NACHRICHTEN NACH AUSCHWITZ
Das
Internationale Auschwitz Komitee
veröffentlicht "Nachrichten nach Auschwitz." Was genau geschah
vor sechzig Jahren mit Überlebenden von Auschwitz? Noch waren die meisten nicht
befreit, noch vegetierten sie in anderen Konzentrationslagern, bedroht von
Krankheit, Hunger und Tod. Für viele kam der 8. Mai, der Tag der Befreiung zu
spät. Viele von ihnen starben kurz danach. Jeder Tag zählte, um ihr Leben zu
retten.
16. April 1945:
Der Todesmarsch aus dem KZ Langenstein
Prettin in Sachsen-Anhalt ist normalerweise eine
idyllische Kleinstadt am Ufer der Elbe, deren Geschichte bis ins achte
Jahrhundert zurückgeht. An diesem 16. April 1945 jedoch wanken und schwanken
ausgemergelte Männer in zerrissener Häftlingskleidung mit letzter Kraft über die
Straßen vor der Stadt. Ab und zu versucht einer von ihnen, am Wegrand etwas
Essbares zu finden - eine von der Ernte liegen gebliebene Kartoffel etwa- , aber
meist knüppeln die SS-Bewacher die Menschen brutal zurück in die weit
auseinandergezogene Kolonne. Die Häftlinge sind nicht allein auf der Straße
unterwegs. Immer wieder begegnen sie Flüchtlingsströmen. Auch diese schleppen
sich mit letzter Kraft dahin, aber sie sind frei, bedroht nur von den
Tieffliegern. Die Häftlinge jedoch befinden sich an der Schwelle zum Tode,
körperlich am Ende. Wer nicht mehr weiter laufen kann, wird sofort erschossen.
Vor einer Woche sind sie aus dem Konzentrationslager
Langenstein-Zwieberg bei Halberstadt aufgebrochen. 3000 Männer. Langenstein
haben sie überlebt, obwohl die durchschnittliche Überlebensdauer im Lager nur 6
Wochen betrug: "Verschrottung durch Arbeit" lautete das zynische Motto der SS.
Langenstein war erst im Mai 1944 in Betrieb genommen
worden: Die Häftlinge sollten unter den Thekenbergen ein gigantisches
Stollensystem errichten. Dorthin sollte nach Fertigstellung die
Rüstungsproduktion der Junkerswerke verlegt werden. Häftlinge aus 17 Nationen
schufteten unter entsetzlichen Umständen unter Tage und schafften es immerhin,
ein Stollensystem von 13 Kilometern anzulegen. Das Arbeitsgerät war alt und die
Arbeit dementsprechend schwer. Aber die meisten Häftlinge starben an Hunger und
durch Schläge und Schikanen der SS und der zivilen Bewacher.
Besonders schwer war es für diejenigen, die zuletzt
nach Langenstein gekommen waren: Häftlinge aus Auschwitz, die schon die
Evakuierung und die Zwischenstationen Groß-Rosen oder Buchenwald überlebt
hatten. Sie hatten Langenstein in einem vollkommen geschwächten Zustand
erreicht. Trotzdem schafften es einige zu überleben: der deutsche Jude Arno
Lustiger etwa oder der Warschauer Rudolf John. Sie zogen und schoben die
schweren Loren, sie hielten die Brutalität der SS aus, bis zum 9. April. Die
Befreiung schien nah. Aber dann formierten die SS-Wachmannschaften aus den
Häftlingen sechs Kolonnen zu je fünfhundert Mann und trieben sie aus dem Lager.
Auf der Straße vermischten sie sich mit den
Flüchtlingsströmen. Die einzelnen Kolonnen verloren einander, aber die SS ließ
nicht locker, sie trieb die immer schwächer werdenden Häftlinge gnadenlos vor
sich her, auf einem sinnlosen Marsch ohne Ziel. Bis zu diesem sechzehnten April,
als eine Gruppe bei Prettin die Elbe erreicht. Zweihundert Mann sind sie nur
noch, die übrigen dreihundert hat die SS erschossen, wenn sie erschöpft liegen
blieben - oft unter den Augen der Zivilbevölkerung. Einige wenige konnten
fliehen.
Die Häftlinge sind total entkräftet. "Die Einwohner
betrachten uns mit Bestürzung", beobachtet Rudolf John. Einige Frauen werfen den
Männern Brot zu.
Zweihundert sind sie noch. Die meisten werden ihr
Ziel, die Befreier, nicht erreichen. Für sie zählt inzwischen nicht jeder Tag,
nein: jede Stunde zählt.
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