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Der stumme Schrei der Kinder
Die zweite Generation der Holocaust-Opfer

Aus der Einleitung zum Buch von Ilany Kogan

Zum aktuellen Stand der Wissenschaft lesen Sie bitte hier......

Das Buch "Der stumme Schrei der Kinder" beruht auf meiner klinischen Erfahrung, die mir die anachronistische Macht bewusst machte, welche die Vergangenheit der Eltern auf die Gegenwart des Kindes ausübte. Zum Ausdruck kam dies besonders in der häufigen Fortsetzung der elterlichen Gefühle, unter einem Todesurteil zu leben, so daß das Kind es sich aus Angst oder aus Loyalität nicht gestatten konnte, anders zu leben.

Die Art, wie die Ereignisse im Leben der Eltern nacherlebt wurden, zeigte häufig, daß nicht nur der Inhalt des Traumas, sondern auch dessen Stil agierend wiederholt wurde. Die Charakterstruktur dieser Kinder, die abwehrenden und adaptiven Stile und die lebenswichtigen Entscheidungen demonstrierten häufig die destruktive Wirkung eines traumatischen Ereignisses, das sich nicht angemessen erkennen, verstehen und erinnern ließ. Das Trauma wurde als störendes und eingekapseltes Ereignis festgehalten, außerhalb der Reichweite des Verstandes, der Einsicht oder der Reflexion. Es besaß die Kraft, das Leben zu verdunkeln oder einen Bruch zu bewirken, indem es zu einsamen agierenden Wiederholungen rührte oder das Lebens insgesamt durchdrang. Diese Art von Übertragung störte die allgemeinen Anpassungsfunktionen wie das Verstehen, das Fühlen, die Aufnahme von Beziehungen und insbesondere die Übernahme von Verantwortung für das eigene Leben und Schicksal (Peskin et al., 1995).

Weitere Forschungen haben gezeigt, daß Kinder von Überlebenden zu Angst und Mißtrauen gegenüber der Welt neigen (Freyberg, 1980; Fogelman, 1988; Shoshan, 1989); zu Problemen im Bereich der Affektregulierung und Affekttoleranz (Adelman, 1993; Wilson, 1985) und zum Erleben von Depression und einem langanhaltenden Gefühl der Trauer (Shoshan, 1989; Fresco, 1984; Freyberg, 1989). Einige Autoren haben sich besonders mit den Problemen im Zusammenhang mit der psychoanalytischen Behandlung der Kinder von Überlebenden befaßt. Wilson (1985) schreibt, Kinder von Überlebenden könnten in der Therapie eine größere Affekttoleranz erwerben, wenn sie gemeinsam mit dem Analytiker »eine historische Erzählung konstruieren, die das Erbe des Holocaust einschließt«.

Die Konstruktion einer ungebrochenen Erzählung - einer Erzählung, die beim Kind die Lücken jenes Wissens ausfüllt, welches das Unaussprechliche auszusprechen erlaubt und das Wissen von der Vergangenheit und der Gegenwart mit den Realitäten und den Schrecken des Holocaust verknüpft -ermöglicht dem Kind der Überlebenden, allmählich eine gewisse Beruhigung über die zuvor abgespaltenen und unerkannten Affekte und Ängste zu erlangen. Diese Konzeptualisierung des therapeutischen Rahmens für die psychoanalytische Behandlung der Kinder von Überlebenden spiegelt sich im vorliegenden Buch hauptsächlich in der fortgeschrittenen Behandlungsphase des Durcharbeitens, das ein gemeinsames Bemühen von Patient und Analytikerin ist.

Bei dieser Phase beeindruckte mich der innere psychische Wandel, der dann zustande kam, wenn die therapeutische Intervention ein neues Bewußtsein bewirkte und das Durcharbeiten von Holocaust-Wiederholungen zwischen Eltern und Kindern ermöglichte. Das Ergebnis war, daß in der therapeutischen Begegnung häufig die verborgenen Ressourcen der Nachkommen aktiviert wurden, wie die verschiedenen Kapitel zeigen.

Um der überwältigenden Gegenwart des Todes standzuhalten, die in den einzelnen Fällen oft zum Ausdruck kam, mußte ich von den Patienten während der gesamten Therapie als jemand wahrgenommen werden, der das Leben aktiv besetzt, und zwar auch noch nach einer Erfahrung, die eine Negation des Lebens bedeutete. Um dem negativen Ergebnis entgegenzuwirken, das durch zwanghafte Wiederholungen zustande kommen konnte, mußte ich nachdrücklich die Möglichkeit eines anderen Ergebnisses vor Augen führen. Häufig konnten diese Kinder nur durch einen tiefen Glauben an ein neues Ergebnis und an die Nicht-Absolutheit der Zerstörung durch den Holocaust den Gedanken zulassen, daß es eine solche Möglichkeit überhaupt geben könnte. Meine Anerkennung einer Lebenskraft, die selbst noch in der tödlichen Prägung durch eine zweite Traumatisierung verborgen war (eine Traumatisierung, die im gegenwärtigen Leben des Patienten geschah) oder sich dahinter offenbarte, ließ mich oft in einer Weise intervenieren, die die Spur des Todes in den Versuch verwandelte, das Leben zu bejahen. Mein Engagement für das Leben — die Sorge um das Leben und dafür, daß es zur Welt kam - kennzeichnet meine Arbeit mit diesen Patienten ebenso wie den gesamten Tenor dieser Analysen.

Ich möchte hier noch eine kurze Bemerkung über die Relevanz meiner Behandlung für traumatisierte Patienten im allgemeinen anfügen.

Im Schlußkapitel befasse ich mich mit dem Schicksal der psychoanalytischen Behandlung während einer Krise von existentiellem Umfang — dem Golfkrieg.

Nach meiner Ansicht antwortet man in Zeiten einer globalen Krise auf die umfassende Unsicherheit und den regressiven Zug, von dem die Patienten erfaßt werden können, zunächst am besten damit, daß man als Analytiker die eigene reale Gegenwart im Kontext einer emphatischen therapeutischen Bindung bestätigt, statt durch Deutung von Abwehr eine weitere Regression zu fördern.
Ich glaube, daß sowohl diese Einsicht als auch die aktive Besetzung des Lebens nicht nur bei dieser besonderen Patientengruppe wichtig ist, sondern auch bei Patienten, deren Leben von der Realität des Krieges, der Gewalt und des Traumas betroffen wurde.

Der stumme Schrei der Kinder
Die zweite Generation der Holocaust-Opfer

von Ilany Kogan

Preis: EUR 22,50

[Bestellen - Der stumme Schrei...]

Die Patientinnen und Patienten, deren Geschichten die israelische Psychoanalytikerin Ilany Kogan in diesem Buch erzählt, haben eines gemeinsam: Sie gehören der sogenannten zweiten Generation an, sie sind Kinder von Überlebenden des Holocaust. Ihre Wahrnehmung der Gegenwart ist geprägt durch eine Vergangenheit, die nicht ihre eigene ist.

Von einem Zwang geleitet, der ihnen selbst unerklärlich ist, tun sie Dinge, die, wie sich im analytischen Prozeß allmählich herausstellt, aufs engste mit der Geschichte ihrer Eltern verbunden sind: Ein junger Mann verletzt seinen Vater - einen Überlebenden -, als dieser ihn von einem Selbstmordversuch abhalten will; der Säugling einer Frau stirbt bei einem Autounfall, den sie selbst herbeigeführt hat; eine Frau empfindet ihre Familie als Gefängnis und unternimmt immer wieder Ausbruchversuche.
Um das Verhältnis von Realität und Phantasie so beherrschen zu lernen, daß mit Hilfe der Analytikerin die Entstehung eines neuen, gefestigten Selbst und die Erfahrung von Glück, Liebe und intakten Beziehungen möglich ist, müssen im Zuge des psychoanalytischen Gesprächs die Patientinnen und Patienten zu schlüssigen Lebensgeschichten finden.
Dies kann freilich nur geschehen, wenn die teilweise fast unzugängliche Geschichte der Eltern und Verwandten, die den Holocaust überlebt haben, aufgeklärt wird.

Ilany Kogan gelingt es auf eindrucksvolle Weise und mit großer Intensität, diesen Prozeß nachvollziehbar zu machen und darzustellen, welche verheerenden Folgen der Holocaust langfristig zeitigt.

hagalil.com 30-03-2005

 

Jüdische Weisheit
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