Zionistische Erziehung im norddeutschen Moor:
Die Ausbildungsstätte des Hechaluz auf dem Brüderhof bei
Harksheide
Von Sieghard
Bußenius
Hechaluz
Junge
Zionisten hatten 1917 in Russland und Polen die Organisation des Hechaluz
gegründet. Ihr Ziel war es "sich nach entsprechender Ausbildung in die Reihen
der gewerkschaftlich organisierten jüdischen Arbeiterschaft in Palästina
einzugliedern. Sie erstrebten die Schaffung einer gerechten Gesellschafts- und
Wirtschaftsordnung - getragen von produktiver Selbstarbeit - ohne Ausbeuter und
Ausgebeutete." So beschrieb Perez Leshem, ein Mitbegründer des deutschen
Hechaluz, die Aktivisten der ersten Jahre. Einige Jahrzehnte nach seiner
Auswanderung arbeitete Perez Leshem von 1965 bis 1967 als israelischer
Generalkonsul in Bonn.[1]
Unter den
assimilierten Juden des Deutschen Reiches fand der Hechaluz in den 1920er Jahren
nur wenig Anhänger. Am 16.12.1922 gründeten dreißig Delegierte in Berlin zwar
einen deutschen Landesverband, doch dieser hatte rund zehn Jahre später im
September 1932 lediglich 589 Mitglieder. Es waren schließlich die
judenfeindlichen Maßnahmen der Nationalsozialisten, die im Jahre 1933 unzählige
Jugendliche dazu drängten, beim Hechaluz Rat und Hilfe zu suchen. Zum Ende des
Jahres 1933 betreute er ca. 15.000 junge Menschen in 75 Ortsgruppen und in den
verschiedenen Ausbildungsstätten. "Dies waren im Allgemeinen junge Juden, kaum
noch religiös, national vom Judentum weit entfernt, an ihre deutsche Heimat
assimiliert, kleinbürgerlicher Mentalität und Lebensart. Meist kaufmännisch
tätig gewesen, auf sozialen Aufstieg bedacht, sahen sie sich unerwartet aus
ihrer Berufs- und Lebensbahn gerissen", schrieb Perez Leshem in seinen
Erinnerungen.[2]
Zur
körperlichen und geistigen Vorbereitung auf die Auswanderung schuf der Hechaluz
kollektive Ausbildungsstätten. Dort versuchten die jungen Menschen, ihr Leben
auf die Verhältnisse im damaligen Palästina einzustellen. Zu ihrem Programm
gehörte harte Arbeit im Handwerk oder in der Landwirtschaft, das
gemeinschaftliche Leben in der Gruppe, der Übergang zur hebräischen Sprache
sowie das Studium der jüdischen Religion, Kultur und Geschichte. Außerdem
sollten sich die jungen Menschen mit den Zielen und Programmen der jüdischen
Arbeiterbewegung identifizieren lernen. Delegierte des Gewerkschaftsbundes
Histadrut, der 1920 in Haifa gegründeten 'Allgemeinen Organisation der jüdischen
Arbeiter im Lande Israel', berieten die Auswanderer und unterhielten die
notwendigen Kontakte nach Palästina.
Dieser
gesamte Prozess, der oft eine radikale Veränderung der eigenen Lebensperspektive
bewirkte, wurde im Hechaluz als Hachschara (hebr. Ertüchtigung, Ausbildung)
bezeichnet. Hierfür suchte man u. a. Bauernhöfe, die durch ihre primitive
Einrichtung und ihre abgeschiedene Lage den damaligen Verhältnissen in Palästina
zumindest ähnlich waren. Diese Bedingungen erfüllte der Brüderhof auf geradezu
ideale Weise.[3]
Hans Sternberg, mit dem August Füßinger vermutlich über den Brüderhof verhandelt
hatte, arbeitete als Agronom für die 'Reichsvertretung der deutschen Juden' und
war für die Beaufsichtigung der Hachschara-Stellen in Deutschland zuständig.[4]
Ungeklärt ist bislang die Frage, wie die Verbindung zwischen einem Mitarbeiter
der Reichsvertretung und dem Erziehungsinspektor einer evangelischen Anstalt,
die sich der 'völkisch-nationalsozialistischen Erziehung' verpflichtet hatte,
zustande gekommen war.
Der
deutsche Landesverband des Hechaluz war in 13 Bezirke unterteilt.
Schleswig-Holstein gehörte zum Bezirk Nord-West, dem ebenso die Städte Hamburg
und Bremen sowie das nördliche Niedersachsen und das westliche Mecklenburg
angehörten. Insgesamt betreute der Bezirk Nord-West im Jahre 1936 425 junge
Menschen in sechs Ortsgruppen, fünf Kibbuzim, einigen Einzelstellen und einem
städtischen Heim.[5]
Auf dem heutigen Gebiet von Schleswig-Holstein befanden sich die Kibbuzim
Brüderhof und Jägerslust bei Flensburg; außerdem unterhielt der Bezirk Kibbuzim
in den Hamburger Stadtteilen Rissen und Blankenese sowie in Westerfeld bei
Aurich. Eine Besonderheit stellte das Beth Chaluz (hebr. Heim der Pioniere) in
Hamburg dar: Dort lebten etwa 50 Jugendliche, die sich unter anderem in der
Seefahrts-Hachschara auf ihre Auswanderung vorbereiteten.[6]
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Leben und Arbeiten auf dem Brüderhof
Anmerkungen:
[1] Perez Leshem: Straße zur Rettung 1933 - 1939. Aus
Deutschland vertrieben - bereitet sich jüdische Jugend auf Palästina vor, Tel
Aviv/ Israel 1973, S. 11. Der Hechaluz gab in seinem eigenen Verlag zahlreiche
Schriften heraus; als Einführung siehe: Was ist der Hechaluz? – Einige Worte an
jeden jungen Juden, Berlin 1933. Kölner Bibliothek zur Geschichte des Judentums,
Germania Judaica.
[2] Perez Leshem, S. 17.
[3] Jehuda Barlev: Hechaluz - Deutscher Landesverband, Ein
Bericht über seine Arbeit in den Jahren 1933 bis 1938, vervielfältigtes
Typoskript, Köln 1979, S. 11. Kopie im Institut für die Geschichte der deutschen
Juden, Hamburg.
[4] Joseph Walk: Kurzbiographien zur Geschichte der Juden
1918-1945; München 1988; S. 355.
[5] Schimon Reich: Der Galil Nord-West des deutschen Hechaluz.
In: Gemeindeblatt der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg; Nr. 6/1935, 12.
Jahrgang, vom 12. 6. 1935, S. 6f.
[6] Siehe Ina Lorenz: Seefahrts-Hachschara in Hamburg (1935 -
1938). In: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte, Band 83/1
(1997), S. 445 - 472.
hagalil.com 15-04-2007
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