Die Ausweisung von etwa 17.000 Juden polnischer Staatsangehörigkeit aus
Deutschland Ende Oktober 1938 bedeutete für die Opfer eine Katastrophe, die
vollkommen unerwartet über sie hereinbrach. Die tiefe Erschütterung der
Zeitgenossen dokumentieren die damaligen polnischen und ausländischen
Presseberichte. Die "Polenaktion", wie man diese Vertreibung in Deutschland
bezeichnete, war ein beispielloses Ereignis in der neueren Geschichte
Mitteleuropas.
Das Barbarische dieses Vorgehens überstieg alles, was man bis dahin den Juden
im Dritten Reich zugefügt hatte, alles, an was man sich in Europa nach 1933
allmählich gewöhnt hatte. Fast die gesamte antisemitische Presse in Polen, die
sich durchaus zu ihrem antijüdischen Standpunkt bekannte, prangerte die Methoden
der deutschen Politik an.
Wenige Tage danach kam es jedoch zur berüchtigten Pogromnacht, die alle Juden
in Deutschland betraf und euphemistisch als "Kristallnacht" in die Geschichte
einging. Die Berichte über dieses Geschehen stellten die Ereignisse, die nur
zehn Tage zurücklagen, in den Schatten. Aber auch dieses Pogrom machte nur
kurzfristig Schlagzeilen. Die sogenannte "wichtige" europäische Presse kehrte
schon nach wenigen Tagen zu den Problemen zurück, die sie für die herausragenden
hielt: die Palästina-Frage, die sich zunehmend verschärfte, als Großbritannien
neue Begrenzungen für die jüdische Einwanderung einführte. Ausführlich wurde
über die internationalen Gespräche berichtet, Beratungen, durch die neue
Fluchtmöglichkeiten für die Juden aus Deutschland gefunden werden sollten, die
jedoch in einem vollständigen Fiasko endeten.
Im März 1939 erschienen weitere Extra-Ausgaben. Auf den ersten Seiten der
Zeitungen hielten - wenngleich wiederum nur vorübergehend - die dramatischen
Schilderungen der Ereignisse in der Tschechoslowakei Einzug, vor allem die
Annexion der Rest-Tschechoslowakei durch das Dritte Reich und die darauf
folgende Fluchtwelle, die sich über Polen nach Westeuropa ergoss. Im Sommer
verstärkte sich das Gefühl einer ständig wachsenden Kriegsgefahr. Dann folgten
die Nachrichten über Gespräche der Vertreter der westlichen Großmächte in Moskau
und endlich die Sensation des Jahres: Die Unterzeichnung des Nichtangriffspakts
zwischen der Sowjetunion und dem Dritten Reich. Das Schicksal der aus
Deutschland vertriebenen Juden wurde unmerklich übergangen und allmählich zu
einem kaum noch interessanten und unbedeutenden Ausschnitt des europäischen
Dramas marginalisiert. Kurz darauf - nach dem 1.September 1939 - geriet es in
Vergessenheit.