NACHRICHTEN AUS AUSCHWITZ
Das Internationale Auschwitz Komitee veröffentlicht
"Nachrichten aus Auschwitz." Was genau geschah vor sechzig Jahren in Auschwitz?
Was geschah 1944, dem schlimmsten Jahr in der Geschichte des
Konzentrationslagers, an einem bestimmten Tag?
16. Mai 1944:
Aufstand im Zigeunerlager
Am 16. Mai 1944 erblickt im sogenannten Zigeunerlager von
Auschwitz Birkenau ein Kind das Licht der Welt: Edmund Weiss. Auch am Tag zuvor
wird dort ein Junge geboren: Oskar Broschinski. Doch die beiden Jungen haben
keine Überlebenschance. Mager, klein, untergewichtig - sie bräuchten besondere
Fürsorge, aber im "Zigeunerlager" gibt es kaum Nahrung für sie: Ihre Mütter sind
selbst halb verhungert und dem Tode nahe. Es ist, wie für alle Neugeborenen im
Zigeunerlager, eine Frage von Stunden, Tagen, höchstens Wochen bis zu ihrem Tod.
An diesem Tag jedoch ist ihr Leben doppelt bedroht. Denn die
Lagerführung hat am Vortag beschlossen, das Zigeunerlager zu liquidieren. Doch
gelingen wird dies nicht: Die Häftlinge wehren sich erfolgreich:
Etwa 20 000 Menschen sind insgesamt im "Zigeunerlager" untergebracht gewesen:
Männer, Frauen und Kinder. Es sind "zigeunerische Personen" oder
"Zigeunermischlinge", wie die SS sie nennt, die 1942 überall im damaligen
Reichsgebiet verhaftet und nach Auschwitz gebracht worden sind. Dort wartet eine
fürchterliche Existenz auf sie. In dreißig Pferdebaracken eingepfercht zwischen
Männerlager und Häftlingskrankenbau vegetieren sie dahin. Ihre Verpflegung ist
noch schlechter als die der übrigen Häftlinge, die hygienischen Verhältnisse
noch katastrophaler als im Rest des Lagers. Die Sterblichkeitsrate ist ungeheuer
hoch.
Am 15. Mai 1944 also beschließt die Lagerleitung, das
"Zigeunerlager" mit etwa 6000 Menschen zu liquidieren. Sie sollen alle ins Gas
gehen Am 16. Mai wird abends Blocksperre angeordnet: Niemand darf die Blocks
verlassen. Aber die Insassen des "Zigeunerlagers" sind durch einen SS-Mann
gewarnt und vorbereitet worden. Einer der Insassen ist Hugo Höllenreiner. Sein
Vater hat in München ein Fuhrunternehmen betrieben und dann in der Wehrmacht
gedient, bis 1941 alle "Zigeunermischlinge" aus dem Wehrdienst entlassen worden
sind. Der kleine Hugo beobachtet von seiner Pritsche oben das Geschehen: "Papa
stand unten, gerade, mit dem Pickel in der Hand und einer seiner Brüder mit
einem Schaufelstiel, einer links, einer rechts. Draußen gingen sie auf das Tor
zu, bestimmt sieben, acht Mann. Der Papa hat einen Schrei losgelassen. Die ganze
Baracke hat gezittert, so hat er geschrieen: Wir kommen nicht raus. Kommt ihr
rein. Wenn ihr was wollt, müsst ihr reinkommen. Wir warten hier. Die blieben
stehen, es war still. Nach einer Weile kam ein Motorrad angefahren, die
unterhielten sich draußen, dann sind sie weggefahren, der Lastwagen ist
weitergefahren. Wir haben alle aufgeatmet."
Das gleiche geschieht in allen Baracken. Die Häftlinge, oft
ehemalige Wehrmachtssoldaten haben sich bewaffnet, mit Stöcken, Schaufeln und
Messern, die sie sich aus Blech geschliffen haben. Das Unglaubliche geschieht.
Die SS rückt ab. Der Aufstand hat Erfolg.
Aber es ist ein Triumph von kurzer Dauer: einige Häftlinge wie
Hugo Höllenreiner werden in andere Lager überstellt. Auf die meisten wie den
kleinen Edmund Weiss und Oskar Broschinski wartet nur der Tod. (In der Nacht vom
31. Juli zum 1. August 1944 wird das "Zigeunerlager" endgültig liquidiert
werden.)
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hagalil.com 28-06-2004
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