Ein altes Holzhäuschen:
Die Familie Anielewicz
Sabine Gebhardt-Herzberg
Mordechaj Anielewicz'
Familie lebte vor dem Zweiten Weltkrieg in Powisle, dem ärmsten Stadtteil
Warschaus. Sie gehörte nicht zu den alteingesessenen Familien Warschaus, sondern
war erst gegen Ende des Ersten Weltkrieges aus dem kleinen, etwa fünfzig
Kilometer nordöstlich von Warschau gelegenen Städtchen Wyszków dorthin gezogen. Mordechajs Mutter, Zirel Seldman,
war eine gebürtige Wyszkówerin. Die Familie seines Vaters, Abraham Anielewicz,
war erst durch die Wirren des Ersten Weltkrieges in den Ort verschlagen worden.
So wie viele andere galizische Juden während dieser Zeit, waren auch die
Anielewiczs aufgrund der Pogrome gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Da sie in
Wyszków Verwandte hatten, bei denen sie unterkommen konnten, zogen sie in die
kleine Ortschaft, um dort das Ende der Verfolgungen abzuwarten. Hier, in Wyszków,
lernte Abraham Anielewicz Zirel Seldman kennen. Sie war, wie Yisrael Gutman in
seiner Biografie über Mordechaj Anielewicz
(1) schreibt, "ein rotwangiges
Mädchen mit geradem Rücken, die perfekte Dorfestochter". Mordechajs Vater, so
Gutman, sei zwar "weit entfernt" gewesen vom Bild des "Traumprinzen eines jungen
Mädchens, und war andererseits auch kein weiser Thora-Gelehrter", aber Zirels
Stiefvater war völlig verarmt und somit darauf angewiesen, seine drei
Stieftöchter gut zu verheiraten. Abrahams Familie hingegen war als wohlhabend
bekannt und, wie man sich im Dorf erzählte, sehr großzügig in allem, was ihren
Sohn betraf. So kam es, dass Zirel und Abraham schon bald, nachdem sie sich
kennen gelernt hatten, heirateten.
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges beschlossen Abrahams Eltern, nicht nach
Galizien zurückzukehren, sondern nach Warschau zu ziehen und in der Tamkastraße,
im Bezirk Powisle, einen Lebensmittelladen zu eröffnen. Abrahams Eltern
schenkten dem jungen Paar eine großzügige Geldsumme, um ihnen eine
Existenzgründung zu ermöglichen. Doch die Ehe stand unter keinem besonders
glücklichen Stern und wurde von vielen privaten und vor allem enormen
finanziellen Problemen überschattet.
Als Abraham zur damals neu
gegründeten polnischen Armee eingezogen wurde, zog Zirel zu ihren
Schwiegereltern. Sie schaffte es nicht, sich dem schnelllebigen Rhythmus der
Großstadt anzupassen - ebensowenig wie der Eigenart der Eltetn ihres Ehemannes,
das Geschäft zum alleinigen Lebensmittelpunkt zu machen. Selbst die alltäglichen
Gespräche drehten sich ausschließlich um das Geschäft. Zirel wurde lungenkrank
und bekam vom Arzt Diät und frische Landluft verordnet. Außerdem befand sie sich
zu diesem Zeitpunkt in den ersten Monaten ihrer ersten Schwangerschaft. So zog
Mordechajs Mutter zunächst wieder zu ihren Verwandten in ihren Heimatort Wyszków,
wo sie sich erholte.
"In dem alten, von Sträuchern umgebenen Holzhäuschen - ihrem Elternhaus -
gebar Zirel ihren ersten Sohn," berichtet Gutman. Zirel gab dem Neugeborenen den
Namen ihres verstorbenen Vaters: Mordechaj.
1 - Die Biografie erschien 1963 in hebräischer Sprache und
trägt den Titel "Revolte der Belagerten. Mordechaj Anielewicz und der Aufstand
im Warschauer Ghetto".
Mordechaj Anielewicz:
Kommandant des Aufstandes im Warschauer Ghetto
Was wissen wir über ihn? Was wissen wir über sein Leben, seine
Familie, seinen Charakter, seine Träume? Nicht vieles, was wirklich gesichert
ist. Dafür gibt es umso mehr Legenden...
Jad Mordechaj:
Das Vermächtnis der Toten
Nur eine Handvoll der
Juden, die im Warschauer Ghetto gekämpft hatten, überlebten das Ende des
Krieges...
Warschau war die größte jüdische Gemeinde in Europa:
Die Situation der polnischen Juden vor dem
Zweiten Weltkrieg
Vor dem Ausbruch des
Zweiten Weltkrieges gab es in Polen ein reges jüdisches Leben. Damals lebten rund zwei Drittel
der jüdischen Weltbevölkerung in Europa. Drei Viertel
der europäischen Juden waren in Osteuropa beheimatet. 3,35 Millionen von ihnen -
fast zehn Prozent der insgesamt 33 Millionen Polen - lebten allein in Polen...
Weitere Information:

haGalil onLine 12-02-2004
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