NACHRICHTEN NACH AUSCHWITZ
Das
Internationale Auschwitz Komitee
veröffentlicht "Nachrichten nach Auschwitz." Was genau geschah
vor sechzig Jahren mit Überlebenden von Auschwitz? Noch waren die meisten nicht
befreit, noch vegetierten sie in anderen Konzentrationslagern, bedroht von
Krankheit, Hunger und Tod. Für viele kam der 8. Mai, der Tag der Befreiung zu
spät. Viele von ihnen starben kurz danach. Jeder Tag zählte, um ihr Leben zu
retten.
19. März 1945:
Die Hölle von Bergen Belsen
"Auschwitz war die organisierte Hölle, Bergen Belsen ist die
Hölle ohne Gnade." Die das sagt, kennt beide Lager: Lin Jadalti ist holländische
Jüdin und Freundin von Anne Frank. Kurz vor Weihnachten haben sich die beiden im
Konzentrationslager Bergen Belsen nahe Hannover wieder getroffen. Damals war die
Lage im Lager schon grauenvoll, jetzt im März ist sie unerträglich geworden. Es
ist schwer vorstellbar, dass irgendetwas die Hölle von Auschwitz übertreffen
kann. Aber tatsächlich sind die Lebensverhältnisse in Bergen Belsen für die
Häftlinge noch schlimmer. Hier finden keine Selektionen, keine Vergasungen
statt, hier geschieht die Vernichtung der Häftlinge durch Hunger, Schmutz und
Krankheit.
Bergen Belsen hat bis zu diesen Tagen im März 45 eine
abwechslungsreiche Geschichte hinter sich: Erst Kriegsgefangenen- dann
Sammellager für Juden, die gegen internierte Deutsche ausgetauscht werden
sollen. Ab März 44 werden immer mehr Häftlinge aus anderen KZs aufgenommen, die
nicht mehr arbeitsfähig sind. Im November 44 kommen 8000 Frauen, die zuvor in
Auschwitz inhaftiert waren unter ihnen Anne Frank und ihre Schwester Margot.
Sie werden zuerst in Zelten untergebracht. Ab Januar 45 füllt sich das Lager
immer mehr. Es sind Häftlinge aus anderen Konzentrationslagern, die die SS vor
ihrer Befreiung ins Reichsinnere nach Belsen evakuiert. In einem Lager, das für
zweitausend Insassen konzipiert war, leben in diesem März über vierzigtausend
Häftlinge. Allein in diesem Monat sterben fast zwanzigtausend von ihnen.
Die SS hat nichts getan, um die Infrastruktur des Lagers der
wachsenden Häftlingszahl anzupassen. Es fehlt an allem: Die Baracken sind
überbelegt, oft müssen sich fünf Menschen einen Schlafplatz teilen. Es gibt fast
nichts mehr zu essen: die Menschen erhalten kaum mehr Brot, kein Fett, aber
Kohlsuppe. Typhus bricht aus und verbreitet sich schnell. Neunzig Prozent der
Häftlinge leiden unter Durchfall und Ruhr: Toiletten gibt es für nur zweitausend
Häftlinge. In einem Teilabschnitt, dem sogenannten Häftlingslager II haben
zehntausend Häftlinge keinen Zugang zu einer Toilette oder einem Wasserhahn. Die
kranken Menschen können sich nicht weit von den Baracken entfernen. Sie sind zu
schwach, also verrichten sie ihre Notdurft überall im Lager.
Die Rolle der SS-Mannschaften beschränkt sich darin, wahllos
auf die Häftlinge einzuprügeln. Außerdem führen sie Zählappelle durch. Sie
dauern in der eisigen Kälte oft stundenlang, noch ist der Frühling fern. Die
entkräfteten Häftlinge sitzen auf dem Boden. Am Ende jeden Appells ist der Platz
mit Leichen übersät.
Jede Menschlichkeit scheint zu verschwinden, wie der
Sozialdemokrat Rudolf Küstermeier beschreibt: "Vielleicht kann niemand, der es
nicht erlebt hat, glauben, wie tief Menschen sinken können, wenn sie gezwungen
sind, lange ohne Nahrung, Kleidung und ausreichende Unterkunft zu leben. Es
scheint, dass es einen gewissen Punkt der Erniedrigung gibt, der nicht ohne den
Verlust jeglicher Selbstachtung und Moral überschritten werden kann."
Und zwischen all dem Anne Frank und ihre Schwester. Beide
erkranken an Typhus. Anne Frank hat nur noch eine Decke, weil sie alle Kleidung
weggeworfen hat, so schmutzig und verlaust war sie. Als sie in die
Krankenbaracke gehen, flehen ihre Freundinnen sie an, es nicht zu tun. "Wer sich
einmal hinlegt, steht nicht mehr auf." Aber Anne meint: "Wir sind beisammen und
haben unsere Ruhe." So sterben sie gemeinsam in diesen Märztagen, erst Margot,
dann Anne. Die anderen Häftlinge müssen weiter kämpfen, noch einen Monat, um ihr
Leben, um ihre Menschenwürde. Das ist vielleicht das schlimmste, was ihnen die
SS antut.
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hagalil.com 18-03-2005
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