[Zeitzeugen] [Gedenken] [Geschichte und Diskurs] [Erinnerung] [Nationalsozialismus] [Entschädigung] [Webausstellungen] [Suchformulare] [Literatur]
schoah.org

Wir versuchen auf diesen Seiten alle Dienste kostenlos anzubieten und sind somit auf Unterstützung angewiesen, denn leider wird haGalil im Rahmen der Bundesmittel zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Antisemitismus, trotz mehrfacher leitlinien-konformer und fristgerechter Antragstellung, in keiner Weise unterstützt. Wir müssen Sie deshalb bitten, haGalil auch weiterhin mit Ihrer ganz persönlichen Spende zu unterstützen. Schon zwanzig Euro helfen, haGalil zu erhalten; wenn's zweihundert sind, finanzieren Sie die Information für weitere Leser gleich mit.

haGalil e.V., Münchner Bank BLZ 701 900 00, Konto Nr. 872 091.
Sie finden weitere Angaben zu Überweisungen aus dem Ausland, zu Lastschriftverfahren, Spendenquittungen etc. auf den Seiten des haGalil e.V..

 

Entrance haGalil
Search haGalil
Jahaduth: Jüdische Religion
Jüd. Kalender
Forum Judaicum
Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!


Diese Vergangenheit nicht zu kennen heißt,
sich selbst nicht zu begreifen."
Raul Hilberg

Wendepunkt 1938

Wie man den Monatsblättern des jüdischen Kulturbunds entnehmen kann, markierte das Jahr 1938 einen Wendepunkt für die Juden, die sich noch in Deutschland befanden, beinahe nur noch die Hälfte der einstigen Zahl. Die zurückgebliebenen ergriff allmählich eine verzweifelte Stimmung, ausgelöst von dem langen Warten auf Konsulaten, abschlägigen Bescheiden sogar von Ländern zweiter oder dritter Wahl und der zunehmenden Brutalität der Nazis.

Franken 23kBVeteranen des Ersten Weltkriegs und ihre Kinder waren lange Zeit von den Maßnahmen verschont geblieben, die sich gegen die allgemeine jüdische Bevölkerung richteten. Nun verloren auch sie ihren Sonderstatus, als die letzten Juden aus den freien Berufen vertrieben wurden und ihre Kinder nicht länger öffentliche Schulen besuchen durften. Firmeninhaber wurden gezwungen, ihre Betriebe zu 'verkaufen', was in der Praxis bedeutete, daß ihr Besitz beschlagnahmt und 'arisiert' wurde.

Dann zog das Tempo immer mehr an. lmJuli 1938 wurde den Juden auferlegt, besondere Ausweise bei sich zu tragen; im August wurde verordnet, daß jeder jüdische Mann in amtlichen Dokumenten zwischen Vor- und Zunamen 'Israel' und jede jüdische Frau 'Sara' einzutragen hätte. Ab dem 5. Oktober stand in an Juden ausgegebenen Pässen ein großes, rotes 'J', das unübersehbar aufdie Seite mit den Personalangaben gestempelt worden war. Und dann, am 28. Oktober, wurden zwischen 14.000 und 18.000 Juden polnischer Staatsangehörigkeit ohne jede Frist ausgewiesen. Diese Ausweisung, die Juden betraf, die seit Jahrzehnten in Deutschland lebten, wurde mit äußerster Brutalität ausgeführt. In den frühen Morgenstunden drangen uniformierte Polizisten in die Wohnungen ein und zwangen die Bewohner, sie unverzüglich zu verlassen. Manche dieserJuden durften nicht einmal ihre Nachthemden und Schlafanzüge ausziehen.

Zu diesem Zeitpunkt lebten ungefähr 50.000 polnische Juden in Deutschland, die das Auswärtige Amt unbedingt aus dem Land haben wollte. Als Anfäng Oktober bei der polnischen Regierung in diesem Sinne sondiert wurde, zeigten sich die Polen nicht nur desinteressiert, diese Bürger zurückzubekommen, sondern es wurde sogar eine Verordnung erlassen, die allen polnischen Staatsangehörigen das Betreten des Landes nach dem 29-10-38 verwehrte, es sei denn, ihre Pässe seien vor dem 29-10-38 eigens bestätigt worden. Der Tag, den die Nazis für die Ausweisung der polnischen Bürger gewählt hatten, war zeitlich perfekt ausgesucht, um dieses Dekret zu umgehen.

Ausweisung und Abschiebung polnischer Bürger

An der Grenze verweigerten die Posten, die von den zeitgleich stattfindenden Verhandlungen im Warschauer Außenministerium nichts wußten, den Juden den Zugang, und als sie auf die deutsche Seite zurückzukehren versuchten, sahen sie sich von Maschinengewehren bedroht. 5.000 Menschen hausten wochenlang in einem provisorischen Lager im Grenzort Zbasyn, bis die jüdischen Gemeinden in Polen intervenieren konnten und für sie Unterbringungsmöglichkeiten in Warschau und anderswo fanden. Nun schickte Polen seinerseits im Land lebende deutsche Juden an die polnisch-deutsche Grenze. Schließlich kam ein Kompromiß zustande: Die Polen erklärten sich bereit, 7000 Juden aus Deutschland ins Land zu lassen, während die Deutschen zum Ausgleich eine kleine Zahl Juden mit deutscher Staatsangehörigkeit, die aus Polen an die Grenze geschickt worden waren, aufnehmen wollten. Den übrigen wurde erlaubt, nach Hause zurückzukehren.

Diese Entwicklung, die blitzartig über die polnischen Juden in Deutschland hereinbrach, veranlaßte Herschel Grynszpan, einen siebzehnjährigen Studenten polnisch-jüdischer Herkunft, dessen Eltern von den Deportationen betroffen waren, zu einem Racheakt am deutschen Botschafter in Paris. An dessen Stelle erschoß er den Dritten Sekretär, Ernst vom Rath, der zwei Tage später seinen Verletzungen erlag. Dies wurde zum Anlaß einer neuerlichen Welle nazistischer Gewalttaten gegen Juden.

(Anm.: Lesen Sie hierzu auch
'Neuer Blick auf die 'Reichskristallnacht':
Ungereimtheiten in der Vorgeschichte und bei den Folgen
)

Pogrom

Magdeburg (21kB)Die Idee, zur Vergeltung jüdisches Eigentum zu zerstören, ging auf Joseph Goebbels, den Propagandaminister, zurück. Tausende von SS Männern machten die Nacht vom 9. auf den 10.November zu einem Alptraum für die deutschen Juden. Während der 'Reichspogromnacht' oder 'Reichskristallnacht', wie die Nazis sie beschönigend nannten, wurden 1.200 Synagogen in Brand gesteckt, Thorarollen und Gebetbücher entweiht. Jüdische Geschäfte wurden systematisch verwüstet, Schaufensterscheiben eingeschlagen, die Warenbestände entweder vernichtet oder geplündert.

Zugleich wurden 35.000 jüdische Männer zusammengetrieben und in drei Konzentrationslager, Sachsenhausen, Buchenwald und Dachau, eingeliefert, in denen dafür schon alles vorbereitet war. Im Verlauf dieser Nacht wurden einundneunzig Juden von SA-Männern getötet. Mehrere Hundert weitere Opfer starben in den Lagern an Mißhandlungen und Unterkühlung oder begingen Selbstmord.

Das Entsetzen der jüdischen Gemeinschaft über diese 'Vergeltungsaktion', die mit dem Blick auf die internationale Presse als eine spontane Erhebung des deutschen Volkes gegen die Juden ausgegeben wurde, fand ein verhalteneres Echo bei ausländischen Regierungen. Doch die Aktion löste auch eine gewisse Beunruhigung in den höchsten Rängen der NSDAP aus. Einige Würdenträger äußerten Kritik an dem Pogrom mit der Begründung, daß es die ohnehin schon angeschlagene Reputation Deutschlands in der Welt weiter diskreditiere. Um sich aus der Affäre zu ziehen, setzte Goebbels noch eins drauf. Er schlug vor, den Juden für den Tod vom Raths eine 'Geldbuße' von einer Milliarde Reichsmark aufzuerlegen. Dazu kamen noch 250 Millionen für die Reparaturarbeiten an Straßen, Laternenpfosten und Schaufenstern, was den Versicherungsgesellschaften ersparte, für die Schäden aufzukommen, und für die Juden eine weitere Demütigung bedeutete.

Dieses organisierte Pogrom, gefolgt von Erpressung, löste bei den 250.000 in Deutschland verbliebenen Juden und den 150.000 in Österreich - das am 13. März 1938 widerstandslos den 'Anschluß' hingenommen hatte - begreiflicherweise höchste Besorgnis aus. Jeden Tag bildeten sich vor den zionistischen Büros in Berlin und Wien Menschentrauben aus Juden, die im Ausland Zuflucht zu finden hofften. Viele müssen gedacht haben wie Betty Scholem, die schrieb: 'Immer mehr zeigt sich, wie falsch es war, 33 noch hierzubleiben.'

jude.jpg (11921 Byte)Evian-naivE:
Emigration wohin?

Eines der entmutigendsten Ereignisse des Jahres 1938 war die Konferenz, die vom 6. bis zum 15.Juli im französischen Kurort Evian-les-Bains tagte...

Felix Nußbaum, (1904-1944), Selbstportrait mit 'jüdischem Pass'

gay.gif (10420 Byte)
Ruth Gay
Geschichte der Juden in Deutschland
Von der Römerzeit bis zum Zweiten Weltkrieg
1993. 280 Seiten mit 274 einfarbigen Abbildungen und 20 in Farbe. Leinen - 29,80 DM/ 27,50 sFr/218,00 öS
ISBN 3-406-376037 /
C.H.Beck

hagalil.com 08-11-1996

 

Jüdische Weisheit
Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2011 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved
haGalil onLine - Editorial