aufgebaut. Sie organisiert und leitet seit 1991 die in Deutschland
beispiellosen überregionalen ESRA-Treffen für die Zweite Generation und für
Child Survivors. Seit 12 Jahren arbeitet sie einzeln oder in Gruppen
psychotherapeutisch und beratend mit Überlebenden der Schoa und deren
Nachkommen. Dabei hat sie ungewöhnliche Wege im therapeutischen Umgang mit sehr
früh und schwer traumatisierten Kindern beschriften.
Leo Eitinger in memoriam
"Die Würde eines Menschen ist sein Eigentum, niemand kann es ihm wegnehmen. Es
liegt an seinem eigenen Verhalten", sagte Leo Eitinger an seinem 80. Geburtstag
in einem Interview.1
Er kam 1912, in Mähren, damals Doppelmonarchie Österreich-Ungarn, zur Welt.
Seine Ausbildung zum Mediziner erhielt er in der Tschechoslowakei und war damit
1935 fertig. Zwei Jahre später absolvierte er seinen Militärdienst in der
Slowakei, war an der Verteidigung eines Flugplatzes gegen ungarische Angriffe
beteiligt und kam dabei fast zu Tode. Er arbeitete in seiner Heimat für die Liga
für Menschenrechte und half den Flüchtlingen aus Deutschland, die illegal die
Grenze überschritten hatten.Er selbst sagt im Interview dazu: "Unsere Aufgabe
war, die Flüchtlinge weiter von der Tschechoslowakei über Norwegen nach USA zu
schaffen. Hier haben wir mit der Nansen-Hilfe in Norwegen zusammengearbeitet. Im
März 1939 war ich plötzlich selbst ein Flüchtling und beantragte ein Visum für
Norwegen, was ich auch bekam. Die Deutschen hatten die Tschechoslowakei
okkupiert und sie verboten den Ärzten zu reisen, aber 1939 konnte ich reisen,
weil ich ein Visum für Norwegen hatte."
Der Journalist schreibt: "Bei sich hatte Leo Eitinger seinen kleinen Neffen. Er
wird still, wenn er davon spricht. Als die Deutschen am 9. April 1940 Norwegen
überfielen, verlangten die Eltern ihren Sohn zurück. Der Junge kam in der
Gaskammer von Auschwitz ums Leben", und weiter: "Leo Eitinger brachte sich
Norwegisch bei und arbeitete im Krankenhaus Kroghst0tten in Oslo. Damals mussten
ausländische Ärzte eine Lizenz vom König haben, um zu praktizieren. Am 5. April
1940 bekam Leo Eitinger seine Lizenz für eine Stelle im psychiatrischen
Krankenhaus in Bodo. Aber dann kam der Krieg, die Flucht nach Vestland (in
Norwegen), dramatische Tage in einer Hütte in Lejaskog. Er versuchte über
Andalsnes nach England zu kommen, aber das letzte Schiff war schon weg. In Bod0
konnte er aber noch ein halbes Jahr arbeiten bis Quisling dafür sorgte, dass er
seine Lizenz verlor, weil er Jude war. Dann kam er wieder nach Vestland, wo er
als Sägewerksarbeiter arbeitete und illegal als Arzt tätig war."
Selbst sagt Leo Eitinger: "Im März 1942 wurde ich entdeckt und verhaftet. Fast
alle norwegischen Gefängnisse habe ich erlebt. Später kam ich mit der Gotenland
nach Stettin und weiter mit dem Zug nach Auschwitz im März 1943."
Als die Rote Armee in Polen einrückte, wurde Leo Eitinger im Januar 1945 auf den
Todesmarsch nach Buchenwald geschickt. Dort wurde er am 11. April 1945
befreit.Er sagt: "Ich habe Glück gehabt, ich habe überlebt, ich war Arzt, auch
in
1 Interview mit Bjarn Breymer: Menneskerverdet..., Aftenposten, Oslo 12.12.1992,
S. 18.
28 Johan Lansen und Alexandra Rossberg
den Konzentrationslagern. Wir müssen optimistisch sein, sonst können wir nichts
ausrichten."
Wovon er in dem Interview nicht sprach: Trotz Mangels an allem und trotz der
kriminellen Haltung der SS-Ärzte und der Misshandlungen der Patienten konnte er
noch manche Kranke vor dem Tod retten. Er assistierte z.B. bei einer Operation
am Fuß von Elie Wiesel, der ohne diesen Eingriff, Betäubungsmittel gab es nicht,
sicherlich mindestens den Fuß, und deswegen als Arbeitsunfähiger auch das Leben
verloren hätte.
Nach der Befreiung kehrte er nach Norwegen zurück. Obwohl er die
Verfolgungsereignisse nicht ganz verarbeitet hatte, wie er in einem Gespräch im
Nachhinein gestand, war es für ihn eher eine Quelle von Energie, die ihn als
Wissenschaftler inspiriert hat. Angefangen hat es mit dem Studium von
Schulkindern und ihrer Lebensumstände in einer norwegischen Kleinstadt, die von
Bomben zerstört war. Es folgten Recherchen über den Einfluss des Militärdienstes
auf junge Männer in Friedenszeiten.
Später recherchierte er in Norwegen über alle Flüchtlinge, die während der
ersten zehn Jahre der Nachkriegszeit von psychiatrischen Institutionen behandelt
worden waren. Alle hatten deutsche KZ-Lager überlebt. Das Zuhören und der
Versuch zu verstehen waren, so sagt er, für ihn als Psychiater-Überlebender eine
gute persönliche Therapie.
1957 wurde er Mitglied eines medizinisch-psychiatrisch-psychologischen Teams der
Universität Oslo, dessen Aufgabe das Studium der überlebenden Opfer war. Bei
seiner Riesenarbeit wurde er der "Star" dieses Teams. Seitdem hat ihn diese
Arbeit nicht mehr losgelassen.
Er hat Überlebende aus fast allen Herkunftsländern, die in Norwegen oder Israel
lebten, untersucht. Er hat die Morbidität und die Mortalität aller Norweger
festgestellt, die sich während des Krieges in Lagern außerhalb Norwegens
befanden. Er hat die wenigen jüdischen Überlebenden unter ihnen bis zu dreißig
Jahren nach der Befreiung begleitet.
Zu den mehr als fünfzig Veröffentlichungen über Überlebende aus seiner Feder
gehört auch seine wichtige bibliographische Arbeit. Angefangen wurde sie in
einem Sabbatical Year in Israel (1979), fortgesetzt wurde sie in Zusammenarbeit
mit Miriam Rieck1. Der 1940 in Holland geborene kanadische Psychiater Robert
Krell besaß 1980 gleichfalls eine große Literatursammlung. Zusammen haben sie
1985 eine Research Bibliograph}/ herausgegeben2. Eine dritte, ergänzte Auflage
ist 1997 kurz nach dem Tode Eitingers (15. Oktober 1996 in Oslo) erschienen3.
Sehr wichtig war ihm zum Ende seines Lebens, dass sein 1985 in Norwegisch
erschienenes Buch über Antisemitismus und Fremdenhass Mennesker blant Mennesker
[Menschen unter Menschen] in Deutschland veröffentlicht wird. Leider ist uns das
bisher nicht gelungen. Damit ein wenig von seinen
Leo Eitinger in memoriam 29
Gedanken doch in einer deutschen Publikation erscheint, zitieren wir noch einmal
aus dem Interview vom 12.12.1992.
Was er denke, wenn er die Neonazis in den deutschen Städten in Aktion sieht?
"Ich finde es schrecklich, dass sich dieses wirklich wiederholt. Mit dem
Verstand verstehe ich ja den Hintergrund für das, was heute geschieht. Ich weiß,
dass es junge Menschen sind, die wenig Erfolg haben. Sie haben persönliche und
soziale Schwierigkeiten, sind frustriert und um ihr Vertrauen in sich selbst
aufrechtzuerhalten, müssen sie Gruppen, die noch schwächer sind, aufsuchen und
sie verfolgen. Das Einzige, was sie noch haben, ist, dass sie der blonden Rasse
angehören. Dann hilft es ihrem Selbstvertrauen, blanke Stiefel und blanke
Schädel zu tragen. Der Hass hat es in sich, dass er wächst wie ein Tumor und dem
Menschen die Fähigkeit raubt, vernünftig zu denken. Das Denken wird von
Vorurteilen übernommen, die dann wieder zu sinnlosen Aggressionen führen. Solche
hasserfüllten Menschen greifen erst tote Gegenstände an, wie Grabmäler auf
jüdischen Friedhöfen, und dann greifen sie Menschen an. Das wirklich Gefährliche
ist, wenn es die Bevölkerung akzeptiert, sowohl den Nationalismus als auch die
verbrecherischen Gewalttätigkeiten, der Zweck heiligt die Mittel. Das sah man
deutlich im Film über Rostock, die Polizei ließ es geschehen."
Ob er meine, der Neonazismus habe in Zukunft noch eine Grundlage? "Ja für einige
-leider, man sucht Sündenböcke. Es ist ja leider eine sehr alte Tradition in
Europa, dass die Juden die Schuld tragen müssen. Sie waren immer die schwache
Minorität und konnten sich nirgends hinwenden. Die Kirchen haben den Hass gegen
die Juden unterstützt. Es hieß, dass die Pogrome die ewige Strafe der Juden
seien, weil sie Jesus getötet hatten."
Professor Leo Eitinger hatte für ESRA eine große Bedeutung. Er war sehr
interessiert an der Arbeit in einer Stadt, die für ihn, wie für viele andere
Überlebende des Naziterrors, der Inbegriff der wahnhaften Nazi-Ideologie gewesen
war. Er kam trotz seines hohen Alters wiederholt nach Berlin zu Vorlesungen im
Rahmen des Aufbaus der Arbeit von ESRA. Auch nachher konnte man sich von ihm
telefonisch oder in einem persönlichen Gespräch Rat holen. Seine wörtliche
Bitte: "Lasst die Überlebenden nicht alleine", wollten wir erfüllen.
Ihm sei dieses Buch in respektvollem Dank gewidmet.
1. Eitinger, Leo & Miriam Rieck: Bibliographical Collection of Literature
Concerning Medical and Psychological Sequelae to Concentration Camp Imprisonment.
Haifa 1981.
2. Eitinger, Leo & Robert Krell: The Psychological and Medical Effects of
Concentration Camps and Related Persecutions on Sunrivors ofthe Holocaust. A
Research Bibliograph}/. With Miriam RIECK. Vancouver 1985.
3. KRELL, Robert & Marc J. SHERMAN: Medical and Psychological Effects of
Concentration Camps on Holocaust Survivors. New Brunswick 1997.
30 Johan Lansen und Alexandra Rossberg
Eine Auswahl der Arbeiten von Dr. Leo Eitinger
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Und die Welt hat geschwiegen!
LeoEitinger
Am 20. Januar dieses Jahres1
war der 50. Jahrestag der Wannsee-Konferenz. In irgendeiner Weise wurde die
grauenvolle Bedeutung dieses Tages wohl überall dort, wo Juden lebten,
hervorgehoben. Hoffentlich waren es nicht nur Menschen jüdischer Herkunft, die
nachdachten, sprachen, diskutierten und demonstrierten an dem Jahrestag jenes
Ereignisses, bei dem eigentlich nur technische und organisatorische Details
einer längst beschlossenen und schon praktizierten Ermordung der gesamten
jüdischen Bevölkerung Europas erörtert wurden.
Es wären traurige Zustände in einem Rechtsstaat, wenn nur die Opfer von
Verbrechen sich mit diesen beschäftigen würden. Noch trauriger wäre es um die
Verteidigung der aller primitivsten und grundlegendsten Menschenrechte in der
Welt bestellt, wenn nur die wenigen Überlebenden von einem Massenmord ohne
seinesgleichen, sich dessen Ursprungs erinnern würden - während alle Anderen,
stillschweigend und ohne Interesse an allem, was mit diesem Großverbrechen
zusammenhängt, vorbeigehen wollten.
Hier sei keineswegs die Frage aufgenommen, ob die Wannsee-Konferenz, historisch
und wirklich, den Tatort und das Anfangsdatum der Schoa darstellt. Darüber
können vielleicht Fachhistoriker diskutieren, ohne auf die menschliche Seite
dieses Problems einzugehen. Ich möchte hier zuerst die Frage aufwerfen, ob es
eigentlich notwendig ist, nachdem man der Wannsee-Konferenz gedacht hat, jetzt
auch noch - und wieder - die "Kristallnacht" zum Gegenstand von Gedenkfeiern zu
gestalten. Mit anderen Worten: Brauchen wir eigentlich alle diese offiziellen
und halb offiziellen Gedenktage? Sollten wir uns nicht auch bald denen
anschließen, die einen Schluss-Strich unter die Vergangenheit setzen wollen, die
meinen: "Genug ist genug. Lasst uns endlich ein Leben ohne alle diese
schrecklichen Erinnerungen beginnen! Und lasst uns den tiefen Abgrund, der
zwischen uns, unseren Leiden und Erinnerungen auf der einen Seite und den Tätern
und deren Erben auf der anderen, besteht - lasst uns also diesen Abgrund
irgendwie zum Verschwinden bringen oder jedenfalls reduzieren!
Selbstverständlich wollen wir alle, dass Konflikte und Gegensätze abgebaut
werden. Eine solche Aufforderung kann daher verlockend wirken, ist aber in
Wirklichkeit sehr gefährlich. Gedenktage sind mit Ritualen verknüpft. Die
meisten Rituale haben wichtige Aufgaben und Bedeutungen, besonders wenn man sie
vom psychohygienischen Standpunkt aus betrachtet.
1 Vortrag gehalten am 9.11.1992 in der Jüdischen Volkshochschule Berlin.
40 Leo Eitinger
Darf ich einen Augenblick bei Ritualen verweilen? Ritualhandlungen bezeichnen
wichtige Veränderungen in unserem Leben, und die meisten Religionen haben
verstanden, dass solche Veränderungspunkte irgendwie markiert, "gefeiert" werden
sollen. Die allerältesten Rituale haben mit dem Übergang ins Erwachsenenalter zu
tun, heißen in der Anthropologie 'Rites ofpassage', und werden von fast allen
Stämmen, Völkern, Religionen usw. gefeiert. Selbstverständlich auch von Juden
als Bar Mitzwa oder Bat Mitzwa. Übergänge kommen jedoch schon viel früher im
Leben vor. Der erste ist ja die Geburt, wo wir uns vom Leben als Embryo zum
Leben auf dieser Welt, als selbständige Menschen, umstellen müssen. Die meisten
wehren sich dagegen, dass sie selbst lernen müssen zu atmen, aber dies hilft ja
nicht viel. Wir müssen ins Leben hinein. Von der Geburt an müssen wir für unsere
eigenen biologischen Bedürfnisse sorgen. Im Anfang ist es nur Weinen und
Schreien, wodurch wir die anderen auf unsere eigenen Bedürfnisse aufmerksam
machen, um dadurch Hilfe zu erreichen. Später müssen wir dann alle diese
Aufgaben selbst lösen.
Aber auch für die Eltern ist eine Geburt ein großer Übergang; sie sind nicht
mehr zwei sondern drei, sie sind eine Gruppe geworden. Gleichgültig wiederum, ob
es ein Stamm, ein Volk, eine Sekte, eine Religion ist, markiert man dieses
Ereignis durch Rituale: Rituale, um den Neugeborenen und die ganze, wenn auch
nur kleine Gruppe an sich zu knüpfen; um zu zeigen, dass die Eltern und der
Neuangekommene zum Volk, zur Sekte, Religion usw. gehören und dass sie nicht
allein in der Welt da sind. Die Eltern lernen auch, dass ihre Verantwortung für
den Jüngsten nicht nur sie selbst angeht, sondern die ganze Gemeinschaft bereit
ist, mit ihnen zu teilen nicht nur Freude, sondern auch eventuelle Sorgen
(siehe dazu auch David de Levita: Adoleszenz, S. 243).
Selbstverständlich ist auch der letzte und absolut entscheidende Übergang in das
Jenseitige, von dem wir nichts wissen, von Ritualen umgeben. Besonders bei den
Juden entsprechen diese mit ihren abgestuften Ernsthaftigkeitsgraden ziemlich
genau den Phasen der gewöhnlichen, natürlichen, psychischen Reaktionen auf ein
Verlusttrauma. Die Rituale des Trauerns verschwinden leider langsam in der
säkularisierten Welt, haben aber immer noch eine große Bedeutung hauptsächlich
für die Trauernden selbst. Diese können sich ihren Gefühlen des Trauerns
hingeben. Und was vielleicht noch wichtiger ist, sie sollen sehen, hören,
wirklich erleben, dass sie nicht allein sind, dass ihre Gruppe an ihnen wirklich
interessiert ist. Die sozialen Bedürfnisse der Trauernden sind ja bekannt: ihr
mehr oder weniger bewusster Wunsch, sich an jemanden anzuklammern, jemanden zu
haben, zu dem man sprechen kann, auch wenn es nur sich wiederholende Klagen
sind. All dies wird durch die Rituale, die, wie die meisten, ursprünglich
universelle waren und von den verschiedenen Religionen etwas variiert übernommen
worden sind, auf psychohygienisch richtige Weise gelöst. Auch hier ist der
zentrale Faktor, das zentrale Erlebnis, das vermittelt werden soll: Du bist
nicht allein, du bist ein
Und die Welt hat geschwiegen! 41
Teil eines größeren Ganzen. Wir sind hier, wir sollen uns zusammen mit dir
sorgen, weil die Umstände es so verlangen.
In der jüdischen Tradition gehen wir noch einen Schritt weiter. Auch die
Verstorbenen gehören zur Gemeinschaft. An den höchsten Feiertagen wie zum
Beispiel Jom Kippur, aber auch an den größten Festtagen, wie zum Beispiel
Pessach, dem reinen Freiheits- und Freudenfest, wird im Gottesdienst ein Gebet
eingeschaltet, in welchem die verstorbenen Mitglieder der Gemeinde namentlich in
unsere Erinnerung zurückgebracht werden. Jeder Teilnehmer am Gottesdienst
erinnert sich an seine verstorbenen Angehörigen. Aber auch die Namen derjenigen,
welche keine lebenden Nachkommen mehr haben, sollten nicht vergessen werden und
werden in den meisten Gemeinden verlesen. Die Art und Weise, wie man diese
Rituale einhält, variierten selbstverständlich von Gemeinde zu Gemeinde. Ich
spreche hier hauptsächlich von der Zeit vor dem Holocaust, als die jüdischen
Gemeinden Europas noch ein normales Leben führen konnten. Auch damals gab es
namenlose Opfer von Verfolgungen oder Katastrophen. Diese wurden kollektiv
genannt, um nie völlig der Vergessenheit anheim zu fallen.
Die Bedeutung solcher Riten kann nicht hoch genug geschätzt werden. Der Wunsch,
das Bedürfnis, nicht völlig vergessen zu werden, nicht die Welt ohne jedes
Zeichen seiner eigenen Existenz zu verlassen, scheint bei den meisten Menschen
sehr tief gegenwärtig zu sein. Irgendwie, ein kleines bisschen möchte jeder
unsterblich sein. Kann man selbst keine unsterblichen Werte schaffen, keine
Musik komponieren, keine Bücher schreiben, die einen überleben, versucht man
durch Spenden, Stiftungen, Straßennamen, Monumente und was es sonst noch gibt -
irgendwie seine Existenz oder besser gesagt, die Erinnerung an seinen Namen zu
verlängern. Die Literatur beschreibt eine fast unendliche Anzahl von
Variationen, religiöser und nicht religiöser Art dieses Strebens. Es handelt
sich offenbar um ein tief verankertes menschliches Bedürfnis, das von der
jüdischen Tradition erfasst und dem ziemlich zufriedenstellend entsprochen
wurde.
Andererseits ist es wohl nicht ganz grundlos, dass Gedenktage für
Dahingeschiedene, seien sie individuelle, wie zum Beispiel der sogenannte ]ahrzeittag,
oder kollektive, wie die eben genannten Jahrestage zum Gedenken,
institutionalisiert worden sind. Der wichtigste Grund ist wohl die menschliche
Schwäche, die Tendenz, im Augenblick zu leben, der Wunsch zu vergessen,
vielleicht das Unangenehme zuerst. Es scheint, dass unser Gedächtnis doch eine
gewisse Nachhilfe braucht.
Es ist für den Einzelnen unerträglich, ja sogar gefährlich, völlig ohne jede
eigene "Geschichte" zu leben. Man findet zahlreiche und sehr ungleiche
Beschreibungen von Personen, die plötzlich ihr Gedächtnis total verloren haben.
Ich habe selbst einige wenige Patienten getroffen, die keine Vergangen-
42 Leo Eitinger
heit hatten, d.h. die nicht wussten, sich nicht erinnern konnten, wer sie waren,
wie sie hießen, woher sie kamen. Sie hatten keine Identität mehr. Dies ist ein
tragisches Schicksal - bis es zur Heilung kommt - für den individuellen
Patienten, aber es ist gefährlich für ein Volk, das in einen solchen
pathologischen Zustand verfällt. Es ist verheerend für die Geschichtsauffassung,
zerstörend für das Selbstverständnis und für das zugrunde liegende Recht der
eigenen Existenz. Ein Volk ohne Geschichte und ohne Identität ist eben kein Volk
mehr. Was für ein Volk gilt, gilt selbstverständlich für jedes andere Kollektiv,
sei es eine nationale, religiöse oder andere Schicksalsgemeinschaft.
Die neuere Geschichte des jüdischen Volkes ist leider völlig untrennbar von der
Geschichte des Holocaust, und diese wiederum völlig untrennbar von der
Pogromnacht. Ich möchte hier versuchen, die Erinnerungen an den Weg zu diesen
grauenvollen Entscheidungen und Erlebnissen andeutungsweise zurückzurufen. Dies
keineswegs, um hassgeprägte Gefühle aufzuputschen, sondern nur um die Erlebnisse
der Vergangenheit nicht der Vergessenheit anheimfallen zu lassen, um unserem
kollektiven Gedächtnis ein wenig nachzuhelfen. Und vielleicht auch, um unser
Verstehen der Gegenwart zu schärfen, weil wir immer wieder zur Vergangenheit
zurückkehren müssen, um unsere Gegenwart und Zukunft besser zu verstehen1.
Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Kanzler des Deutschen Reiches ernannt
und nicht ganz vier Wochen danach loderten die Flammen des Reichstagsgebäudes
über Berlin; und in diesen Flammen verschwand alles, was mit Gesetz,
Menschlichkeit und Gerechtigkeit zu tun hatte. Hermann Göring, der Mann mit den
vielen Titeln und mit noch mehr Uniformen, der unter anderem auch für Ruhe und
Ordnung und Gesetzestreue im Lande verantwortlich war, erklärte nur wenige Tage
nach dem Reichstagsbrand, dass die deutsche Polizei mit der "größten
Handlungskraft und Energie" überall dort eingreifen werde, wo es deutsche
Interessen verlangen. "Aber niemand kann verlangen, dass ehrliche deutsche
Polizisten als gewöhnliche Mannschaften für jüdische Geschäfte und Warenhäuser
Wachdienst leisten sollten". Diese -kaum verhüllte - Aufforderung zur Plünderung
wurde von eifrigen SA-Abteilungen nur allzu gut verstanden. Das Naziregime war
damals doch noch ziemlich schwach und die Welt noch etwas zivilisiert.
Undiszipliniertes öffentliches Auftreten galt in einem westeuropäischen,
geordneten Staat noch als völlig unerhört. Pöbelunruhen, Schikanieren
unschuldiger Bürger, Andeutungen von Pogromen und Plünderungen, wo die Polizei
nicht selbstverständlich eingriff, wurden in der internationalen Presse damals
groß herausgebracht. Das waren Sensationen, und die Reaktionen in allen
westlichen, demokratischen Ländern ließen nicht lange auf sich warten.
1 Anm. der Hrsg.: Empfehlenswert dazu die Gedenkrede von Yehuda Bauer am
27.1.1998 im Bundestag.
Und die Welt hat geschwiegen! 43
Anfangs waren sie auch wirklich stark und hatten Bedeutung. Die Presse, die
Diplomatie und nicht zuletzt ökonomische Machtzentren ließen von sich hören. Man
schrieb von totalem Boykott gegen Deutschland. Und ich halte es nicht für
ausgeschlossen, dass die Journalisten, die darüber schrieben, es damals wirklich
ernst meinten.
Jedenfalls nahm man sie in Deutschland ernst genug. Nationalsozialistische
Gegenaktionen blieben nicht aus. Zuerst mussten alle jüdischen Organisationen,
Gemeinden und andere Gruppierungen Telegramme ins Ausland senden, wo sie
feierlich versicherten, dass nichts Unfreundliches oder gar Feindliches passiert
wäre. In Deutschland herrschte überall nicht nur Ruhe und Ordnung, sondern auch
Frieden und Verträglichkeit. Kurz und gut - die Verhältnisse wären idyllisch.
Die bösartige lügnerische Propaganda sollte nicht geglaubt werden. Gleichzeitig
veränderte sich auch die Politik im Lande. Der Pöbel wurde durch die Partei
diszipliniert und der Antisemitismus durch Gesetze geregelt. Der kleine Mann und
große Propagandist Goebbels konnte stolz erklären: "Die ausländische
Lügenpropaganda ist völlig zusammengefallen."
Das nationalsozialistische Regime hatte gelernt, dass das Weltgewissen
eigentlich nicht gern gestört wird. Die antijüdischen Gesetze und Verordnungen
wurden langsam und stückweise durchgeführt, immer mit einem Auge auf die
Stärkeverhältnisse der nationalsozialistischen Partei und Regierung in
Deutschland gerichtet und mit einem anderen auf die vielleicht zu erwarteten
Reaktionen des Auslands, des Weltgewissens. Fast immer waren die Verordnungen so
formuliert, dass ein kleiner taktischer Rückzug möglich sein sollte, wenn diese
ausländischen Reaktionen wider allen Erwartens zu stark werden sollten. Aber
durch sechs Jahre Hitlerregime war das Gewissen der Welt, wenn so etwas
überhaupt noch existierte, abgestumpft. Dauerndes Unrecht, in gesetzlichen und
geordneten Formen durchgeführt, ist ja keine Sensation für Journalisten. Aber es
waren ja nicht nur die, die sich täuschen ließen; die jüdische Bevölkerung in
Deutschland selbst verfiel den gleichen Fehlern. Es spielte selbstverständlich
auch eine große Rolle, dass das Ausland "realpolitisch" auf die Entwicklung zu
schauen begann. Deutschland war eine Großmacht geworden und ohne Zweifel eine
kriegerische. Der Frieden sollte jedoch um jeden Preis bewahrt werden. Das
Schicksal der jüdischen Bevölkerung in Deutschland, späterhin in Österreich und
der Tschechoslowakei, war uninteressant und damit auch unwichtig geworden. Die
Welt hatte aufgehört, sich für sie zu interessieren. Man hatte sie ganz einfach
aufgegeben.
Wenn jemand noch irgendeinen Zweifel über diese für uns so fürchterliche und
grauenhafte Tatsache haben konnte, brauchte man nur die sogenannte
Internationale Konferenz in Evian zu betrachten. Einen besseren Beweis zu
finden, würde schwer fallen. Zu dieser Konferenz im Jahre 1938, die der
Präsident der Vereinigten Staaten, Roosevelt, einberufen hatte, kamen Vertreter
von 32 Staa-
44 Leo Eitinger
ten. Die Aufgabe, die der Konferenz gestellt war, war das Flüchtlingsproblem in
der Welt - ich hätte fast gesagt - wieder einmal "endlich" zu lösen. Keiner der
Delegierten hatte auch nur die Andeutung einer Lösung vorzuschlagen, im
Gegenteil. Einer nach dem anderen erhob sich feierlich und erklärte
salbungsvoll, dass sein Land keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen könnte. Weder
die wirtschaftliche noch die psychologische Situation des Landes könnte einen
Bevölkerungszuwachs ertragen. Nur drei der Delegierten fielen etwas aus der
Reihe. Der dominikanische und der holländische meinten, dass man trotz aller
Schwierigkeiten zu helfen versuchen müsste und dass ihr Land - wenn auch die
Möglichkeiten sehr begrenzt seien - doch alles tun würde, um Flüchtlinge aus
Deutschland aufzunehmen; leider in sehr bescheidenem Ausmaß. Der dritte
Delegierte, der sich vom großen Chor auf eine andere Weise unterschied, war der
polnische. Er sprach überhaupt nicht von der Möglichkeit, Flüchtlingen aus
Deutschland - eventuell oder irgendwie - helfen zu wollen. Nein, seine Rede galt
der allzu großen jüdischen Minorität in Polen, die eine Gefahr für das polnische
Wirtschaftsleben und die polnische Kultur bedeutete. Er appellierte an alle
Völker der Welt, Polen in dieser kritischen Situation zu helfen und die Tore für
eine Emigration aus Polen zu öffnen.
Auch nach der Konferenz schämten sich andere Länder nicht, ihren Unwillen, Juden
zu helfen, deutlich zu zeigen ebenso wie ihren Willen, die nazistische
Auffassung und die diskriminierende Haltung dieser Minorität gegenüber zu
akzeptieren. Mehrere Länder müssen genannt werden, unter ihnen auch die
sogenannten führenden Demokratien, welche auf ihre humane, menschenfreundliche
Haltung immer so stolz gewesen waren, also Länder wie Schweiz, Schweden und
leider auch Norwegen. Alle diese Länder führten spezielle Einreisebeschränkungen
ein. Diese galten jedoch nur für Personen mit sogenannten markierten
Reisepässen. Dieses war einer dieser schoflen Euphemismen, die fast alle Länder
stillschweigend von den Nazis übernommen hatten und mit akzeptierten. Es
bedeutete nichts anderes, als dass diese Länder ohne jeden Protest ganz einfach
anerkannten: Dass Deutschland zwei Arten von Bürgern hatte und dass die Grenzen
dieser hochdemokratischen, menschenfreundlichen Länder für diejenigen gesperrt
waren, deren Reisepass mit einem "]" versehen war, während Besitzer von
"gewöhnlichen" Pässen - also ohne "]" - die erstklassigen, sogenannten arischen
Bürger Deutschlands, sich frei und ohne Visum über alle Grenzen hinweg bewegen
konnten.
Auf diese schändliche Weise hatten die westlichen Demokratien sich selbst des
moralischen Rechts beraubt, gegen die verbrecherischen Pläne und Handlungen des
Hitlerregimes auch nur zu protestieren. Das Naziregime zögerte seinerseits nicht
einen Augenblick, den moralischen und ethischen Selbstmord des Westens und der
demokratischen Welt, der späterhin im Münchner Abkommen besiegelt worden war,
auszunützen. Jetzt war es überhaupt nicht
Und die Welt hat geschwiegen! 45
mehr notwendig, alle antisemitischen Übergriffe und Gewalttätigkeiten zu
verheimlichen.
Und eine Großaktion ließ da auch nicht lange auf sich warten. Die angebliche
Veranlassung einer spontanen Volksreaktion war der unselige Versuch des 17 Jahre
alten Herschel Grünspan, das Gewissen der Welt zu wecken. Er wählte das
schlechteste denkbare Mittel, nämlich einen völlig unschuldigen
Legationssekretär der deutschen Botschaft in Paris zu erschießen. Herschels
Eltern wurden zusammen mit Tausenden anderen aus Deutschland verjagt, wirklich
buchstäblich über die Grenze nach Polen gejagt, während er selbst sich bei
seinen Großeltern in Paris befand. In seiner kindlichen und arglosen Naivität
glaubte er, dass die Welt dies erfahren müsste - und etwas tun müsste, um seinen
Eltern und den anderen Vertriebenen zu helfen - der arme Junge. Als ob die Welt
im Herbst 1938 sich noch um solche Kleinigkeiten, wie einige Tausend verjagte
Juden, kümmerte. Vertriebene Juden lagerten überall auf den Feldern im Freien an
den Grenzen Deutschlands, Süd-Mährens, des Sudetengebietes, Österreichs usw.
Für die Naziregierung aber war dieser tragische Revolverschuss ein willkommener
Vorwand für eine "Spontanreaktion" gegen alle Mitglieder der jüdischen
Bevölkerung.
Wir wissen heute, dass dieser Pogrom schon lange vorbereitet worden war. Schon
im Juni 1938 wurden die Konzentrationslager Dachau und Buchenwald bedeutend
vergrößert. In den Schneiderwerkstätten dort hatte man alle Hände voll zu tun
mit der Herstellung von Tausenden Gefangenenuniformen, die mit Davidsternen
versehen werden sollten. Niemand der Eingeweihten war im Zweifel darüber, was
vorbereitet wurde. Die Aktionen wurden auch mit absoluter militärischer
Präzision durchgeführt, selbst wenn sie - nach geltenden Befehlen - in zivilen
Kleidern vor sich gingen.
Die Dokumentation dieser Ereignisse ist mehr als ausreichend, um sich ein
genaues Bild von dem Geplanten und Geschehenen zu machen. Nur ein kleines
Beispiel einer typischen Meldung sei hier angeführt: "Die Aktion in
Geldern-Distrikt und in Xanten wurde gänzlich vom SS-Sturm 10/25 durchgeführt.
Zuerst wurde die Synagoge in Geldern kurz vor 04:00 Uhr morgens abgebrannt.
Gleichzeitig wurde die Einrichtung der Synagoge in Xanten, in einem Privathaus,
völlig vernichtet. Im Aktionsgebiet befanden sich zwei jüdische Geschäfte, wo
alle Waren und Vorräte vernichtet wurden. Bei den übrigen Juden wurde auch die
Einrichtung zerschlagen und unbrauchbar gemacht, nachdem alle Fensterscheiben
eingeschlagen worden waren. Alle männlichen Juden im Alter von 15 bis 70 wurden
verhaftet. Die Bevölkerung verhielt sich während der Demonstrationen passiv.
Heil Hitler". Unterzeichnet Führer des SS-Sturms 10/25.
46 Leo Eitinger
An dieser Gründlichkeit kann man nichts aussetzen. (Diese Meldung ist aus dem
Englischen ins Deutsche zurückübersetzt und entspricht wahrscheinlich nicht
wortwörtlich dem Originaltext.)
In einer Erklärung, die vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken im Jahre
1988 veröffentlicht wurde, heißt es:
"Die gewalttätigen Exzesse in jener Nacht, die Reichskristallnacht genannt
wurde, waren nur eine weitere Radikalisierung der Judenverfolgungen, welche mit
Mord von 6 Millionen unschuldigen jüdischen Männern, Frauen und Kinder endeten.
Die traurige Bilanz des Massenpogroms, der von der Regierung in der Nacht von 9.
zum 10. November 1938 arrangiert wurde, ist folgende: Ungefähr 100 jüdische
Bürger erschlagen, eine unbekannte Anzahl misshandelt und über 30.000 in
Konzentrationslagern eingesperrt. In ganz Deutschland wurden Synagogen und
Gebetshäuser geschändet, in Brand gesetzt, vernichtet, jüdische Geschäfte und
Wohnungen geplündert und demoliert. Im Gegensatz zur späteren Schoa, dem
Holocaust in den Vernichtungslagern, gingen alle diese Vorgänge in vollständiger
Offenheit vor sich. Man konnte sie nicht nur sehen, sondern man musste dies tun.
Das ist einer der Hauptgründe, dass wir heute darüber nachdenken müssen, wieso
Menschen, besonders die christlichen, nicht auf das reagierten, was um sie herum
geschah. Wir können uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass viel
Gleichgültigkeit, Gemeinheit, systematische Ausnützung und auch offenbare
Schadenfreude existierten. Man fand aber auch Zeichen von Abscheu, Empörung,
Mitleid und Hilfsbereitschaft. Auch die Frage, warum die Kirche die Ereignisse
der Pogromnacht nicht klar und unzweideutig verurteilte, muss weiterhin
gründlich geklärt und beleuchtet werden. Wir, die Mitglieder der Dialoggruppe
von Juden und Christen des deutschen katholischen Zentralkomitees, fühlen es
besonders beklemmend, dass die Bischöfe so unzweideutig schweigen konnten. Sie
waren die einzigen, die noch die Möglichkeit hatten, sich öffentlich äußern zu
können. Ihre wiederholten und oft erneuerten, klaren und absoluten Aussagen, in
denen sie sich von der nationalsozialistischen Rassenlehre distanzierten, hätten
durch eine klare Aussage über die Kristallnacht konkretisiert werden können.
Dies - trotzdem oder gerade weil - die Kirche selbst in einer exponierten
Situation war. Einige einfache Worte, wie die von Bernhard Lichtenberg,
Domprobst in Berlin, hätten genügt, um eine anständige Haltung zu markieren. Er
sagte: "Was gestern war, das wissen wir. Was morgen sein wird, wissen wir nicht.
Aber was heute geschah, das haben wir gesehen und erlebt. Draußen brennen
Synagogen, die sind auch Gotteshäuser."
Seine Stimme war eine äußerst einsame Stimme, es war die Stimme, die in der
Wüste ruft und von niemandem gehört wird. Weil sie so isoliert war, schien es
nicht notwendig, auf sie zu hören. Es war leicht, sie zum Schweigen zu bringen.
Die Räder des Verbrechens und der Tragödien rollten weiter - und die Welt
schwieg.
Die meisten Kirchen in Deutschland hatten gegen die rassistischen Verfolgungen
protestiert, weil diese gegen Mitglieder von Kirchen gerichtet waren, welche als
Folge der rassistischen Gesetzesbestimmungen nicht als Christen, sondern als
Juden behandelt wurden. Aber wie das oben genannte Zitat ohne jeden Zweifel
zeigt, protestierten die Kirchen nicht gegen die
Und die Welt hat geschwiegen! 47
Verfolgung der "jüdischen", d.h. aller anderer Juden. Die Kirchen schwiegen, die
Bischöfe schwiegen und die Welt schwieg mit ihnen. Es war das Bequemste für sie
alle - nicht für uns.
Ich glaube, dass wir diese Haltung der deutschen Kirchen nicht nur als Zeichen
von Gleichgültigkeit dem Schicksal der jüdischen Mitbürger gegenüber sehen
dürfen. Es hätte auch wenig Sinn gehabt, sich dem Selbstmitleid hinzugeben oder
sich von Hass und Aggressionsgefühlen überwältigen zu lassen. Meines Erachtens
nach ist die wichtigste Erkenntnis, dass wir nie Grenzen und Begrenzungen für
die grundlegenden Menschenrechte anerkennen dürfen.
Es ist immer wieder richtig zu betonen, dass nicht alle Menschen ganz gleich
sind, sie sind untereinander sehr verschieden. Es gibt unendlich viele
Unterschiede; nationale, soziale, intellektuelle, politische, religiöse,
charaktermäßige, weltanschauungsmäßige usw., usw. Aber keiner dieser
Unterschiede gestattet uns, moralische Differenzen zu konstruieren oder auch nur
andeutungsweise eine Einschränkung der elementaren Menschenrechte zu
akzeptieren. Niemand und gar nichts gibt uns das Recht zu behaupten, dass die
einen besser sind als die anderen und deshalb Anspruch auf mehr oder größere
Rechte haben. Oder umgekehrt, dass dieser oder jener minderwertig ist und
deshalb nicht das Recht hat, grundlegende Menschenrechte zu genießen oder zu
beanspruchen, ja noch nicht einmal das Recht zum Leben hat.
Solange wir die existierenden Unterschiede als Erklärung und Entschuldigung für
unterschiedliche Behandlung akzeptieren, solange werden Pogrome, Kriege,
Bürgerkriege und andere Gräueltaten weiterhin das Schicksal der Menschheit
bleiben. Solange wir dazu schweigen, dass andere zu Objekten von Diskriminierung
gemacht werden, so lange sind wir alle, d.h. die ganze Menschheit, in ständiger
Gefahr, diskriminiert zu werden, selbst zu Opfern von Verfolgung, zu Opfern
einer weiteren Pogromnacht oder eines neuen Holocaust zu werden.
Das erste Gebot ist selbstverständlich, sich seiner eigenen Verschiedenheit
nicht zu schämen. Anders zu sein bedeutet weder besser noch schlechter zu sein,
es bedeutet schlechthin eben nur anders zu sein. Und darf ich wiederholen:
Anders zu sein bedeutet nicht, dass andere entweder mehr oder weniger Rechte
haben. Dies gilt selbstverständlich für Juden und ebenso für alle anderen
Minoritäten, seien sie anderer Hautfarbe, anderer Religion, anderen Aussehens
oder was immer auch gilt. Nur wenn wir immer die gleichen Rechte auch für die
anderen fordern, haben wir unter allen Bedingungen, bei allen Situationen das
moralische Recht, die gleichen Rechte auch für uns zu fordern. Wir, die wir
durch die Hölle des Holocaust gegangen sind, haben nicht nur das moralische
Recht, sondern die moralische Pflicht, auf diesen Prinzipien zu bestehen, sie zu
verteidigen, ihnen entsprechend zu wirken und zu leben.
48 Leo Eitinger
Wir dürfen nicht schweigen, obwohl - oder gerade weil - wir jetzt in einer
exponierten Situation leben. Wir dürfen nicht schweigen und müssen alles dazu
tun, dass andere nicht schweigen, wenn Unrecht geschieht. Wir wissen, dass das
sogenannte Weltgewissen eine zarte Pflanze ist; eine Pflanze, die rasch
dahinwelkt, wenn sie nicht genügend umsorgt und umhegt wird; die aber -entgegen
allen Erwartungen - aufblühen kann, wenn ihr genügend richtige Nahrung zugeführt
wird. Bei den Verhältnissen, wie sie heute in der Welt herrschen - und besonders
in diesem mit Vergangenheit so belasteten Land -müssen wir alle dafür sorgen,
dass wir selbst nicht schweigen, dass die Bischöfe und die Kirche, die
Professoren und Universitäten, dass alle Menschen, die ihr Menschsein noch ernst
nehmen, nicht schweigen. Kurz, dass die Welt nicht wieder schweigt und die
verfolgten Opfer vergisst, wie sie es vor und nach der Reichspogromnacht getan
hatte. Demonstrationen ändern nichts an dieser Verpflichtung; sie besteht
weiterhin und unverändert für uns alle.
Warum geschwiegen wurde - Spätfolgen in Israel
Haim Dasberg
Für die Berliner Juden ist die Charite1 von besonderer Bedeutung, da in früheren
Zeiten viele jüdische Ärzte und ihre Patienten mit diesem Krankenhaus verbunden
waren. Ich spreche natürlich von dem Zeitabschnitt, in dem die Beziehungen
zwischen Deutschen und Juden noch zivilisiert und gegenseitig schöpferisch
anregend waren.
Heute halte ich einen Vortrag vor einer Zuhörerschaft, die wieder aus Deutschen
und Juden besteht. Wir befinden uns in einem vereinigten Deutschland und in
einem vereinigten Berlin, das nicht nur unter historischem Gesichtspunkt,
sondern auch symbolisch die Hauptstadt dieses Landes ist.
Obwohl es mir als Jerusalemer aus ganz persönlicher Erfahrung bekannt ist, was
eine Wiedervereinigung bedeutet, muss ich immerhin zu gleicher Zeit eingestehen,
dass ich mich trotzdem hier in dieser Stadt etwas zwiespältig fühle, da wir
Juden es immer noch nicht vergessen haben, was uns das mächtige Deutschland in
diesem Lande und auf diesem Kontinent angetan hat. Deutsche und Juden waren
beide Teile des historischen Geschehens, hatten aber einen entgegengesetzten
Part inne. Zwar haben Deutsche auch erlebt, was es bedeutet, Selbstbild und
nationale Traumata zu betrachten. Und vielleicht stimmt es auch, dass Deutsche
hinsichtlich ihrer Beziehungen zu Juden nicht den fast unerträglichen
Gesichtsverlust und die moralische Niederlage hinnehmen können; die Juden aber
werden den Holocaust immer als eine vollständige Vernichtung eines Teils ihres
Volkes empfinden.
Den demographischen Berechnungen nach, die unlängst durch Thomas Radil2,
Professor für Neuropsychiatrie aus Prag, bekannt wurden, müssen wir darauf
gefasst sein, hundert Jahre zu warten, bis in der jüdischen Bevölkerung die
normalen zahlenmäßigen Proportionen der Generationen wiederhergestellt sind. Ein
Jahrhundert lang werden wir unaufhörlich trauern müssen. Bis heute ist erst die
Hälfte dieser benötigten Zeit verflossen. Uns Juden fällt es besonders schwer,
den eigenen totalen Erniedrigungen und den Verlusten gegenüberzustehen.
Und den Deutschen fällt es schwer, darauf zu reagieren. Daher haben wir alle,
wie vernunftwidrig es auch sein mag, umso mehr Grund, uns bei der
1 In der Charite gehaltener Vortrag beim AMCHA-Symposium Spätschäden bei Opfern
des Nazi-Terrors. Berlin 11.11.1990.
2 Persönliche Mitteilung auf der Second European Conference on Traumaüc Stress,
Noorwijkerhout, Niederlande 1990.
Karin Weingartz-Perschel
Der Holocaust als Paradigma instrumenteller Verwertungslogik
Frankfurt/M., Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2002.174 S. ISBN
3-631-50293-1 br. 35.30*/US $ 30.95/£ 22.-
Viel ist zum Thema Holocaust, Auschwitz, Nationalsozialismus, Faschismus
geschrieben worden. Daten und Fakten wurden recherchiert, dokumentiert und
öffentlich gemacht. Doch eine Antwort auf die Frage nach dem WARUM gibt es bis
heute nur ansatzweise. Der aktuelle anthropotechnische Diskurs um den Wert und
Unwert des Lebens weckt beängstigende Assoziationen zur Nazi-Ideologie. Erst
ihre sozialkritische Entschlüsselung wird uns Nachgeborenen die Möglichkeit
geben, die Ursachen gegenwärtiger Bedrohungen durch Terror, Krieg, ökonomische
wie ökologische Krisen zu begreifen. Dies versucht die vorliegende Studie.
Aus dem Inhalt: Anthropotechnologie Bio-Ethik Sozialdarwinismus
Nationalsozialismus ¦ Auschwitz ¦ Täter-Opfer-Dialektik ökonomisierung des
Bewusstseins ¦ Pathologie des Alltags
Frankf urt/M ¦ Berlin ¦ Bern Bruxelles New York ¦ Oxford ¦ Wien
Auslieferung: Verlag Peter Lang AG Moosstr. 1, CH-2542 Pieterlen Telefax 00 41
(0)32/37617 27
inklusive der in Deutschland gültigen Mehrwertsteuer Preisänderungen
vorbehalten Homepage http://www.peteriang.de
Thema des Buches sind die seelischen und psychosomati-schen Folgen des
Naziterrors für die Überlebenden. Während der Schoa wurden mehr als sechs
Millionen Juden ermordet, davon etwa anderthalb Millionen Kinder. Welche
Konsequenzen hat das und die Entmenschlichung für die Übriggebliebenen, die
geretteten Kinder, die nächste Generation und die Gesellschaft? Was kann dagegen
getan werden? Antworten darauf geben international hochgeschätzte Experten aus
verschiedenen Ländern aufgrund ihrer großen fachlichen Erfahrung. Da es bis
heute Spätfolgen gibt, gerät damit eine Zeitspanne von mehr als 50 Jahren ins
Blickfeld. Schweigen ist ein Thema, mit dem sich alle Autoren beschäftigten. Sie
sind überwiegend selbst Schoa-Überlebende und wissen, was es mit dem Schweigen
auf sich hat.
Johan Lansen, Jahrgang 1933, ist Psychiater und Psychoanalytiker. Von 1981 bis
1993 war er ärztlicher und allgemeiner Direktor des jüdischen Sinai Centrums,
dem in Europa größten Zentrum zur Behandlung von Schoa-Überlebenden, bestehend
aus der Klinik in Amersfoort und der Ambulanz in Amsterdam. Er war aktiv
involviert als Berater, Supervisor und Dozent beim Aufbau von ESRA. Seit 10
Jahren arbeitet er international als Trainer und Supervisor bei
Behandlungseinrichtungen für andere Gewalt- und Verfolgungsopfer. Alexandra
Rossberg, Jahrgang 1945, wurde ausgebildet in Psychotherapie mit
Extremtraumatisierten und Gruppenanalyse. Sie hat zusammen mit Johan Lansen ESRA
initiiert und aufgebaut. Seit 12 Jahren arbeitet sie einzeln oder in Gruppen mit
Überlebenden der Schoa und deren Nachkommen. Dabei hat sie ungewöhnliche Wege im
therapeutischen Umgang mit sehr früh und schwer traumatisierten Kindern
beschritten.
www.peterlang.de
Alexandra Rossberg Johan Lansen (Hrsg.)
Schweigen brechen
Berliner Lektionen zu Spätfolgen der Schoa
PETER LANG
Europäischer Verlag der Wissenschaften
Symptomatik der posttraumatischen Belastungsstörung
Bei der posttraumatischen
Belastungsstörung handelt es sich nach dem ICD-10 um
eine verzögerte (protrahierte) Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine
Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes
(kurz oder lang anhaltend), die bei fast jedem Menschen eine tiefe Verzweiflung
hervorrufen würde. Nach dem DSM-IV haben die Betroffenen die Erfahrung von
Todesbedrohung, Lebensgefahr oder starker Körperverletzung gemacht bzw. die
Bedrohung der eigenen körperlichen Unversehrtheit oder einer anderen Person
erlebt. Bei Kindern sind aufgrund des Entwicklungsstandes unangemessene sexuelle
Erfahrungen inbegriffen.
Die frühere Annahme,
dass die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung nur bei Personen
mit bereits prämorbider psychischer Auffälligkeit (z.B. mit emotionaler
Labilität, neurotischen, affektiven oder schizophrenen Beeinträchtigungen)
vorkommt, gilt allgemein als widerlegt, wenngleich die Ausprägung der
Beeinträchtigung dadurch verschärft werden kann. Es besteht heute ein Konsens
darüber, dass die Störung auch bei früher psychisch stabilen Personen auftreten
kann, wenn sie außergewöhnlich belastenden Situationen ausgesetzt sind.
Die Störung und
dessen Ausmaß wird nicht allein durch das Trauma an sich definiert, sondern
vielmehr auch durch die subjektive Reaktion darauf, die auf die unzureichende
Verarbeitungsfähigkeit hinweist (z.B. intensive Furcht, Hilflosigkeit oder
Entsetzen, bei Kindern oft chaotisches oder agitiertes Verhalten).
Traumatisierend wirkt
nicht nur die Bedrohung der körperlichen Integrität, sondern auch die Bedrohung
der fundamental menschlichen Erfahrung, eine autonom handelnde und denkende
Person zu sein. Das Sich-Aufgeben und der Verlust jeglicher Autonomie in der
Zeit der traumatischen Erfahrung stellen nach neueren Erkenntnissen an
vergewaltigten oder inhaftierten Menschen unabhängig von der Lebensbedrohung
verschärfende Belastungsfaktoren dar, was zukünftig stärker berücksichtigt
werden sollte.
Die Störung entwickelt sich
charakteristischerweise nicht sofort nach dem traumatischen Erlebnis, wie dies
bei einer akuten Belastungsreaktion oder einer Anpassungsstörung der Fall ist,
sondern erst Wochen bis Monate später, doch selten später als 6 Monate nach dem
Trauma.
Das wesentlichste Merkmal stellt das
ungewollte Wiedererleben von Aspekten des Traumas dar. Es treten dieselben
sinnlichen Eindrücke (z.B. bestimmte Bilder, Geräusche, Geschmacksempfindungen,
Körperwahrnehmungen) sowie gefühlsmäßigen und körperlichen Reaktionsweisen auf
wie zum Zeitpunkt der traumatischen Erfahrung.
Alles, was an das Trauma erinnert,
wird als sehr belastend erlebt und deshalb gemieden. Bestimmte Gedanken, Bilder
und Erinnerungen werden unterdrückt und verschiedene Situationen des
Alltagslebens vermieden.
Die emotionale Befindlichkeit kann
von Patient zu Patient sehr verschieden sein, ist jedoch gewöhnlich
charakterisiert durch eine Mischung von panischer Angst, großer Traurigkeit,
intensivem Ärger, emotionaler Taubheit und starken Schuldgefühlen,
Selbstvorwürfen und Schamgefühlen. Es besteht eine ausgeprägte emotionale,
kognitive und psychovegetative Übererregbarkeit.
Eine posttraumatische
Belastungsstörung ist nach den neuen Diagnoseschemata durch drei zentrale
Symptomgruppen charakterisiert:
1.
intrusives
(aufdringliches) Wiedererleben,
2.
Vermeidung
traumarelevanter Reize bzw. reduzierte emotionale Reagibilität,
3.
Übererregtheit
(körperlich, emotional, kognitiv).
Das DSM-IV
nennt folgende diagnostische Kriterien:
A.
Die Person wurde
mit einem traumatischen Ereignis konfrontiert, bei dem die beiden folgenden
Kriterien vorhanden waren:
(1)
die Person erlebte,
beobachtete oder war mit einem oder mehreren Ereignissen konfrontiert, die
tatsächlichen oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzung oder eine Gefahr der
körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person oder anderer Personen
beinhalteten.
(2)
Die Reaktion der Person
umfasste intensive Furcht, Hilflosigkeit oder
Entsetzen...
B.
Das traumatische
Ereignis wird beharrlich auf mindestens eine der folgenden Weisen
wiedererlebt:
(1)
wiederkehrende und
eindringliche belastende Erinnerungen an das Ereignis, die Bilder, Gedanken oder
Wahrnehmungen umfassen können...
(2)
Wiederkehrende,
belastende Träume von dem Ereignis...
(3)
Handeln oder Fühlen,
als ob das traumatische Ereignis wiederkehrt (beinhaltet das Gefühl, das
Ereignis wiederzuerleben, Illusionen,
Halluzinationen und dissoziative Flashback-Episoden, einschließlich solcher, die
beim Aufwachen oder bei Intoxikationen auftreten)...
(4)
Intensive psychische
Belastung bei der Konfrontation mit internalen oder externalen Hinweisreizen,
die einen Aspekt des traumatischen Ereignisses symbolisieren oder an Aspekte
desselben erinnern.
(5)
Körperliche Reaktionen
bei der Konfrontation mit internalen oder externalen Hinweisreizen, die einen
Aspekt des traumatischen Ereignisses symbolisieren oder an Aspekte desselben
erinnern.
C.
Anhaltende Vermeidung
von Reizen, die mit dem Trauma verbunden sind, oder eine Abflachung der
allgemeinen Reagibilität (vor dem Trauma nicht vorhanden). Mindestens drei der
folgenden Symptome liegen vor:
(1)
bewusstes Vermeiden von
Gedanken, Gefühlen oder Gesprächen, die mit dem Trauma in Verbindung stehen,
(2)
bewusstes Vermeiden von
Aktivitäten, Orten oder Menschen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen,
(3)
Unfähigkeit, einen
wichtigen Aspekt des Traumas zu erinnern,
(4)
deutlich vermindertes
Interesse oder verminderte Teilnahme an wichtigen Aktivitäten,
(5)
Gefühl der
Losgelöstheit oder Entfremdung von anderen,
(6)
eingeschränkte
Bandbreite des Affekts (z.B. Unfähigkeit, zärtliche Gefühle zu empfinden),
(7)
Gefühl einer
eingeschränkten Zukunft (z.B. erwartet nicht, Karriere, Ehe, Kinder oder normal
langes Leben zu haben).
D.
Anhaltende Symptome
erhöhten Arousals (vor dem Trauma nicht vorhanden).
Mindestens zwei der folgenden Symptome liegen vor:
(1)
Schwierigkeiten ein-
oder durchzuschlafen,
(2)
Reizbarkeit oder
Wutausbrüche,
(3)
Konzentrationsschwierigkeiten,
(4)
übermäßige
Wachsamheit (Hypervigilanz),
(5)
übertriebene
Schreckreaktion.
E.
Das Störungsbild
(Symptome unter Kriterium B, C und D) dauert länger als 1 Monat.
F.
Das Störungsbild
verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in
sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.
Bestimme, ob:
Akut:
Wenn die Symptome weniger als 3 Monate andauern.
Chronisch:
Wenn die Symptome mehr als 3 Monate andauern.
Bestimme, ob
Mit Verzögertem Beginn:
Wenn der Beginn der Symptome mindestens 6 Monate nach dem Belastungsfaktor
liegt.
Nach den
Forschungskriterien des ICD-10 ist eine
posttraumatische Belastungsstörung (F43.1) folgendermaßen definiert:
A.
Die Betroffenen sind einem kurz oder
lang dauernden Ereignis oder Geschehen von
außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt, das
nahezu bei jedem tief greifende Verzweiflung
auslösen würde.
B.
Anhaltende Erinnerungen
oder Wiedererleben der Belastung durch aufdringliche Nachhallerinnerungen (Flashbacks),
lebendige Erinnerungen, sich wiederholende Träume oder durch innere Bedrängnis
in Situationen, die der Belastung ähneln oder mit ihr in Zusammenhang stehen.
C.
Umstände, die der
Belastung ähneln oder mit ihr im Zusammenhang stehen, werden tatsächlich oder
möglichst vermieden. Dieses Verhalten bestand nicht vor dem belastenden
Erlebnis.
D.
Entweder 1. oder 2.
1.
Teilweise oder vollständige Unfähigkeit, einige wichtige Aspekte der
Belastung zu erinnern.
2.
Anhaltende Symptome einer erhöhten psychischen Sensitivität und Erregung
(nicht vorhanden vor der Belastung) mit zwei der folgenden Merkmale:
a.
Ein- und
Durchschlafstörungen
b.
Reizbarkeit oder
Wutausbrüche
c.
Konzentrationsschwierigkeiten
d.
Hypervigilanz
e.
erhöhte
Schreckhaftigkeit
E.
Die Kriterien B, C und
D. treten innerhalb von sechs Monaten nach dem Belastungsereignis oder nach Ende
einer Belastungsperiode auf. (In einigen speziellen Fällen kann ein späterer
Beginn berücksichtigt werden, dies sollte aber gesondert angegeben werden).
Die Kriterien für eine
posttraumatische Belastungsstörung sind im DSM-IV sind viel enger gefasst als im
ICD-10, was erhebliche Auswirkungen auf die angenommene Häufigkeit in der
Bevölkerung hat. Bei einer neueren Untersuchung an einer großen Stichprobe
weisen nach den ICD-10-Kriterien 7% der Untersuchten, nach dem DSM-IV-Kriterien
nur 3% eine posttraumatische Belastungsstörung auf.
Man kann folgende Arten traumatischer
Erfahrungen unterscheiden:
l
Individuelle Gewalt: ständige
körperliche Misshandlung als Kind, einmalige oder mehrfache Vergewaltigung, als
Kind ständiger Zeuge von Gewalt in der Familie, Verbrechen wie z.B.
Banküberfall, Entführung, Geiselhaft, versuchter Raubmord, Körperverletzung,
Misshandlung, Folterung, angedrohte Ermordung.
l
Kollektive
Gewalt: Erfahrung von Krieg,
Kampfhandlungen oder Terrorismus, Kriegsverwundung (Abschuss als Pilot,
Explosion einer Granate), Aufenthalt im Luftschutzkeller bei Fliegeralarm,
gewaltsame Entwurzelung (Verschleppung, Verfolgung, Vertreibung), unmenschliche
Haftbedingungen (Konzentrationslager, politisch motivierte Haft), Aussteiger aus
Sekten.
l
Naturkatastrophen: Großbrand,
Blitzschlag, Überschwemmung, Dammbruch, Bergrutsch, Lawinenunglück, Erdbeben,
Vulkanausbruch, Tornados.
l Technikkatastrophen:
Zeuge oder Beteiligter an
einem schweren Autounfall, Eisenbahn-, Schiffs- oder Flugzeugunglück, Explosion,
Arbeitsunfall, Chemieunfall.
l
Körperliche oder psychische Extrembelastungen:
Giftgasunfall, schwere Verbrennungen oder Schmerzzustände, Gehirnblutung,
überlebter Herzstillstand, schwerer allergischer Schock,
Knochenmarkstransplantation, lebensbedrohliche Erkrankung.
Nach der Auftretenshäufigkeit kann
man zwei Arten von Traumata unterscheiden:
1.
Einmalige
traumatische Erfahrung:
Überfall, Vergewaltigung, Unfall.
2.
Lange
andauernde bzw. wiederholte traumatische Erfahrung:
Krieg, jahrelanger sexueller Missbrauch, andauernde körperliche Misshandlung.
Menschen, die nicht nur ein
seelisches Trauma erlitten haben, sondern auch körperlich verletzt wurden,
erleben 5 mal so häufig eine posttraumatische
Belastungsstörung wie Menschen, die nur ein seelisches Trauma erlebt haben. In
den USA sind traumatische Erfahrungen in folgender Häufigkeit anzutreffen:
l
12,9% der Frauen (12
Millionen) wurden mindestens einmal vergewaltigt.
l
In einer retrospektiven
(rückblickenden) Untersuchung beschrieben die Opfer sexueller Angriffe in 35%
der Fälle eine lebenslange und in 13% der Fälle eine zeitweilige
posttraumatische Belastungsstörung. Von den Opfern schwerer nichtsexueller
Angriffe berichteten 39% eine lebenslange und 12% eine zeitweilige
posttraumatische Belastungsstörung.
l
In einer prospektiven
Studie (Verlaufserhebung) zeigten sich bei 47% der Opfer sexueller Angriffe und
bei 22% der Opfer nichtsexueller Bedrohungen drei Monate nach diesen Erlebnissen
die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung.
l
Unter den
Vietnam-Kriegsteilnehmern war bei 38% der Männer und bei 17,5% der Frauen eine
zeitweilige posttraumatische Belastungsstörung nachweisbar.
Die
Auswirkungen traumatischer Erfahrungen lassen sich über das DSM-IV
hinausgehend folgendermaßen zusammenfassen:
l
wiederholtes Erleben
des Traumas (Intrusionen) in plötzlich sich
aufdrängenden Erinnerungen (Flashbacks, d.h. Rückblenden), Tagträumen oder
Alpträumen,
l
fortwährende Angst, das
Ereignis könnte sich wiederholen,
l
Vermeidung von
Aktivitäten und Situationen, die an das Trauma erinnern,
l
zwischenmenschliche
Konflikte als Folge der Vermeidung von Situationen (Autofahrten, Reisen) oder
Aktivitäten (sexuelle Kontakte), die an das Trauma erinnern,
l
Furcht vor und
Vermeidung von Stichworten, die den Betroffenen an das ursprüngliche Trauma
erinnern könnten,
l
gelegentlich akute und
dramatische Ausbrüche von Angst, Panik oder Aggression, ausgelöst durch ein
plötzliches Erinnern und intensives Wiedererleben des Traumas oder der
ursprünglichen Reaktion darauf,
l
übermäßige
Schreckhaftigkeit, Panikattacken, existenzielle Angst, chronische
Angstzustände, übermäßige Beschäftigung mit dem Tod,
l
gestörte Wahrnehmung
des Täters: übermäßige Beschäftigung mit der Person des Täters (auch
Rachegedanken), unrealistische Einschätzung des Täters als allmächtig,
Idealisierung, paradoxe Dankbarkeit oder Mitleid mit dem Täter,
l
emotionale
Abgestumpftheit und Instabilität: ständiges Gefühl von Betäubt sein, emotionaler
Rückzug, allgemeine Lustlosigkeit als Schutzreaktion vor emotionaler
Überforderung, aber auch impulsives Verhalten,
l
soziale
Beziehungsstörung: Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen,
Teilnahmslosigkeit gegenüber der Umwelt, Entfremdung von den Angehörigen,
l
vegetative
Übererregbarkeit mit verschiedenen körperlichen Symptomen (Herzrasen,
Schweißausbrüche, Kreislauflabilität, Ohnmachtsanfälle, Zittern, Übelkeit,
Kopfschmerzen, Hyperventilation, Appetitverlust, Essstörung usw.),
l
dissoziative Symptome
(z.B. psychogene Amnesie, d.h. Vergessen der Erlebnisse),
l
ständige Überwachheit
und häufige Schlaflosigkeit (Ein- und Durchschlafstörung),
l
Verlust der
Selbstachtung, Selbstvorwürfe, Scham- und Schuldgefühle,
l
Resignation, Gefühl
einer Zukunft ohne Erwartung und Hoffnung,
l
Verlust der bisherigen
Wertvorstellungen,
l
depressive Stimmung,
öfters auch Selbstmordgedanken und Selbstbeschädigung,
l
Missbrauch von Alkohol,
Tranquilizern oder Drogen als Bewältigungsstrategie,
l
Entwicklung von
Kontrollzwängen zur Angstbewältigung (Kontrolle von Türschlössern und Fenstern
aus Angst vor Eindringlingen),
l
Entwicklung
funktioneller Sexualstörungen bei Vergewaltigungsopfern,
l
Konzentrationsstörung
und Leistungsbeeinträchtigung in Schule oder Beruf,
l
Beeinträchtigung der
beruflichen Leistungsfähigkeit bis zur Berufsunfähigkeit.
Bei der posttraumatischen Belastungsstörung reichen Schrecken
und Terror bis in die neuronalen Gehirnstrukturen hinein und bilden ein schwer
löschbares molekulares Angstgedächtnis, dessen Grundlage nach Strian in
mediobasalen Schläfenlappenstrukturen (Hippocampus und Amygdala) zu suchen ist.
Diese Hirnregionen üben eine Kontrolle über die vegetativen und endokrinen
Zentren von Hypothalamus und Hypophyse aus, was die oft nur mangelhafte
Veränderbarkeit posttraumatischer Belastungsstörungen durch Pharmako- oder
Psychotherapie erklärt.
Lerntheoretisch ausgedrückt, kommt es bei einer posttraumatischen
Belastungsstörung trotz häufiger Konfrontation zu keiner Gewöhnung (Habituation).
Erfolgreiche verhaltenstherapeutische Behandlungskonzepte bewirken während der
angstaktivierenden Konfrontation mit den Ereignissen eine Neuformierung der
Erinnerung durch Hinzufügung hilfreicher Elemente, z.B. andere Sichtweisen.
Die Betroffenen erhielten bislang meist eine Diagnose, die mit den Folgen dieser
Störung zusammenhängt (z.B. reaktive Depression, Alkoholmissbrauch,
Verhaltensstörung, dissoziative Störung). Die posttraumatische Belastungsstörung
erfährt seit einigen Jahren auch im deutschen Sprachraum zunehmende Beachtung.
Neben dem bereits erwähnten Buch von Herman und dem von Saigh herausgegebenen
Werk Posttraumatische Belastungsstörung sind das von Maerker herausgegebene
Buch Therapie der posttraumatischen Belastungsstörungen und das allgemein
verständliche Buch von Ehlers Posttraumatische Belastungsstörung sehr zu
empfehlen. Diese Bücher bieten einen Überblick über Erscheinungsbild,
Diagnostik, Erklärungsmodelle und Therapie dieser Störungen und beschreiben das
therapeutische Vorgehen bei speziellen Traumagruppen.
haGalil onLine 12-02-2004
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