September 1938 - Während der "Sudetenkrise" (Mai bis Anfang Oktober 1938)
wächst die politische und militärische Spannung; in der Bevölkerung beginnt eine
Welle von antijüdischen *Einzelaktionen, die im November in den von *Goebbels
entfesselten Pogromen der *Reichskristallnacht
gipfeln.
29.-30. Sept. - "Münchner
Abkommen": Die NS-Führung reist von Berlin nach München und
diktiert einen vorgefassten Vertrag. Auf der Münchner Konferenz zwingen Deutschland, Italien,
England und Frankreich die Tschechoslowakei, die Sudetengebiete abzutreten. Dies
soll, so Chamberlain, den "Frieden für unsere Zeit sichern".
1.-10. Oktober - Infolge des Münchner Diktats besetzen deutsche Truppen die
Sudetengebiete. Die Mehrzahl der dortigen jüdischen Bevölkerung flieht in die
"Rest-Tschechoslowakei", wodurch ein ernstes Flüchtlingsproblem entsteht.
3. Oktober 1938 - Auf Anordnung des Reichsministeriums für Volksaufklärung
und Propaganda sind alle jüdischen Organisationen und Erziehungsinstitutionen
anzuweisen, die Vortragsmanuskripte für geplante Veranstaltungen dem Ministerium
zur Genehmigung vorzulegen. Das Propagandaministerium schließt sich damit der
einige Jahre zuvor von der *Gestapo eingeführten *Überwachungspraxis an (vgl.
26. Juni 1934), offensichtlich mit der Absicht, *Goebbels' Einfluß auf die
Judenpolitik zu stärken (Sauer, Dokumente über die Verfolgung, I, S. 292, Nr.
250).
5. Oktober - Durch Verordnung des Reichsministeriums des Innern werden die
deutschen Reisepässe von Juden ungültig. Sie werden erst wieder gültig, nachdem
sie mit einem "J" gekennzeichnet worden sind (RGB1. 1,1342). Diese Maßnahme wird
auf Verlangen der Schweizer Behörden ergriffen, welche sich gegen unerwünschte
jüdische Emigranten schützen wollen.
21. Oktober - Geheimbefehl von Hitler, "die
Erledigung der Rest-Tschechei" vorzubereiten.
27.-29. Oktober - 15.-17.000 Juden polnischer Staatsangehörigkeit werden aus
Deutschland ausgewiesen und an die polnische
Grenze transportiert. Da den meisten von ihnen die Einreise nach Polen
verweigert wird, leben sie monatelang im deutsch-polnischen Grenzgebiet unter
menschenunwürdigen Bedingungen (EH III, S. 1622, "Zbaszyn"). Einem Teil von
ihnen wird die vorübergehende Rückkehr nach Deutschland erlaubt, um sich um
ihren Besitz zu kümmern, doch im Juni 1939 werden auch sie endgültig ausgewiesen
und zum Teil in "Konzentrationslager verbracht (vgl. Zeittafel, Anfang Juni).
7. November - Attentat des jüdischen Studenten Herschel *Grynszpan
auf den deutschen Gesandschaftsrat vom Rath in Paris.
9.-10. Nov. - *Kristallnacht; während
der Pogromnacht und in den nächsten Tagen finden Massenverhaftungen statt, wovon
auch die meisten führenden Personen der *Reichsvertretung der Juden in
Deutschland betroffen sind. Diesen schlimmsten Judenpogromen in ganz Deutschland
folgt die vollkommene Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben
und die weitgehende Zerstörung der inneren organisatorischen Struktur des
deutschen Judentums (vgl. auch *Vereinsleben,
jüdisches, sowie EH II, S. 1205, "Reichskristallnacht").
11. November - Durch die Verordnung über den Waffenbesitz von Juden wird
ihnen der Erwerb, der Besitz und das Führen von Schußwaffen und Munition, sowie
von Hieb- und Stoßwaffen verboten. Die in ihrem Besitz befindlichen Waffen und
Munition haben sie unverzüglich der Ortspolizei abzuliefern; Waffen und Munition
verfallen entschädigungslos dem Reich (RGB1.I,1573).
12. November - Durch die Verordnung zur Wiederherstellung des Straßenbildes
bei jüdischen Gewerbebetrieben werden die Juden verpflichtet, "alle Schäden,
welche durch die Empörung des Volkes am 9. und 10. November 1938 ... entstanden,
... sofort zu beseitigen. Versicherungsansprüche von Juden deutscher
Staatsangehörigkeit werden zugunsten des Reiches beschlagnahmt." (RGB1.I,1581).
12. November - Sitzung in *Görings Luftfahrtministerium zur weiteren
Gestaltung der Judenpolitik nach der *Kristallnacht, unter Beteiligung von
*Heydrich, Trick u.a. Unter anderem wird ein Vorschlag zur Kennzeichnung und *Ghettoisierung
der deutschen Juden gemacht (IMT, PS 1816; Reitlinger, Endlösung, S. 17-21);
dieser wird aber auf ausdrücklichen Befehl Hitlers zunächst fallengelassen.
Aufgegriffen dagegen wird der Vorschlag einer "Sühneleistung der Juden deutscher
Staatsangehörigkeit". Durch Verordnung wird "den Juden deutscher
Staatsangehörigkeit in ihrer Gesamtheit die Zahlung einer Kontribution von
1.000.000.000 Reichsmark an das Deutsche Reich auferlegt" (RGB1.1,1579).
21.11. 1938 - Durch die 1. Durchführungsverordnung (RGB1. I,
1638) wird die Abgabe von 20% jüdischen Vermögens, wenn es 5.000 RM übersteigt,
festgelegt und auf staatenlose Juden ausgedehnt.
19.11. 1939 - Durch die 2. Durchführungsverordnung (RGB1.1, 2059) wird diese
Abgabe von 20% auf 25% (um eine Viertelmilliarde) erhöht.
12. November - Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen
Wirtschaftsleben (RGB1.1,1580). Durch die 1. Durchführungsverordnung vom 23.
November 1938 (RGB1. I, 1642) sollen grundsätzlich alle jüdischen Betriebe
aufgelöst und *arisiert werden. Durch die 2. Durchführungsverordnung vom 14.
Dezember 1938 (RGB1. I, 1902) dürfen Juden auch nicht mehr stellvertretende
Betriebsführer sein. Nach dem Erlaß des Reichswirtschaftsministers vom selben
Tag muß die "Entjudung" von *Warenhäusern, Kaufhäusern etc. in jedem einzelnen
Fall vom Minister genehmigt werden.
12. November - Auf Anordnung des Präsidenten der Reichskulturkammer wird
Juden der Besuch von Theatern, Lichtspielhäusern, Konzerten, Ausstellungen u.a.
verboten (Blau, Ausnahmerecht, S. 54, Nr. 189).
15. November - Nach Erlaß des Reichsministers für Erziehung und Unterricht
über den Schulbesuch jüdischer Kinder ist Juden der Besuch deutscher Schulen
nicht gestattet; sie dürfen nur noch jüdische Schulen besuchen (Blau,
Ausnahmerecht, S. 55, Nr. 191; vgl. auch *Schulwesen, jüdisches).
19. November - Laut Verordnung über die öffentliche Fürsorge der Juden soll
die öffentliche Fürsorge nur noch in Ausnahmefällen jüdische Hilfsbedürftige
betreuen (RGB1. I, 1649). Seit der Errichtung der *Reichsvereinigung der Juden
in Deutschland im Februar 1939 ist diese allein für die *Wohlfahrt der Juden
verantwortlich.
23. November - Erscheinen der ersten Nummer des "jüdischen
Nachrichtenblattes, der nun einzigen jüdischen Zeitschrift in Deutschland,
nachdem die gesamte jüdische *Presse in Folge der *Kristallnacht
aufgelöst worden war. Es dient inoffiziell als Presseorgan der *Reichsvertretung
der Juden in Deutschland und ihrer Nachfolgerin, der Reichsvereinigung und
bringt bis zu seiner Schließung 1943 hauptsächlich die zur Veröffentlichung
bestimmten Anordnungen der Behörden.
28. November - Eine Polizeiverordnung über das Auftreten der Juden in der
Öffentlichkeit bevollmächtigt die regionalen Behörden im ganzen Reichsgebiet,
die Bewegungsfreiheit der Juden einzuschränken und sie aus bestimmten Bezirken
auszuschließen (RGB1.1,1676).
29. November - Offizielle Wiederaufnahme der Arbeit der *Reichsvertretung der
Juden in Deutschland in ihrem Büro in der Kantstraße, drei Wochen nach der *Kristallnacht.