Judith Jaegermann (Lala Pincovska) aus Giwatajim
bei Tel Aviv erzählt in ihren Erinnerungen, die sie uns zugesandt hat, von ihrer
Kindheit in Karlovy Vary (Karlsbad), wo ihre Eltern ein koscheres Restaurant
führten. Sie war 11½ Jahre alt, als sie mit ihrer Mutter und Schwester Ruth ins
Ghetto Theresienstadt gebracht wurde.
Aus Sehnsucht nach ihrer Mutter flüchtete sie aus dem
dortigen Kinderhaus und wohnte dann mit ihrer Mutter in einem Frauenhaus. Der
Vater arbeitete dank seinem Beruf sowohl in Theresienstadt als auch im
Birkenauer Familienlager, wohin alle vier im Dezember 1943 geschickt wurden, als
Koch und konnte so seiner Familie zusätzliches Essen verschaffen.
Bei der Selektion im Juli sagte die Mutter zu Mengele: Ich bin stark, ich kann
arbeiten und wurde mit beiden Töchtern zur Arbeit nach Hamburg geschickt.
Judith beschreibt ihr körperliches und seelisches Leiden und endet mit den
Worten: Nie werde ich mich von den grauenhaften Erinnerungen befreien koennen.
Alles lebt noch in mir.
Die "Zeitschrift
des Vereins Widerstands Museum Ebensee" spricht nach einem Videoprojekt
mit Überlebenden nationalsozialistischer Konzentrationslager von einem der
eindruckvollsten Interviews und fasst das Gespräch mit Frau Judith Jaegermann,
geb. Pinczovsky, zusammen:
Als siebenjähriges Mädchen erfährt sie schon 1937 in Karlsbad (CSR) die
ersten antisemitischen Ausschreitungen. Als sie ihren Vater fragt: "Warum werfen
die Leute Steine auf uns ?", kann der Vater nur leise antworten. "Weil wir Juden
sind." Die fünfköpfige Familie, ihre Eltern und zwei Schwestern flüchten 1939
nach Prag. Die Erniedrigung der jüdischen Bevölkerung nimmt unter deutscher
Besatzung bisher ungeahnte Ausmaße an. Judith Jaegermann erinnert sich
insbesondere an die Aufschrift auf den Prager Straßenbahnen: "Für Hunde und
Juden verboten." Während die älteste Schwester mit anderen Jugendlichen nach
Palästina flüchten kann, werden die übrigen Familienmitglieder im Sommer 1941
nach Theresienstadt deportiert. Nach 16 Monaten am 16. Dezember 1943 erreichte
der Transport mit 2491 jüdischen tschechischen Männern, Frauen und Kindern
Auschwitz. Judith Jaegermann schildert im Interview die für die Frauen
demütigende Prozedur des Entkleidens, Rasierens und Tätowierens der
Häftlingsnummer. Sie erhält die Nummer 71.502. Mit ihrer Mutter und der älteren
Schwester Ruth kommt sie ohne Selektion in das Familienlager BIIb in Birkenau.
Judith Jaegermann erinnert sich an die stundenlangen Appelle im Winter als ihr
die Füße erfroren und die Frostbeulen sich entzündeten und eitrig wurden, an ein
Zusammentreffen mit Dr. Josef Mengele, der in ihrem Block nach Zwillingen
suchte:
"Sind hier Zwillinge unter euch?" fragte er. Zufällig hatte ich zwei
Schwestern, die Zwillinge waren, zu meinen besten Freundinnen gewonnen. Sie
schliefen mit gegenüber auf der Koje im obersten Stock. Wir hatten uns sehr
angefreundet, denn wir waren im selben Alter. Plötzlich hörte ich wie diese zwei
Mädchen sagten: "Ja, wir sind Zwillinge." Mengele kam näher. Sie mussten
runterkommen bis sie genau vor ihm standen. Er sah sie genau an. Sie waren sich
kolossal ähnlich und hatten Sommersprossen. Mengele sagte nur: "Ja, kommt mal
mit. Am Abend kommt ihr wieder hierher zurück." Mein Gefühl sagte mir, dass ich
meine Freundinnen niemals mehr sehen würde, und wirklich habe ich sie niemals
mehr gesehen.
Im Juli 1944 führte man die Frauen nach einer Selektion durch das Frauenlager
zur Bahn. Auf dem Weg durch das F.K.L. (Frauenkonzentrationslager) sah Judith
Jaegermann mit eigenen Augen geisteskrank gewordene junge Frauen: "Sie wiegten
mit leeren Händen in ihrer Vorstellung ihre Kleinkinder, die man ihnen bei der
Ankunft in Birkenau weggenommen hatte."
Judith Jaegermanns Transport ging nach Hamburg, in die Nebenlager von
Neuengamme "Dessauer Ufer" und "Neugraben". Die Frauen wurde zu
Aufräumungsarbeiten in der zerbombten Stadt herangezogen. Sie beschreibt die
Lebensbedingungen in Hamburg bedingt durch die schwere Arbeit, die täglichen
Misshandlungen und die Kälte im Winter als noch katastrophaler als in Birkenau.
Nach 9 Monaten wurde das Lager evakuiert und es begann nach einer langen Fahrt
der Fußmarsch nach Bergen-Belsen. "Langsam ist immer eine von uns am Straßenrand
sitzengeblieben, mit geschwollenen Beinen und konnte nicht mehr laufen.
Diejenigen, die nicht mehr konnten, hat man einfach erschossen."
Der erste Anblick in Bergen-Belsen war ein riesengroßer Berg mit nackten
toten Menschen. "Wir waren ungefähr zwei Wochen zusammengepfercht in einer
schmutzigen Baracke. Zu essen gab es gar nichts. Menschen starben, sie fielen
einfach um." Judith Jaegermann schildert wie die verbliebenen ukrainischen
Wachsoldaten aus Spaß und Langeweile auf die am Boden kriechenden Frauen
Zielschießen veranstalteten.
Als die Briten das Lager erreichten, waren alle Überlebenden so apathisch,
dass sich niemand rührte und die Kraft hatte, sich zu freuen. Judith Jaegermann,
ihre Mutter und die Schwester Ruth überlebten die folgende Typhusepidemie. Ihr
Vater war, wie sie später erfahren hatte, nach der Evakuierung in Buchenwald
verhungert. Als 16jähriges Mädchen kam sie schließlich nach Palästina.