NACHRICHTEN AUS AUSCHWITZ
Das Internationale Auschwitz Komitee veröffentlicht
"Nachrichten aus Auschwitz." Was genau geschah vor sechzig Jahren in Auschwitz?
Was geschah 1944, dem schlimmsten Jahr in der Geschichte des
Konzentrationslagers, an einem bestimmten Tag?
1. Juni 1944:
Der Höhepunkt der Vernichtung
Ein heißer Tag, an dem die Krematorien eine klebrige
erstickende Dunstwolke über das Lager legen. Fünf Transporte aus Ungarn
erreichen an diesem 1. Juni 1944 das Vernichtungslager Auschwitz Birkenau. Fünf
lange Züge von Viehwaggons mit insgesamt 16000 Menschen Juden.
Einer der Züge wird wahrscheinlich sofort zu den Gaskammern
geleitet: So geschieht es meistens, wenn große Transporte nach Auschwitz kommen.
Zwei der Züge kommen aufs Abstellgleis. 9000 Menschen kann die
Vernichtungsmaschinerie von Auschwitz an einem Tag bewältigen, aber nicht die
ungeheure Zahl von 16000. Die Menschen müssen auf dem Abstellgleis in den
heißen, stickigen Waggons ausharren. Bekommen sie etwas zu essen, zu trinken?
Wir wissen es nicht.
Die Insassen der übrigen Züge werden an der Rampe von der SS
aus den Waggons getrieben: gestoßen, geschlagen, nur schnell, schnell muss es
gehen. Ihr Gepäck stapelt sich an der Rampe. Die Menschen wissen nicht, wie
ihnen geschieht.
Eine von ihnen ist die achtzehnjährige Esther aus Budapest.
Sie liegt mit ihren Leidensgenossen zusammengepfercht auf ihrem Gepäck - Gepäck,
das sie für eine ungewisse Zukunft in Auschwitz mitgenommen haben, aber doch für
eine Zukunft. Die wird es für die meisten nicht geben.
Esthers ganze Familie ist in diesen Zügen: Die Eltern, die
Großeltern, fünf Schwestern. Die Mutter hat die Jüngste auf dem Arm. Sie wird
bei der Selektion an der Rampe zusammen mit den Großeltern und drei Töchtern
nach links verwiesen, in das Gas, in den Tod: Es gibt klare Richtlinien in
Auschwitz: Wer zu alt ist - über 45, Frauen mit Kindern und Jugendliche unter 16
- sie alle haben keine Chance zu überleben.
Es gibt Ausnahmen: Zwillinge zum Beispiel. 24 Jüdinnen werden
an diesem Tag offiziell ins Lager aufgenommen. Die Lagerschreiber registrieren
ihre Nummern. Sie werden Versuchsobjekte von Doktor Mengele und seiner
Zwillingsforschung.
Esther jedoch, ihre jüngere Schwester Ruth und ihr Vater
erhalten keine Nummern. Sie sind zwar erst einmal auf die rechte, die sichere,
die Arbeitsseite gelangt, aber auf sie warten noch viele Selektionen
So gelangen sie ins Lager: Esther mit Ruth ins Frauen-, der
Vater ins Männerlager. Esther ahnt nicht, was mit ihrer restlichen Familie
geschieht. Sie sieht nicht, wie die Mutter mit den Großeltern und den Kindern zu
den Krematorien getrieben wird, von denen die SS-Männer behaupten, es seien
Badeanstalten. Männer und Frauen pressen sich gemeinsam nackt und entblößt unter
den Duschköpfen eng aneinander, aus denen nicht erlösendes Wasser sondern das
tödliche Gas strömt.
Sie sieht nicht, wie andere Häftlinge die Gepäckberge in die
Baracken von "Kanada" schleppen, um sie dort für die SS zu sortieren und zu
verteilen, aber sie sieht den Rauch aus den Schornsteinen der Krematorien und
den Verbrennungsgruben steigen und sie begreift sehr schnell, was geschehen ist.
Esther wird alles tun, um die sechzehnjährige Ruth zu retten: Sie wird ihr Essen
mit ihr teilen, sie wird sie vor den Selektionen in die Wangen kneifen, um ein
bisschen Farbe in ihr Gesicht zu bringen. Sie wird sie verlieren. Es ist ein
heißer Sommertag in Auschwitz und über allem hängt der schwere süßliche Gestank
des Todes.
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hagalil.com 28-06-2004
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