Das Podiums-Gespräch:
Geschichte wird von Menschen
gemacht
Ingrid Strobl:
Jerzy Pikielny war in Lodz, einem ganz anderen Lager. Lodz wurde dem Deutschen
Reich einverleibt und das Leben im Ghetto wurde - wenn man es so ausdrücken kann
- von den Deutschen anders gehandhabt. Erzählen Sie uns doch bitte, Herr
Pikielny, was es hieß, damals im April 1943, oder überhaupt zu dieser Zeit, im
Ghetto Lodz zu sein.
Jerzy
Pikienly:
Bevor ich Ihnen antworte, muss ich sagen, dass ich nicht weiß, ob es mir
gelingt, meine Gefühle so zu kontrollieren, dass ich die Situation beschreiben
kann.
Am 19.
April 1943 - als der Aufstand im Warschauer Ghetto ausbrach - war ich zusammen
mit meiner Mutter und meinem Vater im Ghetto in Lodz und das schon vier Jahre
lang. Offiziell heißt es, das Ghetto sei Anfang 1940 errichtet worden, meine
Familie musste jedoch schon Ende 1939 unsere Wohnung innerhalb von zwei Stunden
verlassen. Wir wurden von Polizisten dazu gezwungen. Unsere Nachbarn aus dem
gegenüberliegenden Haus haben uns geholfen, sonst wären wir wohl gestorben. Ich
kannte diese Leute nicht, nur mit ihrer Tochter war ich ein bisschen befreundet.
Diese Menschen haben uns das Leben gerettet.
Man muss
sich klarmachen, dass Lodz zum so genannten Warthegau gehörte und damit zum
Dritten Reich. Wir wurden völlig isoliert. Die Lebensbedingungen, nicht nur für
die im Ghetto Lebenden, sondern auch für die einfache polnische Bevölkerung,
waren andere als im ganzen Generalgouvernement. Die Ghettobewohner hatten
keinerlei Kontakt zur Welt auf der anderen Seite der Ghettomauern. Ich war
zunächst mit meinen Eltern und meinen Großeltern mütterlicherseits im Ghetto,
meine Großeltern starben dort. Sie sind in Lodz begraben und das Grab gibt es
noch. Vor dem Krieg waren wir mehr als zwanzig Menschen in meiner Familie, nach
dem Krieg sind nur fünf geblieben.
Im August
1944 - zehn Monate nach dem Aufstand im Warschauer Ghetto, und wir hörten schon
die sich nähernde Front - erfuhren wir, dass das Ghetto liquidiert werden
sollte. Die Deutschen versuchten, uns zu überzeugen, dass wir nur gemeinsam mit
unseren Familien umtransportiert und an einem anderen Ort weiterarbeiten würden.
Deshalb sollten wir auch alle persönlichen Gegenstände und Haushaltsgeräte
mitnehmen.
die
meisten wollten es nicht glauben
Es gab in
unserem Ghetto eine Untergrund-Jugendorganisation mit geheimen Strukturen.
Vielleicht gab es auch mehrere, ich jedoch wusste nur von der einen; mit einigen
Mitgliedern arbeitete ich zusammen in einem Werk. Ich persönlich gehörte nicht
dazu, aber meine Freunde informierten mich, was geschah. Die Deutschen, so
sagten sie, fordern uns auf, alles das zu befolgen, was sie befehlen, um zu
vermeiden, dass es auch in unserem Ghetto einen Aufstand gibt. Wir sollen uns
ohne Widerstand deportieren lassen. Obwohl uns die Untergrundorganisation
darüber informierte, was nach den Deportationen geschehen war und auch uns
geschehen würde, wollten es die meisten nicht glauben.
Ungefähr
siebzig bis achtzig Kilometer von Lodz entfernt befand sich Chelmo, wo die
Deportierten, eingepfercht in Lastwagen, mit in diese eingeleitetem Gas ermordet
und dann verbrannt wurden.
Warum wir
den Informationen nicht glauben wollten und konnten, dafür gibt es eine
psychologische Erklärung. Der Verstand begreift es, aber man will es nicht
glauben und unterdrückt das Wissen. Wir wollten den Informationen nicht glauben.
1940 oder
1941 gab es die erste Deportation aus unserem Ghetto. Vor allem wurden die
Kranken in den Tod geschickt. Ich wusste sehr genau Bescheid, da mein Vater als
Arzt im Krankenhaus arbeitete. Eine Gruppe von SS-Männern riegelte das Hospital
von der Straßen- und von der Gartenseite aus ab und trieb alle Kranken auf die
Lastwagen. Im zweiten Stock zur Straßenseite hin lag die gynäkologische
Abteilung, wo die Frauen kurz nach der Entbindung untergebracht waren. Ein
SS-Mann stand oben am Fenster, ein zweiter auf einem Lastwagen auf der Straße.
Der erste warf die Neugeborenen durch das Fenster auf den Lastwagen und der
zweite schichtete sie neben- und aufeinander. Alle hatten es gesehen und dennoch
glaubten wir den Informationen bei der Liquidierung des Ghettos nicht.
Wir
wurden in den völlig überfüllten geschlossenen Viehwaggons nach Auschwitz
transportiert. Dass wir in den Tod fuhren, sagten uns auch die Lokomotivführer
und Heizer. Wir aber wollten das nicht glauben und ich denke, dass es auch
anderen Menschen so geht. Niemand möchte wahrhaben, dass er sterben muss und
dass es keinen Ausweg gibt.
Als man
uns Auschwitz aus den Waggons holte, lautete der erste Befehl, dass alle unsere
Sachen da bleiben müssten. Dann folgte die erste Selektion in Männer und Frauen.
Kinder gab es kaum noch, denn alle unter zwölf Jahren waren schon bei früheren
Deportationen weg- und ungebracht worden. Der ersten Selektion folgte sofort die
zweite. Bei ihr ging es schon um unser Leben, das von dem Gutdünken eines Mannes
abhing.
Bei uns
war es so denke ich Mengele. Es hing nur von einer Kleinigkeit ab, ob er mit
seinem Daumen nach links zeigte, was die Gaskammer bedeutete oder nach rechts.
Dann behielten wir noch unser Leben und kamen ins Lager, um unsere Kraft dem
Deutschen Reich zu schenken und Deutschland damit zu dienen.
Ein
Ereignis habe ich immer noch in Erinnerung und werde ich nicht los. Es geschah
während der Selektion. Ein Mann - ich kannte ihn gar nicht, aber ich vermute,
dass es ein deutscher Jude war - fühlte, was kommt und er bat einen Polizisten,
ihn doch am Leben zu lassen, er habe noch viel Kraft. Selbstverständlich gab
keine positive Reaktion. Ich sehe immer noch diesen Mann, wie er zur Gaskammer
geht. Am nächsten Tag haben wir den Rauch über dem Krematorium gesehen und ihn
noch tagelang gerochen.
Ingrid
Strobl: Herr
Hoffmann, Sie waren in Ostgalizien, einer Gegend, über die man hier gar nichts
weiß und Sie sind von dort aufgebrochen zu einer unfreiwilligen Odyssee durch
verschiedene Lager. Wo waren Sie im April 1943 und wie sah ein Tag unter den
Bedingungen aus, unter denen Sie leben mussten?
Ludwik
Hoffmann:
Vor dem Überfall auf die Sowjetunion hatten mich die Russen bereits von meinem
Geburtsort in eine kleine Stadt - einen Kurort in der Nähe - zwangsverbracht.
Dort lebten etwa 600 Juden. Viele von ihnen waren Ärzte, die aus Westböhmen
geflohen waren und sich dort niedergelassen hatten. Im August 1942 haben die
deutschen Besatzer beschlossen, diesen Ort judenrein zu machen und alle mussten
sich bei einer in der Synagoge eingerichteten Sammelstelle melden. Wer zur
Sammelstelle ging, wurde in das Vernichtungslager Belzec deportiert.
Auf dem
Weg zu der Sammelstelle hat mein Vater einen ukrainischen Polizisten getroffen,
der ihm die Information gab, dass die Kinder in ein Lager in der Nähe gebracht
würden, das zur Wehrmacht gehöre. Wir konnten - ich glaube, dass war mit Geld
verbunden - in einer Polizeistation bleiben und mein Vater hat noch ein junges
jüdisches Mädchen - eine Freundin von mir - dorthin gebracht. Später sind wir
in das Wehrmachtslager mit ungefähr 30 Menschen gekommen und haben dort bis Mai
1943 gearbeitet.
Das Lager
war nicht eingezäunt, wir hatten Abzeichen, die uns als Wehrmachtsarbeiter
auswiesen, in der Ortschaft war ein Krankenhaus für verwundete Soldaten und
innerhalb des Lagers war ein Pferdestall, in dem wir kranke Pferde pflegten und
außerdem lieferten wir Gemüse für das Krankenhaus.
Arbeitslager und Zwangsarbeit
Im Mai
1943 hat man uns in das Ghetto Drogobytsch transportiert, dass liquidiert werden
sollte. Nur durch einen Zufall blieben meine Schwester und ich am Leben. In
Drogobytsch gab es zwei große Industriewerke, zum einen die
Karpaten-Öl-Gesellschaft in Polen und zum anderen die Keramikwerke. Zuerst
arbeiteten wir durch Protektion bei der Karpaten-Öl-Gesellschaft, aber wir
erhielten kein R- Abzeichen (Russe). Wir schliefen im Ghetto und arbeiteten in
der Fabrik. Eines Tages, als wir von der Arbeit kamen, hat meine Kusine, die mit
einem Arzt verheiratet war, der auch Polen behandeln durfte, gesagt: Heute
schlafen wir nicht im Ghetto, weil es schon sehr spät ist. Sie wusste etwas von
einer Liquidation, denn in dieser Nacht wurde das Ghetto liquidiert. Wir sind im
Arbeitslager geblieben, aber da wir kein R hatten, sollten wir erschossen
werden. Dann wurde entschieden, dass meine Schwester erschossen wird, während
man mich in die Keramikwerke zum Arbeiten schickte. Dem Mann meiner Kusine
gelang es jedoch durch seine Beziehungen zu einigen Deutschen, die Erschießung
meiner Schwester zu verhindern.
Als das
Keramikwerk geschlossen wurde, wurden alle Juden, die dort arbeiteten, zur
Erschießung gebracht.
Ich wurde
mit den anderen in einen Kerker geworfen. Bevor jedoch die Erschießung
stattfand, wurden 120 Männer herausgeholt, die Fachleute waren wie
Feinmechaniker, Schlosser und Automobilschlosser für die
Karpaten-Öl-Gesellschaft. In dem Werk Karpaten-Öl arbeiteten über 1000 Menschen,
darunter auch 600 Juden, die meisten Ingenieure. Sie wohnten in zwei bis drei
von Stacheldraht umzäunten Häusern außerhalb des Ghettos mit ihren Familien.
Ich
selber war nicht unter den 120 Ausgewählten, da ich Baumeister war. Meine Kusine
hat jedoch jemanden gebeten, auch mich mitzunehmen. Und so wurde ich vor der
Erschießung gerettet.
Meine
Familie im Arbeitslager hat gedacht, meine Schwester und ich seien tot. Später
ist meine Schwester aus dem Lager geflohen. Ich blieb dort bis April 1944, dann
wurde ich nach Westen in das Konzentrationslager Krakau-Plazow deportiert. Im
Herbst 1944 kam ich nach Groß-Rosen und dann in eine Nebenstelle nach
Waldenburg, wo ich befreit wurde. Ich war 22 Jahre alt und habe 33 Kilo gewogen.
Ingrid
Strobl: Frau
Wieczorek, Sie haben, als Sie acht Jahre alt waren, von ihrer zweiten Mutter
erfahren, dass sie nicht ihre leibliche Mutter ist und dass Sie Jüdin sind. Dann
sind Jahrzehnte vergangen, bis Sie erfahren haben, dass Sie nicht alleine sind
mit ihrem Schicksal und es noch andere jüdische Kinder bzw. ehemalige Kinder
gibt, denen es wie Ihnen ergangen ist. Daraufhin haben Sie den Verband "Kinder
des Holocaust" gegründet.
Teresa
Wieczorek:
Ich möchte zunächst einmal erzählen, wie es dazu gekommen ist, dass ich die
Wahrheit erfahren haben. Ich war damals acht Jahre alt und bin zum Einkaufen
gegangen. Eine Bekannte meiner Mutter ist zu mir gekommen sie hat mich
angesprochen und mir gesagt: Hör mal, Du bist doch Jüdin, Dich haben doch Juden
gebracht, du bist doch Polin, Kazia ist doch nicht deine Mutter. Das war 1948
oder 1949, ich erinnere mich nicht mehr. Selbstverständlich habe ich nicht
eingekauft, ich bin sofort nach Hause gelaufen und wir haben uns hingesetzt mit
meiner zweiten Mutter, dieser einfachen Frau und sie hat mir die Wahrheit
erzählt. Ich weinte sehr, denn ich liebte meine zweite Mutter und sie liebte
mich auch. Ich war so überzeugt davon, dass ich Polin war, ich bin von ihr
erzogen worden und mein Judentum versteckte ich tief in meinem Herzen.
Bündnis der Holocaust-Kinder
Selbstverständlich habe ich meinem Mann und meinen späteren Freunden erzählt,
dass ich Jüdin bin, aber nicht immer wurde das akzeptiert. In Polen sind die
Verhältnisse so, dass Antisemitismus selbstverständlich vorhanden war. Viele
Jahre war ich davon überzeugt, dass ich die Einzige bin, die eine solche
Geschichte hat, dass ich die Einzige bin, der so etwas passiert ist. Aber 1990
habe ich eine Anzeige gelesen, in der stand, dass sich alle Kinder im Jüdischen
Institut melden und zum einem Treffen kommen sollten, die den Holocaust überlebt
haben und meinen, jüdischer Herkunft zu sein. Zu diesem Treffen bin ich gegangen
und mit mir zweiundvierzig andere. Das Inserat war in der Gazetta Wyborcza
erschienen und wir waren mehr als vierzig. Er hat sich herausgestellt, dass
unsere Schicksale sehr ähnlich waren. Manchen wurde von der Organisation Zebota
geholfen, andere wurden von Polen gerettet, wieder andere von Juden, die mit
guten falschen Papieren auf der "arischen" Seite lebten. So entstand nach 1991
das Bündnis der Holocaust-Kinder. Die Holocaust-Kinder, die das ganze Grauen
überlebt haben, waren 750. Viele von ihnen kannten ihre Familiennamen und um dem
Bündnis beizutreten, sollte man auch Papiere oder Beweise beibringen. Aber eine
wichtige Tatsache soll nicht unerwähnt bleiben: manche Holocaust-Kinder waren
bereits älter, als der Krieg begann, aber eigentlich war es nur für solche
Kinder möglich zu überleben, die bei Kriegsausbruch nicht älter als vierzehn
Jahre alt waren.
Nach dem
Krieg gab es ein jüdisches Komitee, das in polnischen Familien nach jüdischen
Kindern suchten. Das Komitee suchte auch meine zweite Mutter auf. Es kam vor,
dass die jüdischen Kinder mit Gewalt aus den polnischen Familien herausgeholt
wurden. Da meine zweite Mutter Angst hatte, dass ich ihr weggenommen werde,
wurde ich 1949 in ein Dorf zu jüdischen Menschen gebracht und dort versteckt.
Ich
kannte die Vorurteile gegenüber Juden, dass sie hässlich, geizig und böse seien
und hatte Angst vor ihnen. Ich liebte meine neue Mutter, wollte nicht von ihr
fort und wollte sein wie sie es war. Meine zweite Mutter hat mir aber
versprochen, mich meiner Familie zu geben, wenn sie gekommen wäre, nicht jedoch
an fremde Leute, selbst wenn es Juden waren.
Ingrid
Strobl: Ich
habe noch eine Frage an Sie, Frau Gawronska, die Sie vielleicht auch
stellvertretend für die anderen beantworten können. Sie waren in Warschau, Sie
haben von der Seite jenseits der Ghettomauer gehört, gesehen, was geschah und
Sie haben von Ihrer Verzweiflung gesprochen. Was ist der Ghettoaufstand für Sie
heute, sechzig Jahre später:
Jadwiga Gawronska:
Zurzeit lebe ich in Warschau, wie vor sechzig Jahren. Oft fahre ich mit
verschiedenen Verkehrsmitteln in das frühere Ghetto. Wenn ich vorbeifahre, dann
erinnere ich mich jedes Mal an den Aufstand. Wenn ich über den Umschlagplatz
fahre, dann sehe ich ein Denkmal. Ich schließe die Augen und sehe, was es damals
dort gab. Ich sehe das kleine Denkmal für die große Tragödie. Sie sollten den
Umschlagplatz sehen, um zu verstehen, was er für die Menschen damals bedeutete.
Wenn ich mit jungen Leuten dorthin fahre, dann sage ich immer: Schaut einmal,
hier war die Ghettomauer, hier der Eingang ins Ghetto, dort standen die
SS-Männer, da haben sie die jüdischen Kinder erschossen, die Essen ins Ghetto
bringen wollten. Sechzig Jahre sind vergangen, aber ich habe nichts vergessen.
Es ist mir wirklich bewusst, dass dort jeder Stein und jedes Stück Boden mit
Blut getränkt ist. Ich werde das bis zu meinem Lebensende nicht vergessen.
Was ich
heute über den Aufstand im Warschauer Ghetto denke? Damals dachte ich an Rache,
alle dachten wir an Rache. Stellen Sie sich vor, wie Sie sich als junger Mensch
fühlen würden, wenn Ihr Volk ermordet und Ihre Heimat besetzt wird. Wir fühlten
Hass, wir wollten nur Rache, für unser eigenes Volk und auch für die anderen.
Das eigene Volk wurde fast ermordet und von den jungen Menschen, die sich retten
konnten, wurden noch viele vor der Befreiung getötet.
Wir
wussten über die Pläne zum Aufstand. Selbstverständlich dachten wir mit
Verzweifelung daran, denn es gab wirklich keinen Ausweg. Die Menschen im Ghetto
waren zum Tode verurteilt. Der kleinen Gruppe von Kämpfern ging es nicht um das
Leben, sondern um einen menschenwürdigen Tod. Mit ihrem Kampf bewiesen sie auch,
dass die Legende über die schmarotzenden, feigen Juden eine antisemitische
Erfindung ist. Sie haben den mutigsten Aufstand der Weltgeschichte gewagt. Sie
gehören zu den Mutigsten der Menschheitsgeschichte. 15 Monate später war ich
genauso stolz auf die polnische Jugend, die am Warschauer Aufstand teilnahm.
Einer der
wenigen, der den Aufstand im Warschauer Ghetto überlebt hat, ist Marek Edelmann.
Im
Warschauer Aufstand sind 200.000 Menschen umgekommen. Heute gibt es zahlreiche
Diskussionen zu diesem Thema. Man überlegt sich: War es notwendig, war es
vermeidbar, waren diese Opfer, war der Tod so notwendig. Ich war dabei. Ich war
19 Jahre alt und konnte verstehen, wie sich diese jungen Menschen fühlten. Ich
würde sie nie kritisieren. Diese Helden und es waren wirklich Helden, waren
bereits im Voraus zum Tode verurteilt. Ich bin stolz auf sie, ich bin stolz,
dass sie die lang lebende Legende vernichtet haben. Ähnlich verhält es sich mit
dem Sechs-Tage-Krieg. Damals wurde auch bewiesen, was für ein mutiges Volk die
Juden sind. Was niemand erwartet hatte, geschah: Israel gewann dem
Sechs-Tage-Krieg.
Der
Aufstand im Warschauer Ghetto war etwas sehr Tragisches, aber auch etwas sehr
Schönes und Erhabenes, es war vielleicht das einzige Schöne, das mein Volk in
den fünf tragischen Jahren erlebt hat, in denen es systematisch verfolgt und
vernichtet worden ist. Wie auf der Wannsee-Konferenz entschieden und deshalb
haben wir uns diese Wannsee-Villa heute Morgen angesehen.
Ich
möchte noch eine Geschichte für die jungen Leute hier im Saal erzählen. In
Warschau gibt es einen Friedhof, auf dem sich eine große Tafel befindet, die
überdeckt ist mit Fotos von jüdischen Kindern, die im Warschauer Ghetto getötet
wurden. Unter dem Foto eines kleinen Jungen steht die Beschreibung. Er wurde von
deutschen Polizisten erschossen, als er das Ghetto verlassen wollte, um seiner
Familie zu helfen, ihr beim Überleben zu helfen, um Geld für das Essen zu
besorgen. Bevor er im jüdischen Krankenhaus gestorben ist, hat er noch gebeten,
die fünfzig Groschen, die er immer noch in seiner Hand hielt, seiner Mutter zu
geben.
Ingrid
Strobl: Ich
danke Ihnen allen sehr, dass sie bereit waren, sich auf die Erinnerung, auf den
Schmerz wieder einzulassen und uns das alles zu berichten.
Ich
danke Ludwik Hoffmann, ich danke Jadwiga Gawronska, ich danke Teresa Wieczorek,
ich danke Jerzy Pikielny und ich danke auch Julia Komarowicz für die sehr schöne
Übersetzung.
Teil 1 des Podium-Gesprächs
Dokumenation:
Zeitzeugnisse zum Aufstand im Warschauer Ghetto
Bild-Dokumenation:
Das Warschauer Ghetto
Weitere Information:
hagalil.com
29-07-2003